Schellings Verbindung mit den Junghegelianern
Publié le 22/02/2012
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Der vielseitige Angriff auf Hegels System durch die Junghegelianer
wurde begünstigt vom alten Schelling, der 1841 in Berlin seine letzte
Philosophie vortrug. Unter den Zuhörern befanden sich so verschiedene
Zeitgenossen wie Kierkegaard, Bakunin, F. Engels und Burck-
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hardt.320 Die Polemik, mit der Schelling seine »positive« Philosophie
eröffnete, richtete sich gegen Hegels Ontologie als eine bloß »negative
«, welche nur das mögliche Sein begreife, aber nicht auch das wirklich
Seiende, das dem Denken zuvorkommt. Mit diesem letzten Ereignis
in der Geschichte der klassischen deutschen Philosophie beginnt
die »Existenzphilosophie«, welche Marx und Kierkegaard auf dem
Standpunkt der Äußerlichkeit und der Innerlichkeit gegen Hegel entwickelt
haben.
Der Terminus »existentia« war ursprünglich ein scholastischer Gegenbegriff
zur »essentia« oder Wesenheit. Die Unterscheidung betraf innerhalb
der christlichen Philosophie des Mittelalters jedes von Gott
geschaffene Sein, nicht aber Gott selbst. Für dessen Sein galt, daß es
wesentlich auch existiert, weil zu seinem Wesen die Vollkommenheit
und zu dieser die Existenz gehört. Nur in Gott sind Wesenheit und
Existenz miteinander da oder eins. Dies zu demonstrieren war die
Aufgabe des »ontologischen« Gottesbeweises des Anselm von Canterbury,
und in seinem Sinn haben noch Descartes, Spinoza, Leibniz und
Wolff argumentiert. Erst Kants Kritik hat ihn grundsätzlich zu widerlegen
versucht, weil sich aus einem »Begriff« dessen »Dasein« nicht
ausklauben lasse. Dem Begriff nach seien 100 wirkliche und 100 mögliche
Taler nicht unterscheidbar; was sie unterscheide — das Positive
der »Existenz« — liege außerhalb ihres Was-seins oder ihrer essentia.
Diese kritische Trennung von dem was etwas ist und daß es überhaupt
»ist«, hat Hegel wiederum aufgehoben. Das »Wirkliche« definiert
seine Logik als die »unmittelbar gewordene Einheit des Wesens und
der Existenz oder des Innern und des Äußeren«. Was also nach älterer
Auffassung nur das Sein Gottes kennzeichnet, das gilt nach Hegel für
alles Seiende, das »wahrhaft« oder im »emphatischen« Sinne eine
Wirklichkeit ist. Denn es sei »trivial«, der Wirklichkeit wie etwas
bloß Äußerlichem das Wesen wie etwas bloß Innerliches entgegenzusetzen.
Vielmehr sei die »Idee« oder der »Begriff« als das wesentliche
Sein auch das schlechthin Wirkende und Wirkliche. Im Gegensatz zu
dieser Ineinssetzung von Wesen und Existenz hat Schelling wieder auf
die Unterscheidung einer »positiven« und »negativen« Philosophie
gedrungen, aber nicht um auf Kant zurück, sondern um über Hegel
hinauszugehen.321
Schellings existenzphilosophische Wendung gegen Hegels »rationale«
Philosophie ist schon lange vor der Philosophie der Mythologie und
Offenbarung in der Vorrede zu einer Schrift von Cousin322 (1834)
und in den Münchner Vorlesungen zur Geschichte der neueren Philo-
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sophie323 zum Ausdruck gekommen, aber erst nach den Berliner Vorträgen
in zahlreichen Schriften öffentlich diskutiert worden.324 Die
Motive seiner Kritik begegnen insgesamt auch bei Feuerbach und Rüge,
Marx und Kierkegaard, sowie bei Trendelenburg, auf dessen Hegelkritik
Kierkegaard des öftern verweist.325
Schelling vermißt in Hegels logischer Ontologie die Begründung des
dialektischen Fortschritts und des Übergangs von der Idee zur Natur.
Das reine Denken kann es zu keiner wahren Bewegung und zu keiner
lebendigen Auffassung der Wirklichkeit bringen, weil der gewollten
Voraussetzungslosigkeit seiner immanenten Bewegung das Empirische
fehlt. Die Synthese des »Werdens« aus dem reinen Sein und dem
Nichts ist ein Schein. Aus sich heraus-, zu etwas über- und in sich
zurückgehen, oder sich gar zur Natur entlassen kann niemals das
»Abstraktum eines Abstraktums«, wie es das reine und leere Sein ist,
sondern nur wirklich Seiendes, das positiv ist.326 Die weitere Bestimmung
des Seins im dialektischen Fortgang des Werdens ist Hegel nur
möglich, weil es ein inhaltsvolleres Sein schon gibt und weil der denkende
Geist selbst schon ein solches ist. Was den Fortgang der Hegelschen
Logik unbewußt leitet, ist sein terminus ad quem: die wirkliche
Welt, bei der die Wissenschaft ankommen soll und deren Anschauung327
schon im voraus gesetzt ist. Ohne ihre Unterschiebung würde
das Hegelsche Sein unerfüllt liegen bleiben als das, was es ist, nämlich
nichts.328 Das erste und höchste Sein ist schon selbst ein bestimmtes
Sein, und sei es auch nur als Gedanke eines seienden Subjekts, welches
denkt.329 Hegels Vernunftphilosophie will aber das Sein ohne ein
Seiendes, ihr Idealismus ist »absolut«, sofern er die Frage nach der
positiven Existenz gar nicht aufnimmt. Hegel hat dieses a priori
Empirische und darum auch Zufällige330 dadurch hinweggeschafft,
daß er an die Stelle des Lebendigen und Wirklichen den logischen
Begriff gesetzt hat, den er auf die seltsamste Weise hypostasiert,
indem er ihm eine Selbstbewegung zuschreibt, die er nicht hat. Sowie
das System den schweren Schritt aus dem Negativen der Existenz,
d. i. dem bloß Logischen, in die Wirklichkeit331 macht, reißt der
Faden der dialektischen Bewegung gänzlich ab und es bleibt ein
»breiter garstiger Graben« zwischen dem Was- und dem Daß-sein.
»Eine zweite Hypothese wird nötig, nämlich, daß es der Idee, man
weiß nicht warum? wenn es nicht ist, um die Langeweile ihres bloß
logischen Seins zu unterbrechen, beigeht, oder einfällt, sich in ihre
Momente auseinanderfallen zu lassen, womit die Natur entstehen
soll.« 332
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Die erste Voraussetzung der angeblich gar nichts im voraus setzenden
Philosophie333 ist also, daß der rein logische Begriff die Natur hat,
von selbst sich gleichsam überzustürzen, um dann wieder in sich
selber zurückzuschlagen und also von dem Begriff etwas zu sagen,
was sich nur von einem Lebendigen denken läßt. Die zweite Fiktion
ist das Abbrechen der Idee von sich selbst, um sich zur Natur zu
entschließen, womit das vorn abgewiesene Empirische durch die
Hintertür des Sich-untreu-Werdens der Idee wieder eintritt. Was
Hegel faktisch beweist, ist nur, daß man mit dem rein Rationalen
an die Wirklichkeit nicht herankommt. Seine Lehre vom Sein begreift
nur das »nicht nicht zu Denkende«, das »Unvordenkliche«,
Negativ-Allgemeine des Seins, ohne welches nichts ist, aber nicht das
wodurch irgend etwas ist, das wahrhaft Positiv-Seiende, welches das
Negative in sich hat.334 Um die Philosophie auf diesen positiven
Standpunkt zu heben, muß man das Seiende wollen, »das ist oder
existiert«, wogegen Hegel das bloß Seiende — diese höchste Spitze
aller logischen Begriffe - als das reine Sein setzt, das in der Tat
»Nichts« ist, nämlich so wie die Weiße ohne Weißes nicht ist.335
Durch diese Unterscheidung des negativen Seins der Wesenheit und
des positiv Seienden der Existenz steht der Philosophie noch eine
letzte große Umänderung bevor, welche einerseits eine positive Erklärung
der Wirklichkeit geben wird, ohne daß andrerseits der Vernunft
ihr Vorrecht entzogen wird, im Besitz des absoluten Prius
»selbst der Gottheit« zu sein.336
Hegels Begriff von Gott ist dagegen ein und dasselbe mit der Schöpferkraft
des Begriffs, dessen bloß rationale Natur er bestritt.337 Infolgedessen
mußten sich aus der Popularisierung seiner Ideen die
pantheistisch-atheistischen Konsequenzen seiner Schüler ergeben. Faßt
man nämlich das Absolute nicht als geschichtliche Existenz, sondern
als einen dem Begriff immanenten Prozeß, dann wird das Wissen,
welches der Mensch von Gott hat, zum einzigen, das auch Gott von
sich selbst hat.338 Damit sei wohl »die tiefste Note der Leutseligkeit«
für dieses System erreicht, und man könne sich nicht wundern, daß es
im »großen Publikum« seine Anhänger fand; wenngleich man annehmen
könne, daß dieses Breittreten seiner Gedanken Hegel selbst wenig
Vergnügen gemacht hätte. Dies alles schreibe sich indessen von dem
einen Mißgriff her, daß logische Verhältnisse in wirkliche umgesetzt
wurden.339
Noch radikaler hat Schelling in der Einleitung zu seinen Berliner Vorlesungen
den Ansatz mit der »Existenz« formuliert. Die positive
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Philosophie gehe nicht wie die negativ-rationale vom Denken zum
Sein sondern vom »geradezu Sein« zum Denken. Ihr Denken ist ein
freies weil wollendes Denken und ihr System ein »apriorischer Empirismus
«, dessen Ausgang das »Blindseiende« oder »geradezu Existierende
« ist. Der wahre Weg des philosophierenden Menschen und selbst
Gottes ist: sich vom blindlings vorgefundenen Sein, dem »Ekstatischen
«, zu sich selbst zu befreien, sich »loszureißen« zur Selbständigkeit
gegenüber dem blind Existierenden, das für seine Existenz »nicht
dafür kann« und das »zufällig Notwendige« ist. »Die ganze Welt ist
dieses aufgehobene, unvordenkliche blind Existierende.« 340 Vom Hegelschen
Standpunkt aus konnte Marheineke mit Recht daran die
Bemerkung knüpfen, Schelling bestätige eigentlich Feuerbachs Theologie,
seitdem ihm »so geringfügige Kategorien« wie »eigentlich« und
»uneigentlich« schon genügten!
Das Problem des Seins ist in der Gegenbewegung zu Hegel schon bei
Schelling an jenen Punkt gelangt, wo es Heidegger wieder aufnahm.
Denn wer könnte leugnen, daß die »Faktizität« des Daseins, welche
im factum brutum des Daß-Seins liegt,341 daß »Geworfenheit« und
»Entwurf« dem »geradezu Existierenden« und der »Losreißung« von
diesem notwendigen Zufall entsprechen? Der Unterschied zu Schelling
besteht aber darin, daß Heidegger auf Kierkegaards Basis ein
»System des Daseins« errichtet, dem die Schellingsche Spannung zwischen
der negativen und positiven Philosophie der »Vernunft« und der
»Existenz« fehlt. Das allgemeine »Wesen« des Da-seins liegt für ihn
nur und geradezu in der je eigenen »Existenz«,342 die sich in ihrem
Woher und Wohin verhüllt bleibt und schlechthin »zu sein« hat,
indem sie die Unschuld des Daseins - das nichts-dafür-können - als
»Schuld« übernimmt. Das Hegelsche »Sein«, welches für Schelling ein
bloßes »Seinkönnen« im Sinne der Möglichkeit war und der Wirklichkeit
gegenüber bleibt, dieses Seinkönnen wird bei Heidegger zu
einer ontologischen Bestimmung gerade der wirklichen Existenz.343
Daß Hegels Ontologie der unmittelbare Bezug auf die wirkliche Existenz
und die Anschauung fehle, war nicht nur die Meinung von
Schelling, sondern auch die der Junghegelianer. Seiner Behauptung,
daß Hegel das Reale nur »affektiere« und es in eine »Wüste des
Seins« verwandle, entsprechen die Kritiken von Feuerbach, Marx und
Kierkegaard, der Schelling gegen Hegel verteidigt, weil er doch
immerhin den Versuch gemacht habe, die Selbstreflexion des Denkens
zum Stillstand zu bringen.344 Mit Recht konnte deshalb Schelling
behaupten, es sei überflüssig gewesen, die Hegelsche Philosophie ihm
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gegenüber in Schutz zu nehmen. Denn auch diejenigen, welche sich
gegen ihn Hegels annahmen, »taten es zum Teil wenigstens nicht
etwa, um sich der positiven Philosophie zu widersetzen, im Gegenteil,
sie selbst wollten auch etwas der Art; nur waren sie der Meinung,
diese positive Philosophie müsse auf dem Grund des Hegelschen
Systems aufgebaut werden und lasse sich auf keinem andern aufbauen,
dem Hegeischen System fehle weiter nichts, als daß sie es ins Positive
fortsetzten, dies, meinten sie, könne in einem steten Fortgange, ohne
Unterbrechung und ohne alle Umkehrung geschehen.«345 Diesem Versuch
gegenüber hatte Schelling schon 1832 die Überzeugung gewonnen,
daß man Hegels Philosophie nicht fortsetzen könne, sondern
abbrechen müsse, um wieder »in die Linie des wahren Fortschritts«
zu kommen.346 Und als er zehn Jahre später in Berlin seine Vorträge
hielt, konnte er sich rühmen, auch die meisten Hegelianer zu Hörern
zu haben, nachdem sie ihm öffentlich und privatim jede Ehrerbietung
bezeugt hatten: »Die Spannung ist unglaublich und schon jetzt ...
alles in Bewegung, zu verhüten, daß der allzugroße Zudrang zu dem
verhältnismäßig kleinen größten Auditorium keinen Skandal verursache.
«347 Seine Siegesgewißheit wurde aber bald bitter enttäuscht,
während der revolutionäre Impuls der Junghegelianer in der Polemik
gegen Schellings »neuesten Reaktionsversuch« auf den Höhepunkt
kam.348 Ein Jahrzehnt später war aber auch über die Junghegelianer
die Reaktion mächtig geworden und hatte ihrem »Fortschritt« ein
Ende gesetzt. Die politische und kirchliche Reaktion der 50er Jahre
entzog ihrer dem Geiste der Zeit verpflichteten Philosophie den geschichtlichen
Boden, während Schopenhauers Anschauung der Welt zu
einer außergewöhnlichen Nachwirkung kam, die weniger auf ihrem
positiven Gehalt als auf ihrer Staats- und geschichtsfremden Stimmung
beruhte.349
»Pessismismus« und »Optimismus« wurden zu Stichworten der
Zeit,350 weil sie der Resignation und dem Mißbehagen, sowie dem
Wunsch nach besseren Zeiten entsprachen. Es macht dabei keinen
prinzipiellen Unterschied aus, ob die »Philosophie des Elends« von
der Misere der wirtschaftlichen (Proudhon), der allgemein menschlichen
(Schopenhauer) oder der im christlichen Sinn geistigen Existenz
(Kierkegaard) ihren Ausgang nahm, ob man die Philosophie des
Elends oder das »Elend der Philosophie« (Marx) betonte, ob der
»Jammer des Daseins« christlich (Kierkegaard) oder buddhistisch
(Schopenhauer) ausgelegt wurde, ob man den Unwert (Bahnsen) oder
den »Wert des Lebens« (Dühring) behauptete, und ob ferner sein
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Wert als abschätzbar (E. v. Hartmann) oder als »unschätzbar« (Nietzsche)
galt. Gemeinsam ist all diesen Erscheinungen, daß das Dasein
als solches in Frage stand. Vorzüglich Schopenhauer wurde der Philosoph
der Zeit, der »als spekulativer Hiob sich auf den Aschenhaufen
der Endlichkeit setzte« und der darum auch die Beachtung Kierkegaards
fand.351 Der blinde »Wille« bringt diese Welt des Leidens
hervor, und die »Vorstellung« weiß ihm keinen besseren Rat zu
geben, als nichts mehr zu wollen.
Die Geschichtsschreibung der deutschen Philosophie hat weder diese
Reaktion noch die ihr vorausgegangene und zugrundeliegende Revolution
des geistigen und politischen Lebens in ihrer vollen Bedeutung
erkannt. Sie ist deshalb zu keinem wahren Verständnis der Geschichte
des 19. Jahrhunderts gekommen. Im Unterschied zu den gegenrevolutionären
Philosophen der französischen Revolution, die dem Adel
entstammten, sind die deutschen Philosophen aus der Zeit der bürgerlichen
Reaktion ohne Weitblick und ohne eine geistige Position. In
den 60er Jahren glaubte man über Hegel und seine Schüler fortgeschritten
zu sein - durch den von Schopenhauer vorbereiteten Rückzug
auf Kant, ohne Bewußtsein, daß diese Erneuerung Kants im
Zusammenhang stand mit der Unfähigkeit zur Bewältigung jener
Fragen, die in den 40er Jahren aus der Auseinandersetzung mit Hegel
entsprungen waren.
Die üblichen »Anhänge« zur Geschichte der Philosophie nach Hegel
zeigen schon äußerlich die Verlegenheit an gegenüber jener »Ermattung
« des Geistes, die man mit Rücksicht auf den Idealismus nur als
dessen Zersetzung verstand, während man die destruktive Kraft der
Bewegung verkannte. K. Fischer erledigt in seinem zweibändigen
Hegelwerk Marx mit zwei Zeilen, in Überweg-Heintzes Grundriß der
Geschichte der Philosophie handeln noch in der 5. Auflage (1916) nur
zwei Seiten von Engels und Marx, und selbst die Geschichte des
Materialismus von F. A. Lange erwähnt Marx im Text überhaupt
nicht und im Quellennachweis nur als den besten Kenner der Geschichte
der Nationalökonomie. Kierkegaard blieb trotz der Anzeige seiner
Dissertation in den Halleschen Jahrbüchern unbekannt, und die kritisch-
historische Auflösung der christlichen Religion wurde einer
Theologie überlassen, deren Dogmatik sich, analog der philosophischen
Systematik, schon selbst in Dogmen- und K.irchengeschichte, in
vergleichende Religionswissenschaft und Religionspsychologie aufgelöst
hatte. Die von den ursprünglichen Hegelianern wohl erkannte
Gefahr und Bedeutung der radikalen philosophischen und theologi-
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sehen Bewegung geriet in Vergessenheit, und es konnte so scheinen, als
habe sich zwischen Hegels Tod und der Erneuerung Kants überhaupt
nichts Wesentliches ereignet. Im Zusammenhang mit dem wirklichen
und ganzen Geschehen des Jahrhunderts betrachtet, erklärt sich jedoch
dieser scheinbar so unmotivierte Rückgang auf Kant daraus, daß die
bürgerliche Intelligenz in der Praxis aufgehört hatte, eine geschichtlich
bewegte Klasse zu sein und darum auch in ihrem Denken die
Initiative und Stoßkraft verlor. Zugleich mit dem Ende der politischrevolutionären
Bewegung verendet auch die philosophische der 40er
Jahre. Der Rückgriff auf Kant bezeugt, in der Weise wie er geschah,
einen Rückschritt hinter diejenige Grenze der Problematik, welche
die Junghegelianer in philosophischer und religiöser, sozialer und
politischer Beziehung erreicht hatten.352 Die in den Fundamenten angegriffene
bürgerlich-christliche Welt erlebt in der Geschichte des
Neukantianismus eine scheinhafte Wiederbelebung, und erst in der
Krisis des Neukantianismus ist dann der Versuch zu einer Erneuerung
Hegels entstanden.
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