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Millennium: Kunst.

Publié le 19/06/2013

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Millennium: Kunst. 1 EINLEITUNG Am Ende des zweiten Jahrtausends zeigt sich die Kunst in Europa in einer widersprüchlichen Lage und Verfassung. Kunst ist fast allgegenwärtig im täglichen Leben. Stadt und Wohnung als Lebensraum, die Gegenstände des Alltags, die Bilderflut, die dank der hoch entwickelten Medien zu jedem ins Haus dringt, all dies steht in einem Zusammenhang mit der Kunst und ihrer Geschichte, der oft enger ist, als es zunächst vermutet wird. Ein Stuhl oder ein Essbesteck sind Produkte einer bewussten Formgebung, die sich auf eine lange Tradition berufen kann, und wenn ein Hobbyphotograph ein Stück Landschaft, das ihm gefällt, aufnimmt, so richtet er sich bei der Auswahl des Ausschnittes unbewusst nach den Regeln, die in der Tradition der Landschaftsmalerei entwickelt worden sind. Dass die alltägliche Umgebung dennoch zumeist nicht mit Kunst in Verbindung gebracht wird, liegt daran, dass der Begriff der Kunst, der heute noch weithin als gültig angesehen und verwendet wird, ein recht enger Begriff ist, der die ,,wahre Kunst", zu der nur ,,Meisterwerke" gezählt werden können, gegen alles abgrenzt, was nicht als herausragende, schöne und originäre Schöpfung eines Genies bezeichnet werden kann. Dieser Kunstbegriff, der im späten 18. Jahrhundert geprägt und in Deutschland vor allem von Goethe und Schiller durchgesetzt wurde, ist durch die Entwicklung der Kunst im 20. Jahrhundert radikal in Frage gestellt worden und kann als überholt gelten. Kunst ist alles, so kann man heute überspitzt sagen, was dafür ausgegeben und gehalten wird. Der Widerspruch zwischen dem tradierten und vertrauten Kunstbegriff und dem offenen Begriff, der den aktuellen Kunstschöpfungen zugrunde liegt, ist einer der Gründe für die Orientierungsschwierigkeiten, die sich nicht selten beim heutigen Publikum zeigen. Die Zeit, in der die Museen mit Tempeln verglichen und auch so gestaltet wurden, ist endgültig vorbei. Kunst ist Geschäft und Unterhaltung geworden, der Kauf von Kunst dient der Imagepflege, und der Kunstmarkt ist ein blühender Wirtschaftszweig, allerdings nur eine Sache für wenige. Genau besehen, war dies in den zurückliegenden Jahrhunderten nicht sehr viel anders, aber die Zugänglichkeit, die Möglichkeit, Kunstwerke zu sehen, ist größer denn je, und sie wird extensiver als je zuvor in Anspruch genommen, wie der blühende Kunsttourismus und der gewaltige Ansturm auf Ausstellungen und Museen beweisen. Kunstförderung und Denkmalpflege werden allgemein und selbstverständlich als eine öffentliche Aufgabe anerkannt. Bei Entscheidungen über große öffentliche Aufträge, insbesondere wenn es um Denkmäler geht, zeigt sich allerdings immer wieder, dass die Orientierung und damit auch die Einigung in der Bewertung schwierig geworden sind. Die Ursache dafür liegt vermutlich darin, dass bei derartigen Entscheidungen mehr Menschen mitsprechen wollen als früher. Es wäre falsch, angesichts dieser Symptome von einer Krise zu sprechen. Die Kunstgeschichte war immer voller Widersprüche und Spannungen. Allerdings kann man sich darüber leicht hinwegtäuschen, wenn man sein Wissen aus älteren Darstellungen der Geschichte der Kunst bezieht. Die Kunstgeschichte, wie sie sich im 19. Jahrhundert als Wissenschaft etabliert hat, zeichnete das harmonisierte Bild einer Abfolge von Stilepochen: Romanik, Gotik, Renaissance, Barock usw. Für das 19. und 20. Jahrhundert wurde eine Beschleunigung der Abfolge der Stile postuliert: Auf den Impressionismus folgen Expressionismus, Kubismus und viele weitere Strömungen, die allerdings oft nebeneinanderher liefen. Vom Ende des Jahrhunderts der Moderne her gesehen, ist das Modell der Stilgeschichte fragwürdig geworden. Was sie beschrieb, ist genauer zu fassen als eine Ausdifferenzierung der Möglichkeiten der Kunst, als ein Prozess komplexer Wechselbeziehungen, bei dem auch ganz Gegensätzliches nebeneinanderstehen kann. Die Begriffe der Epochenstile sind Abstraktionen, mit denen bestimmte Stilideale postuliert werden, die dann auf die jeweilige Epoche zurückprojiziert werden, und sie harmonisieren, indem sie alles als ,,untypisch" zur Seite schieben, was nicht in das Konzept des Epochenstils passt. Kunst als den einheitlichen, kohärenten und umfassenden Ausdruck einer Epoche, wie es die Stilgeschichte suggeriert, hat es nie gegeben. Die Kunstwerke in ihrer Verschiedenartigkeit und Fülle sind vielgestaltiger Ausdruck für die zu ihrer Zeit möglichen Sichtweisen der Welt, sind Antworten auf Fragen, die sich jeweils stellten, Gestaltungen des physischen und geistigen Lebensraumes, die eher gruppenspezifisch als allgemein gültig sind. Die Stilgeschichte, die auch heute noch vertrauteste Form der zusammenfassenden Darstellung der Kunstgeschichte, ging von der Annahme aus, dass es den überzeitlich gültigen Begriff ,,wahre Kunst" gebe. Sie hat ihren eigenen Kunstanspruch einfach auf die Kunst vergangener Zeiten übertragen. Es ist aber nicht möglich, Kunstwerke wie ein mittelalterliches Reliquiar, ein impressionistisches Gemälde, eine dadaistische Collage und eine Happening-Aktion mit einem Begriff zu fassen. Zu fragen ist vielmehr, welcher Begriff von Kunst hinter dem jeweiligen Werk steht. Die Frage nach Intentionen und Funktionen des Kunstwerkes ist wichtiger als die vorschnelle Einordnung in eine Stilschublade. Das heißt jedoch nicht, dass sich damit die Kunstgeschichte in eine unübersehbare Fülle von Einzelwerken auflöst. Jedes Werk steht in einem historischen Zusammenhang, setzt sich positiv oder negativ mit einer Kunstaufgabe, einer Gattung, einem Medium auseinander. Kunstwerk, Künstler und Betrachter stehen, ob sie es wollen oder nicht, in einer Tradition. Sie zu erkennen ist ein wesentlicher Schritt zum Verständnis eines Kunstwerkes. Sie offenzulegen bleibt eine wesentliche Aufgabe der Disziplin der Kunstgeschichte. 2 DIE ,,VORGESCHICHTE" DER MODERNEN KUNST Wenn man, wie es ganz geläufig ist und auch hier geschehen soll, mit ,,europäischer Kunst" die Kunst des christlichen Abendlandes meint, so muss die Betrachtung in der Spätantike einsetzen, mit der Emanzipation des Christentums unter Konstantin, die im Jahr 313 mit dem Edikt von Mailand ihren Anfang nahm. Es gibt auch gute Gründe, die europäische Kunstgeschichte erst mit der Begründung des Reichs der Karolinger beginnen zu lassen. In beiden Fällen werden aber, wie bei allen Thesen von einem historischen Anfang, Schnitte gelegt, die Zusammenhänge trennen. Auch die vom Christentum geprägte abendländische Kunst steht in Traditionszusammenhängen. Sie bezieht wesentliche Anregungen aus der Blüte der Kunst im 1. Jahrtausend v. Chr. im Mittelmeerraum, die sich parallel und mit nur vereinzelten Berührungspunkten zu den Hochkulturen Ostasiens im Vorderen Orient entfaltete. Der Weg führte von den Reichen des Zweistromlandes über Ägypten nach Griechenland. Dabei wurde sehr früh schon ein Kanon der Felder künstlerischer Tätigkeit und der Medien festgelegt, der bis in die neueste Zeit hinein Bestand haben sollte. Keramik und Schmuck werden in ihrer Form gestaltet und mit Ornamenten verziert. Die Architektur wird zu einem tektonischen System entwickelt, bei dem die einzelnen Glieder eine prägnante Form erhalten. Zur Dekoration der Architektur werden Farbe, Relief und Skulptur verwendet, die auch als eigenständige Medien ihre Weiterentwicklung erfahren. Aus der Ritzzeichnung auf Keramik entwickelte sich die Malerei, die schließlich als Wandbild auch monumentale Gebäude schmückt. In der Skulptur wird die Darstellung der menschlichen Figur zur höchsten Aufgabe und in den verschiedenen Materialien wie Ton, Marmor und Bronze zu einer bis dahin unbekannten Vollendung gebracht. Die Kunstwerke, lange in erster Linie für den kultischen Gebrauch geschaffen, werden wegen ihrer Vollendung und Eigenart, als Werke der Kunst, immer höher geschätzt. Das belegen nicht zuletzt die Raubzüge der Römer, die sich die Meisterwerke der griechischen Kunst aneigneten, um sie bei sich aufzustellen und vielfach zu kopieren. Wegweisende Leistungen der Griechen und Römer für die weitere Entwicklung der europäischen Kunst war die Entwicklung der Säulenordnungen als Grundlage des Architektursystems und in der bildenden Kunst die Zielvorgabe einer idealisierenden Naturwiedergabe. 3 FRÜHCHRISTLICHE UND BYZANTINISCHE KUNST Die vom Christentum geprägte Kunst Europas steht in einem spannungsreichen Verhältnis zur antiken Kunst. Das Vordringen der christlichen Religion in die antike Kultur erfolgt zunächst, ohne sichtbare Zeugnisse zu hinterlassen. Eine Ursache ist sicher in dem aus der jüdischen Religion übernommenen Bilderverbot zu sehen. Noch wichtiger war aber wohl, dass zunächst die Gelegenheit zur Kunstausübung in größerem Stil fehlte. Erst mit der Ausweitung der Grabkultur, der Anlage der Katakomben, bot sich mit der Aufgabe, Gräber auszugestalten, die Möglichkeit, Reliefs zu schaffen, die sich an den römischen Sarkophagreliefs orientierten. Größere Räume in den Katakomben konnten mit Wandbildern geschmückt werden, die sich in Malweise und Figurenstil an der römischen Malerei orientierten. Mit dem Religionsedikt Konstantins war der christlichen Kunst endlich eine freie Entfaltung möglich. Mit den monumentalen Basiliken des Lateran und der Peterskirche in Rom wurde auf der Grundlage der als Versammlungsraum und Palastaula dienenden spätantiken Basilika ein Bautypus geprägt, der die abendländische Sakralarchitektur ganz entscheidend bestimmen sollte. Daneben wurde mit S. Costanza in Rom der aus dem römischen Grabbau entwickelte Typus des Zentralbaus begründet. In der Architekturdekoration setzte die Entwicklung nur zögernd ein, wie die Mosaiken von S. Costanza zeigen, die sich von den römischen Traditionen nur schwer lösen können. Die Formen für eine angemessene Verbildlichung christlicher Lehren mussten erst noch gefunden werden. Eine besondere Rolle sollte dabei der Buchmalerei zukommen. Die Voraussetzung für ihre Entwicklung war im 4. Jahrhundert die Ablösung der Schriftrolle durch den Kodex, der heute noch geläufigen Buchform, bei dem die Seiten zwischen den Buchdeckeln flach bleiben und so eine Bemalung mit dicker aufgetragenen Pigmenten ermöglichen. Die bedeutendsten frühen Buchmalereien, z. B. die Wiener Genesis, stammen aus dem 6. Jahrhundert. Sie entstanden größtenteils in Byzanz (Konstantinopel), das als Hauptstadt des römischen Ostreiches um so mehr an Bedeutung gewann, je stärker das Westreich in der Völkerwanderungszeit unter Druck geriet. Seine erste Blütezeit erlebte die byzantinische Kunst im 6. Jahrhundert zur Zeit Justinians. Die Kreuzkuppelkirche, für die die zerstörte Apostelkirche das wichtigste Beispiel war, und der von einer Kuppel bekrönte Zentralbau, wie er in der Hagia Sophia realisiert wurde, entstanden als neue Prototypen des Sakralbaus. Die byzantinische Kunst, die Architektur und vor allem die Mosaikkunst wirkten auch auf den Westen zurück, wie am besten die zumeist im 6. Jahrhundert geschaffenen Werke in Ravenna belegen können. In das 6. Jahrhundert fallen auch die Anfänge der Ikone. Ihre Wurzeln sind im antiken Kaiserkult zu suchen, in dem die Verehrung des Kaiserbildnisses eine wichtige Rolle spielte. Sehr früh schon wurden Legenden gebildet, die von der überwirklichen Herkunft der Bilder von Jesus Christus und Maria berichtet und ihren Gebrauch legitimieren sollten. Die Widersprüche im christlichen Bilderkult waren unübersehbar. Nach wie vor wurde zur Zerstörung der heidnischen Götzenbilder aufgefordert. Auf der anderen Seite konnte der Verstoß gegen das biblische Bilderverbot nur mühsam mit der Inkarnation Christi begründet werden: Weil Christus in seiner doppelten Natur Gott und auch Mensch gewesen sei, dürfe und könne er als Mensch auch abgebildet werden. Dass vom Volksglauben wichtigen Ikonen magische Kräfte zugesprochen wurden, widersprach solchen Begründungen. Die Auseinandersetzungen in der Bilderfrage, die auch handfeste politische Hintergründe hatten, eskalierten im frühen 8. Jahrhundert zu blutigen Bilderstürmen (Ikonoklasmen). Durch einen auf dem Konzil zu Nikäa 787 gefundenen Kompromiss konnten sie nur vorübergehend beruhigt werden. Erst Mitte des 9. Jahrhunderts konnte der Ikonoklasmus mit dem Sieg der Orthodoxie beigelegt werden. Er wurde mit der präzisen Festlegung bestimmter erlaubter Darstellungstypen erkauft, die wiederum in der folgenden Zeit eine Entwicklung der byzantinischen Malerei, die der westlichen Entwicklung vergleichbar gewesen wäre, unmöglich gemacht hat. Eine gewisse Parallele besteht hier zur Einstellung des Judentums und des Islam, wo das von der religiösen Orthodoxie beharrlich festgehaltene Verbot der figürlichen Darstellung eine Entwicklung nur auf Gebieten wie dem Ornament zugelassen hat. 4 ARCHITEKTUR DES MITTELALTERS Im Westen entstand nach der Völkerwanderungszeit das Frankenreich als neues Machtzentrum. Mit der Christianisierung Mittel- und Westeuropas drangen auch die in Italien und Byzanz ausgebildeten Architekturtypen und Kunstformen vor. Karl der Große betrieb, um seinen Herrschaftsanspruch zu demonstrieren, eine systematische Kunstpolitik, deren bedeutendstes Zeugnis die nach dem Vorbild von San Vitale in Ravenna errichtete Pfalzkapelle in Aachen ist. Auch die Buchmalerei wurde an seinem Hof mit bedeutenden Ergebnissen gepflegt. In der sakralen Architektur des frühen Mittelalters spielte die Krypta als Ort des sich immer weiter ausbreitenden Reliquienkultes eine besondere Rolle, wobei sich an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert zunächst in Italien, dann in Deutschland die Hallenkrypta herausbildete, die der am weitesten verbreitete Kryptentypus werden sollte. Der Typus der Basilika wurde systematisch weiterentwickelt. Westwerk, ausgeschiedene Vierung und gebundenes System waren wichtige Errungenschaften. Von besonderer Bedeutung war die Weiterentwicklung des Gewölbebaus. Obwohl monumentale Gewölbe als Kuppeln oder Kreuzgratgewölbe in Rom gebräuchlich gewesen waren, hatte man bei den Basiliken auf ein Gewölbe verzichtet. Nachdem man zunächst mit der Einwölbung von Seitenschiffen Erfahrungen gesammelt hatte, wagte man sich erst nach 1000 an Mittelschiffsgewölbe, wobei man in Frankreich zunächst bevorzugt das Tonnengewölbe wählte, in Deutschland hingegen, erstmals nach 1180 beim Umbau des Doms zu Speyer unter Heinrich IV., das Kreuzgratgewölbe. Erst jetzt konnten Grundriss, Wandaufriss und Raumabschluss zu einem einheitlichen System zusammengefügt werden, das sich als ausgesprochen entwicklungsfähig erwies. Die ,,Romanik", wie sie seit dem 19. Jahrhundert genannt wird, konnte damit zum ersten Stil werden, der sich über das ganze christliche Europa ausbreitete und zugleich regional deutlich unterscheidbare Varianten ausbildete. Die Ausbreitung der Mönchsorden und die zunehmend bessere Verbindung der Klöster untereinander haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Während die Romanik im Deutschen Reich das ganze 12. Jahrhundert in Blüte stand, wurde sie in Frankreich schon um die Jahrhundertmitte zum gotischen System weiterentwickelt. Die erheblich verbesserten Kenntnisse von Konstruktion und Statik, denen schon kurz vor 1100 die Erfindung des Rippengewölbes zu verdanken war, machten es möglich, die tragende Wand, die in der Romanik den Bau entscheidend prägte, weitgehend aufzulösen und durch ein kompliziertes System von Pfeilern, Gewölben und Strebebögen zu ersetzten. Ein scheinbar nebensächlicher, aber doch wesentlicher Schritt war die Umstellung der Steinbearbeitung. Im romanischen Bau wurde jeder Stein gleich nach der Bearbeitung versetzt. Jede Steinlage hatte ihre eigene Höhe. Bei dieser Verfahrensweise musste die Arbeit im Winter weitgehend ruhen. Um 1140 ging man zu einer systematischen Planung über, die eine Fertigung der Steine auf Vorrat ermöglichte, so dass der Baufortgang im Sommer sehr viel schneller werden konnte. Die weitgehende Öffnung der Wand zwischen den Pfeilern und ihren Diensten gab der Entwicklung des Maßwerks und der Glasmalerei weiten Raum, die jetzt zu einzigartiger Blüte emporwuchsen. Das Ursprungsland der Gotik ist die Île de France, das Kronland der französischen Monarchie. Die Entstehung der Gotik spiegelte die neue Macht der Monarchie und ist zugleich Dokument einer Volksbewegung, die freilich von Monarchie und Kirche gelenkt wurde. Die Kathedrale ist mit dem Kosmos ihrer Bilderwelt Ausdruck des Weltbildes ihrer Zeit und zugleich Demonstration eines Machtanspruches. Die Konkurrenz der Städte und Machtzentren untereinander war ein wichtiges Motiv für die Ausbreitung des neuen Stils. Sie verlief in den verschiedenen Regionen unterschiedlich. England hat die Gotik recht schnell übernommen und zu eigenständigem Reichtum entfaltet. In Deutschland setzte die Rezeption der Gotik erst nach 1200 ein. Ein Hindernis war für einige Regionen, dass dieses System für den Bau mit Hausteinen entwickelt worden war. In den niederdeutschen Gegenden, in denen es an diesem Material fehlte, wurde die Variante der so genannten Backsteingotik entwickelt. Dieses Materialproblem bestand auch in einigen Regionen Italiens, wo die Widerstände gegen den neuen Stil erheblich waren, so dass es eine eigentliche Kathedralgotik nur ausnahmsweise gab und die Zisterzienser und die Bettelorden als wichtigste Träger das gotische System erheblich modifizierten. Die erhaltenen Bauten vermitteln von der Gotik heute nur ein einseitiges Bild, weil es in erster Linie die Kathedralen sind, die die Zeiten überdauert haben, während profane Bauten wie Schlösser und Paläste, Rathäuser und kleinere Bauten nur in geringem Umfang erhalten sind. Gleichwohl spielten auch sie eine wichtige Rolle, und die erhaltenen Monumente können zeigen, dass das gotische System der Wand- und Raumgestaltung sehr flexibel war. 5 BILDKÜNSTE DES MITTELALTERS Für die Lehrer der christlichen Kirche waren die antiken Skulpturen Inbegriff verdammungswürdiger Götzenbilder. Von daher hatte die Bildhauerkunst im Mittelalter zunächst einen schwierigen Stand. Sie fand anfangs nur im kleinen Maßstab und in Zusammenhang mit kultischen Gegenständen Verwendung. Das Reliquiar und das Altarkreuz waren die wichtigsten Aufgaben für den Bildhauer. Die Tradition des Elfenbeinreliefs, die Byzanz aus Rom übernommen hatte, wurde mit besonderer Intensität gepflegt. Eines der ganz wenigen Beispiele der Großplastik aus der Zeit vor der Jahrtausendwende ist das Gero-Kreuz im Kölner Dom. Ein wichtiges Betätigungsfeld für den Bildhauer wurde mit der Wiederbelebung der Technik des Bronzegusses eröffnet. Die Bronzetüren und die Bronzesäule im Hildesheimer Dom, um 1015 von Bischof Bernward gestiftet, waren Auftakt zu einer bedeutenden Reihe von ähnlichen Bildwerken. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der romanischen Architektur wurde auch der Bauskulptur zunehmend größerer Raum zugestanden. Das 12. Jahrhundert brachte die erste große Blüte, insbesondere an den Pilgerwegen nach Santiago de Compostela, die Ende des 11. Jahrhunderts im Zuge der Rückeroberung Spaniens eröffnet worden waren. Das Portal wurde in der französischen Romanik zum wichtigsten Anbringungsort plastischer Bildwerke. Das gotische System erweiterte die Möglichkeiten noch, so dass in den großen Kathedralen an den Portalen und ihrem Gewände ein umfangreiches und theologisch tiefsinniges Figurenprogramm ausgebreitet werden konnte. Auch dieser Zweig gotischer Kunst griff bald nach England und Deutschland über. Italien ging auch hier eigene Wege. Wenn überhaupt der gotische Portaltypus übernommen wurde, dann in sehr reduziertem Umfang. Zum wichtigsten Ort sakraler Skulptur wurde hier die Kanzel, wie die Werke von Nicola und Giovanni Pisano in Pisa und Siena bezeugen. In der Malerei hatte zunächst die Buchmalerei eine führende Rolle. In der karolingischen Kunst waren spätantike Strömungen mit Einflüssen aus Byzanz und der frühenglischen, so genannten insularen Buchmalerei verschmolzen worden. In der Zeit der ottonischen Kaiser, insbesondere in der Schule des Klosters Reichenau, erhob sich die Buchmalerei zu einzigartiger Größe mit erzählerischen, stark expressiven Illustrationen biblischer Texte. Im 12. Jahrhundert wurde die französische Buchmalerei führend. Wandmalerei muss es im frühen Mittelalter verbreitet gegeben haben, auch wenn nur wenig davon überliefert ist, wobei die profane Wandmalerei so gut wie völlig untergegangen ist. Die Bilder in den Kirchen von Müstair und in St. Georg auf der Insel Reichenau sind wichtige Beispiele. In Italien blieb die Mosaikkunst ein wichtiges Medium der Architekturdekoration. In den normannischen Kathedralen auf Sizilien zeigt sich die kontinuierliche Bedeutung des byzantinischen Einflusses, der dann auch bei der Ausgestaltung der Markuskirche in Venedig entscheidend sein sollte. Daneben gibt es auch herausragende Zeugnisse einer eigenständigen Wandmalerei, z. B. in San Angelo in Formis bei Capua, entstanden Ende des 11. Jahrhunderts. Auch Frankreich hatte eine reiche Vielfalt an Wandmalerei in romanischer Zeit, wie die Kirche S. Savinsur-Gartempe (um 1100) zeigt. Durch das gotische System, das zugunsten der Öffnung der Wand kaum Flächen für Malerei freiließ, wurde diese Kunstform dann allerdings zurückgedrängt. Tafelbilder gab es im Westen während des frühen Mittelalters nur vereinzelt, und dann zumeist als byzantinischen Import. Der Usus, dass der Priester beim Zelebrieren der Messe hinter dem Altar stand, führte zu einem Verbot von Altarbildern. Mit der realen Präsenz des Göttlichen im Messopfer und des Heiligen in den Reliquien konnte das Bild, das als zeichenhafter oder symbolischer Verweis auf das hinter ihm liegende Urbild verstanden wurde, nicht konkurrieren. Um 1100 begann dann im Westen der Aufstieg der Tafelmalerei. In Italien entstanden die ersten gemalten Kruzifixtafeln, die, oft von monumentaler Größe, als Triumphkreuze über dem Chor aufgehängt wurden. Nachdem der Ritus der Messe verändert worden war und der Priester jetzt vor dem Altar stehend zelebrierte, entstanden bald auch die ersten Altartafeln, die sehr schnell schon erhebliche Dimensionen annahmen. Hinter dieser Entwicklung stand ein tief greifender Wandel der Bildauffassung. Wesentliche Voraussetzung dafür war die Wiederentdeckung des Aristoteles in der scholastischen Philosophie des 12. Jahrhunderts. Der griechische Philosoph hatte gelehrt, dass alle Erkenntnis des Menschen von der Wahrnehmung ausgeht und der Gesichtssinn bezüglich des Erkenntniswertes am höchsten stehe. Die sinnliche Wahrnehmung emanzipierte sich gegenüber der in der christlichen Tradition favorisierten spirituellen Erkenntnis. Von Aristoteles ausgehend, vollzog sich auch eine Aufwertung der Affekte. Man erkannte ihren Wert darin, dass sie den Willen zu stimulieren vermögen, und man erkannte auch, dass die Affekte durch das unmittelbar Erlebte oder durch Bilder intensiver zu erregen waren als durch Worte. Franz von Assisi und der von ihm gegründete Orden haben sich diese Erkenntnis konsequent zu eigen gemacht und in der bildhaften Sprache ihrer Predigten und der Ausgestaltung ihrer Kirchen umgesetzt. Die Mutterkirche des Franziskanerordens in Assisi wurde zu dem Ort, an dem die neue Bildauffassung um 1300 zum Durchbruch kam, und Giotto war der Künstler, der sie in einer für die weitere Kunstgeschichte entscheidenden Weise prägte. Das Bild, wie Giotto es in dem Zyklus der Legende des heiligen Franziskus in Assisi oder in der Arenakapelle in Padua schuf, verwies nicht mehr zeichenhaft auf eine hinter ihm stehende Realität, sondern präsentierte sich als Wirklichkeitsausschnitt, den der Betrachter nicht ,,lesen" oder ,,entziffern" musste, sondern in dem er sich wie in der ihn umgebenden Wirklichkeit orientieren konnte. Wirklichkeitswiedergabe und Ausdruck der Darstellung vereinigten sich zur Fiktion aktualen Geschehens. Der Betrachter konnte das, was im Bild dargestellt wurde, jetzt als etwas gleichsam Gegenwärtiges erleben. Zugleich mit dieser Konzeption, nach der das Bild als Blick durch ein Fenster aufgefasst wurde, ist die Bildfläche als ein Spannungsfeld begriffen worden, in dem die Lage und Ausrichtung jedes Objektes, die Komposition an sich schon einen eigenen Aussagewert hatten. Rückblickend mag an den Werken, die in dieser Revolution des Bildes geschaffen wurden, vieles noch unvollkommen erscheinen, doch ein für die nächsten Jahrhunderte gültiger Weg war damit gewiesen worden. Die Geschichte des Bildes sollte sich fortan in der hier vorgegebenen Spannung von Wirklichkeitswiedergabe und Eigenwert der Komposition abspielen. 6 BILDKÜNSTE IM ÜBERGANG VOM MITTELALTER ZUR RENAISSANCE Von Italien aus vollzog sich im 14. Jahrhundert der Siegeszug des Bildes. Während allerdings in Italien Wandmalerei und Tafelbild gleichermaßen bedeutend waren, zeigte sich nördlich der Alpen bald ein Übergewicht der Tafelmalerei. Im Deutschen Reich wurden Böhmen und die Rheingegenden zu den ersten wichtigen Produktionsstätten der Malerei. In Frankreich, Burgund und den Niederlanden stand zunächst noch die Buchmalerei an der Spitze, doch nach 1400 begann hier eine Entwicklung, die mit den Werken der Brüder Hubert und Jan van Eyck, von Rogier van der Weyden und ihren Nachfolgern zu einer bis dahin unerreichten Wirklichkeitstreue der Malerei führen sollte. Ein nächster entscheidender Schritt bei der ,,Eroberung der Wirklichkeit" war die Erfindung der Perspektivkonstruktion, die dem Florentiner Architekten Filippo Brunelleschi um 1415 gelang und deren Verfahren zuerst von Leon Battista Alberti in seinem Malerei-Traktat 1435 beschrieben wurde. Genau genommen, ist die konstruierte Perspektive eine Systematisierung und wissenschaftliche Begründung der von Giotto und seinen Zeitgenossen durchgesetzten Konzeption des Bildes. Indem das Bild als Schnitt durch die Sehpyramide definiert wird, wird seine Auffassung als ,,Fenster" nun auch geometrisch begründet. Mit der Festlegung des Augenpunktes werden Betrachter und Bild in ein festes Verhältnis zueinander gesetzt. Die sich daraus ergebende Lage des Horizontes und des Fluchtpunktes der Orthogonalen wurde zur Basis der Bildordnung. Masaccio und Piero della Francesca waren die ersten großen Meister einer auf der Perspektive und damit auf ,,Wissenschaft" gründenden Malerei. Das Bemühen um immer größere Nähe zur Wirklichkeit brachte der Malerei eine Fülle neuer Motive und Aufgaben. Der Landschaft als Bildraum wurde immer größere Aufmerksamkeit geschenkt, zunächst in den Niederlanden, dann auch in Deutschland und Italien. Auf die Genauigkeit der Wiedergabe des Beiwerks wurde immer größerer Wert gelegt. Die Niederländer fügten gerne kleine Still-Leben in ihre Bilder ein. Deren täuschend echte Wiedergabe sollte dazu beitragen, den Betrachter auch von der Wirklichkeit des Bildes insgesamt zu überzeugen. Zur wichtigsten neuen Aufgabe für den Maler wurde das Porträt, die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe einer Persönlichkeit. Auch hier gingen die niederländischen Maler voran. Das Porträt war zugleich der erste Schritt einer Emanzipation der profanen Malerei, die zuvor, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als Wanddekoration eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Neue Themenbereiche wurden entdeckt. Im Gefolge der intensiven Auseinandersetzung mit der antiken Literatur wurde bald die griechische und römische Mythologie zum wichtigsten Thema der profanen Malerei, die als erzählendes Historienbild mit dem großen religiösen Bild konkurrieren konnte. Schließlich führte auch die Faszination an den imitativen Möglichkeiten zu einer Wertverschiebung. Die Bilder wurden nicht mehr nur wegen ihres Darstellungsgegenstandes geschätzt, sondern gleichermaßen oder sogar noch mehr wegen ihrer Darstellungsweise. Künstler wie Raffael und Michelangelo, die die Malerei der Renaissance zu ihrem Höhepunkt führten, wurden als divinus, als göttergleich, verehrt. Darin spiegelt sich eine grundsätzlich neue Einstellung zum Künstler. Im Mittelalter galt er als Handwerker, der den Zünften zuzurechnen war und im Kreis der artes liberales, der an den Schulen und Universitäten gelehrten freien Künste, nichts zu suchen hatte. Mit der Erfindung der Perspektive, mit kunsttheoretischen Traktaten, wie sie Leon Battista Alberti und andere verfassten, wurde die Kunst in den Rang einer Wissenschaft gehoben. Ein so universal begabtes Genie wie Leonardo da Vinci verstand sich eher als Wissenschaftler denn als Künstler. Mit Albrecht Dürer fand dieses moderne Selbstverständnis der Künstler seinen ersten Vertreter nördlich der Alpen. Seine Selbstporträts bringen das neue Selbstbewusstsein beispielhaft zum Ausdruck. In der Skulptur wirkte das gotische Vermächtnis der Gewandstatue lange Zeit stark nach. Dennoch ist auch hier ein Bemühen um immer eindringlichere Wirklichkeitsnähe zu verzeichnen, etwa in den Werken von Claus Sluter. In Konkurrenz zur Malerei tendierte das Relief zum Erzählerischen und übernahm, besonders deutlich bei Lorenzo Ghibertis Bronzetüren für das Florentiner Baptisterium, in der plastischen Durchgestaltung malerische Züge. Einen mächtigen Impuls erhielt die Skulptur aus der Neubesinnung auf die Antike. Hier hatte sie Vorbilder, die der Malerei damals noch fehlten. Die von der Anatomie her korrekt aufgebaute Figur, das Haltungsmotiv des Kontrapostes, die realistische Physiognomie - dies alles sind Neuerungen, die der Florentiner Donatello in die Skulptur einführte. Mit ihm wurden die Aktfigur und das Reiterdenkmal zu zentralen Aufgaben der Bildhauerkunst. Michelangelo schritt auf diesem Weg fort und führte die Skulptur zu einzigartiger Kraft und Monumentalität. 7 ARCHITEKTUR DER RENAISSANCE UND DES BAROCK Nicht minder entscheidend war für die Architektur die Auseinandersetzung mit der Antike. Zusammen mit Donatello vermaß Filippo Brunelleschi in Rom die Ruinen antiker Bauten, um hinter das Geheimnis ihrer Perfektion zu kommen. Mit der Wiederentdeckung der antiken Säulenordnungen wurde ein entscheidender Schritt getan. Zwar hatten sich ihre Motive wie Kapitell und Basis das Mittelalter hindurch erhalten, doch erst die Renaissance realisierte wieder, dass ihre Bildung auf einem Kanon fester Maßverhältnisse beruhte, deren Grundmaß mit dem Säulendurchmesser anschaulich gegeben war. Mit diesem Modul waren alle entscheidenden Abmessungen wie Höhe von Säulenschaft, Kapitell und Basis, Säulenabstand sowie Geschosshöhe bestimmbar. Das Bauwerk ist als Ganzes und in seinen Teilen kommensurabel. Da die Proportionalität der Säulenordnungen analog zu der des Menschen gebildet ist, kann sich der Betrachter zu dem Bau in Beziehung setzen. Wichtig für die Neuentdeckung der Proportionsgesetze der Architektur war auch das Studium der Zehn Bücher über die Architektur von Vitruv, dem einzigen erhaltenen Architekturtraktat der Antike. Nach diesem Vorbild verfasste Leon Battista Alberti um 1450 einen Traktat mit gleichem Titel, das erste und überaus einflussreiche neuzeitliche Werk der Architekturtheorie. Die Architektur, die sich der wieder entdeckten Formsprache bediente, stieg in Italien rasch zu höchster Blüte empor. Die Bauten Donato Bramantes, wie der von ihm begonnene Bau der Peterskirche in Rom, sind als eine Summe der Möglichkeiten der Renaissance-Architektur anzusehen. Den tradierten Bautypen wurden neue Möglichkeiten abgewonnen. Eine besondere Vorliebe hatte die Zeit für den Zentralbau, der dem Ideal von Harmonie und in sich geschlossener Einheit am nächsten kam. Die profanen Bauaufgaben erlebten eine Blüte und reiche Entfaltung. Palast und Villa wurden, nicht zuletzt von Andrea Palladio, zu einer prägnanten und bis in das 19. Jahrhundert hinein vorbildlichen Erscheinung geführt. Die Architektur des Barock entwickelte das System der Säulenordnungen weiter zu einem komplexen Gliederungssystem, mit dem Fassaden von bewegter Monumentalität und komplizierte Raumschöpfungen möglich wurden. In den Werken der Hauptmeister des italienischen Barock, Gian Lorenzo Bernini und Francesco Borromini, wurden diese Möglichkeiten beispielhaft entfaltet. Frankreich verstand seine Architektur des 17. Jahrhunderts nie als ,,barock", sondern bezeichnete sie stets als ,,klassisch". In der Tat wurde in den Bauten, die im Zeitalter Ludwigs XIV. entstanden, auf strenge Regelhaftigkeit geachtet. Die Entwicklung im Deutschen Reich war durch den Dreißigjährigen Krieg erheblich behindert. Mit den Bauten von Johann Bernhard Fischer von Erlach in Wien und Salzburg und den Raumschöpfungen Balthasar Neumanns fand man jedoch ab etwa 1700 den Anschluss und den Weg zu einer eigenen Ausprägung des Barock. 8 DRUCKGRAPHIK ALS NEUES MEDIUM Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, der durch die Renaissance markiert wird, brachte eine revolutionäre Erfindung mit sich, die kaum zu überschätzende Folgen haben sollte: die Erfindung der Druckkunst. Voraussetzung für die neue Technik war die Erfindung des Papiers, das in China schon seit langem bekannt war, das in Europa jedoch erst seit dem späten 14. Jahrhundert hergestellt werden konnte. Um 1400 wurden im süddeutschen Raum erstmals in einen Holzstock geschnittene Bilder abgedruckt, und gut 30 Jahre später entstanden die ersten Kupferstiche. Die Techniken des Bilddrucks waren die Voraussetzung für die Epoche machende Erfindung des Buchdrucks (siehe Drucktechniken). Doch auch für die Kunst begann mit der Möglichkeit der praktisch grenzenlosen Vervielfältigung von Bildern ein neuer Abschnitt. BildErfindungen konnten sich in dem neuen Medium weit rascher über Europa verbreiten. Die Graphik machte den Formenkanon der Antike sehr schnell auch an entlegenen Orten bekannt. Die Graphik war zudem ein Medium, das nur geringe Investitionen erforderte. So konnten die Künstler hier neue Bildideen verwirklichen, für die ihnen in den herkömmlichen Gattungen der Bildkunst nie ein Auftrag erteilt worden wäre. In diesem Medium konnte sich die Kunst frei, von Aufträgen so gut wie unabhängig entfalten. Künstler wie Rembrandt oder Goya sollten diesen Aspekt der Druckgraphik entschieden bestätigen. Die Möglichkeiten der Vervielfältigung von Bildern hatten weit reichende Konsequenzen: Sie konnten zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung eingesetzt werden. Zur Zeit der Reformation bediente man sich auf beiden Seiten dieser Möglichkeiten. Der Streit mit den Bildern war auch ein Streit um die Bilder. Die Reformatoren polemisierten gegen den Missbrauch der Bilder in der katholischen Kirche, zum einen dagegen, dass Bilder als vermeintlich wundertätig angebetet wurden, zum anderen wandten sie sich gegen die Verweltlichung, die sich mit der Renaissance in der Darstellung christlicher Themen ausgebreitet hatte. Für Martin Luther waren die Bilder, für sich genommen, neutral. Er missbilligte ihren falschen Gebrauch, setzte sie aber sehr wohl als didaktisches oder polemisches Mittel ein. Die katholische Gegenreformation suchte den Missbrauch der Bilder einzuschränken und bestätigte die schon auf dem Konzil zu Nikäa gefundene Formel, dass die Verehrung der Bilder nicht diesen gelte, sondern auf deren Urbild übergehe. Zugleich setzte sie die Bilder in ihrer Glaubenspropaganda bewusst im Sinne der antiken Rhetorik ein. Bilder sollen danach erfreuen, belehren und vor allem den Betrachter bewegen. So wurde der Weg zu einer affektgeladenen Pathetik geöffnet, die in der religiösen Kunst des Barock bestimmend sein sollte. 9 MALEREI DES BAROCK Am Anfang der italienischen Barockmalerei standen zwei gegensätzliche Positionen. Die erste, von Annibale Carracci formuliert, knüpfte an die Tradition der Renaissancemalerei eines Raffael an und setze auf das idealisierte Figurenbild. Die Gegenposition stützte sich auf Caravaggio, der die Forderung nach Wirklichkeitswiedergabe radikalisierte und lebenskräftige, oft derb alltäglich wirkende Gestalten darstellte, die durch die kontrastreiche Lichtführung einen dramatischen Akzent erhielten. Auf Caravaggio bezogen, ist von kritischen Zeitgenossen der Begriff des Naturalismus geprägt worden. Caravaggio hat, nicht zuletzt nördlich der Alpen, eine große Zahl von Nachahmern gefunden. Die italienische Barockmalerei allerdings ging bald andere Wege. Im Mittelpunkt der hochbarocken Malerei stand die prächtige, figurenreiche Monumentaldekoration. Ihr erster Meister war Pietro da Cortona. In der kaum zu überschauenden Zahl von Nachfolgern auf diesem Gebiet finden sich Giovanni Battista Gaulli, Luca Giordano oder Giovanni Battista Tiepolo. Eine Sonderstellung hatte Padre Andrea Pozzo, der mit seinem Hauptwerk, den Fresken in S. Ignazio in Rom, sozusagen die Summe aus der nun schon mehr als zweihundertjährigen Geschichte der perspektivischen Darstellung zog. Ganz andere Wege nahm die Entwicklung der Malerei in den protestantischen Ländern, insbesondere in Holland. Hier entfiel die Kirche als Auftraggeber so gut wie ganz. Dafür entwickelte sich um so intensiver ein Kunstmarkt, der vor allem vom Bürgertum getragen wurde. In der Entwicklung der Kunst zur Autonomie wurde damals ein wichtiger Schritt getan. Losgelöst aus traditionellen Zweckbestimmungen, kam es zu einer Ausdifferenzierung der Bildgattungen. Neben dem Porträt, das in den Niederlanden bereits eine gute Tradition hatte, und dem erzählenden Historienbild konnten sich Landschaftsmalerei, Genremalerei und Still-Leben als Gattungen entfalten. Die Künstler wurden zu Spezialisten, die die gewählte Gattung mit höchster Perfektion zu behandeln wussten. Diese Entwicklung hatte ihre Rückwirkung auch auf Italien. Landschaftsmalerei als eigenständige Gattung wurde zuerst von Niederländern und Deutschen dorthin gebracht, um dann von Malern wie Claude Lorrain oder Nicolas Poussin zur Kunst der idealen oder heroischen Landschaftsmalerei erhoben zu werden. Die wachsende Bedeutung autonomer Bildgattungen spiegelt einen Wandel in der Einstellung zur Kunst. Sie wurde seit der Renaissance zunehmend mehr ihres Eigenwertes wegen geschätzt. Kunst wurde zum Sammelobjekt. Die Sammler, aus dem Adel oder dem reichen Bürgertum stammend, blickten genauer auf Qualität und Rang der Werke, die sie erwarben. Die Frage nach dem Autor eines Bildes wurde wichtiger als die Frage nach dem Inhalt der Darstellung. Man interessierte sich nicht nur für das Werk, sondern auch für das Leben der Künstler, und fing an, die Kunst historisch zu betrachten. In diesem Kontext entstand die Kunstgeschichtsschreibung. Ihr wichtigstes frühes Dokument waren die Viten, die Lebensbeschreibungen berühmter Maler, Bildhauer und Architekten, die Giorgio Vasari zuerst 1550 in Florenz erscheinen ließ. Sein Werk wurde zum Vorbild für eine fast endlose Reihe von Sammlungen von Künstlerbiographien. Mit der Kunst als Sammelobjekt waren jedoch ihre traditionellen Zweckbestimmungen nicht aufgehoben worden. Wie die Kirche so bedienten sich auch die Herrscher und die adligen Führungsschichten überall in Europa der Kunst zur Selbstdarstellung und Repräsentation. Am markantesten und effektivsten geschah dies im absolutistischen Frankreich. Kunst wurde hier zu einem vom Staat gelenkten Instrument, das zum einen zugunsten der Wirtschaft im Sinne des Merkantilismus eingesetzt werden konnte, zum anderen aber den Rang des Königs und der französischen Monarchie für alle sichtbar werden lassen konnte. Versailles, das Ludwig XIV. für sich ausstatten ließ, wurde für ganz Europa das Modell höfischer Pracht, die man am Kaiserhof in Wien genauso nachahmte wie an dem kleinen Hof des Fürstbischofs in Würzburg. Die Ausgestaltung zum Gesamtkunstwerk wurde zum höchsten Ziel der künstlerischen Gestaltung. Die Kirchen und Klöster in den katholischen Gegenden wetteiferten damit, besonders in Süddeutschland, wo gegen 1700 endlich die Folgen des Dreißigjährigen Krieges weitgehend überwunden waren. 10 DIE KÜNSTE IM JAHRHUNDERT DER AUFKLÄRUNG Das wirklichkeitsgetreue, kleinformatige Gemälde und der Pomp der Dekoration eines Schlosses oder einer Kirche bildeten die Extreme, zwischen denen sich die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts bewegte. Neben der öffentlich zur Schau gestellten Pracht wurde in der höfischen Kultur des Rokoko auch die Intimität des Privaten gepflegt. Die Widersprüche gaben im Zeitalter der Aufklärung vielfachen Anlass zur Kritik. Gerade in Frankreich hatte die Kunstkritik einen festen Platz erobert. Ludwig XIV. hatte durch seinen Minister Jean-Baptiste Colbert die Akademien der Malerei und Architektur gründen lassen, um die Hofkünstler aus dem Zunftzwang zu lösen und um der Kunstausübung im Sinne ihrer zentralistischen Lenkung Regeln zu geben. Diese Regeln und Normen, die in den Diskussionen der Akademie erarbeitet und veröffentlicht wurden, konnten auch gegen die Instrumentalisierung der Kunst am Hof gekehrt werden, so wie die philosophische Kritik den Hof an den Grundsätzen der Ethik maß. JeanJacques Rousseau kritisierte 1750 in seinem Discours vehement die überfeinerte Kultur seiner Zeit und forderte, die Kunst als Mittel zur moralischen Erziehung einzusetzen. Auftraggeber und Künstler konnten sich in Frankreich und anderwärts nur mühsam umstellen. Maler wie Jean-Baptiste Greuze folgten dem Rat der Philosophen. Am Ende dieser Entwicklung stand jedoch ein anderes Phänomen, nämlich die Funktionalisierung der Kunst zur Bildpropaganda der Revolution und später der napoleonischen Herrschaft, wie sie Jacques-Louis David oder Antoine-Jean Gros betrieben. Doch dies ist nur eine der Entwicklungslinien, die sich durch das 18. Jahrhundert hindurch verfolgen lassen. Eine andere, nicht minder wichtige Tendenz zeigte sich in der Einstellung zur Natur, wie sie in der Geschichte der Gartengestaltung erkennbar wird. Sie beginnt, schon lange bevor Rousseau sein bekanntes Postulat ,,Zurück zur Natur" aufstellte. Im französischen Garten, wie er beispielsweise in Versailles durch André Le Nôtre verwirklicht wurde, war die Geometrisierung der Natur das sichtbare Zeichen ihrer Beherrschung durch den Menschen. Der englische Landschaftsgarten, wie er ab etwa 1700 geschaffen wurde, war Gestaltung ungekünstelter Natur, die sich, wie ein alleine stehender Baum, frei entfalten kann. Die Qualitäten dieser Landschaft, die frei erscheint, aber gleichwohl vom Menschen gestaltet ist, sind das Malerische und das Erhabene. Nachdem mit Gärten wie denen von Stowe (ab 1716) und Stourhead (ab 1741) herausragende Beispiele für die neue Landschaftskunst gegeben worden waren, wurde der englische Garten nach der Jahrhundertmitte überall in Europa nachgeahmt. Der Garten von Wörlitz (ab 1764) ist das älteste deutsche Beispiel. Ein Wandel, der allerdings weniger einschneidend war, vollzog sich im 18. Jahrhundert auch in der Einstellung zur Antike. Seit der Renaissance war der Bezug auf die griechischen und römischen Vorbilder für die Entwicklungen der Kunst, insbesondere der Architektur und Skulptur, konstitutiv gewesen. Man orientierte sich an den antiken Meisterwerken, nicht nur um sie nachzuahmen, sondern um sie zu übertreffen, was, nach dem Urteil der Zeitgenossen, Meistern wie Michelangelo und Bernini auch gelang. Das Verhältnis war also keine einseitige Abhängigkeit. In Diskussionen um die Regeln der Kunst, wie sie in der französischen Akademie geführt wurden, stellte sich die Frage nach der Möglichkeit und Berechtigung eines eigenen, von der Antike unabhängigen Standpunktes. In dem so entbrannten ,,Streit der Antiken und Modernen" schienen die Vertreter der Moderne Oberhand zu behalten, die den Standpunkt vertraten, dass es neben einer überzeitlichen Schönheit auch eine relative, zeitgebundene Schönheit gebe, die darzustellen eine Aufgabe der jeweils aktuellen Kunst sei. Eine neue Sicht auf die Antike brachte Johann Joachim Winckelmann. Er forderte 1755 in einer kleinen Schrift alle Künstler auf, die Griechen nachzuahmen, ,,um selber unnachahmlich zu werden" Winckelmann argumentierte in seinen Schriften, von denen die Geschichte der Kunst des Altertums (1764) die wichtigste ist, mit zwei Zielrichtungen. Im Anschluss an die Tradition des erwähnten französischen Streits trieb er die Historisierung der Kunstbetrachtung voran, indem er die Entwicklung der Kunst von den Ägyptern bis zu den Römern als Stilentwicklung beschrieb und indem er z. B. die These aufstellte, dass die Größe der griechischen Kunst eine wichtige Voraussetzung in der Freiheit der griechischen Stadtstaaten gehabt habe. Andererseits aber diente ihm die Betrachtung der griechischen Kunst dazu, aus ihr ein überzeitliches Ideal abzuleiten. Er stellte die für den Kunstbegriff der nächsten Generationen gültige These auf, dass die Schönheit der ,,Mittelpunkt" und ,,höchste Endzweck" der Kunst sei. Winckelmanns Sicht der Antike wurde ein wesentlicher Anstoß für den Klassizismus, der in den Jahrzehnten um 1800 in der europäischen Kunst dominieren sollte. Der Klassizismus, der Werke schaffen wollte, die frei von aller nationalen Gebundenheit sind, legte den Akzent auf das Ideale, Überzeitliche der Kunst. Unter Berufung auf die Antike beanspruchte die Skulptur die Führungsrolle in den bildenden Künsten. Das Zeichnen nach dem Vorbild der Antiken war an den Akademien die wichtigste Stufe der Ausbildung, und in der Malerei war die plastisch modellierte, monumentale Figur das Ideal, nach dem alle strebten. 11 NEUBEGRÜNDUNG DER ÄSTHETIK IM 18. JAHRHUNDERT Von großer Tragweite war auch die Entwicklung, die die Kunsttheorie im 18. Jahrhundert durchlief. Alexander Gottlieb Baumgarten hatte 1750 die Ästhetik als eine philosophische Disziplin begründet. Schon vorher hatten sich englische Philosophen und Literaten intensiv mit der Kunst und vor allem mit dem Künstler beschäftigt. Die Schaffung eines Kunstwerks ist kein mechanischer Vorgang. Für Lord Shaftesbury ist es der Enthusiasmus, der den Künstler befähigt, seine Werke hervorzubringen, die ihn als einen ,,zweiten Schöpfer" ausweisen. Die Genie-Lehre, die in der Folgezeit entwickelt wurde, relativierte die hergebrachte These, dass das Wesen der Kunst Nachahmung der (schönen) Natur sei. In der Kunstlehre des deutschen Sturm und Drang wurde bekräftigt, dass das Genie niemals nachahmt, sondern aus sich heraus schafft und dass das Entscheidende an seinem Werk nicht das sei, was er darin an Äußerem wiedergibt, sondern was er an Eigenem als ,,Gehalt" hineinlegt. Die Genie-Lehre wurde durch die Ästhetik Immanuel Kants bekräftigt. Er definierte, dass ,,Schöne Kunst" die ,,Kunst des Genies" sei, also nicht nach vorgegebenen äußeren Normen bestimmbar sei. Auch auf die schwierige Frage nach dem unbestreitbaren dauernden Wandel in der Kunst hatte Kant eine Antwort. Dieser Wandel wird durch die Genies herbeigeführt: Durch das Genie gibt die Natur der Kunst die Regeln, denen dann die schwächeren Künstler, die ,,Talente" folgen können. Nach dieser Auffassung konnte es keine dauerhaft gültigen Kunstregeln geben. Diese Argumentation machten sich Künstler zu eigen, um gegen die Regelästhetik und Normensuche der Akademien zu polemisieren. Wer sich selbst als Genie proklamierte, konnte für sich und sein Werk Regelfreiheit beanspruchen. Die Genie-Ästhetik hatte große Bedeutung für die Neuformulierung des Kunstbegriffs am Ende des 18. Jahrhunderts. Die Ästhetik der Aufklärung hatte dem Kunstwerk die Aufgabe zugewiesen, durch die Schönheit seiner Erscheinung oder die Lehren seines Inhaltes auf den Betrachter einzuwirken. Erst indem es diese Wirkung entfaltet, kommt das Kunstwerk zu seinem Ziel. Die junge Generation, unter ihnen Goethe und Schiller, wandte sich vehement gegen diese Auffassung, mit der das Kunstwerk von Zwecken abhängig gemacht wird, die außerhalb von ihm liegen. Das Kunstwerk als Produkt des genialen, schöpferischen Menschen, so postulierten sie, hat seinen Zweck nur in sich selbst. Es ist, wenn es einmal vollendet ist, vollkommen autonom. Es ist überzeitliche Verwirklichung idealer Schönheit. Nur diejenigen Werke, die dieser Grundbedingung entsprechen, können als Werke ,,wahrer Kunst" gelten. Alle Kunst, die konkrete Zwecke verfolgt, die dem religiösen Gebrauch dienen oder schlicht nur belehren wollen, wurde damit aus dem Bereich ,,wahrer Kunst" ausgegrenzt, wie auch alle Kunst, die nur schlicht dekorativ sein will. Damit war ein Dauerthema für die Kunst-,,Kämpfe" des folgenden Jahrhunderts gegeben, denn jeder, der als Künstler ernst genommen werden wollte, musste für sich in Anspruch nehmen, ,,wahre Kunst" zu schaffen. Folglich gab es immer Kritiker, die ihm dieses Recht streitig machten. Andererseits hat der Begriff der ,,wahren Kunst", wie er vor allem von der Weimarer Klassik propagiert wurde, tief greifende Wirkung im Umgang des Publikums mit der Kunst hinterlassen. Werke ,,wahrer Kunst" existieren in einer zeitlosen Region, die weit über jedem Betrachter liegt. Wenn jemand ein solches Werk betrachtet, wird er gleichsam zu diesem emporgehoben und kehrt gleichsam geläutert in seine banale Wirklichkeit zurück. In der Betrachtung der Kunst erscheint, wenn auch nur für eine kurze Dauer, die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit versöhnt. So begriffen, ist Kunstgenuss ein ,,Bildungserlebnis", das den Menschen nachhaltig zu formen vermag. Aus diesem Ideal heraus entstanden im 19. Jahrhundert die Museen als Tempel der Kunst. 12 MALEREI IM FRÜHEN 19. JAHRHUNDERT Beim bürgerlichen Publikum des 19. Jahrhunderts sollte diese Kunstauffassung kaum bestrittene Bedeutung behalten. Die Künstler der nächsten Generationen selbst sahen ihr Tun anders. Das Erlebnis, mit dem sie aufwuchsen, war die Französische Revolution mit ihren einschneidenden Folgen für ganz Europa. Sie reagierten in unterschiedlicher Weise darauf. In Frankreich ist natürlicherweise bis zum Ende des napoleonischen Reichs 1815 kein Bruch festzustellen. Danach allerdings wandten sich die Maler Aufgaben zu, die vorher nur eine geringe Rolle gespielt hatten. Corot und die Maler der Schule von Barbizon widmeten sich der freien Natur in einer Landschaftsmalerei, die die atmosphärischen Stimmungen einzufangen versuchte und die akademischen Regeln der Komposition idealer Landschaften ablehnte. Jean-Louis Géricault malte mit seinem Floß der Medusa (1817-1819) ein Gleichnis der gesellschaftlichen Katastrophe. Das menschliche Drama war auch Thema der wichtigsten Gemälde von Eugène Delacroix, mit denen er sich gegen die Idealisierung in den Werken von David und seiner Schule stellte. Oft flüchtete er sich allerdings auch in literarische Themen oder ferne Regionen. Ganz im Gegensatz dazu erhob Gustave Courbet das Alltagsleben zur Bildwürdigkeit, ohne es zu heroisieren. Seine Steinklopfer (1849) sind Beispiel für einen Realismus, der der Gleichsetzung von Kunst und Schönheit eine Absage erteilte. Die englischen Künstler reagierten kaum auf die Revolutionsereignisse. Von Ausnahmen wie William Blake und dem aus der Schweiz eingewanderten Johann Heinrich Füßli abgesehen, widmeten sie sich bevorzugt den bereits zuvor erfolgreichen Gattungen der Genre- und Porträtmalerei. Die Landschaftsmalerei, die ebenfalls bereits auf eine große Tradition zurückblicken konnte, wurde von John Constable mit seinen naturnahen Ölskizzen, die sensibel alle Stimmungen der Atmosphäre einzufangen wissen, zu einem neuen Höhepunkt geführt. Der radikalste unter allen Landschaftsmalern des Jahrhunderts war William Turner, der die Forderung nach genauer Reproduktion des Gesehenen endgültig durchbrach und so das Licht und die elementaren Gewalten der Natur im Bild erst wirklich erfahrbar machte. Ganz anders reagierten die deutschen Künstler, die die Auswirkungen der französischen Eroberungspolitik unmittelbar zu spüren bekamen. Ihre Lage war schwierig geworden, weil mit dem Zusammenbruch des Reiches und der Säkularisation die wichtigsten Auftraggeber ausgefallen waren. Der Klassizismus, der an den Akademien gelehrt wurde, wurde als eine aus Frankreich importierte Kunst empfunden und deswegen entschieden abgelehnt. In der nationalen Krise suchte man nach nationaler Identität und einer Kunst, die diese zum Ausdruck bringen konnte. Die Krise der Revolution wurde aber auch als eine Krise der Religion empfunden. Die Generation der Romantik hoffte, in der Neubesinnung auf die Religion einen Ausweg aus der geistigen Krise zu finden. Die Briefe Philipp Otto Runges überliefern eine genaue Analyse dieser Situation. Mit der Religionskritik der Aufklärung waren die historischen Religionen fragwürdig geworden. Die Revolution bedeutete den Bruch aller Traditionen. Die Frage war also, wie das Metaphysische, das ungreifbar geworden war, an das er aber gleichwohl glaubte und in dem er Halt suchte, im Kunstwerk darzustellen sei. Die Symbolsprache von Runges Arabesken faszinierte zwar manche, darunter auch Goethe, sie wurde aber von vielen als zu hieroglyphenhaft und unverständlich abgelehnt. Caspar David Friedrich ging einen anderen Weg, um das Metaphysische in seinen Bildern erfahrbar zu machen. In seinen präzise gemalten, aber doch nie genau nach der Natur wiedergegebenen Landschaften findet der Betrachter in der Komposition, in der Ansammlung von Symbolen Hinweise, die seine Aufmerksamkeit auf das zu richten vermögen, was hinter der im Bild dargestellten Wirklichkeit liegt. Bei den Künstlern der katholischen Romantik, den Nazarenern, hatte das historische Denken ausschlaggebendes Gewicht. Sie wollten den Bruch der Revolution mit der Neubegründung der künstlerischen Tradition überwinden und die Infragestellung der Religion mit der Rückkehr zur Tradition der Kirche. Ganz bewusst knüpften sie bei Raffael an, dessen Werk sie als Höhepunkt christlicher Kunst ansahen. Der Erfolg, den sie hatten und der das ganze Jahrhundert hindurch die Rezeption der Werke von Runge und Friedrich überschattete, belegt, dass ihr historischer Blick auf die Kunst der allgemeinen Auffassung entsprach. Die historisierende Betrachtung Winckelmanns hatte sich allmählich doch durchsetzen können. Es war die Zeit der Errichtung der ersten großen Museumsbauten und die Zeit der Etablierung der Kunstgeschichte als einer historisch forschenden Wissenschaft. Nicht die Philosophie, sondern die Geschichte war in den Jahrzehnten um die Mitte des 19. Jahrhunderts die leitende Geisteswissenschaft. 13 ARCHITEKTUR IM ZEICHEN DES HISTORISMUS Es waren nicht nur die Nazarener, deren Suche nach neuen Wegen vom historischen Denken bestimmt war und die ihren eigenen historischen Ort im Rückblick und Rückgriff auf die Kunstgeschichte zu bestimmen suchten. Die allgemeine Hinwendung zum Zeitphänomen Historismus ist am deutlichsten in der Architektur zu sehen. Zwar dominierte zunächst noch in ganz Europa der Klassizismus, der sich auf das antike Vorbild berief, doch ist auch hier nach 1800 historistisches Denken unübersehbar. Karl Friedrich Schinkel, der bedeutendste Vertreter dieser Richtung, legt für Bauten Alternativentwürfe in gotischen und antiken Formen vor. Stil ist gleichsam nur ein Kleid, das einem Bau übergezogen wird. In seinen späten Entwürfen und Schriften entwickelte er die antike Tektonik weiter, um sie den neuen technischen Möglichkeiten und Bauaufgaben anzupassen. Leo von Klenze ging bei seinen Entwürfen von der Bauaufgabe aus und bevorzugte, wenn es sich um Aufgaben handelte, die der Antike unbekannt waren, wie beispielsweise ein Museum für Bilder (,,Pinakothek"), den Entwurf in Formen der italienischen Renaissance. Den Übergang von dem alten, auf der antiken Säulenordnung basierenden System zu einer neuen Architektur markiert in Frankreich die Revolutionsarchitektur. Ihre Meister Claude-Nicolas Ledoux und Etienne-Louis Boullée konnten nur wenige Bauten realisieren, doch haben sie nachhaltig gewirkt mit ihren utopischen Entwürfen für eine ,,sprechende" Architektur, die ihre Funktionen unmittelbar anschaulich werden lässt und die mit ihrer monumentalen Dimension die Menschen winzig erscheinen lassen soll. Die nächste Generation der französischen Architekten war pragmatischer. Großen Erfolg vor allem als Lehrer hatte Jean Nicolas Durand. Er vollzog im Planungsverfahren den Schritt weg vom Modulsystem der Säulenordnungen hin zu einem Rastersystem, das eine Rationalisierung, aber auch Schematisierung der Entwurfsarbeit ermöglichte. In England waren schon im Kontext des Landschaftsgartens Rückgriffe auf die gotische Architektur zu verzeichnen gewesen, als Rückbesinnung auf die nationale Vergangenheit. Die Gotik wurde in der englischen Stildebatte des frühen 19. Jahrhunderts als der Stil herausgestellt, der am besten geeignet ist für große nationale Bauaufgaben, was mit dem Parlamentsgebäude in London demonstriert wurde, und für die sakrale Architektur. Aus der Überlegung, dass ein Stil nichts überzeitlich Gültiges ist, sondern abhängig von Zeit, Ort und Bauaufgabe, wurden in Deutschland ganz unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Auch hier galt die Gotik als nationaler Stil, den Karl Friedrich Schinkel einsetzte, als er nach dem Sieg über Napoleon als Siegesmonument einen ,,Befreiungsdom" entwerfen sollte. Heinrich Hübsch, der 1828 in einer Schrift die programmatische Frage stellte: ,,In welchem Stile sollen wir bauen?", propagierte den ,,Rundbogenstil" als Bauform, die den klimatischen und technischen Bedingungen in Deutschland am angemessensten sei. Dass die Renaissance das einzig richtige Vorbild für das Bauen der Gegenwart sei, versuchte Gottfried Semper mit seinen theoretischen Schriften und seinen viel beachteten Theaterbauten in Dresden und Wien zu belegen. Es gibt wohl keinen Stil der europäischen Architekturgeschichte, der nicht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Zeit der größten Stilvielfalt, nachgeahmt worden wäre. Daneben gab es aber auch zukunftsträchtiges Arbeiten mit neuen Materialien. Joseph Paxton gab mit dem Kristallpalast, den er für die Londoner Weltausstellung 1851 errichtete, ein Epoche machendes Beispiel für Eisen-Glas-Konstruktionen. 14 SKULPTUR IM 19. JAHRHUNDERT Auch in der Skulptur des 19. Jahrhunderts war der Historismus über weite Strecken prägend. Der Klassizismus, der um 1800 noch dominierte, wurde sozusagen von innen heraus überwunden. Nachdem Künstler wie Bertel Thorvaldsen Gelegenheit bekommen hatten, archaische Bildwerke aus Griechenland zu studieren, verwandten sie bald auch diese frühen Stilformen und relativierten so das Postulat der überzeitlichen Gültigkeit des klassischen griechischen Stils. Im Zeichen des Historismus erlebte die Skulptur einen immensen Aufschwung. Das 19. Jahrhundert wurde zum Jahrhundert des Denkmals. Das wachsende historische Bewusstsein förderte das kollektive Erinnern. Nationen und Kommunen suchten ihre Identität und ihre Bedeutung aus ihrer Geschichte abzuleiten und mit Denkmälern zu demonstrieren. Nationaldenkmäler wurden zu einer Aufgabe, für die alle Kräfte mobilisiert wurden. Wenn früher Denkmäler nur für Fürsten errichtet wurden, so war jetzt jeder, der als bedeutende historische Persönlichkeit gelten konnte, prinzipiell denkmalwürdig. Die Städte wetteiferten miteinander, ihre ,,großen Söhne" (nur ganz ausnahmsweise wurden die bedeutenden Frauen gewürdigt) mit Denkmälern zu ehren. Natürlich wurden diese Denkmäler auch zur politischen Demonstration genutzt, wie die Kaiserdenkmäler nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 zeigen, oder die unzähligen Denkmäler, die um 1900 für Otto von Bismarck errichtet wurden. Sosehr die Denkmal-,,Sucht" auch den Bildhauern Arbeit brachte, war sie doch für die Entwicklung der Skulptur ein hemmendes Element, weil die Aufgabe und die Notwendigkeit einer breiten Akzeptanz der Werke auf ein Beharren auf erprobten Stilformen drängten. Der bedeutendste Bildhauer des 19. Jahrhunderts, der den Weg aus den Zwängen wies, in die die historistische Skulptur geraten war, war Auguste Rodin. Der Torso, die fragmentierte oder unvollständig ausgearbeitete Figur, die bewusst skizzenhafte Oberfläche, die auch in den Bronzeguss übernommen wurden, lenkten den Betrachter hin auf die Wahrnehmung der Form. Das Primat der Formbetrachtung ließ die Frage nach dem Inhalt, die bei den Denkmälern stets ganz im Vordergrund stand, völlig nebensächlich erscheinen. 15 MALEREI IM SPÄTEN 19. JAHRHUNDERT Die Malerei des 19. Jahrhunderts stand noch stärker als zuvor im Spannungsfeld von ,,privat" und ,,öffentlich". Der deutschen Romantik war es ein wichtiges Anliegen, die Kunst aus der mühsam errungenen Autonomie, die sie für eine Fehlentwicklung hielt, zu befreien und zurückzuführen in die Bedingtheit, in den Dienst für das religiöse und öffentliche Leben. Peter Cornelius proklamierte 1814 die Wiedereinführung der Freskomalerei, weil sie wie keine andere Form der Malerei geeignet sei, öffentlich zu wirken. Die Resonanz war sehr groß. Es gibt wohl kaum ein Land in Europa, das im 19. Jahrhundert nicht seine öffentlichen Bauten mit Fresken ausgeschmückt hätte. Wie in den Denkmälern wurden in diesen Wandbildern Geschichte und Selbstbewusstsein der Regierungen und Kommunen zur Anschauung gebracht. Eine Krise dieser öffentlichen Malerei entwickelte sich aus dem Widerspruch zwischen den Forderungen an die Kunst, ihre Gegenstände den Normen des Schönen entsprechend, also idealisierend, zu behandeln, und der Forderung nach möglichst genauer Wiedergabe der historischen Wirklichkeit. Wie das Denkmal erwies sich dieser Kunstzweig als wenig entwicklungsfähig. Dass der ,,Kunstwert" der öffentlichen Malerei in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zunehmend in Zweifel gezogen wurde, hatte seinen Grund auch in der geradezu rasanten Entwicklung des Tafelbildes und der Ölmalerei. Auch hier gab es das Gegenüber von ,,öffentlich" und ,,privat", von großem Historienbild und kleinem Gemälde, das für den Kunstfreund und Sammler bestimmt war, das nicht selten auch vom Künstler ohne jeden Gedanken an einen späteren Abnehmer geschaffen worden war. Symptomatisch ist die Entwicklung der Ölskizze. Die wie eine flüchtige Zeichnung hingeworfene farbige Skizze diente anfangs ausschließlich der Werkvorbereitung. Sie wurde bald schon begehrtes Sammlerobjekt, geschätzt wegen ihrer spontanen, individuellen Handschrift. Im 18. Jahrhundert begannen die Künstler, Ölskizzen vor der Natur anzufertigen, um den unmittelbaren Eindruck, die Stimmung einer Landschaft einzufangen. In der weiteren Entwicklung wurde dann die Landschaftsskizze als Kunstwerk eigenen Rechts angesehen und geschätzt. Sie wurde zum wichtigsten Ausdrucksmittel der Strömungen in der Malerei, die in Auflehnung gegen die idealistische Malerei der Romantik und gegen die offizielle Historienmalerei in der Wiedergabe der sichtbaren Wirklichkeit die wichtigste Aufgabe der Kunst sahen. Parallel dazu stieg auch die ehemals als niedrig angesehene Gattung der Genremalerei in der Wertschätzung des Publikums. Fasziniert waren Künstler und Publikum um die Jahrhundertmitte auch von exotischen Motiven. Die so genannte Orientmalerei wurde ein überaus erfolgreicher Kunstzweig. Als erfolgreich galt der Künstler, der zu den offiziellen Ausstellungen der Akademien oder dem ,,Salon" in Paris zugelassen wurde. Dies gelang in der Regel nur dem, der sich den Normen der offiziellen Kunst beugte oder zumindest erhebliche Kompromisse machte. Damit war ein starkes retardierendes bzw. beharrendes Moment gegeben. Die entscheidenden Entwicklungen fanden außerhalb der ,,Salonkunst" statt. Ein wichtiger Faktor, der die Entwicklung vorantrieb, war das Bestreben, sich von der ,,Inhaltskunst" in der Tradition des erzählerischen Historienbildes abzusetzen. Ein entscheidender Schritt war auch, sich von dem Grundsatz zu befreien, dass ,,Schönheit" die eigentliche Aufgabe der Kunst sei. Künstler des Realismus und Naturalismus wollten die Wirklichkeit so wiedergeben, wie sie sich ihnen zeigte. Sie suchten in der Natur nicht mehr schöne, ,,malerische" Motive, sondern ihnen war prinzipiell jedes Stück der Alltagswirklichkeit darstellenswert. Sie kamen immer mehr zur Überzeugung, dass es nicht so sehr darauf ankommt, was dargestellt wird, sondern vielmehr nur darauf, wie es dargestellt wird. Das Schlagwort L'art pour l'art sollte diese Einstellung rechtfertigen. Der Impressionismus zog die Konsequenzen aus den verschiedenen fortschrittlichen Tendenzen der Malerei. Die Maler bedienten sich auch bei ihren großformatigen Gemälden der Alla-prima-Malerei der Ölskizze. Mit einer betont individuellen, spontanen Handschrift sollte der subjektive Eindruck festgehalten werden. Ein Kunstwerk ist ,,ein Stück Schöpfung, von einem starken Temperament gesehen", hatte der Dichter Émile Zola geschrieben. Das Temperament, der Künstler waren wichtiger als der in der Natur gefundene Bildgegenstand. Ein so ganz unspektakuläres Motiv wie Heuhocken wurde von Claude Monet in einer ganzen Serie von Gemälden festgehalten, um die unterschiedlichen Wirkungen des Lichtes zu verschiedenen Tageszeiten zu studieren. 16 DIE KUNST ZU BEGINN DES 20. JAHRHUNDERTS Die Kunst des 20. Jahrhunderts brachte radikal neue Erscheinungen. Gleichwohl war sie tief in der Tradition verwurzelt und nur aus der Auseinandersetzung mit den Kunstauffassungen des vorangegangenen Jahrhunderts zu verstehen. Ein Grundphänomen des Jahrhunderts war die Ausweitung und Entgrenzung tradierter Kunstfelder. Dies wird zum Beispiel deutlich, wenn man auf die Entdeckung neuer Medien blickt. Am Anfang stand die Photographie, die ihre Erfindung dem Bemühen verdankt, die Wirklichkeit so genau wie möglich wiederzugeben. Dieses neue Medium entwickelte sich in seinen Anfangszeiten parallel zur Malerei und wurde auch von ,,konventionellen" Künstlern intensiv genutzt. Ein Entwicklungssprung erfolgte mit der Erfindung des Films, mit dem die Grenzen zum Theater fließend wurden und mit dem das Erzählen als traditionelle Aufgabe der Bildkünste obsolet wurde. Der Historienfilm lief dem Historienbild den Rang ab. Zugleich wurde mit diesem Medium die Dimension der Zeit erobert, die nach der klassischen Definition Lessings den Bildkünsten grundsätzlich nicht eigen sein sollte. Die weitere Entwicklung der Bildherstellung und Bildverarbeitung zur Videotechnik und zur Computerkunst brachte eine ständige Ausweitung der Möglichkeiten einer auf Technik basierenden Darstellung, die mit ihren Möglichkeiten zur Bildmanipulation den ursprünglichen Objektivitätsanspruch der Photographie weit hinter sich gelassen hat. Grenzüberschreitung war auch in den traditionellen Gattungen ein Grundphänomen des 20. Jahrhunderts. Mit dem Kubismus wurden die Grenzen zwischen Malerei und Relief oder Skulptur fließend. In dem Verfahren der Collage kann jedes Material, jeder Gegenstand zum Darstellungsmittel werden, der als reiner Farb- und Formwert wahrgenommen werden soll oder auch als ironisch gebrochenes Bild seiner selbst. Da jeder Gegenstand zum Symbol werden und über das Bildwerk hinausweisen kann, sind die Aussagemöglichkeiten, die sich bei diesem Verfahren im Umgang mit der Wirklichkeit eröffnen, praktisch unbegrenzt. Das Spannungsverhältnis von Kunst und Wirklichkeit steht im Zentrum wohl aller künstlerischen Bemühungen der Moderne. Dabei wurden geradezu entgegengesetzte Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Der frühe Expressionismus war radikal antizivilisatorisch und richtete seinen Lebensentwurf gegen die existierende bürgerliche Gesellschaft. Die in ihm vorgetragene Sehnsucht nach Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit von Mensch und Natur war ein Thema, das sich bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen lässt und das unter den Gründungsvätern der Moderne am kompromisslosesten von Paul Gauguin verwirklicht worden ist. Ihm wie seinen Nachfolgern ging es nicht nur darum, Kunstwerke zu schaffen, die diese Botschaft der Rückkehr in die Ursprünglichkeit vermitteln, sondern das Leben selbst wird als Kunstwerk gesehen, das zu gestalten ist. Die Kunst greift so in die Wirklichkeit aus und will sie nach ihrem Weltentwurf umformen. Eine grundsätzlich andere Einstellung hatte der Futurismus. Er wandte sich in seinen seit 1910 publizierten Manifesten mit revolutionärem Pathos gegen jede Tradition, wollte alle Museen und Bibliotheken abschaffen und die Kunst in die Gegenwart des modernen Lebens einpflanzen. Fortschrittsoptimismus war die Grundstimmung, und euphorisch wurden die Errungenschaften der Technik in den futuristischen Werken gefeiert. An die Stelle der Naturästhetik, aus der heraus traditionell das Kunstschöne definiert wurde, wurde eine Ästhetik der Technik gesetzt, deren höchster Wert die Dynamik, die Schönheit der Geschwindigkeit, sein sollte. Von der Technikeuphorie führte der Weg zur Kriegsverherrlichung und weiter in eine kompromittierende Nähe zum Faschismus. Eine ganz andere Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit fanden jene, die mit aller Entschiedenheit an der Autonomie des Kunstwerks festhielten. Paul Cézanne hatte mit seinem malerischen Werk die Position vertreten, dass Kunst Schöpfung parallel zur Natur sei. Er wollte mit der Realisation seiner Werke dem flüchtigen Eindruck der Natur ,,das Erhabene der Dauer" verleihen. An Cézanne schlossen sich die Begründer des Kubismus Georges Braque und Pablo Picasso an. In der Reduktion der Erscheinungen auf geometrische Grundformen, in der Wiedergabe des Gegenstandes im gleichzeitigen Nebeneinander verschiedener Perspektiven wollten sich die Kubisten von der Tradition der Naturnachahmung lösen, um mit einer betont emotionslosen, konstruierenden Darstellung dem Wesen der Objekte näher zu kommen. Der Weg des Kubismus führte von der analytischen Destruktion der Gegenstände zu ihrer synthetischen Neuerschaffung im Bild. Ein anderer Weg der Moderne, der ebenfalls vom Axiom der Autonomie des Kunstwerks ausging, führte in die Abstraktion. Die Nachahmung der Natur, dieses alte Axiom der Kunsttheorie, war auch für die frühe Moderne noch gültig. Wassily Kandinsky löste sich davon in seinen Werken um 1910 schrittweise und suchte nach Möglichkeiten, mit seiner Malerei geistige Wirklichkeiten zum Ausdruck zu bringen. Er orientierte sich dabei auch an der Musik, für die schon Jahrzehnte zuvor der Begriff der ,,absoluten Musik" geprägt und die Abkehr von jeder Naturnachahmung gefordert worden war. Farben und Formen waren für Kandinsky Klänge, die eine psychische Wirkung haben. Damit wurde der Weg zu einer Entwicklung der Malerei eröffnet, in der im Laufe des Jahrhunderts alle Möglichkeiten der ästhetischen Wirkung von Farben und Formen durchgespielt wurden, vom bewegten Ausdruck der scheinbar spontan hingeworfenen, von jeder Formerinnerung freien Farben über die strenge Konstruktion von Farbe und Form bis hin zum reinen Klang der puren Farbe im monochromen Bild eines Yves Klein oder Barnett Newman. Der Begriff der Kunst, der hinter Kandinskys Verabschiedung der Mimesis stand, war allerdings immer noch derjenige des 19. Jahrhunderts. Auch die abstrakte Kunst nahm für sich in Anspruch, ,,wahre" Kunst zu sein, einen Bereich zu bilden, der von Alltagswirklichkeit zu trennen ist und in gewissem Sinne über ihr steht. Auch an dem traditionellen Anspruch der Kunst, mit den Werken wahre und gültige Aussagen zu machen, wurde festgehalten. Gegen diesen Kunstbegriff, den man als ,,ontologischen" Kunstbegriff bezeichnen kann, weil er der Kunst ein eigenes, letztlich metaphysisch begründetes Sein zuschreibt, revoltierte ab 1914 Marcel Duchamp, indem er Gegenstände der Alltagswirklichkeit wie ein Urinoir oder einen Flaschentrockner signierte und zu Kunstausstellungen einreichte. Mit diesen Ready-mades wurde demonstriert, dass der Kunstcharakter den Werken nicht wesensmäßig eigen ist, sondern von der Einstellung der Rezipienten abhängig ist, dass er von ihnen in das Objekt hineingelegt wird, wobei die Rezeptionsumstände, wie ein Museum oder eine Ausstellung sie bieten, eine entscheidende lenkende Funktion haben. Duchamps provokativer Akt war für die weitere Entwicklung der Moderne von ausschlaggebender Bedeutung, auch wenn seine Konsequenzen erst in der zweiten Jahrhunderthälfte wirklich zum Tragen kamen. 17 KUNST NACH DEM 1. WELTKRIEG In der grundsätzlichen Frage des Verhältnisses von Kunst und Wirklichkeit ist nach dem 1. Weltkrieg eine Zuspitzung auf zwei gegensätzliche Weltentwürfe zu registrieren. Der Dadaismus, ein Kunstwort für eine Richtung, die 1916 in Zürich gegründet wurde, sah die Welt als ein unerschöpfliches Chaos, in dem die Kunst aufgehen sollte. Verbindliche Normen wurden nicht mehr akzeptiert. Man weigerte sich, in der Kunst noch Sinnschöpfung zu sehen. Die ,,Antikunst" der Dadaisten versuchte, mit dem Prinzip des Zufalls Werke zu schaffen, die in ihrer gewollten Unordnung dem Chaos der Welt entsprechen. Gegenpol zum Dadaismus war der Konstruktivismus, der seine bedeutendsten Vertreter in Sowjetrussland und in der holländischen Bewegung des Stijl fand. Piet Mondrian, der wichtigste Künstler des Stijl und des Konstruktivismus überhaupt, wollte in der Kunst die Dualität von Geist und Materie, von Universalem und Individuellem auflösen. Seine Bilder sollen auf der Basis von exakten, mathematisch berechneten Proportionen Harmonie anschaulich machen. Die eingesetzten Mittel sollen nur sich selbst darstellen. Mit der Beschränkung auf klar bestimmte Farben und Formen sollte alles Individuelle überwunden werden. Mondrian hoffte, mit seiner Kunst zum Verstehen des ,,Gesamtgesetzes der Weltkomposition" vordringen zu können. Im theoretischen Entwurf des ,,Stijl" war eine Gesellschaftsutopie enthalten. Die Gesellschaft sollte letztlich nach den Gesetzen der Kunst gestaltet werden. Mit der Wirklichkeit sollte auch der Mensch neu gestaltet werden, wobei, wie die Theorie Mondrians belegt, die Individualität etwas war, was überwunden werden musste. Dass darin eine fatale Affinität zu totalitären Gesellschaftsentwürfen enthalten war, wird im sowjetischen Konstruktivismus unmittelbar greifbar. Die Gegenposition dazu war die Radikalisierung der Subjektivität, die ihre Argumente aus der Psychoanalyse beziehen konnte. Sigmund Freud hatte die entscheidende Bedeutung des Unbewussten für Denken und Handeln erkannt. Vom Surrealismus, der sich aus dem Dadaismus heraus entwickelte, wurde die Gestaltung aus dem Unbewussten zum Programm gemacht. Die Hintergründigkeit der Dinge hatten schon Giorgio de Chirico und die italienische Richtung der ,,Pittura Metafisica" zum Thema ihrer Bilder gemacht. Bei Surrealisten wie Max Ernst und Salvador Dalí waren die alogischen Assoziationen, die die von der Vernunft nicht gezügelte Phantasie in die Gegenstände hineinprojiziert, ein wichtiges Mittel, um die Betrachter in der Selbstverständlichkeit und Sicherheit, mit der sie der Wirklichkeit gegenübertreten, nachhaltig zu irritieren. Die Weiterentwicklung der extremen Vielfalt künstlerischer Ansätze und Theorien, die in den zwanziger Jahren nebeneinander bestanden, wurde durch die Machtstellung der totalitären Staaten behindert. Den Künstlern in den kommunistischen Ländern wurde der sozialistische Realismus verordnet, in dem die Bestrebungen einer kritischen Kunst, wie sie sich bei Otto Dix oder George Grosz finden lassen, zur Staatspropaganda verkamen. In den faschistischen Staaten wurde der Rückgriff auf den Klassizismus favorisiert, der mit seinem impliziten Anspruch überzeitlicher Gültigkeit und seiner Idealität dem Selbstverständnis der Herrscher und ihrer Ideologie die historische Weihe verleihen sollte. Die Moderne mit ihrem Subjektivismus, der Negation des Kunstbegriffs und aller Regeln, wurde als ein Gefahrenpotential empfunden und als Entartete Kunst gebrandmarkt. Mit dieser Ausgrenzungsaktion wurde der klassische Begriff der ,,wahren Kunst", den der Faschismus damit für seine Kunst in Anspruch nahm, endgültig kompromittiert. 18 DIE ARCHITEKTUR ZWISCHEN DEN WELTKRIEGEN Die Entwicklung der Architektur der Moderne war nicht ganz so vielgestaltig und widersprüchlich. Am Anfang stand die Auflehnung gegen den Historismus, der in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts überall in Europa in Blüte stand. Der erste Schritt war die Abwendung vom historisierenden Ornament. In den Bauten und Gebrauchsgegenständen des Jugendstils wurde das organische, am Pflanzlichen orientierte Ornament und mit ihm die weich fließende Linie zum wichtigsten Gestaltungsmittel. Der Erfolg des Jugendstils war enorm und provozierte bald schon die radikale Gegenbewegung, die völlige Ablehnung des Ornamentes in der Architektur, für die sich als erster Adolf Loos in Wien einsetzte. Von Amerika her, wo der Architekt Louis Henri Sullivan 1894 das Postulat ,,form follows function" aufgestellt hatte, erhielt die Forderung nach Funktionalität des Bauens immer größeres Gewicht. Auch die ständig wachsende Bedeutung der industriellen Fertigung von Bauteilen und die Durchsetzung von neuen Baumaterialien wie dem Stahlbeton verlangte nach einem Umdenken. Die Konsequenzen daraus wurden am entschiedensten am 1919 gegründeten Bauhaus in Weimar (ab 1925 in Dessau) gezogen. Erster Leiter war der Architekt Walter Gropius. Ziel der Lehre am Bauhaus war die Synthese von Kunst und Technik. Mit Entwürfen für die industrielle Serienanfertigung von Gebrauchsgegenständen, aber auch mit Entwürfen, wie den von Gropius geplanten Bauten in Dessau, wurde das Bauhaus international wegweisend. Die Bestrebungen des Bauhauses berührten sich, was die Architektur betrifft, eng mit denen der niederländischen ,,Stijl"Bewegung. Der wohl einflussreichste Architekt des Jahrhunderts war Le Corbusier, der seine Entwurfsarbeit mit zahlreichen Schriften begleitete, die zusammen eine umfassende Theorie der modernen Architektur bilden. In der modernen Stahlbetonkonstruktion erkannte Le Corbusier die Möglichkeit, Tragekonstruktion und Grundrissgestaltung voneinander zu trennen und so zu einer freien, funktionsgerechten Gestaltung von Grundriss und Fassaden zu kommen. Statik und Geometrie sind für ihn Grundlagen der Konstruktion. Für die Planung entwarf er ein Maßstabsverfahren, von ihm ,,Modulor" genannt, das auf den Durchschnittsmaßen des Menschen basierte und so den Zusammenhang von Mensch und Bau garantieren sollte. Für den Wohnbau prägte er das Schlagwort von der ,,Wohnmaschine". Er hatte jedoch nicht nur das Funktionelle des Bauens zum Ziel, sondern sah in der Architektur immer auch ein soziales Element. Die Architektur sollte einen Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft leisten. In dieser Hinsicht trafen sich die Absichten Le Corbusiers mit denen des Stijl und der Konstruktivisten. Von sozialreformerischer Absicht waren auch Le Corbusiers Ideen zum Städtebau getragen. Mit dem rapiden Anwachsen der Städte im 19. Jahrhundert hatten mit den Problemen der Versorgung, der Hygiene und des Verkehrs auch die sozialen Probleme zugenommen und die traditionelle Stadtplanung in eine tiefe Krise gestürzt. Ein seit dem Ausgang des Jahrhunderts propagierter Ausweg war die Gartenstadt, ein Planungsgedanke, der nach dem Krieg zur Idee der Trabantenstadt modifiziert wurde. Durch Dezentralisation sollten die Stadtkerne entlastet werden. Mit dem Problem der Neuplanung der Stadtzentren befasste sich Le Corbusier 1925 in einem Plan für die Umgestaltung von Paris. Nach dem Vorbild der amerikanischen Städte sollte das Grundrissraster durch breite Straßen gebildet werden. Der Verkehr und die wirtschaftliche Funktion sollten die Stadt bestimmen, Bürotürme sollten das Stadtbild prägen. Die Auflösung verwinkelter Wohnbezirke sollte ein Beitrag zur sozialen Hygiene sein. Die Pläne lösten heftige Kontroversen aus. Nach dem 2. Weltkrieg wurden Neuplanungen auf der Grundlage der Ideen Le Corbusiers realisiert, zum Beispiel in Rotterdam. Rückblickend wird man einräumen müssen, dass das Konzept der ,,Wohnmaschine" und die städtebaulichen Ideen in ihren sozialpolitischen Zielen utopisch waren und gescheitert sind, nicht zuletzt deswegen, weil sie über das natürliche Bedürfnis des Menschen nach freier Entfaltung seiner Individualität hinweggingen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat auch sensibel gemacht für die Wirkung und Bedeutung der Dimensionen in der Architektur. Der Mensch erfährt Architektur immer im Verhältnis zu sich selbst, und die Eindrücke, die er aufnimmt, werden in seinem Selbstgefühl verarbeitet. Architektur, die überschaubare Maße hat, bietet Vertrautheit und Geborgenheit, während überdimensioniert große Bauten abweisend, unwirtlich und erdrückend wirken. Die Architektur der totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts arbeitete stets mit dieser Wirkung. In den Entwürfen für das nationalsozialistische Parteitagsgelände in Nürnberg oder in den gigantischen Planungen Hitlers für den Wiederaufbau Berlins traten die klassizistischen Formen mit ihrem Ewigkeitsanspruch in Dimensionen auf, die den einzelnen Menschen winzig erscheinen lassen sollten. Die Architektur übernahm die Menschen verachtende Grundeinstellung ihrer Erbauer (siehe nationalsozialitische Architektur). 19 DIE KUNST NACH DEM 2. WELTKRIEG Die bildenden Künste erlebten nach dem 2. Weltkrieg einen einzigartigen Aufschwung. Das Interesse an der Kunst der Gegenwart war größer als je zuvor. Die technischen Entwicklungen, die Reisemöglichkeiten wie die publizistischen Medien sorgten für große Mobilität und einen hohen Kenntnisstand des Publikums. Die entscheidenden Impulse für die künstlerische Entwicklung kamen aus Frankreich und den USA. Die ,,École de Paris" wurde zu einem Begriff für eine ungegenständliche Kunst. Die Pariser Maler des Informel, zu denen Künstler wie Nicolas de Staël, Alfred Manessier oder Serge Poliakoff gehörten, schufen Bilder, die, ganz in der Tradition des ,,L'art pour l'art" stehend, mit dem Anspruch entstanden, mit dem Klang von Farbe und Form Schönheit sichtbar zu machen, eine Schönheit, die der rauen Wirklichkeit frei gegenübersteht. Die amerikanische Kunst nach 1945 entstand in der zunehmend dezidiert vertretenen Abwendung von Europa. Die erste eigenständige Kunstrichtung war die des Action Painting, deren Hauptvertreter Jackson Pollock war. Nicht das Werk, das für die herkömmliche europäische Ästhetik immer im Vordergrund stand, ist entscheidend, sondern der Akt des Erschaffens. Ein Gemälde Pollocks erfordert eine andere Art der Rezeption als traditionell üblich, denn der Betrachter soll, indem er den schwungvollen Farblinien folgt, die sich zu einem dichten Geflecht übereinanderlegen, den Akt der Entstehung des Bildes nachvollziehen. Die Aktivität des Betrachters spielt auch in den nachfolgenden amerikanischen Kunstrichtungen eine ganz entscheidende Rolle. Die Bilder eines Mark Rothko oder eines Barnett Newman erwarten vom Betrachter eine schon als meditativ zu bezeichnende Versenkung, ohne die die Wirkung der großen, scheinbar einfachen Farbflächen nicht in ihrer Mehrschichtigkeit zu fassen ist. Die geometrisch strengen Raumkästen eines Donald Judd, die der Minimal Art zugerechnet werden, sind eigentlich nur noch Auslöser für die Reflexionen des Betrachters über seine eigene Wahrnehmung von Gegenstand und Raum. Die Kunst wurde in allen diesen Richtungen als eigenständiger Bereich der Wirklichkeit verstanden, von einem einzelnen Subjekt für einzelne Betrachterindividuen geschaffen. Die autonome Kunst konnte ihre politische Inanspruchnahme nicht verhindern. Während des Kalten Krieges wurde die ungegenständliche Kunst, die in den westlichen Staaten als die fortschrittliche Kunst der Gegenwart proklamiert wurde, dem sozialistischen Realismus der Ostblockstaaten gegenübergestellt als Symbol der Freiheit des Westens. Die weitere Entwicklung war, wenn auch nicht ausschließlich, eine Reaktion gegen diese Vereinnahmung. Gegen das idealisierende Konzept einer elitären Hochkunst, gegen das Axiom einer von allen Niederungen des Alltags abgegrenzten ,,wahren" Kunst richtete sich die Pop-Art, deren Anfänge sich um die Mitte der fünfziger Jahre regten. Die Pop-Art-Künstler wollten die Trennung der Kunst von der blühenden Massenkultur nicht mehr akzeptieren. An die Tradition der Dada-Bewegung anknüpfend, überschritten sie die immer noch weithin gültigen Grenzen der Gattungen. Materialbilder, wie Robert Rauschenberg sie schuf, die beeindruckenden Environments von Edward Kienholz, surreal gestaltete Räume, in die der Betrachter hineingezogen wird, die Happenings, Kunst-Aktionen, in denen der Betrachter zum Mitwirkenden wird, trugen das Ihre zu der Strategie der Entgrenzung bei. Wenn Andy Warhol ein Massenprodukt wie eine Suppendose zum Kunstwerk erklärte oder das Foto eines Massenidols wie Marilyn Monroe farbig verfremdet reproduzierte und massenhaft vervielfältigte, so gab es keine Grenzen zwischen Kunst und Alltagskultur mehr. Aufgehoben war auch die mit dem alten Kunstbegriff verbundene Annahme, dass der Künstler sein Werk eigenhändig schaffen müsse. In der Factory Warhols wurde arbeitsteilig produziert wie in einem Industriebetrieb. Das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit, eines der zentralen Probleme der Kunst des Jahrhunderts, wurde in eine Gleichung aufgelöst: Kunst wird Wirklichkeit, und Wirklichkeit wird Kunst. Dieses Ausgreifen der Kunst in die Wirklichkeit brachte in den sechziger Jahren die Rückkehr sozialutopischer Entwürfe, wie das Werk Joseph Beuys' zeigt. Hinter seinen Aktionen oder seinem Eintreten für ,,direkte Demokratie" steht die Forderung, dass Politik durch Ästhetik ersetzt werden solle. Beuys prägte für sein Werk den Begriff der ,,sozialen Plastik", womit gesagt werden sollte, dass sich seine Arbeiten auf den Menschen beziehen, seine Kreativität bewusst machen und erwecken sollen mit dem utopischen Ziel, dass sich die Kunst in der allgemeinen Kreativität der Gesellschaft auflösen werde. Mit seinem Postulat ,,jeder ist ein Künstler" wird diese Idee des Aufgehens der Kunst in der Wirklichkeit ausgesprochen. Widersprüchlich bleibt allerdings, dass das Schaffen von Beuys und vor allem die Rezeption seines Werkes ganz in der Traditionslinie der Genie-Lehre steht. Die Kunstrezeption in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist voller Widersprüche. In der Auflehnung gegen die traditionell gesetzten Grenzen der Kunst und ihrer Gattungen wurde in den sechziger Jahren der ,,Tod des Tafelbildes" proklamiert, doch das vermeintlich völlig überholte Medium kehrte in den siebziger und achtziger Jahren mit überaus erfolgreichen Strömungen zurück, in Deutschland z. B. um 1980 mit einer neoexpressionistischen Richtung. Die Videokunst könnte zwar als modernes Medium angeführt werden, das mit für den Rückzug traditioneller Medien verantwortlich war, doch kann auch diese technisierte Kunstrichtung sich dem Betrachter nur über Bilder vermitteln. In Anknüpfung an den Futurismus lehnten sich die Künstler der sechziger Jahre gegen die Musealisierung der Kunst auf. Mit den Kunst-Aktionen der Happenings sollte die Kunst in das Leben getragen werden. Die Forderungen des Kunstmarktes und der Auftrag der Museen, die Geschichte der Gegenwartskunst zu dokumentieren, führten dann aber doch dazu, dass Dokumentationen angefertigt und Materialien der Aktionen wie Reliquien gesammelt und ausgestellt wurden. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Moderne die Auflehnung gegen die Tradition. Die Kunst der Vergangenheit wurde als Ballast empfunden, den man abzuwerfen trachtete und den man trotzdem in den Konzepten, teilweise notgedrungen, weitertrug. Die Moderne definierte sich immer von der jeweiligen Avantgarde her, die jedoch für die folgende Avantgarde bereits wieder Kunstgeschichte war. Ein wichtiger Faktor in der Entwicklung war immer das negative Verhältnis zu den Vorgängern, das SichAbsetzen von den Themen und Techniken, die sie bevorzugten. Ob mit positivem oder negativem Vorzeichen, das künstlerische Arbeiten war immer auch ein Arbeiten mit der Tradition. Dieser Blick zurück erlangte in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zunehmende Bedeutung. Es ist ein ständiges Anwachsen von Werken zu registrieren, die ihre Aussage daraus beziehen, dass sie überlieferte Werke der Kunst zitieren, wie dies beispielsweise in vielen Werken von Roy Lichtenstein der Fall ist, oder die sich wie die großformatigen Collagen von Anselm Kiefer explizit auf bestimmte, von der Gegenwart als kritisch empfundene Bereich der Kulturgeschichte oder allgemeinen Geschichte beziehen. Die Evokation von Assoziationen an Vergangenes steht im Zentrum der Wirkungsabsicht dieser Werke. 20 SKULPTUR IM 20. JAHRHUNDERT Die Situation der Skulptur war im 20. Jahrhundert problematisch. Dass die Denkmal-,,Wut" der vorangehenden Generationen beim Publikum zu einem gewissen Überdruss führte, war dabei nur ein nebensächliches Problem. Zentral war dagegen, dass die Bindung dieser Gattung an das tradierte Postulat der Naturnachahmung besonders eng war, nicht zuletzt durch die entscheidende Prägung, die dieser Kunstzweig wiederholt durch die Antike erfahren hatte. Gegenstand der Skulptur war an erster Stelle die menschliche Figur. Alle anderen möglichen Themen folgten in weitem Abstand. Es gab vereinzelte Versuche nichtmimetischer Skulptur im Umkreis des Kubismus, beispielsweise von Alexander Archipenko oder Rudolf Belling, und im Futurismus, beispielsweise von Umberto Boccioni. Die Erinnerung an die Figur blieb aber bei den meisten dieser Ansätze erhalten. Eine konsequente Befreiung vom Mimetischen gelang der konstruktivistischen Skulptur mit den Arbeiten von Antoine Pevsner und Naum Gabo. Wie in den anderen Kunstrichtungen haben die totalitären Staaten eine Rückkehr zu einer klassizistischen Form und damit zu einer betont heroischen Figur durchgesetzt. Auch nach dem 2. Weltkrieg spielte das Figürliche in der Plastik noch eine große Rolle, jedoch nicht nur bei der konventionellen Gestaltung öffentlicher Denkmäler oder Brunnen. Ossip Zadkine zeigte mit seiner 1953 in Rotterdam aufgestellten Monumentalskulptur Die zerstörte Stadt, welche Ausdruckwerte aus der kubistischen Aufbrechung der Figur zu gewinnen sind. Verfremdung der Proportionen und extrem kleinteilig bewegte Oberfläche waren die wichtigsten Gestaltungsmittel in den figürlichen Plastiken von Alberto Giacometti. Den wohl wichtigsten Beitrag zur Lösung der Skulptur aus den Zwängen der Naturnachahmung leistete nach 1945 Henry Moore. Vom Figürlichen herkommend, gelangte er schließlich zu Lösungen, die das Bildwerk als eine eigenständige, quasiorganische Form behandeln, in denen das Verhältnis von körperhaftem Volumen und Raum eine große Rolle spielt. Eine wichtige Tendenz der Skulptur des 20. Jahrhunderts zielte auf die Überwindung des Statischen. Alexander Calder schuf mit seinen Mobiles Werke, in denen die unaufhörliche Bewegung, das Verschieben der Formen gegeneinander, ein reizvoll anzusehendes Spiel ist. Das Verhältnis von Maschine und Skulptur ist ein Thema, das verschiedentlich aufgegriffen wurde. Jean Tinguely verarbeitete mit seinen zumeist aus vorgefundenen Teilen zusammengesetzten Kunstmaschinen ironisch die Maschinenkultur der Moderne. Ein weiteres Thema war die Ausweitung der Skulptur in den Raum. Die traditionelle Skulptur erlebt der Betrachter immer als ein Gegenüber, das er bestenfalls umschreiten kann. Gemäß der generellen Tendenz zur Entgrenzung gab es immer wieder Ansätze, Skulptur zur Raumgestaltung auszuweiten, begehbare Plastiken zu schaffen, wie im Werk von Richard Serra, der mit Konstellationen von einfachen Formen, wie aufeinander zulaufenden riesigen Stahlplatten, Gebilde schafft, die den Raum, in dem sich der Betrachter bewegt, im wörtlichen Sinne einschneidend prägen und ihn, wie bei den Werken der Minimal Art, zu einer reflektierenden Betrachtung motivieren. Die Auseinandersetzung mit dem Raum ist zentrales Motiv in den so genannten Installationen, der gattungsübergreifenden Gestaltung von Räumen, die zu einem besonders beliebten Thema der Kunst des ausgehenden 20. Jahrhunderts wurde. Die Skulptur eroberte im 20. Jahrhundert ein weites Spektrum von Möglichkeiten, dessen Breite erst sichtbar werden würde, wenn auch die neue Fülle der verwendeten Materialien in die Betrachtung mit einbezogen würde. Dennoch ist immer wieder eine Rückkehr zum Figürlichen zu registrieren, vor allem bei Bildwerken, die im öffentlichen Auftrag entstehen. Obwohl die gegenstandslose Kunst eine eigene Traditionslinie bildet, hat es die Kunst immer noch sehr schwer, jenseits des Mimetischen oder Figürlichen klar definierte Aussagen zu übermitteln. Dies wird vor allem bei Denkmälern ein Problem, einem Bereich, wo es auf die Aussage ankommt. Der Streit um Denkmäler wurde zu einer schon fast selbstverständlichen Begleiterscheinung der heutigen demokratisierten Entscheidungsprozesse. 21 ARCHITEKTUR NACH 1945 In der Architektur konnte man nach dem 2. Weltkrieg den Siegeszug der Moderne verfolgen. Die Lehren der zwanziger Jahre wurden mit größter Breitenwirkung aufgegriffen. Das Bauhaus und Le Corbusier wurden die wichtigsten Vorbilder der jungen Architektengeneration. Die Kriegszerstörungen gaben breiten Raum für neue Planungen. Zwar wurde dort, wo historische Baudenkmäler den städtebaulichen Kontext prägten, bevorzugt restauriert, und wo dies nicht möglich war, in angepasster, gemäßigter Moderne gebaut, doch wo freie Entscheidung möglich war, wurden Beton und Glas die wichtigsten Baumaterialien. Leichtigkeit der Bauglieder und das den Raum erfüllende Licht spiegeln den Fortschrittsoptimismus der Aufbauzeit. Die Ideen des Funktionalismus wurden konsequent weitergeführt. Der Verzicht auf alles, was als überflüssig erachtet wurde, wurde als Programm am konsequentesten im Brutalismus umgesetzt, dessen wichtigstes Gestaltungsmittel die wuchtigen Formen des Betons war. Auch hier gab es seit den siebziger Jahren eine Gegenbewegung, die die einseitige Betonung der Funktion kritisierte und zu einem freien, spielerischen Umgang mit den Formen zurückkehrte. Das Zitieren historischer Formen wurde zu einem Kennzeichen der Architektur der achtziger Jahre, die als Architektur der Postmoderne etikettiert wurde. Gegen die Forderung nach klaren, einfachen Formen und nach Materialgerechtigkeit, wie sie im Bauhaus erhoben worden war, wurde jetzt ein Spiel mit möglichst unterschiedlichen Formen und zur Verkleidung verwendeten Materialien gesetzt. Das Bauwerk sollte als ,,Individuum" erscheinen. Man kam zu der Aufassung, der Pluralismus der Gesellschaft dürfe sich auch im Pluralismus der Stile spiegeln. Zu den Sozialutopien der ,,Väter der modernen Architektur" ging man auf Distanz. Im Rückblick auf die ,,runden" Daten der Vergangenheit spricht man gerne von Zeitenwenden und sucht in der Zeit um das Jahr 1000 oder 1500 nach Ereignissen, an denen Umbrüche abzulesen sind. Das Jahr 2000 hingegen markiert in der Kunstgeschichte keinen Wendepunkt. Das 20. Jahrhundert als Ganzes war jedoch ein kontinuierlicher, vielfältig differenzierter Prozess des Umbruchs, in dem tradierte Grundlagen der Kunst aufgegeben und neue Bereiche erobert wurden. Auch wenn der Begriff der Kunst dabei seine festen Konturen verloren hat, bleibt doch die Kunst ein wesentliches Medium, in dem die Gesellschaft über sich und ihre Wirklichkeit reflektiert, ein Medium, das entscheidend zur Selbstgestaltung dieser Gesellschaft beiträgt. Verfasst von: Frank Büttner Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

« Die Formen für eine angemessene Verbildlichung christlicher Lehren mussten erst noch gefunden werden.

Eine besondere Rolle sollte dabei der Buchmalerei zukommen.

DieVoraussetzung für ihre Entwicklung war im 4.

Jahrhundert die Ablösung der Schriftrolle durch den Kodex, der heute noch geläufigen Buchform, bei dem die Seiten zwischenden Buchdeckeln flach bleiben und so eine Bemalung mit dicker aufgetragenen Pigmenten ermöglichen.

Die bedeutendsten frühen Buchmalereien, z.

B.

die Wiener Genesis , stammen aus dem 6.

Jahrhundert.

Sie entstanden größtenteils in Byzanz (Konstantinopel), das als Hauptstadt des römischen Ostreiches um so mehr an Bedeutung gewann,je stärker das Westreich in der Völkerwanderungszeit unter Druck geriet.

Seine erste Blütezeit erlebte die byzantinische Kunst im 6.

Jahrhundert zur Zeit Justinians.

DieKreuzkuppelkirche, für die die zerstörte Apostelkirche das wichtigste Beispiel war, und der von einer Kuppel bekrönte Zentralbau, wie er in der Hagia Sophia realisiertwurde, entstanden als neue Prototypen des Sakralbaus. Die byzantinische Kunst, die Architektur und vor allem die Mosaikkunst wirkten auch auf den Westen zurück, wie am besten die zumeist im 6.

Jahrhundert geschaffenenWerke in Ravenna belegen können. In das 6.

Jahrhundert fallen auch die Anfänge der Ikone.

Ihre Wurzeln sind im antiken Kaiserkult zu suchen, in dem die Verehrung des Kaiserbildnisses eine wichtige Rollespielte.

Sehr früh schon wurden Legenden gebildet, die von der überwirklichen Herkunft der Bilder von Jesus Christus und Maria berichtet und ihren Gebrauch legitimierensollten.

Die Widersprüche im christlichen Bilderkult waren unübersehbar.

Nach wie vor wurde zur Zerstörung der heidnischen Götzenbilder aufgefordert.

Auf der anderenSeite konnte der Verstoß gegen das biblische Bilderverbot nur mühsam mit der Inkarnation Christi begründet werden: Weil Christus in seiner doppelten Natur Gott und auchMensch gewesen sei, dürfe und könne er als Mensch auch abgebildet werden.

Dass vom Volksglauben wichtigen Ikonen magische Kräfte zugesprochen wurden, widersprachsolchen Begründungen.

Die Auseinandersetzungen in der Bilderfrage, die auch handfeste politische Hintergründe hatten, eskalierten im frühen 8.

Jahrhundert zu blutigenBilderstürmen (Ikonoklasmen).

Durch einen auf dem Konzil zu Nikäa 787 gefundenen Kompromiss konnten sie nur vorübergehend beruhigt werden.

Erst Mitte des9.

Jahrhunderts konnte der Ikonoklasmus mit dem Sieg der Orthodoxie beigelegt werden.

Er wurde mit der präzisen Festlegung bestimmter erlaubter Darstellungstypenerkauft, die wiederum in der folgenden Zeit eine Entwicklung der byzantinischen Malerei, die der westlichen Entwicklung vergleichbar gewesen wäre, unmöglich gemachthat.

Eine gewisse Parallele besteht hier zur Einstellung des Judentums und des Islam, wo das von der religiösen Orthodoxie beharrlich festgehaltene Verbot der figürlichenDarstellung eine Entwicklung nur auf Gebieten wie dem Ornament zugelassen hat. 4 ARCHITEKTUR DES MITTELALTERS Im Westen entstand nach der Völkerwanderungszeit das Frankenreich als neues Machtzentrum.

Mit der Christianisierung Mittel- und Westeuropas drangen auch die in Italienund Byzanz ausgebildeten Architekturtypen und Kunstformen vor.

Karl der Große betrieb, um seinen Herrschaftsanspruch zu demonstrieren, eine systematischeKunstpolitik, deren bedeutendstes Zeugnis die nach dem Vorbild von San Vitale in Ravenna errichtete Pfalzkapelle in Aachen ist.

Auch die Buchmalerei wurde an seinem Hofmit bedeutenden Ergebnissen gepflegt. In der sakralen Architektur des frühen Mittelalters spielte die Krypta als Ort des sich immer weiter ausbreitenden Reliquienkultes eine besondere Rolle, wobei sich an derWende vom 9.

zum 10.

Jahrhundert zunächst in Italien, dann in Deutschland die Hallenkrypta herausbildete, die der am weitesten verbreitete Kryptentypus werden sollte.Der Typus der Basilika wurde systematisch weiterentwickelt.

Westwerk, ausgeschiedene Vierung und gebundenes System waren wichtige Errungenschaften.

Von besondererBedeutung war die Weiterentwicklung des Gewölbebaus.

Obwohl monumentale Gewölbe als Kuppeln oder Kreuzgratgewölbe in Rom gebräuchlich gewesen waren, hatte manbei den Basiliken auf ein Gewölbe verzichtet.

Nachdem man zunächst mit der Einwölbung von Seitenschiffen Erfahrungen gesammelt hatte, wagte man sich erst nach 1000an Mittelschiffsgewölbe, wobei man in Frankreich zunächst bevorzugt das Tonnengewölbe wählte, in Deutschland hingegen, erstmals nach 1180 beim Umbau des Doms zuSpeyer unter Heinrich IV., das Kreuzgratgewölbe.

Erst jetzt konnten Grundriss, Wandaufriss und Raumabschluss zu einem einheitlichen System zusammengefügt werden,das sich als ausgesprochen entwicklungsfähig erwies.

Die „Romanik”, wie sie seit dem 19.

Jahrhundert genannt wird, konnte damit zum ersten Stil werden, der sich überdas ganze christliche Europa ausbreitete und zugleich regional deutlich unterscheidbare Varianten ausbildete.

Die Ausbreitung der Mönchsorden und die zunehmend bessereVerbindung der Klöster untereinander haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Während die Romanik im Deutschen Reich das ganze 12.

Jahrhundert in Blüte stand, wurde sie in Frankreich schon um die Jahrhundertmitte zum gotischen Systemweiterentwickelt.

Die erheblich verbesserten Kenntnisse von Konstruktion und Statik, denen schon kurz vor 1100 die Erfindung des Rippengewölbes zu verdanken war,machten es möglich, die tragende Wand, die in der Romanik den Bau entscheidend prägte, weitgehend aufzulösen und durch ein kompliziertes System von Pfeilern,Gewölben und Strebebögen zu ersetzten.

Ein scheinbar nebensächlicher, aber doch wesentlicher Schritt war die Umstellung der Steinbearbeitung.

Im romanischen Bauwurde jeder Stein gleich nach der Bearbeitung versetzt.

Jede Steinlage hatte ihre eigene Höhe.

Bei dieser Verfahrensweise musste die Arbeit im Winter weitgehend ruhen.Um 1140 ging man zu einer systematischen Planung über, die eine Fertigung der Steine auf Vorrat ermöglichte, so dass der Baufortgang im Sommer sehr viel schnellerwerden konnte.

Die weitgehende Öffnung der Wand zwischen den Pfeilern und ihren Diensten gab der Entwicklung des Maßwerks und der Glasmalerei weiten Raum, die jetztzu einzigartiger Blüte emporwuchsen. Das Ursprungsland der Gotik ist die Île de France, das Kronland der französischen Monarchie.

Die Entstehung der Gotik spiegelte die neue Macht der Monarchie und istzugleich Dokument einer Volksbewegung, die freilich von Monarchie und Kirche gelenkt wurde.

Die Kathedrale ist mit dem Kosmos ihrer Bilderwelt Ausdruck des Weltbildesihrer Zeit und zugleich Demonstration eines Machtanspruches.

Die Konkurrenz der Städte und Machtzentren untereinander war ein wichtiges Motiv für die Ausbreitung desneuen Stils.

Sie verlief in den verschiedenen Regionen unterschiedlich.

England hat die Gotik recht schnell übernommen und zu eigenständigem Reichtum entfaltet.

InDeutschland setzte die Rezeption der Gotik erst nach 1200 ein.

Ein Hindernis war für einige Regionen, dass dieses System für den Bau mit Hausteinen entwickelt wordenwar.

In den niederdeutschen Gegenden, in denen es an diesem Material fehlte, wurde die Variante der so genannten Backsteingotik entwickelt.

Dieses Materialproblembestand auch in einigen Regionen Italiens, wo die Widerstände gegen den neuen Stil erheblich waren, so dass es eine eigentliche Kathedralgotik nur ausnahmsweise gabund die Zisterzienser und die Bettelorden als wichtigste Träger das gotische System erheblich modifizierten. Die erhaltenen Bauten vermitteln von der Gotik heute nur ein einseitiges Bild, weil es in erster Linie die Kathedralen sind, die die Zeiten überdauert haben, während profaneBauten wie Schlösser und Paläste, Rathäuser und kleinere Bauten nur in geringem Umfang erhalten sind.

Gleichwohl spielten auch sie eine wichtige Rolle, und dieerhaltenen Monumente können zeigen, dass das gotische System der Wand- und Raumgestaltung sehr flexibel war. 5 BILDKÜNSTE DES MITTELALTERS Für die Lehrer der christlichen Kirche waren die antiken Skulpturen Inbegriff verdammungswürdiger Götzenbilder.

Von daher hatte die Bildhauerkunst im Mittelalterzunächst einen schwierigen Stand.

Sie fand anfangs nur im kleinen Maßstab und in Zusammenhang mit kultischen Gegenständen Verwendung.

Das Reliquiar und dasAltarkreuz waren die wichtigsten Aufgaben für den Bildhauer.

Die Tradition des Elfenbeinreliefs, die Byzanz aus Rom übernommen hatte, wurde mit besonderer Intensitätgepflegt.

Eines der ganz wenigen Beispiele der Großplastik aus der Zeit vor der Jahrtausendwende ist das Gero-Kreuz im Kölner Dom.

Ein wichtiges Betätigungsfeld für denBildhauer wurde mit der Wiederbelebung der Technik des Bronzegusses eröffnet.

Die Bronzetüren und die Bronzesäule im Hildesheimer Dom, um 1015 von BischofBernward gestiftet, waren Auftakt zu einer bedeutenden Reihe von ähnlichen Bildwerken.

Im Zusammenhang mit der Entwicklung der romanischen Architektur wurde auchder Bauskulptur zunehmend größerer Raum zugestanden.

Das 12.

Jahrhundert brachte die erste große Blüte, insbesondere an den Pilgerwegen nach Santiago deCompostela, die Ende des 11.

Jahrhunderts im Zuge der Rückeroberung Spaniens eröffnet worden waren.

Das Portal wurde in der französischen Romanik zum wichtigstenAnbringungsort plastischer Bildwerke.

Das gotische System erweiterte die Möglichkeiten noch, so dass in den großen Kathedralen an den Portalen und ihrem Gewände einumfangreiches und theologisch tiefsinniges Figurenprogramm ausgebreitet werden konnte.

Auch dieser Zweig gotischer Kunst griff bald nach England und Deutschland über.Italien ging auch hier eigene Wege.

Wenn überhaupt der gotische Portaltypus übernommen wurde, dann in sehr reduziertem Umfang.

Zum wichtigsten Ort sakraler Skulpturwurde hier die Kanzel, wie die Werke von Nicola und Giovanni Pisano in Pisa und Siena bezeugen.. »

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