Goethes Ablehnung von Hegels
Publié le 22/02/2012
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Verbindung der Vernunft
mit dem Kreuz
Hegel erhielt 1830 zu seinem 60. Geburtstag von seinen Schülern eine
Medaille geprägt, die auf der Vorderseite sein Bildnis und auf der
Rückseite eine allegorische Darstellung zeigt: zur Linken liest eine
männliche Figur sitzend in einem Buch, hinter ihr befindet sich eine
Säule, auf der eine Eule hockt; zur Rechten steht eine Frauengestalt,
die ein sie überragendes Kreuz festhält; zwischen beiden befindet sich,
dem Sitzenden zugewandt, ein nackter Genius, dessen erhobener Arm
nach der andern Seite auf das Kreuz hinweist. Die Attribute, Eule
und Kreuz, lassen keinen Zweifel an dem gemeinten Sinn der Darstellung
aufkommen: die mittlere Figur des Genius vermittelt zwischen
der Philosophie und der Theologie. Diese noch im Besitze der
Goethesammlungen vorhandene Medaille wurde auf Hegels Wunsch
Goethe durch Zelter übermittelt.40 Zelter bemerkte dazu: »Der Kopf
ist gut und nicht unähnlich; die Kehrseite will mir aber nicht gefallen.
Wer heißt mich das Kreuz lieben, ob ich gleich selber daran zu tragen
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habe!« Und als Goethe das ihm zugedachte Exemplar nach Hegels
Tod erhielt, schrieb er am I. Juni 1831 an Zelter: »Das löbliche Profil
der Medaille ist in jedem Sinne sehr gut geraten ... Von der Rückseite
weiß ich nichts zu sagen. Mir scheint sie einen Abgrund zu eröffnen,
den ich aber bei meinem Fortschreiten ins ewige Leben immer
links gelassen habe.« Darauf erwidert Zelter: »Daß die Hegelsche
Medaille Dich ärgert, kann ich denken, sie hat lange genug bei mir gelegen;
aber Du würdest erst Augen machen, wenn Du den Inhalt unseres
neuen Museums durchmustern solltest. Lauter Meisterhände, die
sich an den abgeschmacktesten»Darstellungen versündigt haben!« Ein
halbes Jahr später kommt Goethe nochmals auf sein gründliches Mißfallen
zurück: »Man weiß gar nicht, was es heißen soll. Daß ich das
Kreuz als Mensch und als Dichter zu ehren und zu schmücken verstand,
hab ich in meinen Stanzen (gemeint sind »Die Geheimnisse«)
bewiesen; aber daß ein Philosoph durch einen Umweg über die Urund
Ungründe des Wesens und Nichtwesens seine Schüler zu dieser
trocknen Kontignation41 hinführt, will mir nicht behagen. Das kann
man wohlfeiler haben und besser aussprechen.« Goethes Ärgernis richtet
sich also weder gegen die allegorische Darstellung als solche noch
gegen die christliche Allegorie, hat er doch selbst um diese Zeit für
Zelter ein allegorisches Wappen erfunden und sowohl in den Geheimnissen
wie im Wilhelm Meister und Faust »als Mensch und als Dichter
« von der christlichen Symbolik Gebrauch gemacht. Was er beanstandet,
ist, daß auf Hegels Medaille das christliche Symbol des Kreuzes
im philosophischen Verstande, auf dem Umweg über die Vernitnfl
verwendet und mißbraucht wird, anstatt die Theologie zur Philosophie
in dem ihr zukommenden Abstand zu lassen. Sein Brief fährt
fort: »Ich besitze eine Medaille aus dem 17. Jahrhundert mit dem
Bildnisse eines hohen römischen Geistlichen; auf der Rückseite Theologia
und Philosophia, zwei edle Frauen gegeneinander über, das Verhältnis
so schön und rein gedacht, so vollkommen genugtuend und liebenswürdig
ausgedrückt, daß ich das Bild geheimhalte, um, wenn ich
es erlebe, dasselbe einem Würdigen anzueignen.« Außerdem widerspricht
aber Goethe auch noch aus einem andern Grund dem alles
überragenden Kreuz: es widersteht in seiner Härte und Nacktheit
dem »Humanen« und »Vernünftigen«, welches man nicht entbehren
könne.42 Er schreibt, eine Woche nach Empfang der Hegeischen Medaille
und mit Beziehung auf sein Modell für die Zeltersche: »ein
leichtes Ehrenkreuzlein ist immer etwas Lustiges im Leben, das leidige
Marterholz, das Widerwärtigste unter der Sonne, sollte kein ver-
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nünftiger Mensch auszugraben und aufzupflanzen bemüht sein.« Doch
müsse man wohl mit 82 Jahren »die liebe leidige Welt in ihrem vieltausendjährigen
Narrenleben in Gottes Namen« fortwandeln lassen.43
Goethes damalige Inanspruchnahme durch Zelters Wappen sowie die
zeitliche Nähe dieser Bemerkung zu der Mißstimmung über Hegels
Medaille machen wahrscheinlich, daß auch sie in einem Zusammenhang
mit demjenigen Kreuze steht, welches - wider alle Vernunft -
auf Hegels Medaille aufgepflanzt ist, um durch einen Genius mit der
Philosophie vermittelt zu werden. Gegen ein solches Hereinziehen des
Christentums in die Philosophie lehnte sich Goethe auf. In einem Gespräch
mit Eckermann vom 4. 11. 1829 äußert er über den Philosophen
Schubarth: »So wie Hegel zieht auch er die christliche Religion
in die Philosophie herein, die doch nichts darin zu tun hat. Die christliche
Religion ist ein mächtiges Wesen für sich, woran die gesunkene
und leidende Menschheit von Zeit zu Zeit sich immer wieder emporgearbeitet
hat; und indem man ihr diese Wirkung zugesteht, ist sie über
aller Philosophie erhaben und bedarf von ihr keiner Stütze. So auch
bedarf der Philosoph nicht das Ansehen der Religion, um gewisse
Lehren zu beweisen, wie z. B. die einer ewigen Fortdauer.« Und wiederum
dieselbe Stellungnahme bezeugt ein Gespräch mit dem Kanzler
Müller aus Anlaß des Glaubensbekenntnisses eines »Denkgläubigen«.44
Es gehört aber zum alles durchdringenden und doppeldeutigen Wesen
der Hegeischen Philosophie, daß sie eine Philosophie des Geistes auf
dem Standpunkt des christlichen Logos, daß sie überhaupt eine philosophische
Theologie ist. Ein Gleichnis für diese Verbindung der Vernunft
der Philosophie mit der Kreuzestheologie ist der bekannte Satz
aus der Vorrede zur Rechtsphilosophie, wo Hegel die Vernunft eine
»Rose im Kreuze der Gegenwart« nennt.45 Dies Bild hat zwar keinen
unmittelbaren Zusammenhang mit der allegorischen Darstellung auf
Hegels Medaille, die nur ein Kreuz, aber keine Rose zeigt, es bezeichnet
aber ebenfalls Hegels Auffassung von der Einheit der philosophischen
Vernunft mit dem christlichen Kreuz.
Lasson hat Hegels Satz erschöpfend ausgelegt, den theologischen Sinn
des Kreuzes jedoch in einem allgemeinen »Zwiespalt«, den die Vernunft
versöhnt, zum Verschwinden gebracht, obwohl er selbst auf den
Zusammenhang des Hegeischen Gleichnisses mit der Sekte der Rosenkreuzer
46 und mit Luthers Wappen, sowie mit Hegels eigenem Lutheranertum
und der dritten Jahrhundertfeier der Reformation (1817)
hinweist. Wenn aber das Kreuz nur das Zerfallensein des selbstbewußten
Geistes mit der gegenwärtig bestehenden Wirklichkeit meinte,
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warum - muß man gegen die Deutung Lassons fragen - bezeichnet
dann Hegel an so hervorragender Stelle diese Entzweiung gerade mit
dem christlichen Grundbegriff des Kreuzes? Offenbar deshalb, weil er
sowohl die Entzweiung wie die Versöhnung von vorneherein geistesgescbichtlich,
im Gedanken an den Kreuzestod von Christus verstand,
wenngleich er den »Geist« des Christentums von Anfang an philosophisch
begriff. Eine Rose im Kreuze der Gegenwart ist die Vernunft
nicht schon deshalb, weil jede Entzweiung ihrem eigensten Wesen nach
zur Vereinigung strebt, sondern weil der Schmerz der Entzweiung und
die Versöhnung ursprünglich im Leiden Gottes weltgeschichtlich geschah.
47 Goethes Widerwille über Hegels Kontignation ist aber um so
beachtlicher, als Goethe in den Geheimnissen zur Versinnlichung seiner
Idee vom »Rein-Menschlichen« selbst das Gleichnis eines von Rosen
umwundenen Kreuzes gebraucht.
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