Devoir de Philosophie

B. Bauer

Publié le 22/02/2012

Extrait du document

B. Bauer (1809-1882) Bauers schriftstellerische Wirksamkeit beginnt mit einer Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker und endet mit einer Fülle von zeitgeschichtlichen Arbeiten, welche die revolutionären Bewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts in Frankreich und Deutschland behandeln. 296 Wie alle jüngeren Hegelianer denkt er von Grund aus geschichtlich; die oberste Instanz des geistigen Geschehens ist der Geschichtsprozeß. Im Unterschied zu den Linkshegelianern, welche die Philosophie praktizieren wollten, hat er das endgültige Ende der Metaphysik erklärt und sich seinerseits auf eine permanente Kritik verlegt, deren »Reinheit« es nicht erlaubte, ihr eine praktische Wendung zu geben. Er wollte die bestehende Welt weder »verändern« noch für sich selber »verbrauchen«, sondern die geschichtliche Lage kritisch erhellen. Auch seine Stellung zu Hegels Vollendung ist weltgeschichtlich bestimmt, und zwar wird der Abschluß der christlich-germanischen Welt im Horizont des beginnenden Aufstiegs von Rußland gesehen. Eine Schrift von 1853 über »Rußland und das Germanentum«, die schon Gedanken von Dostojewski vorwegnimmt, analysiert die geschichtliche Situation der deutschen Philosophie. Kants philosophische und politische Ideen bewegen sich innerhalb der Schranken der Französischen Revolution, in der er die höchste Bürgschaft für die moralische Anlage der Menschheit zum Fortschritt erblickte und aus deren Erfahrung er auch die Aufgabe der Geschichte bestimmte. Fichte hat dem Stolz der Deutschen geschmeichelt, indem er sie als das schöpferische Urvolk darstellte und an die Selbstbehauptung ihres eigenen Wesens die Wiederherstellung auch der übrigen Menschheit knüpfte. Hegels Vollendung des Wissens ist als Erinnerung der zurückgelegten Geschichte ein Ende. Er schloß die Möglichkeit eines Bruchs mit der ganzen bisherigen Kultur aus seiner Darstellung aus und ließ die Frage nach einem neuen Zeitalter nicht aufkommen. »Alle diese deutschen Philosophen, die den Ansichten ihrer Nation den höchsten und reinsten Ausdruck gaben, dachten nur an den Westen — der Osten war für sie noch nicht da — ein Verhältnis der germanischen Welt zu Rußland existierte für sie noch nicht. Und doch 122 hatte Katharina schon zu Kants Zeiten eine Diktatur über den Kontinent aufgerichtet, die an Kraft, Einfluß und welthistorischer Bedeutung diejenige Karls V. von Spanien und Ludwigs XIV. von Frankreich bei weitem übertraf.« 297 Die Frage der Gegenwart ist, »ob die germanische Welt den Untergang der alten Zivilisation (denn nichts ist gewisser als dieser Untergang) überleben, oder ob die russische Nation allein die neue Zivilisation bestimmen wird — ob das beginnende Zeitalter das russische heißen, oder ob ihm im Verein mit dem Russentum auch das Germanentum seinen Namen beilegen wird.« 298 »Die deutsche und die russische Frage sind die beiden einzigen lebendigen Fragen des neuern Europa — nur ist die letztere schon so genau formuliert, daß ihre Beantwortung der der andern vorangehen wird, und von einer so großen Organisation unterstützt, daß die Macht, der ihre Leitung unterliegt, den Augenblick bestimmen kann, in dem sie die Beantwortung herbeiführen und den gordischen Knoten durchhauen will.« 299 Im Zusammenhang mit der Auflösung Alteuropas beurteilt Bauer auch »Das Ende der Philosophie«300 als den natürlichen Abschluß einer historischen Entwicklung und als Übergang zu einer neuen Organisation sowohl der politischen wie der geistigen Welt. »Ist es ein bloßer Zufall, daß die Philosophie, der die Deutschen in den letzten achtzig Jahren ihre besten Köpfe gewidmet haben, in demselben Augenblick zusammenfallen soll, in dem Deutschland mit all seinen Nationalversammlungen, Kongressen und Zollberatungen vergeblich nach dem Sitz der innern Kraft sucht, die imstande wäre, es zu organisieren? Ist es zufällig, daß die erobernde Kraft, mit der die Philosophie die einzelnen Wissenschaften, moralische wie physikalische, sich selbst unterwarf, vollständig zerstört - daß die Suprematie, die sie bisher über die Wissenschaften ausgeübt hat, in demselben Augenblick in Frage gestellt werden soll, in dem die Nation, die den Westen im Namen der Philosophie erschüttert hat,... gleichfalls ihre Angriffskraft verloren hat?. .. Ist es endlich zufällig, daß in demselben Augenblick, in dem die geistige Suprematie der Metaphysiker ihre Endschaft erreicht hat, eine Nation die Diktatur über den Kontinent behauptet, die vom Beginn ihrer Existenz an den philosophischen Arbeiten des Westens fremd geblieben ist, der die Metaphysik des Westens keinen Skrupel macht und die — wir meinen die russische Nation - nur Einen Gesichtspunkt kennt, den praktischen? Nein! Es ist kein Zweifel — die Katastrophe, die zu gleicher Zeit das ganze europäische Staatensystem, den Konstitutionalismus wie die Meta- 123 physik betroffen hat, ist ein innerlich zusammenhängendes Ereignis. « 301 Die Universitäten, führt Bauer weiter aus, sind reizlos geworden, ihre philosophischen Lehrer sind nur noch Repetenten antiquierter Systeme; sie bringen nicht mehr einen einzigen neuen Gedanken hervor, der die Welt, wie früher, bewegen könnte. Die allgemeine Not der Zeit, ein geistiger und ökonomischer »Pauperismus« 302 hat das Interesse an den metaphysischen Studien aufgelöst. Mit Recht nimmt die Hörerzahl der Universitäten mit jedem Jahre ab, während die Fachschulen für Techniker Zulauf bekommen. Auch die Akademien bezeugen den Verfall der allgemeinen Studien, seitdem sie sich aus den gewöhnlichsten Routiniers ergänzen. »Die Völker, die mit der Unterwerfung der Natur endlich zustande kommen wollen, brauchen nur den Ingenieur, der industrielle Anstalten auf neuen und folgenreichen Prinzipien gründet, oder in der Ausführung von Kommunikationsmitteln bisher gefürchtete Schwierigkeiten niederwirft; das ist der Mann, dem die Völker in ihrem praktischen Kampf mit Raum und Zeit ihr Vertrauen schenken.; aber sie haben weder Zeit noch Lust dazu, auf den Streit der Philosophen über den Begriff von Zeit und Raum zu hören oder sich für das Geschick zu interessieren, mit dem dieselben den Übergang von der Idee zur Natur zu bewerkstelligen wissen. — Und die Regierungen? Die stehenden Heere sind ihre Philosophenschulen, die sich gegenwärtig dahin geeinigt haben, die Völker in dem einzig zeitgemäßen System der Ruhe und Ordnung zu unterrichten. Die Lehrer der alten Metaphysik dulden sie nur noch an den Universitäten, wie man eine alte Ruine neben einem neuen Etablissement duldet, solange das dringende Bedürfnis noch nicht ihren Abbruch verlangt.« — »Und Europa hat Recht. Es drückt nur dasselbe aus, was die deutsche Kritik zehn Jahre vorher erklärt und auszuführen begonnen hat. Wenn Europa von der Metaphysik sich für immer abgewandt hat, so ist dieselbe durch die Kritik für immer zerstört worden, und es wird nie wieder ein metaphysisches System, d. h. ein solches aufgerichtet werden, welches in der Geschichte der Kultur einen Platz behaupten wird.« 303 Statt dessen werden über Europa imperialistische Diktaturen Herr werden, durch die sich die Frage: Rußland oder Europa, entscheidet. »Der Illusion der Märzrevolution, daß die Zeit angebrochen, in der die Glieder der geschichtlichen Völkerfamilie durch den neuen Grundsatz der Gleichberechtigung gegen frühere Einflüsse und in ihrer Selbstbestimmung geschützt, sich selbständig konstituieren und friedlich zusammenwirken werden (eine Illusion, die sich in den ... Ver- 124 suchen einzelner Regierungen, wie in der Idee der Völkerkongresse und in den Beratungen der Friedenskongresse aussprach) — dieser Illusion geht es wie allen andern, die seit dem Sturze der früheren Schranken der persönlichen Tätigkeit die Ära einer neuen Freiheit datieren und sich in der Anerkennung einer straffer angespannten Gewalt auflösen müssen. Es geht ihnen allen wie der Illusion, die im Individualismus, dem Ergebnis der letzten sechzig Revolutionsjahre, die Lösung und das Ganze sieht, während sie es täglich erfahren muß, daß er nur ein Provisorium und nur eine Seite bildet und durch ein eisernes Gesetz an seinen Gegensatz, den Imperialismus und die Diktatur angeklammert ist.« 304 Denn die Zerstörung der alten Verbände und Stände hat dem Individuum seine persönliche Bedeutung als eines Mitglieds bestimmter Korporationen genommen und es damit einem »erweiterten Zentralisationssystem und der Allmacht des Ganzen« unterworfen. »Die Arbeit ist befreit — aber in ihrer Entfesselung geht sie auf eine stärkere Zentralisation aus, die alle die einzelnen Existenzen, die sich in ihrer früheren Abgeschlossenheit wohl und geborgen fühlten, mit eisernen Armen herbeirafft und sie zwingt, sich ihr zu unterwerfen oder unterzugehen.« Es wird wieder ein Gesetz über die Menschen kommen, das - ähnlich wie in der alten »militärischtheologischen Welt« vor der Französischen Revolution - die Menschen in Zucht nehmen und ihr Fühlen, Denken und Wollen nach festen Maßen bestimmen wird. Noch aber fehlt die »historische Gesetzeswissenschaft «, welche die Gemütswelt der Massen in ähnlicher Weise ergreifen könnte, wie es die alte moralische Ordnung tat. Der Vorsprung der Naturwissenschaften ist auf diesem Gebiet noch nicht eingeholt. Zwischen der überkommenen Anarchie und der künftigen Gesellschafts- und Herrschaftsform sind die Zeitgenossen haltlose Individuen, die ängstlich fragen: »was nun?« und meinen, daß ihre Unzufriedenheit mit dem Heute schon die Kraft der Zukunft enthalte. Ihnen gegenüber stellt sich Bauer auf sein eigenes »Selbstsein« als den wahren philosophischen Standpunkt in Zeiten einer epochalen Veränderung. Als die römische Staatsmacht zerfiel, waren die Christen die »Partei der Zukunft«, gerade weil sie sich von allem Staatsleben fernhielten. Ebenso müsse man sich auch jetzt in nichts Bestehendes einlassen, sondern sich gegenüber den Regierungsgewalten als Keim einer neuen Gemeinde behaupten. »Wie die ersten Christen sind auch jetzt wieder alle diejenigen, die eine über den Augenblick hinausgehende Idee in sich tragen, den Staatsangelegenheiten schlechthin fremd; wie die Christen dem augenblicklichen Sieg des Kaisertums ihren passiven 125 Widerstand entgegensetzten und ihrer Zukunft warteten, so haben sich auch jetzt wieder ganze Parteien in den passiven Widerstand gegen den herrschenden Augenblick zurückgezogen.«305 Die positive Bildungskraft erscheint aber an solchen Wendepunkten der Zeit notwendig negativ. Sokrates hat sich gegenüber dem bestehenden Staat und der religiösen Überlieferung seines Nicht-wissens gerühmt,306 den Christen hat nichts außer dem Heil der Seele gegolten, und Descartes hat am Ende des Mittelalters alles, was nicht im Selbstbewußtsein begründet ist, zu bezweifeln geboten. Gerade diese »Heroentaten des Nichts« 307 waren aber die Schöpfungen neuer Welten und ebenso kommt es jetzt darauf an, Nichts — nämlich vom Alten — zu wollen, um dem Menschen die Herrschaft über die Welt zu geben. Dazu bedarf es eines neuen Anfangs aus eigener Kraft, der - im Unterschied zu den Revolutionen von 1789 und 1848 - mit keinem der abgestorbenen Elemente mehr verwickelt sein darf. Im Hegelschen Vertrauen auf den »ewigen Gang der Geschichte« hat Bauer in seinen kritisch-historischen Arbeiten die Gegenwart destruiert und die Negativität der romantischen Ironie in ähnlicher Weise, aber mit andrer Absicht als Kierkegaard überboten. Absolut ist diese Kritik, weil sie nichts als absolut gültig setzt, sondern sich selbst im eigenen kritischen Setzen schon wieder negiert. Sie unterscheidet sich darum sehr selbstbewußt von der ihr vorhergegangenen philosophischen, theologischen und politischen Kritik von Feuerbach, Strauß und Rüge, die alle noch positiv sein wollten und darum parteiisch sein mußten, während Bauer die verschiedenen Nichtigkeiten mit stoischem Gleichmut analysiert. Das Hauptthema seiner historischen Kritik war die Französische Revolution als Beginn einer universellen Destruktion. Die ihm eigentümliche kritische Leistung bestand aber in der »Entdeckung« des von Kierkegaard vertretenen und zugleich angegriffenen Christentums. Sein kritischer Nihilismus, der sich nur an dem Glauben an die Geschichte begrenzt, hat zu seiner Zeit nicht in die Breite gewirkt, er ist aber über ein Jahrhundert hinweg in einer neuen »Partei der Zukunft« wieder lebendig geworden. Politische Schriftsteller aus dem Kreise des »Widerstands« haben Bauers Ideen aufgenommen und sie auf die Gegenwart angewandt.

Liens utiles