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Eduard von Keyserling: Schwüle Tage (Sprache & Litteratur).

Publié le 13/06/2013

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Eduard von Keyserling: Schwüle Tage (Sprache & Litteratur). Der deutsche Schriftsteller Eduard von Keyserling gehört zu den Autoren der deutschen Literatur, die zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten sind. Im Gegensatz zu Theodor Fontane, mit dem er zuweilen verglichen wird, verfügt Keyserling nicht über den Hang zur epischen Breite, dafür aber ist sein Blick auf die Welt ungleich kälter und pessimistischer. Sein Werk wird der impressionistischen Strömung innerhalb der deutschen Literatur zugerechnet. Die 1904 entstandene Erzählung Schwüle Tage thematisiert einen Vater-Sohn-Konflikt. Die ausgewählte Textpassage illustriert die impressionistische Erzähltechnik. Eduard von Keyserling: Schwüle Tage ,,Ja, es ist alles hier so unverständlich. Ellita ist böse und traurig. Und ich weiß nicht ... Vielleicht kannst du etwas lustig sein. Nimm dich recht zusammen." Damit lief sie wieder die Allee hinab. Die Füße in den gelben Stiefelchen spritzten den Kies um sich, sorglos wie Kinderfüße. Die blaue Schärpe flatterte im Winde. Den Nachmittag über mußten wir mit den Marsowschen Tennis spielen. Angenehm wurde es erst, als die Sonne unterging. Ich spazierte mit den Mädchen langsam an den Blumenbeeten entlang und machte sie lachen. Am Gartenrande blieben wir stehen und sahen über die Felder hin. Rotes Gold zitterte in der Luft. Der Duft von reifem Korn, blühendem Klee wehte herüber. Die blauen Augen der Mädchen wurden im roten Lichte veilchenfarben. Die Marsowschen Mädchen ließen in tiefen Atemzügen ihre hohen Busen auf- und abwogen und sagten: ,,Nein - sieh' doch!" Ihre Mieder krachten ordentlich, denn sie trugen noch hohe, altmodische Mieder. Gerda lächelte die Ferne an. Ich wollte etwas Hübsches sagen, aber wo nimmt man das gleich her! Durch die Kornfelder kamen Ellita und mein Vater gegangen. Ellita ohne Hut unter ihrem gelben Sonnenschirm. Mein Vater sprang über einen Graben wie ein Knabe. Ellita beschäftigte sich mit der Landwirtschaft und hatte meinem Vater wohl die Felder gezeigt. Beim Mittagessen trank ich etwas mehr von dem schweren Rheinwein als sonst. Das Blut klopfte mir angenehm in den Schläfen, als ich später draußen auf der Veranda saß. Die Nacht war sternhell. Alle Augenblicke lief eine Sternschnuppe über den Himmel und spann einen goldenen Faden hinter sich her. Fledermäuse, tintenschwarz in der Dämmerung, flatterten über unseren Köpfen. Aus der Ferne kamen weiche, schwingende Töne. Die Mädchen saßen vor mir in einer Reihe und hielten die Arme um die Taillen geschlungen, helle Gestalten in all dem Dunkel. Schön, schön! Ich hatte das Gefühl, Emmy Marsow sei in mich verliebt, und Gerda - Gerda auch; alle. Warum bestand nicht die Einrichtung, daß man in solchen Sommernächten die Mädchen in die Arme nehmen durfte und küssen. Ellita kam aus dem Hause. Sie blieb einen Augenblick stehen, aufrecht und weiß. ,,Bill", sagte sie dann, ,,komm mit mir ein wenig in den Garten hinunter, es ist so schön." ,,Gut", erwiderte ich ein wenig verdrossen. Sie legte ihren Arm um meine Schultern und faßte meinen Rockaufschlag, was mich daran erinnerte, wie klein ich für meine achtzehn Jahre war. So gingen wir zwischen den Lilienbeeten den Weg hinunter. Ellitas Arm lag schwer auf meiner Schulter. Ich glaubte zu spüren, wie das Blut sich in ihm regte. Lieber wäre ich eigentlich auf der Veranda geblieben. Ellita war nie recht gemütlich. Jetzt aber begann ich langsam die Hand, die meinen Rockaufschlag hielt, zu küssen. Ellita sprach schnell, ein wenig atemlos von gleichgültigen Dingen: ,,Gut, daß du diesen Sommer bei uns bist. Auch für Gerda. Sie ist so einsam. Wir reiten zusammen aus, nicht? Denk' dir, den Talboth darf ich nicht mehr reiten, er ist so unsicher geworden." Über dem Gerstenfelde auf dem Hügel stieg eine rote Mondhälfte auf, es war, als schwimme sie auf den feinen, schwarzen Grannen: ,,Das ist schön", meinte Ellita. ,,Machst du noch Gedichte? Ach ja, das mußt du." Während sie zum Monde hinüberschaute, blickte ich in ihr Gesicht. Es mußte sehr bleich sein, denn die Augen erschienen ganz schwarz und glitzerten in dem spärlichen Lichte. Schritte hörte ich hinter uns. Ellitas Arm auf meiner Schulter zitterte ein wenig. Der Duft einer Zigarre wehte herüber, dann hörte ich meinen Vater sagen: ,,Ah, ihr laßt euch vom Monde eine Vorstellung geben." ,,Ja, er ist so rot", erwiderte Ellita, ohne sich umzuschauen. Als wir den Weg zurückgingen, schritt mein Vater neben uns her. Ich hätte mich gern zurückgezogen, die Lebenslage verlor für mich an Reiz, allein Ellita hielt meinen Rockaufschlag fester als vorher. Ich sollte also bleiben. Mein Vater zog die Augenbrauen empor und sog schweigend an seiner Zigarre. ,,Wie stark die Lilien duften", bemerkte Ellita. Da begann er zu sprechen. Seine Stimme hatte heute einen wunderlichen Celloklang, den ich bisher nicht bemerkt hatte, so etwas wie eine schwingende Saite. ,,Hm - ja. Sehr hübsch - alles sehr hübsch. Weich und süß. Nur - so süße Watte ist mir immer ein wenig verdächtig." Eduard von Keyserling: Schwüle Tage. Seine Liebeserfahrung. Zwei Erzählungen. Frankfurt am Main 1983, S. 16-18. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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