Patriarchat - Soziologie.
Publié le 15/06/2013
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Patriarchat - Soziologie. 1 EINLEITUNG Patriarchat (aus griechisch pater: Vater, und griechisch archein: herrschen; wörtlich übersetzt: Vaterherrschaft) soziale Organisationsform, in der das Verfügungsrecht über die Personen und Güter einer Familie, Sippe oder Lineage in der Hand des Vaters liegt und von diesem auf den Sohn vererbt wird; im weiteren Sinne die allgemeine Vorrangstellung des Mannes in der Gesellschaft. 2 THEORIEN ÜBER URSPRUNG UND ENTWICKLUNG DES PATRIARCHATS Im 19. Jahrhundert tauchte erstmals die Idee auf, dass die Dominanz der Männer über die Frauen möglicherweise nicht von Gott bzw. von der Natur vorgegeben sei, sondern sich erst im Laufe der Menschheitsgeschichte herausgebildet habe. Das Entstehen dieser Vorstellung steht in direktem Zusammenhang mit der damals aufkommenden Entwicklung wissenschaftlicher Evolutionstheorien. Zur selben Zeit, als Charles Darwin sein Buch Über die Entstehung der Arten veröffentlichte (1859), stellte Johann Jakob Bachofen seine Werke Über das Weiberrecht (1857) und Das Mutterrecht (1861) vor. Darin vertrat er die vor allem anhand griechischer und römischer Quellen gewonnene These, dass die Menschheit drei Entwicklungsstufen durchlaufen habe, deren höchste das Vaterrecht sei. Dieser jüngeren Gesellschaftsordnung des Patriarchats sei das Matriarchat, das Mutterrecht, als ursprüngliches Stadium der Menschheit vorangegangen. Wenig später kombinierte der amerikanische Ethnologe Lewis Henry Morgan (Ancient Society, 1877; Die Urgesellchaft) seine Forschungen über Verwandtschaftssysteme mit dem Modell der drei Evolutionsstufen. Wildheit, Barbarei und Zivilisation - definiert durch den jeweiligen Stand der Technik in Naturbeherrschung und Lebensmittelproduktion - seien die bisherigen Stadien der Menschheitsgeschichte, die der Entwicklung der Menschheit von der promiskuitiven Horde über die Gruppenehe zur monogamen Ehe entsprächen. Auf die Forschungen Morgans berief sich 1884 Friedrich Engels in seiner Abhandlung Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staates, in der er die Entstehung des Patriarchats mit der Entstehung von Privateigentum und Monogamie in Verbindung brachte. Als Erster kritisierte er die patriarchalen Verhältnisse der vergangenen wie der modernen Gesellschaften und stellte die Emanzipation der Frau im Rahmen der nächsten, höheren Entwicklungsstufe der Geschichte, nämlich dem Kommunismus, in Erwartung. Im weiteren Verlauf der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über das Patriarchat ging es zum einen um die Widerlegung der Matriarchatsthese und zum anderen um eine genauere Definition des Patriarchats bzw. patriarchaler Verhältnisse. In der Ethnologie verwarfen schon bald namhafte Forscher die evolutionistischen Konzepte einer unilinearen historischen Entwicklung vom Niedrigen zum Höheren, vom Einfachen zum Komplexen, vom Matriarchat zum Patriarchat etc. (siehe Franz Boas). Ebenso wurde die These von der Existenz einer matriarchalen Gesellschaftsstufe im Sinne einer allgemeinen Herrschaft von Frauen über Männer widerlegt. Die historischen und ethnographischen Befunde, auf die Bachofen und Morgan sich stützten, sind lediglich Belege für Matrilinearität und Matrilokalität. Weibliche Erbfolge und Wohnsitznahme bei der Familie der Ehefrau können aber offensichtlich widerspruchslos einhergehen mit der Entscheidungshoheit des Mannes - in diesem Fall des Bruders oder Mutterbruders der Frau - über alle wirtschaftlichen und politischen Fragen der Familie. Auch Archäologie und Geschichtswissenschaft betonten, dass es für die historische Existenz eines urgeschichtlichen Matriarchats, das dem Patriarchat vorausging, keinerlei Quellenbeweise gebe. Für die Soziologie definierte Max Weber in Wirtschaft und Gesellschaft (1921) Patriarchalismus als eine Herrschaftsauffassung, der zufolge ein Fürst oder auch ein Fabrikbesitzer oder Gutsherr in der Weise über seine Untertanen bzw. Arbeiter herrscht wie ein Vater über seine Familie und Hausgemeinschaft. Diese nach fester Erbregel weitergegebene, traditionelle Herrschaft sei mit der Vorstellung verbunden, dass sie im Interesse der Beherrschten ausgeübt werden müsse, dass materielle Fürsorge und Schutz gegen (freiwilligen) Gehorsam gewährt würden. Diese Auffassung liegt bereits dem Prinzip des römischen pater familias zugrunde. Der Begriff Patriarchat wurde in den folgenden Jahrzehnten kaum noch wissenschaftlich diskutiert, bis dann in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine kontroverse Theoriedebatte zwischen Feministinnen und Marxistinnen begann. 3 DIE FEMINISTISCHE DISKUSSION Erstmals beschrieb Germaine Greer 1970 in The Female Eunuch (Der weibliche Eunuch), das Patriarchat als universelles Herrschaftsverhältnis. In allen Gesellschaften sei die sexuelle Unterdrückung der Frau grundlegend, und in der Familie werde dieses Machtverhältnis immer wieder neu hergestellt. Deshalb seien die sexuelle Befreiung und die Abschaffung der traditionellen Form von Ehe und Familie die Bedingungen für eine Emanzipation der Frau. Marxistinnen, die sich auf Friedrich Engels beriefen, gingen davon aus, dass die Frauenunterdrückung durch die Abschaffung des Kapitalismus automatisch mitaufgehoben werde, da sie sich erst entwickelt habe als ein Bestandteil der Klassengesellschaft - der historischen Entwicklungsstufe, die von der Dominierung der menschlichen Beziehungen durch das Privateigentum geprägt wird - und mit der dialektischen Überwindung derselben untergehen müsse. Meinungsverschiedenheiten entstanden auch in der Beurteilung der biologischen Verschiedenheit der Geschlechter als Grund für eine Benachteiligung der Frau. Hier wurde vor allem die Gefahr gesehen, dass die Vorstellung von der Naturgegebenheit der Herrschaft von Männern über Frauen bestärkt werden könnte. Die feministische Wissenschaft thematisierte deshalb erneut mögliche historische Ursprünge und Erscheinungsformen des Patriarchats, ohne jedoch zu einem Konsens über die Anfänge dieser Herrschaftsform zu kommen. Die anhaltende Debatte über die Universalität der weiblichen Unterordnung hat eine inzwischen unüberschaubare Menge an gegensätzlichen Theorien hervorgebracht. Es zeichnet sich aber ab, dass monokausale Erklärungsversuche für die Frage nach den Ursachen der Unterdrückung zunehmend abgelehnt werden. Deshalb ist auch der Begriff Patriarchat als geeignete Kategorie, um das Geschlechterverhältnis als Herrschaftsverhältnis zu beschreiben, durchaus umstritten. Es wird z. B. darauf hingewiesen, dass innerhalb dieses Herrschaftssystems weitere Hierarchien bestehen und auch Männer in Unterdrückungsverhältnissen gefangen sind. Patriarchale Herrschaftsverhältnisse in ihren Besonderheiten und in ihren Verknüpfungen mit Unterdrückungssystemen, etwa den Ordnungen nach Klasse, ethnischer Zugehörigkeit oder Hautfarbe, zu analysieren und sichtbar zu machen, wird allgemein als eine wichtige Voraussetzung für die Überwindung des Patriarchats angesehen. Darüber hinaus ist in der feministischen Diskussion der letzten zehn Jahre die so genannte Mittäterschaft von Frauen bei der Aufrechterhaltung von individueller und institutioneller männlicher Vorherrschaft in den Vordergrund gerückt. Die wissenschaftliche wie die allgemeine feministische Diskussion haben sich von der Darstellung der weiblichen Opferrolle abgewandt und betonen nunmehr verstärkt die Fähigkeit und Verantwortung zur Veränderung der patriarchalen Herrschaftsverhältnisse. Verfasst von: Margit Mersch Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.
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