Zeitvorstellungen in den Religionen - Anthologie.
Publié le 17/06/2013
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Religiöses Handeln findet zu bestimmten, „heiligen” Zeiten statt.
Der religiöse Mensch unterscheidet sie qualitativ von profaner („normaler”) Zeit, da sie mit derWelt des Transzendenten in besonders enger Verbindung stehen.
Heilige Zeit hat eine besondere Struktur, ist aus dem Profanen „herausgeschnittene” Zeit.
„In illo tempore”, in jener Zeit, der „großen Zeit”, damals, im Anfang – spielen Schöpfungsmythen. Es ist die Zeit vor aller Zeit, als es noch keine Zeit gab.
Im Hinduismus ist von a-kala, Nichtzeit, die Rede.
Gemeint ist – wie auch in anderen Schöpfungsmythen – kein zeitlich fixierbarer Anfangspunkt, vielmehr eine qualitativ andere Seinsebene.
Das lateinische Nomen principium macht dies deutlich.
Es geht um ein allem Sein zugrunde liegendes, nichtzeitliches „Prinzip”.
Deralte Ägypter kennzeichnete den Zeitpunkt der Schöpfung durch den Ausdruck „beim ersten Mal”.
Damit meinte er nicht „den Anfang eines zeitlich befristetenGeschehens, nicht unbedingt den Anfang der Zeit schlechthin.
Das ,erste Mal‘ schließt Folgezeiten, ja zahllose periodische Wiederholungen ein.
Der Schöpfungsakthat sich also für den Ägypter nicht irgendwann einmal in grauer Vorzeit abgespielt, sondern zu Anfang des Bestehens einer ihm bekannten Einrichtung, etwa derEinrichtung des Königtums oder des Tempels.
(…) Folglich werden bei der Inthronisation des Königs oder bei der Fundamentlegung des Tempels Riten beachtet, die,das erste Mal‘ dieses Geschehens vergegenwärtigen und dabei durchaus Bezug zum ,ersten Mal‘ der Weltschöpfung haben” (Hans-Joachim Klimkeit).
Auch Mythen der Zukunft erzählen von der vorbildhaften „großen Zeit”: von Totenauferstehung, Endschlacht, Unsterblichkeit und Ewigkeit.
Paul Tillich hat vom„Neuen Sein” gesprochen, das nicht erst in ferner Zukunft, sondern „hier und jetzt, heute und morgen” geschieht.
„Wo ein Neues Sein vorhanden ist, da ist Auferstehung, da wird jeder Augenblick dieser Zeit in Ewigkeit verwandelt”.
Religionsstifter sind für die Gläubigen mehr als nur große historische Persönlichkeiten.
Sie sind zeitlos, von der Aura des Ewigen umgeben.
Buddha ist nach dertrikaya -Lehre von den „drei Körpern” neben seiner Existenzweise als historischer Siddharta Gautama und himmlisches Gnadenwesen das zeitlose Buddha-Prinzip, die ewige Buddha-Natur in allem Seienden.
Was für Christen Jesus Christus und für Buddhisten Buddha ist, entspricht bei den Muslimen dem Koran.
Er gilt alsAbschrift des himmmlischen Urbuches, der präexistenten „Mutter des Buches”.
Vor aller Zeit entstanden ist nach jüdischer Auffassung die Thora, die Mose späteram Sinai übergeben wurde.
Im Zusammenhang mit dem Ritual hat die Zeit in den Religionen eine besondere Bedeutung.
Heilige Zeit ist wiederholbar.
In den linearen Ablauf der profanen Zeitsind sakrale Zeitabschnitte eingeschoben, die den Zeitablauf periodisch unterbrechen, z.
B.
Gebetszeiten: Stundengebete, entweder die klassischen acht Gebetszeiten(Matutin, Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet) oder Morgen-, Mittags- und Abendgebete bzw.
das fünfmalige Salat-Pflichtgebet der Muslime,strukturieren den täglichen Zyklus wie jeweils herausgehobene (oftmals Ruhe-)Tage den Wochenrhythmus bestimmen.
Der jüdischer Sabbat ist der siebte und letzteTag der jüdischen Woche, während der christliche Sonntag seit den Tagen der frühen Christenheit als erster Tag der Woche, Herrentag und Tag der Auferstehunggalt.
Buddhistische Feste fallen immer auf die Uposatha-Tage: Voll-, Neumond sowie die ersten und letzten Tage des Mondviertels (1., 8., 15.
und 23.
eines Monats).An Vollmondtagen suchen die Laien Klöster auf, hören die Buddha-Lehre und geloben, die Sila-Gebote der buddhistischen Ethik einzuhalten.
Der im 16.
Jahrhundertentstandene Sikhismus kennt keine heiligen Wochentage.
An Sangrand, dem ersten Tag ihres Mondkalenders, suchen fromme Sikhs den „Gurdwara” („Tür desGuru”) auf, auch wenn Sikhs grundsätzlich überall und jederzeit Gebete zu Gott sprechen können.
Unter den Bedingungen der Diaspora können die Sikhs ihreGottesdienste nur am arbeitsfreien Wochenende abhalten.
Daher finden in allen Gurdwaras Sonntagsfeiern statt, wobei dieser Tag nicht aus religiösen, sondern auspraktischen, durch die Umwelt bedingten Gründen gewählt wird.
Die gottesdienstlichen Handlungen der Sikhs erstrecken sich über zwei Tage.
Von Freitag- bisSonntagmorgen wird der „Guru Granth Sahib”, die heilige Schrift der Sikhs, von versierten Vorleserinnen bzw.
Vorlesern rezitiert.
Der heilige Tag der kurdischenJesiden ist der Mittwoch.
Der erste Mittwoch im April ist der „Rote Mittwoch”, der Neujahrstag.
Mittwochs sollen sich die Jesiden ihrer Religion ganz besonderswidmen.
Ein arbeitsfreier Tag ist der Mittwoch jedoch nicht.
Religiöser Kalender
Das Jahr wird von den Religionen unterschiedlich gegliedert.
Das christliche Kirchenjahr beginnt mit dem 1.
Advent und dem Weihnachtsfestkreis, auf den derOsterfestkreis und schließlich der Pfingstkreis bzw.
die Trinitätszeit folgen.
Das islamische Jahr ist als reines Mondjahr elf Tage kürzer als unser Sonnenjahr, so dasssich der islamische Kalender jedes Jahr gegenüber unserem um etwa diese Zeitspanne verschiebt.
Hier sind es vor allem Ereignisse aus dem Leben der ProphetenMuhammad und Abraham bzw.
Begebenheiten aus dem Koran, die das Jahr strukturieren.
Mircea Eliade hat darauf aufmerksam gemacht, dass heilige Zeit „parallel” zur normalen, chronologischen Zeit verläuft.
Sie ist nämlich aufgrund ihrer Kontinuität,d.
h.
der Verbindung zur vorherigen bzw.
nachfolgenden Sakralzeit, nur scheinbar von profanen Intervallen unterbrochen.
Als Beispiel erwähnt der rumänische Religionsforscher die christliche Liturgie, „die mit der Liturgie des vorhergehenden und des nachfolgenden Sonntags verbunden (ist) … Sie ist mit der Zeit dervergangenen und der folgenden Liturgien verbunden”.
Die profanen Zeitabschnitte berühren die heilige Zeit überhaupt nicht.
Diese bildet „im Lauf der langen Jahreund Jahrhunderte eine einzige ,Zeit‘”.
Zeit ist nicht gleich Zeit.
Dies drückt der Prediger Salomonis (3, 1-8) in den bekannten Worten „Alles hat seine Zeit” aus.
Er fordert die Menschen auf, die „rechteZeit” zu erkennen, die Zeit für das eine, und nicht für das andere.
Gott, der „Herr der Zeit”, hat sie bestimmt.
In vielen alten Religionstraditionen bestand der Glaube,dass es für jegliches Tun des Menschen eine rechte Stunde gebe: zum Heiraten, Hausbau, Reisen, zur Kriegsführung usw.
Darum war es wichtig, einen Priester bzw.Astrologen nach dem jeweils günstigen Zeitpunkt für eine Unternehmung zu fragen.
Es gibt Glücks- und Unglückstage, vor allem in der populären Religiosität undim Alltagsleben (Horoskope).
Von großer Bedeutung ist die Astrologie im Hinduismus und Buddhismus.
Der Zeitpunkt für den Upanayana-Ritus, der einen Hindu-Knaben zu seiner „zweiten”, d.
h.
geistigen, Geburt führt, richtet sich nach dem persönlichen Geburtshoroskop des Initianden.
Auch bei Eheschließungen spielenHoroskope eine wichtige Rolle.
Selbst die Chronologie hat religiöse Wurzeln: Bedeutsame Ereignisse dienen als Anfangspunkt religiöser Zeitrechnung: Diechristliche Zeitrechnung beginnt von Christi Geburt an, die islamische von Muhammads Auswanderung von Mekka nach Medina, die buddhistische von BuddhasEingang in das Nirwana und die jüdische mit der Schöpfung, die auf das Jahr 3761 v.
Chr.
datiert wurde.
In Japan besteht neben der „christlichen” eine eigene,vorwiegend national-religiös legitimierte Zeitrechnung.
Jeder Kaiser gibt zu Beginn seiner Regierungszeit eine Losung aus (z.
B.
„Himmlischer Friede”).
Das Jahrdes Regierungsantritts gilt als das Jahr eins.
Auch wenn der Tenno nicht länger als göttlich gilt, genießt diese Zeitrechnung in der japanischen Bevölkerung nochimmer hohes Ansehen.
Zum Autor: Udo Tworuschka hat an der Universität Jena den Lehrstuhl für Religionswissenschaft inne.
Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Encarta Enzyklopädie.
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