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Hegels und Goethes »Protestantismus«

Publié le 22/02/2012

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Hegels Protestantismus besteht darin, daß er das Prinzip des Geistes und damit der Freiheit als die begriffliche Ausbildung und Vollendung 33 von Luthers Prinzip der Glaubensgewißheit verstand.49 Er identifiziert geradezu das Vernehmen der Vernunft mit dem Glauben. »Dies Vernehmen ist Glaube genannt worden. Das ist nicht historischer (d. h. äußerlich-objektiver) Glaube. Wir Lutheraner — ich bin es und will es bleiben — haben nur jenen ursprünglichen Glauben.« 50 In diesem vernünftigen Glauben, welcher weiß, daß der Mensch in seinem unmittelbaren Verhältnis zu Gott die Bestimmung zur Freiheit hat, wußte sich Hegel als Protestant. Auf diese Weise vermittelte er den entschiedenen Gegensatz, den gerade Luther zwischen dem Glauben und der Vernunft in so radikaler Weise aufgestellt hat. Der Protestantismus ist für ihn letzten Endes identisch mit der durch ihn bewirkten »allgemeinen Einsicht und Bildung«. »Unsere Universitäten und Schulen sind unsere Kirche« und darin liege auch der wesentliche Gegensatz zum Katholischen. Ebenso wie Hegel hat auch Goethe die Reformation als eine Befreiung von den »Fesseln geistiger Borniertheit« geschätzt, während sie für Luther die Wiederherstellung des wahren Christentums war. »Wir haben wieder den Mut«, heißt es in einem Gespräch über die Reformation aus Goethes letztem Lebensjahr,51 »mit festen Füßen auf Gottes Erde zu stehen und uns in unserer gottbegabten Menschennatur zu fühlen.« Wie wenig aber ein Christentum, dessen Bedeutung darin besteht, daß man sich »als Mensch groß und frei fühlen« kann, mit seinem ursprünglichen Sinn noch gemein hat, darüber haben weder Hegel noch Goethe Bedenken gehabt. Faktisch lag aber Goethes Satz: »Auch werden wir alle nach und nach aus einem Christentum des Worts und Glaubens immer mehr zu einem Christentum der Gesinnung und Tat kommen« bereits am Anfang desjenigen Weges, der von Hegel zu Feuerbach und weiterhin zu radikalen Entscheidungen führte. Die beiden entgegengesetzten Experimente von Nietzsche und Kierkegaard, sich neuerdings zwischen Heidentum und Christentum zu entscheiden, sind die entschiedene Reaktion auf jenes freizügige Christentum, wie es Hegel und Goethe vertraten.

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