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Eduard Mörike: Maler Nolten (Sprache & Litteratur).

Publié le 13/06/2013

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Eduard Mörike: Maler Nolten (Sprache & Litteratur). Das schmale Werk des deutschen Schriftstellers Eduard Mörike ist an der Epochenschwelle zwischen Spätromantik und Realismus angesiedelt. Das bedeutendste Prosawerk neben seinem lyrischen Schaffen ist der komplexe psychologische Künstlerroman Maler Nolten, der in seiner ersten Fassung 1832 in zwei Bänden veröffentlicht wurde. Das Werk nimmt verschiedene Traditionslinien der goethezeitlichen Narrativik auf, insbesondere bedient es sich der Schablone des Bildungsromans. Die ausgewählte Textstelle stammt vom Ende des Romans und illustriert das Scheitern des Helden nach einer Reihe von Schicksalsschlägen. Eduard Mörike: Maler Nolten Nach Nolten hatte man ausgesendet, doch traf ihn weder Bote noch Brief. Den zweiten Tag nach dem Tode der Braut erschien er unvermutet von einer andern Seite her. Sein ganzes Eintreten, das sonderbare Gehaltene, matt Resignierte in seiner Miene, seinen Gruß war von der Art, daß er, was vorgefallen, entweder schon zu wissen oder zu vermuten, aber nicht näher hören zu wollen schien. Sonach war denn auch andrerseits der Empfang beklommen, einsilbig. Nannette, die bei der ersten Begrüßung nicht gleich zugegen gewesen, stürzt, da sie des Bruders ansichtig wird, mit lautem Geschrei auf ihn zu. Sein Anblick war nicht nur im höchsten Grade mitleidswert, sondern wirklich zum Erschrecken. Er sah verwildert, sonnverbrannt und um viele Jahre älter aus. Sein lebloser, gläserner Blick verriet nicht sowohl einen gewaltigen Schmerz als vielmehr eine schläfrige Übersättigung von langen Leiden. Das Unglück, das die andern noch als ein gegenwärtiges in seiner ganzen Stärke fühlten, schien, wenn man ihn ansah, ein längst vergangenes zu sein. Er sprach nur gezwungen und zeigte eine blöde, seltsame Verlegenheit in allem, was er tat. Er hatte sich, wie man nur nach und nach von ihm erfuhr, während der letzten sechs Tage verschiedenen Streifereien in unbekannten Gegenden überlassen, zwecklos und einsam nur seinem Grame lebend; kaum daß ers über sich vermocht, einmal nach Neuburg zu schreiben. Indem nun von Agnesen noch immer nicht bestimmt die Rede wurde und man durchaus nicht wußte, wie man deshalb bei Nolten sich zu benehmen habe, so wurde jedermann nicht wenig überrascht, als er mit aller Gelassenheit die Frage stellte: auf wann die Beerdigung festgesetzt sei, und wohin man diesfalls gedenke? - Mit gleicher Ruhe fand er hierauf von selbst den Weg zum Zimmer, wo die Tote lag. Er verweilte allein und lange daselbst. Erst diese Anschauung gab ihm das ganze, deutliche Gefühl seines Verlustes, er weinte heftig, als er zu den andern auf den Saal zurückkam. ,,Unglücklicher, geliebter Freund", nahm jetzt der Präsident das Wort und umarmte den Maler, ,,es ist mir vorlängst einmal der Spruch irgendwo vorgekommen: wir sollen selbst da noch hoffen, wo nichts mehr zu hoffen steht. Gewiß ist das ein herrliches Wort, wers nur verstehen will; mir hat es einst in großer Not den wunderbarsten Trost in der Seele erweckt, einen leuchtenden Goldblick des Glaubens; und nur auf den Entschluß kommt es an, sich dieses Glaubens freudig zu bemächtigen. O daß Sie dies vermöchten! Ein Mensch, den das Schicksal so ängstlich mit eisernen Händen umklammert, der muß am Ende doch sein Liebling sein, und diese grausame Gunst wird sich ihm eines Tags als die ewige Güte und Wahrheit enthüllen. Ich habe oft gefunden, daß die Geächteten des Himmels seine ersten Heiligen waren. Eine Feuertaufe ist über Sie ergangen, und ein höheres, ein gottbewußteres Leben wird sich von Stund an in Ihnen entfalten." ,,Ich kann", erwiderte Nolten nach einer kleinen Stille, ,,ich kann zur Not verstehen, was Sie meinen, und doch - das Unglück macht so träge, daß Ihre liebevollen Worte nur halb mein stumpfes Ohr noch treffen - O daß ein Schlaf sich auf mich legte, wie Berge so schwer und so dumpf! Dass ich nichts wüßte von gestern und heute und morgen! Daß eine Gottheit diesen mattgehetzten Geist, weichbettend, in das alte Nichts hinfallen ließe! Ein unermeßlich Glück - -!" Er überließ sich einen Augenblick diesem Gedanken, dann fuhr er fort: ,,Ja, läge zum wenigsten nur diese erste Stufe hinter mir! Und doch, wer kann wissen, ob sich dort nicht der Knoten nochmals verschlingt - - O Leben! o Tod! Rätsel aus Rätseln! Wo wir den Sinn am sichersten zu treffen meinten, da liegt er so selten, und wo man ihn nicht suchte, da gibt er sich auf einmal halb und von ferne zu erkennen, und verschwindet, eh man ihn festhalten kann!" Eduard Mörike: Maler Nolten. In: Sämtliche Werke. Herausgegeben von Herbert Göpfert. Frankfurt am Main 1965, S. 808-810. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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