Bildungsroman (Sprache & Litteratur).
Publié le 13/06/2013
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Bildungsroman (Sprache & Litteratur). Bildungsroman, im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entstandene Romangattung, die die Bildungs- und Entwicklungsgeschichte eines Menschen in seiner Auseinandersetzung mit der Welt thematisiert. In der Regel wird dabei die Bildungsgeschichte als Prozess der Selbstfindung und -orientierung verstanden, der zu einem Ausgleich von Ich und Welt führt bzw. diesen Ausgleich wenigstens als Postulat in sich einschließt. Der Begriff Entwicklungsroman wird häufig synonym mit Bildungsroman gebraucht. Darüber hinaus aber bezeichnet Entwicklungsroman oftmals - im Gegensatz zum konkreten historischen Gattungsbegriff des Bildungsromans - die allgemeinere, historisch nicht fixierte Kategorie. Betont didaktisch orientiert ist der Erziehungsroman. Der Begriff Bildungsroman wurde bereits 1803 von Karl Morgenstern geprägt und 1817 bzw. 1820 in mehreren Aufsätzen erläutert. Doch erst mit Wilhelm Dilthey fand er in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts Eingang in die literaturwissenschaftliche Diskussion. Seine Herkunft aus der deutschen Tradition hat dazu geführt, dass man den Bildungsroman - oft mit nationaler Emphase - als spezifisch deutsche Literaturgattung angesehen hat bzw. noch immer ansieht. Die Entstehung des Bildungsromans setzt die emanzipatorischen Tendenzen der Aufklärung voraus. Dazu gehören ein neues, von ständischen und religiösen Bindungen sich mehr und mehr befreiendes Selbstbewusstsein, die Entdeckung der eigenen, unverwechselbaren Individualität und der Glaube an einen subjektiven Bildungs- und Entwicklungsprozess, in dessen Verlauf individuelle Natur und äußere Welt, gerade durch produktiv bewältigte Krisen, zu einem Ausgleich finden (können). In diesem Sinn bilden die differenzierten Bildungs- und Humanitätsentwürfe der Weimarer Klassik den Hintergrund für die Anfänge der Gattung, auch wenn diese bereits auf tief greifende Entfremdungserfahrungen zurückgreifen: So konstituiert sich die Vorstellung einer Versöhnung von Subjekt und Welt als Ziel der Bildungsgeschichte von Anfang an nicht ohne Brüche. Vor allem im weiteren Verlauf der Gattungsentwicklung wird das harmonisierende Modell immer stärker problematisiert und durch Gegenmodelle in Frage gestellt. Christoph Martin Wielands Geschichte des Agathon (1766/67, 1773, 1794) ist der erste deutsche Roman mit einer Bildungsgeschichte als zentralem Thema. Nach diesem Beispiel definierte Friedrich von Blanckenburg (Versuch über den Roman, 1774) den Roman generell als ,,innere Geschichte" eines Charakters. In Anton Reiser (4 Bde., 1785-1790) stellte Karl Philipp Moritz den - negativ verlaufenden - Werdegang eines Protagonisten dar, der mit seiner Flucht in eine idealisierte Literatur- und Theaterwelt an der Realität scheitert. Zum entscheidenden Gattungsmodell wurde dann Johann Wolfgang von Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96), wenn auch Romantiker wie Friedrich von Schlegel einen Zugang zum Buch nicht über den Bildungsaspekt, sondern über seine ironisch-poetische Konstruktion zu finden suchten. Nachfolgende Bildungsromane setzten sich weitgehend kritisch mit dem Goetheschen Paradigma auseinander. Hierzu gehören Ludwig Tiecks Franz Sternbalds Wanderungen (1798) Jean Pauls Romane Titan (1800/1803) und Flegeljahre (1804/05), Novalis' Heinrich von Ofterdingen (1802), Joseph von Eichendorffs Ahnung und Gegenwart (1815) und Eduard Mörikes Maler Nolten (1832). Dezidiert parodistisch ist E. T. A. Hoffmanns Lebensansichten des Katers Murr (1819-1821), während die Bildungsromane des Realismus entweder die Brüchigkeit des neuhumanistischen Bildungskonzepts in schon fast desillusionierender Weise erkennen lassen (so Gottfried Kellers Der grüne Heinrich, 1854/55, Zweitfassung 1879/80) oder aber als Rahmen für die problemlos-organische Bildungsgeschichte eigens eine utopische Gegenwelt zur zeitgenössischen Gesellschaft erfinden (wie in Adalbert Stifters Der Nachsommer, 1857). Das Konzept der geglückten Integration des Individuums in die gesellschaftliche Ordnung geht hingegen in Gustav Freytags Soll und Haben (1855) bruchlos auf, allerdings um den Preis der utopischen Dimension der Gattung. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandten sich u. a. Thomas Mann und Hermann Hesse der Gattung zu. In den fünfziger und sechziger Jahren erlangte in der DDR der sozialistische Bildungsroman als Variante eine gewisse Bedeutung. Im Übrigen bleiben die Annäherungen an die Tradition schon deswegen punktuell, weil die Voraussetzungen des Bildungsromans (wie die Kontinuität der Existenz) mit der Moderne fragwürdig geworden sind. Verfasst von: Volker Meid Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.
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