Devoir de Philosophie

Die Gegenwart als Ewigkeit

Publié le 22/02/2012

Extrait du document

»Glücklicher Weise ist Dein Talentcharakter auf den Ton, das heißt: auf den Augenblick angewiesen. Da nun eine Folge von konsequenten Augenblicken immer eine Art von Ewigkeit selbst ist, so war Dir gegeben, im Vorübergehenden stets beständig zu sein und also mir sowohl als Hegels Geist, insofern ich ihn verstehe, völlig genugzutun.« Goethe, letzter Brief an Zelter vom n. in. 1832 Hegel Hegels erste Analyse der Zeit639 ist eine Paraphrase der Abhandlung des Aristoteles über die Zeit. In Übereinstimmung mit der griechischen Anschauung der Zeit bestimmt sie auch Hegel als »Jetzt« . Das Jetzt hat ein »ungeheures Recht«, weil nur die Gegenwart wahrhaft »ist«, im Unterschied zu dem, was schon vorbei und noch nicht ist. Doch ist das einzelne endliche Jetzt nur ein Zeit-Punkt, der sich »aufspreizt« gegenüber dem unendlichen Ganzen der Zeit, das ein ewiger »Kreislauf« ist. In der dialektischen Bewegung der Zeit, worin die Zukunft zur Vergangenheit wird, während die je vergehende Gegenwart zugleich in die Zukunft vorrückt, reduziert sich die Differenz der Zeiten zu einer beständigen Gegenwart, welche Vergangenheit wie Zukunft in sich schließt. Die wahrhafte Gegenwart ist die Ewigkeit, die der Zeit immanent ist. »Nur die Gegenwart ist, das Vor und Nach ist nicht; die konkrete Gegenwart ist das Resultat der Vergangenheit, und sie ist trächtig von der Zukunft. Die wahrhafte Gegenwart ist somit die Ewigkeit.« 640 Es kommt deshalb darauf an, 229 »in dem Scheine des Zeitlichen und Vorübergehenden die Substanz, die immanent, und das Ewige, das gegenwärtig ist, zu erkennen« 641 - »Hie Rhodus, hie saltus!« Die Sorge um die Zukunft dagegen verschwebt im »Äther« des absolut freien Bewußtseins.642 Und weil die Wahrheit des »alles gebärenden und seine Geburten zerstörenden Chronos« die ewige Gegenwart ist, und Hegel die Zeit nicht am Endlichen und Vergänglichen mißt, ist der »Begriff« die Macht der Zeit, und nicht die Zeit die Macht des Begriffs.643 Das Ganze des zeitlichen Fortgangs ist nicht selber im Zeitprozeß, denn hineingerissen in ihn kann nur ein Moment des Prozesses werden, aber nie das prozeßlose Ganze der Zeit. In der unendlichen Dauer der Ewigkeit ist die Zeitlichkeit des Vergänglichen aufgehoben, d. h. erhoben, bewahrt und herabgesetzt. Dasselbe, was für die Zeit gilt, charakterisiert auch den Geist der Geschichte der Welt, er ist schlechthin »präsent«. »Er ist nicht vorbei und ist nicht noch nicht, sondern er ist schlechterdings itzt.« »Der Geist hat alle Stufen der Vergangenheit noch an ihm, und das Leben des Geistes in der Geschichte ist, ein Kreislauf von verschiedenen Stufen zu sein ... Indem wir es mit der Idee des Geistes zu tun haben und in der Weltgeschichte alles nur als seine Erscheinung betrachten, so beschäftigen wir uns, wenn wir Vergangenheit, wie groß sie auch immer sei, durchlaufen, nur mit Gegenwärtigem. Die Philosophie hat es mit dem Gegenwärtigen, Wirklichen zu tun.«644 Das Verhältnis des Geistes zur Zeit besteht nach Hegel nur darin, daß er sich in der Zeit wie im Raum »auslegen« muß, aber nicht etwa darin, daß er an ihm selbst das Zeitliche, das der Zeit Entspringende und Verfallende ist.645 Diesen Begriff von der Zeit haben schon Hegels Schüler preisgegeben. Zerfallen mit ihrer eigenen Zeit und der bestehenden Wirklichkeit haben sie ihre Gegenwart auf die Zukunft entworfen und in Hegels Spekulation nicht mehr die philosophische Anschauung, sondern nur noch einen Abfall von der geschichtlichen Praxis gesehen. Die Frage der Ewigkeit wird der erledigten Theologie überlassen und die Philosophie dem Zeitbewußten verschrieben. Das Verhältnis des Geistes zur Zeit wird eindeutig im Sinne der Zeit entschieden. - Aus ähnlichen Motiven wie die Junghegelianer hat auch Heidegger in seiner Kritik der Hegelschen Zeitanalyse646 die Ewigkeit als belanglos beiseite geschoben und alles auf die geschichtliche Existenz als solche gesetzt, die der Tod in absoluter Weise begrenzt. Der Reflex des Todes im endlichen Dasein ist der »Augenblick«. Von ihm aus beurteilt scheint Hegels »Jetzt« nichts weiter als ein »vorhandener« Punkt im Zeitraum 230 zu sein, weit entfernt von einem existenzialen Verständnis der Zeit, die sich zeitigt. Hegels »vulgäres« Zeitverständnis versucht Heidegger geschichtlich aus dem »Einbruch« der antiken Ontologie zu erklären, welche die Zeit am Raum und der »Weltzeit« bemißt. Andrerseits ergibt sich daraus aber auch, daß der von Heidegger als »ursprünglich« beanspruchte Zeitbegriff ursprünglich in der christlichen Einschätzung des saeculum oder der »Weltzeit« beheimatet ist, wenngleich Heidegger selbst nur anmerkungsweise diese Herkunft seines Zeitbegriffs andeutet647 und die geschichtliche Substanz der Existenzialontologie im Hintergrund läßt. Von da aus kann er dann sagen, daß es vergeblich sei, aus dem »nivellierten« Jetzt und der »vorhandenen« Gegenwart das »ekstatische« Phänomen des Augenblicks und den Vorrang der Zukunft erklären zu wollen. Die Frage ist aber, ob eine an Kierkegaards »Augenblick« orientierte Zeitanalyse, welche die Gegenwart zur bloß »vorhandenen« Zeit nivelliert, die Zeit eigentlicher als Hegel versteht, der noch aristotelisch das Ganze der Zeit auffaßte, und als Philosoph von der Sorge um sein eigenes »Ganzsein-Können« befreit war. Nur wenn Hegel auch »augenblicklich« hätte sein wollen »für seine Zeit«,648 könnte man sagen, daß er das Jetzt nivelliert und der Weltzeit angepaßt habe.649 Das wirkliche Kreuz in Hegels Analyse der Zeit ist nicht, daß er die Ewigkeit dachte, sondern daß er sie - trotz seiner Verarbeitung der »Physik« des Aristoteles - nicht mehr mit griechischer Ursprünglichkeit an den kreisenden Gestirnen des Himmels und dem wirklichen »Äther« erschaute, sondern einem Geist zusprach, in dessen Begriff sich die griechische und die christliche Tradition in unentwirrbarer Weise durchdringen. Indem Hegel als Philosoph der christlich-germanischen Welt den Geist als Wille und Freiheit begriff, bleibt das Verhältnis des Geistes zur Zeit, die er griechisch als immerwährende Gegenwart und als Kreislauf bestimmt, in der Tat ein Widerspruch und ein Rätsel, das erst Hegels Schüler zu Gunsten der Freiheit des Wollens, für das die Zukunft den Vorrang hat, aufgelöst haben. Aber auch für Hegel war die durch den Einbruch des Christentums bewirkte Befreiung des Geistes der absolut entscheidende Punkt in der Geschichte des Geistes. Dieser geschichtliche Augenblick im Werden des christlichen Geistes ist in Hegels Philosophie mit der ewigen Gegenwart in der griechischen Anschauung der Welt zusammen gedacht. 231 Goethe Goethes Anschauung der Zeit ist dem Wort nach mit Hegels Begriff identisch, aber der Weg, auf dem sie zu der Ansicht gelangten, daß das Ewige der Zeit immanent ist, ist so verschieden wie Goethes Natursinn von Hegels gedanklicher Spekulation. Zahllos sind die Bemerkungen, in denen Goethe die Gegenwart preist und den Augenblick - aber nicht den gewaltsam »entscheidenden«, sondern den, in welchem die Ewigkeit von sich aus erscheint. Nichts sei vorauszunehmen und zurückzusehnen. Als einmal ein Trinkspruch auf die Erinnerung ausgebracht wurde, erklärte er heftig, er statuiere keine Erinnerung, denn was uns Bedeutendes einmal begegnet sei, müsse von Anfang an in unser Inneres eingehen und ewig bildend in uns fortleben. Der Mensch müsse lernen, die Gegenwart und den augenblicklichen Zustand zu schätzen, weil jeder Zustand, ja jeder Augenblick, von unendlichem Wert sei: »er ist der Repräsentant einer ganzen Ewigkeit«.650 Das Original beständiger Gegenwart war für Goethe das Sein der Natur, deren Entstehen und Vergehen sich ihm als eine Metamorphose des Gleichen enthüllte. Die Morphologie besonders lehrte ihn, das »Ewige im Vorübergehenden« schauen. Was Hegel vom Geiste sagt, gilt von Goethes Natur: »Alles ist immer da in ihr. Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht. Gegenwart ist ihre Ewigkeit.« 651 »Die Natur ist immer Jehovah: was sie ist, was sie war, und was sie sein wird.« In dichterischer Vollkommenheit entfalten den gleichen Gedanken drei Gedichte aus »Gott und Welt«. »Das Ewige regt sich fort in allem: Denn Alles muß in Nichts zerfallen, wenn es im Sein beharren will« - endet das Gedicht »Eins und Alles«. - »Kein Wesen kann zu nichts zerfallen! Das Ewige regt sich fort in Allen, am Sein erhalte dich beglückt« — beginnt das »Vermächtnis«.-»Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt geprägte Form, die lebend sich entwickelt« - sagen die »Urworte«. Diese Anschauung vom Ganzen der Zeit652 gilt nicht nur für Gott und die Welt, sondern auch für das Leben der Menschen; auch in ihm ist die Gegenwart alles. »Alle Liebe bezieht sich auf Gegenwart; was mir in der Gegenwart angenehm ist, sich abwesend mir immer darstellt, den Wunsch des erneuerten Gegenwärtigseins immerfort erregt, bei Erfüllung dieses Wunsches von einem lebhaften Entzücken, bei Fortsetzung dieses Glücks von einer immer gleichen Anmut begleitet wird, das eigentlich lieben wir, und hieraus folgt, daß wir alles heben können, was zu unserer Gegenwart gelangen kann; ja um das Letzte auszusprechen: die Liebe des Göttlichen strebt immer darnach, 232 sich das Höchste zu vergegenwärtigen.653 Eine solche höchste Vergegenwärtigung eines Menschen im Ganzen der Welt bringt das Gedicht zur Sprache, das »Gegenwart« heißt und mit der »Ewigkeit« endet.654 Aber nicht nur die Gegenwart, in der die Ewigkeit da ist, auch der flüchtige Augenblick ist von unendlichem Wert.655 Und selbst der Lebenswert der Vergangenheit beruht auf dem Ernstnehmen des gegenwärtigen Augenblicks, wodurch das Vergehende für künftig bewahrt wird. Darum empfahl Goethe Tagebücher und jegliche Art von Buchführung. »Wir schätzen ohnehin die Gegenwart zu wenig ..., tun die meisten Dinge nur fronweise ab, um ihrer los zu werden. Eine tägliche Übersicht des Geleisteten und Erlebten macht erst, daß man seines Tuns gewahr und froh werde, sie führt zur Gewissenhaftigkeit. Was ist die Tugend anderes als das wahrhaft Passende in jedem Zustande? Fehler und Irrtümer treten bei solcher täglichen Buchführung von selbst hervor, die Beleuchtung des Vergangenen wuchert für die Zukunft. Wir lernen den Moment würdigen, wenn wir ihn alsobald zu einem historischen machen.« 656 Eine Art von Ewigkeit ist es a.uch, wenn der Mensch den verschwindenden Augenblicken die Konsequenz einer »Folge« verleiht und so im Vorübergehenden stets beständig ist. Und mit dem Wunsch, daß sich seine Ansicht von der Ewigkeit in der Zeit mit der christlichen am Ende vereinigen könne, schrieb Goethe, nachdem er von einer tödlichen Krankheit ins Leben zurückgekehrt war, an die Gräfin Stolberg: »Lange leben heißt gar vieles überleben, geliebte, gehaßte, gleichgültige Menschen, Königreiche, Hauptstädte, ja Wälder und Bäume, die wir jugendlich gesäet und gepflanzt. Wir überleben uns selbst und erkennen durchaus noch dankbar, wenn uns auch nur einige Gaben des Leibes und Geistes übrig bleiben. Alles dieses Vorübergehende lassen wir uns gefallen; bleibt uns nur das Ewige jeden Augenblick gegenwärtig, so leiden wir nicht an der vergänglichen Zeit.« 657 Ein »höchster Augenblick«, in dem die Ewigkeit weilt, ist auch das letzte Wort des sterbenden Faust. In dieser Gesinnung glaubte sich Goethe einig mit dem Geist von Hegel, wie sein letzter Brief an Zelter bezeugt. Daß sich jedoch die ewige Gegenwart dessen, »was ist«, ursprünglich in der Weltgeschichte und als Geist offenbare, diesen Glauben an die Vernunft der Geschichte hat Goethes Natursinn abgelehnt. Der tiefere Grund seines Unwillens gegen die Welt der Geschichte lag in der Einsicht, daß die natürliche Welt durch das Christentum von der »Idee« getrennt worden ist. »Das Ideale war bloß geistlich, christlich.«658 Demgemäß unterscheidet sich auch beider Beurteilung der geschieht- 233 lichen Welt. Hegels Idee von der Weltgeschichte im Ausgang vom Geist, dessen Absolutheit im Christentum gründet, und Goethes Anschauung des Geschehens der Welt im Ausgang von der Natur, die schon selber Vernunft ist, sie offenbaren an Hand der Geschichte die Verschiedenheit ihres scheinbar gleichen Begriffs von der Zeit.

Liens utiles