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Zeitvorstellungen in den Religionen - Anthologie.

Publié le 17/06/2013

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Zeitvorstellungen in den Religionen - Anthologie. Die historischen Essays in Encarta Enzyklopädie geben Kenntnisse und Einschätzungen führender Wissenschaftler wieder. Udo Tworuschka, Professor an der FriedrichSchiller-Universität Jena, zeigt in seinem Beitrag u. a., welche Rolle ,,heilige Zeiten" in verschiedenen Religionen spielen und wie dadurch das Leben der Menschen geprägt wird. Zeitvorstellungen in den Religionen Die Religionen haben verschiedene Vorstellungen von Zeit und Geschichte entwickelt. Dies führt auch zu einer unterschiedlichen Bewertung vom Leben in der Welt und von der Welt als solcher. Ältere Religionsvergleiche waren oft von einer globalen und polarisierenden Absicht geleitet. Sie stellten z. B. das Christentum den asiatischen Religionen pauschal gegenüber. Albert Schweitzer kontrastiert das ,,welt- und lebensbejahende" abendländische mit dem ,,welt- und lebensverneinenden" indischen Denken. Die Ethik des Buddha ist für ihn nur ,,Gedanken-Ethik", die nicht praktisch wird. Der jüdische Philosoph Theodor Lessing betrachtet die Inder als ,,ein Volk, welches träumt, wo wir denken, in die Natur versunken ist, wo wir Natur übermächtigen". Dem ungeschichtlichen Denken der Inder - der Hindus oder Buddhisten - wird das geschichtliche und damit ethisch-verantwortliche Denken der Abendländer entgegengehalten. Sowohl für den Hinduismus als auch für den Buddhismus sind jedoch neuerdings überzeugende Gründe gegen die verzerrenden Antithesen vorgebracht worden. Hinduismus Das zyklische Zeitverständnis des Hinduismus bestand nicht von Anfang an, sondern bildete sich erst später heraus. Seine klassische Ausprägung hat es in der Lehre von den vier einander abwechselnden Weltzeitaltern (yuga) erhalten. Entfaltung bzw. Schöpfung und Auflösung prägen den Weltenlauf. Im letzten, dem Kaliyuga, hat dharma, die ,,Seins- und Sollensordnung", nur noch ein Viertel seiner Kraft. Nachdem die Welt untergegangen und die grob- zur feinstofflichen Urmaterie geworden ist, hebt der Kreislauf wieder von neuem an. Auch die Kraft der Götter (Brahma, Vishnu), die nicht allmächtig sind, lässt nach, und sie vergehen schließlich. Die Zerstörung der Welt ist weder Gottes- noch Menschenwerk, sondern ,,der Zeit selbst. Es ist die Urnatur bzw. Urmaterie selbst, die sich entfaltet und zurückzieht". Hindu-Denken bewertet Zeit, Geschichte und Wandel negativ. Sie sind Illusion, ,,Spiel der Maya", abträglich für das Heil. Sie erzeugen Samsara, den unaufhörlichen Kreislauf, ,,und damit auch die ewige Wiederkehr des Todes". Zyklisches und lineares Verständnis von Zeit sind nicht Ausdruck eines miteinander unvereinbaren Zeitbewusstseins. In Heilsfragen ,,geht es in beiden Zeit- und Geschichtskonzeptionen um die Aufhebung bzw. Transzendenz von Zeitlichkeit". Der religiöse Mensch verweigert sich der Geschichte, sei es, dass er sie wie im Christentum nur als gottgeschaffenes Übergangsstadium oder Bewährungsprobe betrachtet, sei es, dass er wie in den Hindu-Religionen eine Identifikation mit der Zeitlosigkeit zu Lebzeiten sucht". Buddhismus Nach buddhistischer Vorstellung gibt es keinen Anfang der Zeit. Universum entsteht aus Universum. Dies zerfällt wiederum und lässt ein neues Universum entstehen. Es gibt eine unbegrenzte Anzahl von Weltsystemen. Der fortdauernde Kreislauf beruht auf Karma. Weil dharma im Lauf der Zeit schwächer wird, muss - einer gängigen buddhistischen Anschauung zufolge - wieder ein neuer Buddha erscheinen, der die geistigen und sozialen Missverhältnisse wieder in Ordnung bringt. Auch der Buddhismus kennt eine ,,zielgerichtete Zeit": Nach der Erleuchtungserfahrung (bodhi) des Siddharta Gautama Buddha erscheint die Geschichte unter einer neuen Perspektive. Im Anschluss an das bodhi-Ereignis gelangte dharma zur Herrschaft. ,,Der dharma als universales Gesetz, das alle Menschen im Wesen gleichstellt und Unterschiede an der Gesinnung, nicht aber an der Geburt, festmacht, bedeutet eine fundamentale Kritik der indischen Kastengesellschaft, die ihre Spuren in der Geschichte hinterlassen sollte. Und so wie das Christentum auf eine letztgültige Vollendung in der Wiederkunft Christi hofft, so wartet auch der Buddhismus auf Maitreya, den zukünftigen Buddha". Auch im Buddhismus herrscht eine Spannung zwischen dem ,,schon jetzt" der prinzipiellen Teilhabe am bodhi-Zeitalter und dem ,,noch nicht" der erreichten Vollkommenheit aller Menschen. Islam Der für den christlich-islamischen Dialog so bedeutsame Islamwissenschaftler Abdoldjavad Falaturi (1926-1996), dessen Tod eine kaum zu schließende Lücke im akademischen Diskurs hinterließ, hat auf das raumartige Zeitverständnis des Korans aufmerksam gemacht. Der koranische Begriff für Zeit, waqt, beinhaltet ,,keine sich sukzessiv vollziehende Abfolge" und hat keinen regulierenden Charakter. ,,Waqt erweist sich vielmehr als die Bestimmung eines raumartigen, in sich geschlossenen, statisch unveränderbaren ,Wo' der Ereignisse. In Raum und Zeit, beide als ,wo', als Lokalisation, finden die Ereignisse in einem bloß zufälligen, aber in keinem notwendigen Zusammenhang statt. Das Nebeneinander der Ereignisse in einem Wo-Raum ist genauso umkehrbar, wie ihr Nacheinander in einer Wo-Zeit. Im waqt als einer nichtlinearen, nichtzyklischen, sondern raumhaften Wo-Zeit, d. h. als einem - aus göttlicher Sicht, nach der sich Muhammad zu richten hatte - von Gott geschaffenen, immer vorhandenen Behältnis der Ereignisse, haben alle Ereignisse unabhängig voneinander eine direkte Beziehung zu ihrem allmächtigen, allgegenwärtigen Urheber. Der Urheber hätte den Gang der Geschichte auch völlig anders gestalten können. Er hätte als Gestalter der Wo-Zeit (waqt) z. B. Noah vor Adam, Jesus vor Abraham, Muhammad vor allen anderen usw. auftreten lassen können" (Abdoldjavad Falaturi ). Religionen Afrikas Ein anderes Zeitverständnis findet sich bei den schwarzafrikanischen Religionen. Hier herrscht die Auffassung, dass die Zeit durchweg nicht in die Zukunft, sondern gewissermaßen in die Vergangenheit hineinwächst. Die Bantusprachen besitzen wenige Begriffe, um die Zukunft bzw. verschiedene Zukünfte auszudrücken. Dafür haben sie umso mehr Ausdrücke für vergangene Zeiten. Unterschieden werden unterschiedlich ,,gefüllte" Zeiten: die ,,Zeit des Wasserholens", die ,,Zeit der Heimkehr der Rinder" usw. Woche und Jahr sind nur wenig gegliedert. Aussaat und Ernte bestimmen den Jahresverlauf so wie die großen Feste, die das Vergangene in die Gegenwart hineinholen. ,,Der Ritus, der sich an der Vergangenheit orientiert, zielt auf die Jetztzeit. Fülle der Zeit soll die Gegenwart sein" (Sundermeier). Religion der Aborigines Das Weltbild der australischen Ureinwohner, der Aborigines, ist sehr komplex. Ihre Schöpfungserzählungen handeln von der ,,Traumzeit", der mythischen Zeit der Schöpfung. Nach den Vorstellungen der in Zentralaustralien lebenden Aranade war die Erde im Anfang kahl. Sie besaß weder Leben noch Gestalt. Eines Tages tauchten die Ancestors, die mythischen Totemvorfahren, aus ihrem Schlaf unter der Oberfläche auf. Sie träumten die Dinge in ihr Dasein. Nach dem Glauben der Aborigines durchziehen den australischen Kontinent so genannte Traumpfade. Dies waren die Wege, auf denen einst die Ancestors entlangschritten. Während sie über die finstere Ebene wanderten, gaben sie in ihren Gesängen allen Dingen Name und Form. Sie gestalteten die Berge und Hügel, die Ebenen, Quellen und Flüsse. Dort, wo die Ancestors aus der Erde heraufgestiegen waren, entstanden Wasserlöcher. Ihre Knochen verwandelten sich in spitze Felsen. Aus ihren Händen entstanden weiße Eukalyptusbäume, aus den Blutadern die Flüsse, aus den Augen Wasserlöcher oder kleine Seen. Oft waren die Ancestors riesige Tiere. Man kann sie heute noch an bestimmten Gebirgsformationen erkennen. Lang gezogene geschwungene Bergketten wurden mit der riesigen Schlange Tjukurrpa identifiziert. Einst kam sie an eben dieser Stelle vorbei und formte die Berge. Jeder Ureinwohner hat einen dreamtime spirit, einen ,,Geist aus der Traumzeit", der als Patron mit ihm verbunden ist. Die Orte, an denen sie vorbeikamen und wo sie wieder zurück unter die Erde verschwanden, gelten den Aborigines als heilig. In der Traumzeit, die in die Gegenwart hineinreicht und deren Ende nicht absehbar ist, schufen die Ancestors auch Pflanzen, Tiere und Menschen. Sie schenkten den Menschen die Kultur, zeigten ihnen, wie man Hände und Füße gebraucht, wie man jagt und Fische fängt. Auch die komplizierten sozialen und religiösen Beziehungen schufen die Ancestors. Die Totemvorfahren haben bei ihrer Reise durch das Land eine Spur von Wörtern und Noten neben ihren Fußspuren ausgestreut. Zu jedem ihrer Traumpfade gehört ein Lied. Es ist Karte und Kompass zugleich. Ganz Australien ist eine einzige Partitur. Es gibt keinen Fleck, keinen Ort, der nicht von den Urahnen einst ins Leben gesungen worden wäre. Die Aborigines gaben ihre Traumzeitgeschichten an die nächste Generation durch ihre Lieder und Tänze weiter. Heilige Zeiten Religiöses Handeln findet zu bestimmten, ,,heiligen" Zeiten statt. Der religiöse Mensch unterscheidet sie qualitativ von profaner (,,normaler") Zeit, da sie mit der Welt des Transzendenten in besonders enger Verbindung stehen. Heilige Zeit hat eine besondere Struktur, ist aus dem Profanen ,,herausgeschnittene" Zeit. ,,In illo tempore", in jener Zeit, der ,,großen Zeit", damals, im Anfang - spielen Schöpfungsmythen. Es ist die Zeit vor aller Zeit, als es noch keine Zeit gab. Im Hinduismus ist von a-kala, Nichtzeit, die Rede. Gemeint ist - wie auch in anderen Schöpfungsmythen - kein zeitlich fixierbarer Anfangspunkt, vielmehr eine qualitativ andere Seinsebene. Das lateinische Nomen principium macht dies deutlich. Es geht um ein allem Sein zugrunde liegendes, nichtzeitliches ,,Prinzip". Der alte Ägypter kennzeichnete den Zeitpunkt der Schöpfung durch den Ausdruck ,,beim ersten Mal". Damit meinte er nicht ,,den Anfang eines zeitlich befristeten Geschehens, nicht unbedingt den Anfang der Zeit schlechthin. Das ,erste Mal' schließt Folgezeiten, ja zahllose periodische Wiederholungen ein. Der Schöpfungsakt hat sich also für den Ägypter nicht irgendwann einmal in grauer Vorzeit abgespielt, sondern zu Anfang des Bestehens einer ihm bekannten Einrichtung, etwa der Einrichtung des Königtums oder des Tempels. (...) Folglich werden bei der Inthronisation des Königs oder bei der Fundamentlegung des Tempels Riten beachtet, die ,das erste Mal' dieses Geschehens vergegenwärtigen und dabei durchaus Bezug zum ,ersten Mal' der Weltschöpfung haben" (Hans-Joachim Klimkeit). Auch Mythen der Zukunft erzählen von der vorbildhaften ,,großen Zeit": von Totenauferstehung, Endschlacht, Unsterblichkeit und Ewigkeit. Paul Tillich hat vom ,,Neuen Sein" gesprochen, das nicht erst in ferner Zukunft, sondern ,,hier und jetzt, heute und morgen" geschieht. ,,Wo ein Neues Sein vorhanden ist, da ist Auferstehung, da wird jeder Augenblick dieser Zeit in Ewigkeit verwandelt". Religionsstifter sind für die Gläubigen mehr als nur große historische Persönlichkeiten. Sie sind zeitlos, von der Aura des Ewigen umgeben. Buddha ist nach der trikaya-Lehre von den ,,drei Körpern" neben seiner Existenzweise als historischer Siddharta Gautama und himmlisches Gnadenwesen das zeitlose Buddha-Prinzip, die ewige Buddha-Natur in allem Seienden. Was für Christen Jesus Christus und für Buddhisten Buddha ist, entspricht bei den Muslimen dem Koran. Er gilt als Abschrift des himmmlischen Urbuches, der präexistenten ,,Mutter des Buches". Vor aller Zeit entstanden ist nach jüdischer Auffassung die Thora, die Mose später am Sinai übergeben wurde. Im Zusammenhang mit dem Ritual hat die Zeit in den Religionen eine besondere Bedeutung. Heilige Zeit ist wiederholbar. In den linearen Ablauf der profanen Zeit sind sakrale Zeitabschnitte eingeschoben, die den Zeitablauf periodisch unterbrechen, z. B. Gebetszeiten: Stundengebete, entweder die klassischen acht Gebetszeiten (Matutin, Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet) oder Morgen-, Mittags- und Abendgebete bzw. das fünfmalige Salat-Pflichtgebet der Muslime, strukturieren den täglichen Zyklus wie jeweils herausgehobene (oftmals Ruhe-)Tage den Wochenrhythmus bestimmen. Der jüdischer Sabbat ist der siebte und letzte Tag der jüdischen Woche, während der christliche Sonntag seit den Tagen der frühen Christenheit als erster Tag der Woche, Herrentag und Tag der Auferstehung galt. Buddhistische Feste fallen immer auf die Uposatha-Tage: Voll-, Neumond sowie die ersten und letzten Tage des Mondviertels (1., 8., 15. und 23. eines Monats). An Vollmondtagen suchen die Laien Klöster auf, hören die Buddha-Lehre und geloben, die Sila-Gebote der buddhistischen Ethik einzuhalten. Der im 16. Jahrhundert entstandene Sikhismus kennt keine heiligen Wochentage. An Sangrand, dem ersten Tag ihres Mondkalenders, suchen fromme Sikhs den ,,Gurdwara" (,,Tür des Guru") auf, auch wenn Sikhs grundsätzlich überall und jederzeit Gebete zu Gott sprechen können. Unter den Bedingungen der Diaspora können die Sikhs ihre Gottesdienste nur am arbeitsfreien Wochenende abhalten. Daher finden in allen Gurdwaras Sonntagsfeiern statt, wobei dieser Tag nicht aus religiösen, sondern aus praktischen, durch die Umwelt bedingten Gründen gewählt wird. Die gottesdienstlichen Handlungen der Sikhs erstrecken sich über zwei Tage. Von Freitag- bis Sonntagmorgen wird der ,,Guru Granth Sahib", die heilige Schrift der Sikhs, von versierten Vorleserinnen bzw. Vorlesern rezitiert. Der heilige Tag der kurdischen Jesiden ist der Mittwoch. Der erste Mittwoch im April ist der ,,Rote Mittwoch", der Neujahrstag. Mittwochs sollen sich die Jesiden ihrer Religion ganz besonders widmen. Ein arbeitsfreier Tag ist der Mittwoch jedoch nicht. Religiöser Kalender Das Jahr wird von den Religionen unterschiedlich gegliedert. Das christliche Kirchenjahr beginnt mit dem 1. Advent und dem Weihnachtsfestkreis, auf den der Osterfestkreis und schließlich der Pfingstkreis bzw. die Trinitätszeit folgen. Das islamische Jahr ist als reines Mondjahr elf Tage kürzer als unser Sonnenjahr, so dass sich der islamische Kalender jedes Jahr gegenüber unserem um etwa diese Zeitspanne verschiebt. Hier sind es vor allem Ereignisse aus dem Leben der Propheten Muhammad und Abraham bzw. Begebenheiten aus dem Koran, die das Jahr strukturieren. Mircea Eliade hat darauf aufmerksam gemacht, dass heilige Zeit ,,parallel" zur normalen, chronologischen Zeit verläuft. Sie ist nämlich aufgrund ihrer Kontinuität, d. h. der Verbindung zur vorherigen bzw. nachfolgenden Sakralzeit, nur scheinbar von profanen Intervallen unterbrochen. Als Beispiel erwähnt der rumänische Religionsforscher die christliche Liturgie, ,,die mit der Liturgie des vorhergehenden und des nachfolgenden Sonntags verbunden (ist) ... Sie ist mit der Zeit der vergangenen und der folgenden Liturgien verbunden". Die profanen Zeitabschnitte berühren die heilige Zeit überhaupt nicht. Diese bildet ,,im Lauf der langen Jahre und Jahrhunderte eine einzige ,Zeit'". Zeit ist nicht gleich Zeit. Dies drückt der Prediger Salomonis (3, 1-8) in den bekannten Worten ,,Alles hat seine Zeit" aus. Er fordert die Menschen auf, die ,,rechte Zeit" zu erkennen, die Zeit für das eine, und nicht für das andere. Gott, der ,,Herr der Zeit", hat sie bestimmt. In vielen alten Religionstraditionen bestand der Glaube, dass es für jegliches Tun des Menschen eine rechte Stunde gebe: zum Heiraten, Hausbau, Reisen, zur Kriegsführung usw. Darum war es wichtig, einen Priester bzw. Astrologen nach dem jeweils günstigen Zeitpunkt für eine Unternehmung zu fragen. Es gibt Glücks- und Unglückstage, vor allem in der populären Religiosität und im Alltagsleben (Horoskope). Von großer Bedeutung ist die Astrologie im Hinduismus und Buddhismus. Der Zeitpunkt für den Upanayana-Ritus, der einen HinduKnaben zu seiner ,,zweiten", d. h. geistigen, Geburt führt, richtet sich nach dem persönlichen Geburtshoroskop des Initianden. Auch bei Eheschließungen spielen Horoskope eine wichtige Rolle. Selbst die Chronologie hat religiöse Wurzeln: Bedeutsame Ereignisse dienen als Anfangspunkt religiöser Zeitrechnung: Die christliche Zeitrechnung beginnt von Christi Geburt an, die islamische von Muhammads Auswanderung von Mekka nach Medina, die buddhistische von Buddhas Eingang in das Nirwana und die jüdische mit der Schöpfung, die auf das Jahr 3761 v. Chr. datiert wurde. In Japan besteht neben der ,,christlichen" eine eigene, vorwiegend national-religiös legitimierte Zeitrechnung. Jeder Kaiser gibt zu Beginn seiner Regierungszeit eine Losung aus (z. B. ,,Himmlischer Friede"). Das Jahr des Regierungsantritts gilt als das Jahr eins. Auch wenn der Tenno nicht länger als göttlich gilt, genießt diese Zeitrechnung in der japanischen Bevölkerung noch immer hohes Ansehen. Zum Autor: Udo Tworuschka hat an der Universität Jena den Lehrstuhl für Religionswissenschaft inne. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Encarta Enzyklopädie. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

« Religiöses Handeln findet zu bestimmten, „heiligen” Zeiten statt.

Der religiöse Mensch unterscheidet sie qualitativ von profaner („normaler”) Zeit, da sie mit derWelt des Transzendenten in besonders enger Verbindung stehen.

Heilige Zeit hat eine besondere Struktur, ist aus dem Profanen „herausgeschnittene” Zeit. „In illo tempore”, in jener Zeit, der „großen Zeit”, damals, im Anfang – spielen Schöpfungsmythen. Es ist die Zeit vor aller Zeit, als es noch keine Zeit gab.

Im Hinduismus ist von a-kala, Nichtzeit, die Rede.

Gemeint ist – wie auch in anderen Schöpfungsmythen – kein zeitlich fixierbarer Anfangspunkt, vielmehr eine qualitativ andere Seinsebene.

Das lateinische Nomen principium macht dies deutlich.

Es geht um ein allem Sein zugrunde liegendes, nichtzeitliches „Prinzip”.

Deralte Ägypter kennzeichnete den Zeitpunkt der Schöpfung durch den Ausdruck „beim ersten Mal”.

Damit meinte er nicht „den Anfang eines zeitlich befristetenGeschehens, nicht unbedingt den Anfang der Zeit schlechthin.

Das ,erste Mal‘ schließt Folgezeiten, ja zahllose periodische Wiederholungen ein.

Der Schöpfungsakthat sich also für den Ägypter nicht irgendwann einmal in grauer Vorzeit abgespielt, sondern zu Anfang des Bestehens einer ihm bekannten Einrichtung, etwa derEinrichtung des Königtums oder des Tempels.

(…) Folglich werden bei der Inthronisation des Königs oder bei der Fundamentlegung des Tempels Riten beachtet, die,das erste Mal‘ dieses Geschehens vergegenwärtigen und dabei durchaus Bezug zum ,ersten Mal‘ der Weltschöpfung haben” (Hans-Joachim Klimkeit). Auch Mythen der Zukunft erzählen von der vorbildhaften „großen Zeit”: von Totenauferstehung, Endschlacht, Unsterblichkeit und Ewigkeit.

Paul Tillich hat vom„Neuen Sein” gesprochen, das nicht erst in ferner Zukunft, sondern „hier und jetzt, heute und morgen” geschieht.

„Wo ein Neues Sein vorhanden ist, da ist Auferstehung, da wird jeder Augenblick dieser Zeit in Ewigkeit verwandelt”. Religionsstifter sind für die Gläubigen mehr als nur große historische Persönlichkeiten.

Sie sind zeitlos, von der Aura des Ewigen umgeben.

Buddha ist nach dertrikaya -Lehre von den „drei Körpern” neben seiner Existenzweise als historischer Siddharta Gautama und himmlisches Gnadenwesen das zeitlose Buddha-Prinzip, die ewige Buddha-Natur in allem Seienden.

Was für Christen Jesus Christus und für Buddhisten Buddha ist, entspricht bei den Muslimen dem Koran.

Er gilt alsAbschrift des himmmlischen Urbuches, der präexistenten „Mutter des Buches”.

Vor aller Zeit entstanden ist nach jüdischer Auffassung die Thora, die Mose späteram Sinai übergeben wurde. Im Zusammenhang mit dem Ritual hat die Zeit in den Religionen eine besondere Bedeutung.

Heilige Zeit ist wiederholbar.

In den linearen Ablauf der profanen Zeitsind sakrale Zeitabschnitte eingeschoben, die den Zeitablauf periodisch unterbrechen, z.

B.

Gebetszeiten: Stundengebete, entweder die klassischen acht Gebetszeiten(Matutin, Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet) oder Morgen-, Mittags- und Abendgebete bzw.

das fünfmalige Salat-Pflichtgebet der Muslime,strukturieren den täglichen Zyklus wie jeweils herausgehobene (oftmals Ruhe-)Tage den Wochenrhythmus bestimmen.

Der jüdischer Sabbat ist der siebte und letzteTag der jüdischen Woche, während der christliche Sonntag seit den Tagen der frühen Christenheit als erster Tag der Woche, Herrentag und Tag der Auferstehunggalt.

Buddhistische Feste fallen immer auf die Uposatha-Tage: Voll-, Neumond sowie die ersten und letzten Tage des Mondviertels (1., 8., 15.

und 23.

eines Monats).An Vollmondtagen suchen die Laien Klöster auf, hören die Buddha-Lehre und geloben, die Sila-Gebote der buddhistischen Ethik einzuhalten.

Der im 16.

Jahrhundertentstandene Sikhismus kennt keine heiligen Wochentage.

An Sangrand, dem ersten Tag ihres Mondkalenders, suchen fromme Sikhs den „Gurdwara” („Tür desGuru”) auf, auch wenn Sikhs grundsätzlich überall und jederzeit Gebete zu Gott sprechen können.

Unter den Bedingungen der Diaspora können die Sikhs ihreGottesdienste nur am arbeitsfreien Wochenende abhalten.

Daher finden in allen Gurdwaras Sonntagsfeiern statt, wobei dieser Tag nicht aus religiösen, sondern auspraktischen, durch die Umwelt bedingten Gründen gewählt wird.

Die gottesdienstlichen Handlungen der Sikhs erstrecken sich über zwei Tage.

Von Freitag- bisSonntagmorgen wird der „Guru Granth Sahib”, die heilige Schrift der Sikhs, von versierten Vorleserinnen bzw.

Vorlesern rezitiert.

Der heilige Tag der kurdischenJesiden ist der Mittwoch.

Der erste Mittwoch im April ist der „Rote Mittwoch”, der Neujahrstag.

Mittwochs sollen sich die Jesiden ihrer Religion ganz besonderswidmen.

Ein arbeitsfreier Tag ist der Mittwoch jedoch nicht. Religiöser Kalender Das Jahr wird von den Religionen unterschiedlich gegliedert.

Das christliche Kirchenjahr beginnt mit dem 1.

Advent und dem Weihnachtsfestkreis, auf den derOsterfestkreis und schließlich der Pfingstkreis bzw.

die Trinitätszeit folgen.

Das islamische Jahr ist als reines Mondjahr elf Tage kürzer als unser Sonnenjahr, so dasssich der islamische Kalender jedes Jahr gegenüber unserem um etwa diese Zeitspanne verschiebt.

Hier sind es vor allem Ereignisse aus dem Leben der ProphetenMuhammad und Abraham bzw.

Begebenheiten aus dem Koran, die das Jahr strukturieren. Mircea Eliade hat darauf aufmerksam gemacht, dass heilige Zeit „parallel” zur normalen, chronologischen Zeit verläuft.

Sie ist nämlich aufgrund ihrer Kontinuität,d.

h.

der Verbindung zur vorherigen bzw.

nachfolgenden Sakralzeit, nur scheinbar von profanen Intervallen unterbrochen.

Als Beispiel erwähnt der rumänische Religionsforscher die christliche Liturgie, „die mit der Liturgie des vorhergehenden und des nachfolgenden Sonntags verbunden (ist) … Sie ist mit der Zeit dervergangenen und der folgenden Liturgien verbunden”.

Die profanen Zeitabschnitte berühren die heilige Zeit überhaupt nicht.

Diese bildet „im Lauf der langen Jahreund Jahrhunderte eine einzige ,Zeit‘”. Zeit ist nicht gleich Zeit.

Dies drückt der Prediger Salomonis (3, 1-8) in den bekannten Worten „Alles hat seine Zeit” aus.

Er fordert die Menschen auf, die „rechteZeit” zu erkennen, die Zeit für das eine, und nicht für das andere.

Gott, der „Herr der Zeit”, hat sie bestimmt.

In vielen alten Religionstraditionen bestand der Glaube,dass es für jegliches Tun des Menschen eine rechte Stunde gebe: zum Heiraten, Hausbau, Reisen, zur Kriegsführung usw.

Darum war es wichtig, einen Priester bzw.Astrologen nach dem jeweils günstigen Zeitpunkt für eine Unternehmung zu fragen.

Es gibt Glücks- und Unglückstage, vor allem in der populären Religiosität undim Alltagsleben (Horoskope).

Von großer Bedeutung ist die Astrologie im Hinduismus und Buddhismus.

Der Zeitpunkt für den Upanayana-Ritus, der einen Hindu-Knaben zu seiner „zweiten”, d.

h.

geistigen, Geburt führt, richtet sich nach dem persönlichen Geburtshoroskop des Initianden.

Auch bei Eheschließungen spielenHoroskope eine wichtige Rolle.

Selbst die Chronologie hat religiöse Wurzeln: Bedeutsame Ereignisse dienen als Anfangspunkt religiöser Zeitrechnung: Diechristliche Zeitrechnung beginnt von Christi Geburt an, die islamische von Muhammads Auswanderung von Mekka nach Medina, die buddhistische von BuddhasEingang in das Nirwana und die jüdische mit der Schöpfung, die auf das Jahr 3761 v.

Chr.

datiert wurde.

In Japan besteht neben der „christlichen” eine eigene,vorwiegend national-religiös legitimierte Zeitrechnung.

Jeder Kaiser gibt zu Beginn seiner Regierungszeit eine Losung aus (z.

B.

„Himmlischer Friede”).

Das Jahrdes Regierungsantritts gilt als das Jahr eins.

Auch wenn der Tenno nicht länger als göttlich gilt, genießt diese Zeitrechnung in der japanischen Bevölkerung nochimmer hohes Ansehen. Zum Autor: Udo Tworuschka hat an der Universität Jena den Lehrstuhl für Religionswissenschaft inne.

Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Encarta Enzyklopädie. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation.

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