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Nikolaus von Kues: Die belehrte Unwissenheit - Anthologie.

Publié le 17/06/2013

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Nikolaus von Kues: Die belehrte Unwissenheit - Anthologie. In seiner Schrift De docta ignorantia (1440) entwarf Nikolaus von Kues ein Modell des Christlichen, das sich an der Spannung aus göttlicher Unendlichkeit und der Beschränkung menschlicher Erkenntnis orientierte. Der folgende Auszug behandelt die Frage, auf welche Art und Weise Wissen Nichtwissen bedeutet. Nikolaus von Kues: Die belehrte Unwissenheit Wir werden gewahr, daß durch göttliches Geschenk allen Dingen ein natürliches Verlangen innewohnt, auf die bestmögliche Weise, zu der eines jeden Natur die Voraussetzungen in sich birgt, zu sein; sie besitzen geeignete Mittel, um auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Von diesen entspricht die angeborene Urteilskraft dem, was zu erkennen vorgegeben ist, damit Streben und Verlangen nicht vergebens seien, sondern im geliebten Drang der eigenen Natur die Ruhe erreichen können. Wenn dies vielleicht anders ist, dann notwendigerweise durch äußeren Einfluß, wenn Schwäche den Geschmack oder irrige Meinung das Denkvermögen verführt. Darum sagen wir, daß der gesunde und freie Geist das Wahre, das er in unstillbarem Streben, alles durchforschend, zu erreichen verlangt, in liebender Umarmung ergreift und erkennt; und wir zweifeln nicht, daß das wirklich Wahre jenes ist, dem kein gesunder Geist widersprechen kann. Alle, die etwas untersuchen, beurteilen das Ungewisse im Vergleich und gemäß seinem Verhältnis zu einem als gewiß Vorausgesetzten; also ist jede Untersuchung ein Vergleich, der sich eines Verhältnisses als Mittel bedient, so daß, wenn das zu Erforschende durch nahestehende, verhältnisbezügliche Rückführung mit dem Vorausgesetzten verglichen werden kann, das begreifende Urteil leicht ist. Wenn wir viele Zwischenglieder notwendig haben, stellen sich Schwierigkeit und Mühe ein. Dies ist von der Mathematik her bekannt, wo sich die ersten Sätze leichter auf die ursprünglichen völlig bekannten Prinzipien zurückführen lassen, die späteren aber schwieriger, da dies nur durch die Vermittlung der ersten möglich ist. Alles Untersuchen besteht also in einer leichten oder schwierigen vergleichenden Verhältnisbeziehung. Deshalb ist das Unendliche als Unendliches, da es sich jeder Verhältnisbeziehung entzieht, unbekannt. Da die Verhältnisbeziehung in einem bestimmten Punkt zugleich Übereinstimmung und Anderssein aussagt, kann sie ohne Zahl nicht verstanden werden. Die Zahl schließt also jeden möglichen Verhältnisbezug ein; sie ist folglich nicht nur in der Quantität, die den Verhältnisbezug bewirkt, sondern in allem, was irgendwie an Grundsätzlichem oder von außen Hinzukommendem übereinstimmen oder sich unterscheiden kann. Daher kam wohl Pythagoras zu dem Urteil, daß alles durch die Kraft der Zahlen geordnet und erkannt werde. Dennoch überschreitet vollkommene Genauigkeit der Verbindungen in körperlichen Dingen und eine völlig entsprechende Anpassung des Bekannten an das Unbekannte den menschlichen Verstand so sehr, daß es Sokrates schien, er wisse nichts, außer, daß er nichts wisse, während der weise Salomon versicherte, daß alle Dinge schwierig und in der Sprache nicht ausdrückbar seien. Und ein anderer, von göttlichem Geist erfüllter Mann sagt, daß die Weisheit und der Ort der Einsicht den Augen aller Lebendigen verborgen sei. Wenn dies sich also so verhält (und das versichert auch der tiefgründige Aristoteles in der ,,Ersten Philosophie": in der Natur bereite uns auch das Offenkundigste die größten Schwierigkeiten, gleich einer Eule, welche die Sonne zu sehen versucht), dann sehnen wir uns - da Drang und Verlangen in uns nicht vergeblich sind - danach, zu wissen, daß wir nicht wissen. Können wir das in seiner Fülle erreichen, so erreichen wir die wissende Unwissenheit. Denn nichts käme dem Menschen, auch dem gelehrtesten, in vollkommenerer Weise zu, als in der Unwissenheit selbst, die ihm eigentümlich ist, höchst weise erfunden zu werden; und je weiser einer ist, um so mehr wird er um seine Unwissenheit wissen. Um dieses Zieles willen habe ich die Mühe auf mich genommen, einiges wenige über die wissende Unwissenheit zu schreiben. Rolf Günter Renner: Klassiker deutschen Denkens. Band 1: Vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. Freiburg i. Br., Basel, Wien 1992, S. 79-81 Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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