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Anton Bruckner: Antrittsvorlesung an der Wiener Universität - Texte.

Publié le 22/06/2013

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Anton Bruckner: Antrittsvorlesung an der Wiener Universität - Texte. In seiner am 25. November 1875 niedergeschriebenen Antrittsvorlesung an der Universität formuliert der österreichische Komponist Anton Bruckner die große Bedeutung von Harmonielehre und Kontrapunkt. Seine Lehrtätigkeit nahm er vermutlich im Sommersemester 1876 auf. Anton Bruckner: Antrittsvorlesung an der Wiener Universität ,,Meine Herren! Das Hohe kk. Ministerium für Kultus und Unterricht hat mit dem Erlasse vom 8. November mich als Lektor für die Gegenstände ,Harmonielehre' und ,Kontrapunkt' an der philosophischen Fakultät zuzulassen befunden. Bevor ich jedoch meine Vorträge in diesen Gegenständen beginne, erlaube ich mir, mit dem Vorworte eines Druckwerkes gleich, in wenigen Worten über die Wichtigkeit als Bedeutung dieser Gegenstände für unser so weit vorgeschrittenes geistiges Leben Erwähnung zu tun. Wie Sie selbst aus verschiedenen Quellen wissen werden, hat die Musik innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahrhunderten so kolossale Fortschritte gemacht, sich in ihrem inneren Organismus so erweitert und vervollständigt, daß wir heute - werfen wir einen Blick auf dieses reiche Material - vor einem bereits vollendeten Kunstbau stehen, an welchem wir eine gewisse Gesetzmäßigkeit in den Gliederungen desselben sowie eine gleiche von diesen Gliedern dem ganzen Kunstbau gegenüber erkennen werden. Wir sehen, wie das eine aus dem anderen hervorwächst, eines ohne das andere nicht bestehen kann, jedoch jedes für sich wieder ein Ganzes bildet. So wie jeder wissenschaftliche Zweig sich zur Aufgabe macht, seine Materiale durch das Aufstellen von Gesetzen und Regeln zu ordnen und zu sichten, so hat ebenfalls auch die musikalische Wissenschaft - ich erlaube mir, ihr dieses Attribut beizulegen - ihren ganzen Kunstbau bis in die Atome seziert, die Elemente nach gewissen Gesetzen zusammengruppiert und somit eine Lehre geschaffen, welche auch mit anderen Worten die musikalische Architektur genannt werden kann. In dieser Lehre bilden wieder die vornehmen Kapitel der Harmonielehre und des Kontrapunktes die Fundamente und die Seele desselben. Nach dem Vorausgelassenen werden Sie, meine Herren, mir zugeben müssen, daß zur richtigen Würdigung und genauen Beurteilung eines Tonwerkes, wobei zuerst erforscht werden muß, wie und inwieweit diesen eben erwähnten Gesetzen in demselben entsprochen wurde, sowie zum eigenen Schaffen - nämlich eigene Gedanken musikalisch korrekt verwirklichen, sie belebend machen - vor allem die volle Kenntnis von der erwähnten Musikarchitektur, beziehungsweise von den Fundamenten dieser Lehre notwendig ist. Aus dem Entwickelten mögen Sie nun selbst entnehmen, daß die Gegenstände ,Harmonielehre' und ,Kontrapunkt' bei dem im übrigen entwickelten geistigen Leben ebenfalls einen notwendigen Platz finden müssen, wo selbe gepflegt, wo selbe auch ohne den Endzweck, ausschließlich Künstler heranzubilden, gelehrt werden können; denn sie gehören - und das mit Recht - zu den Trägern unserer geistigen Bildung; da wir durch sie in die Lage kommen, unseren Gedanken und Gefühlen nach musikalischer Richtung hin in ästhetischer Weise gerechten Ausdruck zu verleihen. Nachdem in Deutschland, Frankreich und Rußland vor Jahren die Notwendigkeit, diese Gegenstände im Lehrplan der betreffenden Universitäten einzureihen, schon erkannt wurde, so war dadurch auch dem Bedürfnisse, diesen Gegenständen Eingang in das geistige Leben zu verschaffen, in der beredtesten Weise Ausdruck verliehen worden. Es würde mich zu weit führen, noch weitere Momente, welche für die Wichtigkeit dieser erwähnten Gegenstände sprechen, anzuführen, jedoch glaube ich nicht unbemerkt lassen zu müssen, daß durch die Kenntnis der Harmonielehre und des Kontrapunktes man so manchmal auch durch Gelegenheitskompositionen in die angenehme Lage kommt, das gesellschaftliche Interesse zu fördern, wodurch nur wieder in erster Linie für das Ich der gewünschte Gewinn resultiert. Habe ich über die Wichtigkeit sowie über die Bedeutung der Harmonielehre und des Kontrapunktes gesprochen, so will ich jetzt nur in kurzem über die Art und Weise, wie ich diese Gegenstände hier zu behandeln gedenke, sprechen. Mein langjähriges Studium sowie meine Erfahrungen, die ich als Professor dieser Gegenstände am hiesigen Konservatorium gesammelt habe, sowie meine Kenntnis in der diesbezüglichen Literatur haben mich zu dem Entschluß gebracht, bei meinen Vorträgen mich an keines der jetzt aufliegenden Werke zu binden, sondern frei meine Vorträge zu halten, und zwar aus dem Grunde, weil ich nur dadurch bei der knapp bemessenen Zeit in die Lage komme, aus dem reichen und ausgebreiteten Materiale durch Herausnahme der vorzüglichsten Fundamentalsätze Ihnen ein richtiges, klares Bild aufrollen zu können. Ich werde bei meinen Vorträgen stets bemüht sein, durch klare Darstellung das Verständnis zu fördern und durch anschauliche Beispiele den Buchstaben der Theorie belebend machen, eingedenk der Worte Goethes: ,Grau ist jede Theorie, Nur grün des Lebens goldner Baum.' Werde Ihnen manche Härten durch praktische Übungen auf ein Minimum reduzieren, somit Theorie und Praxis innig miteinander verbinden und Sie so mit sicheren Schritten durch dieses Reich des Wissens von einer Grenze zu der anderen bringen, wo ich Sie dann beim Eintritt in das kämpfende Leben mit der Bitte verlassen werde, das Erlernte getreulich auszunützen und meiner wohlwollend zu gedenken. Habe ich es mir große Mühe kosten lassen, für diese Gegenstände an der Universität eine Pflanzstätte zu schaffen, so bin ich doch verpflichtet, hier öffentlich für die mir dabei zuteil gewordene Unterstützung von Seite des hochlöblichen Professorenkollegiums der philosophischen Fakultät sowie der eines hohen Ministeriums für Kultus und Unterricht dankend zu gedenken, wodurch die schon lange von mir gehegte Idee endlich ist zur Tat geworden. Zum Schlusse erlaube ich mir, eine Bitte an Ihre werte Adresse, meine Herren, zu richten: Tragen Sie mit Ihrem jungen und frischen Geiste Ihr mächtiges Schärflein dazu bei, daß diese Gegenstände hier an der Alma Mater in Hinkunft die gerechte Würdigung finden mögen, daß diese musikalische Wissenschaft an der universellen Pflanzstätte wachse, blühe und gedeihe. Dixit" Josef Rufer: Bekenntnisse und Erkenntnisse. Komponisten über ihr Werk. München 1981, S. 91-93. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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