Devoir de Philosophie

Abendländische Philosophie - Philosophie.

Publié le 17/06/2013

Extrait du document

philosophie
Abendländische Philosophie - Philosophie. 1 EINLEITUNG Abendländische Philosophie, Philosophie des europäischen Kulturraumes von der Antike bis zur Gegenwart. Der Begriff ,,Abendland" (auch Okzident, lateinisch sol occidens: untergehende Sonne, Abend, Westen) steht in Abhebung von dem als ,,Morgenland" bezeichneten Orient (lateinisch sol oriens: aufgehende Sonne, Morgen, Osten) für den europäischen Kulturraum, der sich seit dem Mittelalter als einheitlich begreift. Der Begriff der ,,abendländischen Philosophie" ist jedoch nicht rein geographisch bestimmt; in der Philosophie zählt dazu ebenfalls die Philosophie der nordafrikanischen Antike (Alexandria, Kyrene und andere) wie das Denken der Neuen Welt, also auch Amerika nach der europäischen Eroberung. In der philosophischen Ausbildung wird abendländisches Denken heute an den Universitäten in fast aller Welt unterrichtet. Gegenstand der Philosophie (griechisch philosophia: Liebe zur Weisheit), deren Vielfalt sich einer allgemein gültigen Definition entzieht, sind die Fragen nach dem Grund, dem Ursprung und dem Sinn allen Seins. Die Philosophie fragt weiter nach dem, was der Mensch sei; diese Frage fasste Kant näher in die drei Hauptfragen der Philosophie: ,,1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?" In gewisser Weise sind bereits Mythologie und Religion Anfänge der Philosophie, da auch sie versuchen, Sinndeutungen für unerklärliche Erscheinungen des Wesens der Natur und des Menschen zu geben, allerdings nicht ,,wissenschaftlich" wie die Philosophie. Manche philosophischen Schriften des alten Ägypten (siehe ägyptische Literatur) sind schwer von Religion und Literatur zu trennen. Die eigentliche Geschichte der abendländischen Philosophie beginnt jedoch in der griechischen Antike etwa mit dem 6. Jahrhundert v. Chr., da man hier erstmals über schriftliche Überlieferungen von namentlich bekannten Philosophen verfügt. 2 GRUND DES PHILOSOPHIERENS Die Ursache der Philosophie erkennen Platon und Aristoteles im Staunen darüber, dass überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts, also in der Infragestellung des bislang Selbstverständlichen. Über das Staunen kommt der Mensch zum Fragen, warum etwas ist, ob und was hinter all den Erscheinungen wirkt, warum wir leben, und warum die Natur und die Dinge so beschaffen sind, wie der Mensch sie vorfindet. Neben dem Staunen werden der Zweifel an der Erklärungskraft des vertrauten Wissens und das Wissen um den eigenen Tod als weitere Anstöße zum Philosophieren gesehen. 3 DENKANSÄTZE 3.1 Bedeutung der Erkenntnistheorie Die Frage nach dem Verhältnis des Philosophen zu seinem Gegenstand stand bereits in den Anfängen als eine der wichtigsten im Vordergrund. An der jeweiligen Erkenntnistheorie lässt sich daher die Richtung einer Philosophie bestimmen. Dabei wird unterschieden zwischen dem zu erkennenden Objekt, dem Gegenstand, und dem erkennenden Subjekt, dem Wahrnehmenden bzw. Wissenschaftler. Typisch für die abendländische Philosophie ist, dass beide in der Regel als einander gegenüberstehend aufgefasst werden, wobei das Subjekt entweder als tätig konstruierend oder als passiv empfangend gedacht wird. Abhängig von der ,,Stellung zur Objektivität" (Hegel), die man dabei einnimmt, ergibt sich für den Erkenntnisprozess eine Auseinandersetzung, die je nach Betonung der philosophischen Schule als fruchtbare Spannung oder als problematische Spaltung aufgefasst wird. 3.2 Materialismus und Idealismus Wird beim Erkenntnisprozess eher die passive empfangende Rolle des Subjekts betont, so steht der stoffliche Aspekt stärker im Vordergrund, die Untersuchung der zu erkennenden Materie, und weniger die Rolle der menschlichen Ideen und Begriffe für die Erkenntnis (Materialismus, Realismus). Die Gegenposition geht von der konstitutiven Bedeutung des menschlichen Geistes für die Erkenntnis aus und sucht deren Ideen und Denkprinzipien im Gegenstand wiederzufinden (Idealismus). Diese Konzeption kann bis zum Zweifel darüber führen, ob die Wirklichkeit erkennbar ist und nicht vielmehr nur menschliche Kategorien an die Gegenstände herangetragen werden, um sie gleichsam zu konstruieren. Beide Denkweisen vertreten die Ansicht, dass die Wirklichkeit selbst nach idealistischen bzw. materialistischen Prinzipien aufgebaut ist. Im ersten Fall gilt als Antrieb der Entwicklung - sei es die Evolution der Natur oder die Geschichte der Menschheit - ein sich entfaltender Geist, der in Gestalt von Ideen die Entwicklung vorantreibt; im zweiten Fall wird die Selbständigkeit der Materie betont, die sich geistlos entwickle und bestimmte geistige Formen wie Ideen, Ideologien, Weltanschauungen hervorbringt. Dabei wird unter Materie nicht nur das körperliche Sein von Gegenständen, sondern auch die Substanz geschichtlicher Epochen, die Grundlagen einer Gesellschaft, verstanden. Besonders deutlich wird dieser Gegensatz in der philosophischen Entwicklung von Hegels dialektischem Idealismus zu Marx' dialektischem Materialismus. 3.3 Rationalismus und Empirismus Nicht unmittelbar damit identisch, aber nah verwandt ist die Unterscheidung zwischen Rationalismus, der von der erkennenden menschlichen Vernunft (dem Bewusstsein oder Geist) ausgeht, und Empirismus, der der sinnlichen Wahrnehmung des Menschen (Erfahrung oder Anschauung) den Vorrang einräumt - ein Gegensatz, der sich ebenfalls durch die gesamte Philosophiegeschichte zieht, aber besonders in der Neuzeit bedeutsam wurde. Als philosophische Denkrichtung erscheinen die beiden Forschungsstrategien in Gestalt der deduktiven Methode, die aus den allgemeinen Gesetzen oder Ideen die Einzelfälle oder konkreten Gegebenheiten ableiten möchte, und als induktive Vorgehensweise, die ,,von unten nach oben", vom einzelnen Fall zum allgemeinen Gesetz aufsteigen will. 3.4 Theoretische und praktische Philosophie Unterschieden werden unabhängig von der dabei jeweils gewählten Herangehensweise zwei Teilbereiche der Philosophie, je nachdem, ob es sich um Gegenstände handelt, die für das konkrete Handeln der Menschen von Bedeutung sind, oder eher um ,,rein theoretische" oder ,,abstrakte" Themen. Aristoteles traf daher die Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie. Erstere untersucht mit den Themen Erkenntnis und Sein ,,das, was ist", vor allem Metaphysik, Ontologie, Logik, Erkenntnistheorie, Anthropologie, Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie, die zweite befasst sich mit den Gegenständen, die für den menschlichen Alltag von Bedeutung sind, ,,das, was sein soll": u. a. Ethik, Politische Philosophie, Rechtsphilosophie und Geschichtsphilosophie. 4 GESCHICHTE 4.1 Antike 4.1.1 Vorsokratiker Die Denker vor der klassischen Periode der griechischen Philosophie, die mit Sokrates beginnt, werden heute unter den Begriff Vorsokratiker gefasst, obwohl sie sehr unterschiedliche Lehren entwickelten. 4.1.1.1 Ionische Philosophie Thales aus der Stadt Milet, an der ionischen Küste Kleinasiens, der um 580 v. Chr. wirkte, war der vermutlich erste griechische Philosoph - zumindest der erste, von dem heute noch etwas bekannt ist. Er begründete die Schule der ionischen Naturphilosophie, die vor allem in das Wesen der Natur, der Welt überhaupt, einzudringen versuchte. Thales, der von späteren Generationen als einer der Sieben Weisen Griechenlands verehrt wurde, war an astronomischen, physikalischen und meteorologischen Erscheinungen interessiert und nahm an, dass alle natürlichen Phänomene unterschiedliche Formen einer einzigen Grundsubstanz, wie er glaubte, des Wassers, seien, da er Verdampfung und Kondensation als universale Vorgänge ansah - eine frühe Form des Monismus. Anaximander, sein Schüler, hingegen behauptete, der Ursprung allen Seins sei das Unbegrenzte, Unabgeschlossene (griechisch apeiron). Schon in dieser frühen Epoche zeigte sich eine allgemeine Tendenz der abendländischen Philosophie: Auf der einen Seite bildete sie für beobachtbare (Natur-)Erscheinungen Erklärungsmuster, die sich im Verlauf der Jahrhunderte aus ihr abspalteten und zu eigenen Wissenschaften wurden (bei Thales die Physik, später alle Naturwissenschaften, Mathematik, Soziologie, Psychologie, Sprachwissenschaft usw.); auf der anderen Seite errichtete sie mit den Fragen u. a. nach dem Ursprung des Seins das Gebäude einer Metaphysik, die ,,über" der Physik steht. Der dritte große ionische Philosoph, Anaximenes, kehrte zu Thales' Behauptung zurück, dass der Urstoff etwas Bekanntes und Materielles sein müsse - nach seiner Meinung die Luft. Er glaubte, dass sich die Veränderungen, denen die Dinge unterliegen, aufgrund von Verdünnung und Verdichtung der Luft erklären ließen. 4.1.1.2 Pythagoras Um 530 v. Chr. gründete der Philosoph Pythagoras von Samos eine philosophische Schule in Kroton, einer griechischen Kolonie in Süditalien, die die antiken mythischen Anschauungen über die Welt mit dem sich entwickelnden Interesse für wissenschaftliche Erklärungen vereinte. Die Pythagoreer bildeten eine Art Geheimbund, lebten wie eine Sekte und praktizierten und lehrten eine Lebensweise, die sich auf den Glauben von der Gefangenheit der Seele im Körper stützte. Höchstes Lebensziel des Menschen sei die Reinigung seiner Seele, die erst durch den Tod befreit und in einer höheren oder niedrigeren Daseinsform, entsprechend dem Grad der erreichten Tugend, wiedergeboren werde; diese Läuterung der Seele erfolge durch die Pflege intellektueller Tugenden, durch die Enthaltung von Sinnesfreuden und die Ausübung verschiedener religiöser Riten. Die Pythagoreer lehrten, die Bewegung der Planeten erzeuge eine ,,Sphärenmusik" und entwickelten auch eine ,,Musiktherapie", um die Menschheit in die Sphärenharmonie des Himmels einzustimmen. Sie identifizierten die Wissenschaft mit der Mathematik: Die Zahlen seien nicht nur das Prinzip des Mathematischen, sondern des Seienden überhaupt. 4.1.1.3 Heraklit Heraklit von Ephesos setzte die Suche der Ionier nach dem Urstoff fort und fand diesen im Feuer verkörpert. Der Philosoph trug den Beinamen ,,der Dunkle", da die von ihm überlieferten etwa 120 Aphorismen oft schwer zu enträtseln sind. Er behauptete, dass sich alle Dinge fortwährend im Fluss befänden, dass Beständigkeit eine Täuschung sei und dass bloß die Veränderung und die Gesetze der Veränderung oder der logos (griechisch: Wesen, Sprache, Wissen, Lehre) wirklich seien. Berühmt - aber vermutlich nicht so von ihm selbst geäußert, sondern von Kratylos formuliert, ist sein gleichnishafter Lehrsatz ,,Alles fließt" oder in einer anderen Formulierung ,,Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen": Zum einen ist der Fluss mittlerweile nicht mehr derselbe, denn man steigt nicht in dasselbe Wasser wie zuvor, das längst weitergeflossen ist; und zum anderen ist mittlerweile auch der Mensch ein anderer geworden. Heraklit dachte in Gegensätzen, wie z. B. sein Satz ,,Alles entsteht durch den (Wider-)Streit" belegt, und gilt daher als Ahnvater der dialektischen Philosophie. Aus seiner Lehre vom logos, welche die Gesetze der Natur mit einem göttlichen Geist gleichsetzte, entwickelte sich die pantheistische Theologie des Stoizismus; Heraklits Schüler Kratylos soll der Lehrer Platons gewesen sein. 4.1.1.4 Eleaten Um die Wende zum 5. Jahrhundert v. Chr. gründete Parmenides in Elea, einer griechischen Kolonie auf der italienischen Halbinsel, eine philosophische Schule. Parmenides stand im Gegensatz zu Heraklit und sah das Universum als unteilbar und damit auch unveränderlich an und nicht als vergänglich oder fließend. Ihm zufolge kann nichts wirklich behauptet werden - außer, dass das ,,Seiende existiert". Er schuf einen weiteren Topos der abendländischen Philosophie, indem er die Philosophie scharf vom Alltagsdenken und -meinen absetzte: In seinem Lehrgedicht unterscheidet er zwischen der Scheinwahrheit, der irrigen Meinung der Menge (griechisch doxa, daher Dogma), und der echten Erkenntnis der Wahrheit durch den Philosophen. Parmenides hatte großen Einfluss auf Platon. Zenon von Elea, ein Schüler von Parmenides, versuchte, die These von der Einheit des Seins zu stärken, und behauptete, dass der Glaube an eine Veränderung, Vielfalt und Bewegung der Wirklichkeit zu logischen Paradoxa führe. Zenons Paradoxa wurden zu berühmten intellektuellen Geduldsspielen, die Philosophen und Logiker aller nachfolgenden Zeiten zu lösen versuchten. Die Beschäftigung der Eleaten mit dem Problem der logischen Folgerichtigkeit bildete die Grundlage für die Entwicklung der wissenschaftlichen Logik. 4.1.1.5 Pluralisten Im 5. Jahrhundert v. Chr. entwickelten Empedokles und Anaxagoras eine Philosophie, die der ionischen Annahme eines einzigen Urstoffes eine Vielfalt solcher Substanzen entgegensetzte. Empedokles vermutete, dass sich alle Dinge aus vier Grundelementen zusammensetzen, und zwar aus Luft, Wasser, Erde und Feuer, die sich aufgrund von zwei entgegengesetzten Kräften, Liebe und Hass - bzw. anziehende und abstoßende Kraft -, untereinander verbinden bzw. wieder trennen. Durch diesen Vorgang entwickelt sich nach ihm die Welt in einem ewigen Kreislauf aus dem Chaos zur Form und wieder zurück zum Chaos. Empedokles betrachtete diesen ewigen Kreislauf als wahren Gegenstand religiöser Verehrung und kritisierte den volkstümlichen Glauben an persönliche Gottheiten. Allerdings konnte er keine Erklärung finden, auf welche Weise sich die bekannten Dinge der Erfahrungswelt (sinnliche Wahrnehmung) aus den so grundverschiedenen Urelementen entwickeln konnten. Daher schloss Anaxagoras, dass sich alle Dinge aus kleinsten Teilchen (Homöomerien) zusammensetzen, die es in unendlicher Vielfalt gibt. Zur Erklärung, auf welche Weise sich diese Teilchen mischen, um die einzelnen Naturdinge zu bilden, stellte er eine Theorie der kosmischen Entwicklung auf. Er behauptete, dass das aktive Prinzip dieses Entwicklungsprozesses ein Weltgeist (auch Weltseele, griechisch nous) sei, der die Mischung und Trennung der Teilchen verursache. Seine Auffassung von den Stoffteilchen führte zur Herausbildung einer atomistischen Theorie der Materie. 4.1.1.6 Atomisten Nach der Theorie der Atomisten setzt sich die Materie aus kleinsten, unteilbaren Partikeln zusammen, die sich lediglich durch einfache physikalische Eigenschaften, wie Größe, Form und Gewicht, voneinander unterscheiden und unteilbar (griechisch atomos) sind. Der Atomismus geht auf den Philosophen Leukipp aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. zurück und wurde von seinem berühmten Mitstreiter Demokrit weitergeführt, dem allgemein das Verdienst der ersten systematischen Formulierung einer materiellen Atomlehre zugesprochen wird. Er vertrat eine materialistische Auffassung der Natur und erklärte alle natürlichen Erscheinungen aufgrund von Anzahl, Form und Größe der Atome. Auf diese Weise führte er die durch die Sinne wahrgenommenen Eigenschaften der Dinge, wie Wärme, Kälte, Geschmack und Geruch, auf quantitative Unterschiede zwischen den Atomen zurück, deren Bewegung jedoch nie mit den menschlichen Sinnen beobachtet werden, sondern immer nur mit dem Geist erschlossen werden könnte. Die höheren Daseinsformen, wie z. B. die Pflanzen- und Tierwelt, ja sogar das menschliche Denken, erklärte Demokrit rein physikalisch, sodass seine Lehre als das erste umfassende System eines deterministischen Materialismus gilt, da in ihm alle Aspekte des Daseins als strengen physikalischen Gesetzen unterworfen dargestellt werden. Er weitete seine Lehre auch auf die Psychologie, Physiologie, Erkenntnistheorie (Epistemologie), Ethik und Politische Philosophie aus und wurde so in manchen seiner Aussagen zum Vorläufer Epikurs: Denn wie für diesen, so besitzt die Seele auch für Demokrit stoffliche Substanz und zerfällt somit nach dem Tod in ihre Atome. Um ein Leben in Gelassenheit und Ausgewogenheit führen zu können, sei es wichtig, größere Bewegungen der Seelenatome zu vermeiden; nur dies garantiere das Glück als Höchstes Gut, denn es gelte, die Lust nur mit Beherrschung und Besonnenheit (griechisch sophrosyne) handzuhaben. Aufgrund seiner Heiterkeit wurde er auch der ,,lachende Philosoph" genannt. 4.1.1.7 Sophisten Gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. wurde eine Gruppe umherziehender Lehrer, Sophisten genannt, in ganz Griechenland bekannt. Im Rahmen der sich in Griechenland vollziehenden Demokratisierung spielten die Sophisten als ,,Politikberater" und ,,Volkserzieher" eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der griechischen Stadtstaaten aus agrarischen Monarchien zu Handel treibenden Demokratien. Mit diesem Anwachsen von Handwerk und Handel in Griechenland fiel die politische Macht zunehmend in die Hände der Klasse der Neureichen, der wirtschaftlich mächtigen Kaufleute. Da ihnen die Bildung der Aristokraten fehlte, bezahlten sie die Sophisten für den Unterricht in Rhetorik, juristischer Beweisführung und Allgemeinbildung, um sich das für Politik und Handel benötigte Wissen anzueignen. Zwar erbrachten die bedeutendsten Sophisten während dieser Phase der ,,griechischen Aufklärung" wertvolle Beiträge zum griechischen Gedankengut, den klassischen Philosophen jedoch galten sie - nicht ganz zu Recht - als betrügerisch, unehrlich und demagogisch. Sokrates führte von Platon nachgezeichnete Streitgespräche mit Gorgias und Protagoras, den führenden Persönlichkeiten unter den Sophisten; andere waren Prodikos, Antiphon und Hippias. Die berühmte Maxime des Protagoras, dass der ,,(einzelne) Mensch das Maß aller Dinge" sei, ist kennzeichnend für die philosophische Haltung der sophistischen Schule, denn sie plädiert nicht, wie oft missverstanden wird, für eine verantwortliche Ethik, in der der Mensch im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen solle, sondern eher für das Gegenteil: Die Sophisten sprachen den Individuen das Recht zu, alle Angelegenheiten für sich selbst zu entscheiden, und bestritten zudem die Möglichkeit jeder objektiven Erkenntnis. Das führte sie zur ethischen Beliebigkeit: Moralische Regeln sollte man nach der von einigen ihrer Vertreter geäußerten Lehre nur dann befolgen, wenn dies zum persönlichen Vorteil geschähe, was bei Kallikles und Thrasymachos sogar zur Verteidigung des ,,Rechts des Stärkeren" geführt haben soll. 4.1.2 Klassische griechische Philosophie Durch Sokrates' Kritik an den Sophisten und seine neue Art des Philosophierens wurde der Weg frei für die klassische Epoche der griechischen Philosophie, die besonders mit den Namen Platon und Aristoteles verbunden ist. 4.1.2.1 Sokrates Sokrates war eine der Persönlichkeiten, die die griechische Philosophie entscheidend geprägt haben; mit ihm setzt die ,,klassische griechische Philosophie" ein. Er pflegte noch am Tag seiner Hinrichtung im Jahr 399 v. Chr. den philosophischen Dialog mit seinen Schülern. Im Unterschied zu den Sophisten weigerte sich Sokrates, für seinen Unterricht Geld anzunehmen, weil er außer der Einsicht in das eigene Nichtwissen kein wirkliches Wissen vermitteln könne: ,,Ich weiß, dass ich nichts weiß". Sokrates selbst hinterließ keine Schriften, seine Lehren wurden jedoch in den Dialogen seines berühmtesten Schülers Platon überliefert. Es ist jedoch nicht bekannt, inwieweit diese Sokrates' persönliche Gedanken darstellen und welchen Anteil daran Platons eigene Philosophie hat. Anders als die Sophisten war Sokrates nicht an der Nützlichkeit des Denkens in der (politischen und ökonomischen) Praxis orientiert, sondern erkannte allein in der Wahrheit Ziel und Zweck der Philosophie: Er lehrte, dass in der Seele jedes Individuums die volle Erkenntnis der letzten Wahrheit verborgen sei und diese durch Reflexion auch bewusst gemacht werden könne, gleichgültig, ob ein Mensch belesen sei oder nicht. In Platons Dialog Menon entwickelt der ungebildete Sklave Menon unter Sokrates' Anleitung einen mathematischen Lehrsatz und ,,beweist" somit, dass eine derartige Erkenntnis der Seele bereits von Geburt an innewohnt und nicht aus der alltäglichen Erfahrung stammen kann. Mit Absicht trug Sokrates die Philosophie aus den Schulen in die Öffentlichkeit und war daher zumeist auf dem Marktplatz (griechisch agora) zu finden, wo er seine Gesprächspartner in Diskussionen verwickelte, denn ihm zufolge ist es die wichtigste Aufgabe des Philosophen, die Menschen zu selbständigem Denken anzuregen. Nicht eine systematische Doktrin, eine feststehende Lehre oder ein Dogma sind sein Beitrag zur Geschichte der Philosophie, sondern eine Methode des Denkens - die so genannte Maieutik (griechisch: Hebammenkunst, Sokrates' Mutter war Hebamme), mit der er durch kunstfertige Fragen an seinen Gesprächspartner die Wahrheit ,,zur Welt brachte", und das Postulat einer im philosophischen Sinn moralisch einwandfreien geistigen Haltung und Lebensführung. 4.1.2.2 Platon Wie Sokrates betrachtete auch Platon die Ethik als wichtigstes Gebiet der Philosophie. Tugend und Weisheit waren für ihn identisch - wahrhaft tugendhaft kann nur der Weise sein, der Weise nicht anders als tugendhaft handeln. Diese Ansicht führte zu dem so genannten Sokratischen Paradoxon, dass kein Mensch absichtlich Böses tue, ein Ausspruch, den Platon in seinem Werk Protagoras dem Sokrates in den Mund legte. Aristoteles wies später darauf hin, dass, wenn diese Aussage richtig wäre, der Mensch seiner moralischen Verantwortung enthoben sei. Platon beschäftigte sich weiterhin mit naturwissenschaftlichen Fragen, solchen der politischen Theorie, Metaphysik, Theologie und Epistemologie. Die Grundlage der platonischen Philosophie ist ihre Ideen- oder Formenlehre. In der Ideenlehre, die vor allem im Staat (griechisch Politeia) und im Parmenides - Platons Dialoge sind zumeist nach dem jeweiligen Gesprächspartner von Sokrates benannt - dargelegt ist, teilt er das Sein in zwei Bereiche, einen ,,erkennbaren Bereich", der die vollkommenen ewigen und unsichtbaren Ideen oder Formen enthält, und einen ,,Sinnenbereich" der Dingwelt, die mit den Sinnen wahrnehmbar sind. Bäume, Steine, menschliche Körper und andere Objekte, die über die Sinne wahrgenommen werden können, sind für Platon unwirkliche, schattenhafte und unvollkommene Abbilder der Ideen (griechisch eidos: Gestalt, Wesen, Begriff bzw. idéa: Form). Philosophische Erkenntnis hat sich um die Überwindung dieser Scheinwahrnehmung und um das ,,Aufsteigen" zur ,,Schau", zur Wahrnehmung der Ideen zu bemühen. Dies veranschaulicht das berühmte Höhlengleichnis in der Politeia: Platon beschreibt hier eine Höhle, in der Menschen gefangen und so gefesselt sind, dass sie allein die Schatten der Dinge an der Höhlenwand erkennen können und sie dementsprechend für die Wirklichkeit halten; werden sie aus der Höhle hinaus und hinauf ans Licht der Sonne geführt, sind sie zunächst geblendet und können nur langsam etwas wahrnehmen. Erst nach einiger Zeit werden ihnen die wahren Zusammenhänge bewusst; wenn sie jedoch in die Höhle zurückkehren und ihre Mitgefangenen über ihren Irrtum aufklären wollen, so glaubt man ihnen nicht, verleumdet sie und versucht gar, sie zu töten - so wie es Sokrates in Athen widerfuhr. Für Platon ist es - wie schon für Pythagoras und Parmenides - die Aufgabe der Philosophie, die Scheuklappen des Alltagslebens abzustreifen, in die Welt jenseits der Höhle der Unwissenheit vorzudringen und Einblick in die wahre Wirklichkeit, den Bereich der Ideen, zu erlangen. Platons Auffassung von dem absolut Guten, der höchsten Idee, die alle anderen Ideen umfasst, war die Urfassung jeglichen Idealismus und wurde so zu einer der Hauptquellen pantheistischer und mystisch-religiöser Lehren der abendländischen Kultur; sie findet sich auch an zentraler Stelle in der christlichen Theologie, in der Gott den Platz des absolut Guten und der höchsten Idee einnimmt. Platons Ideenlehre und seine rationalistische Erkenntnistheorie bildeten die Grundlage für seinen ethischen und sozialen Idealismus. Allein in der Sphäre der ewigen Ideen sind nach Platon die Richtlinien oder Ideale auffindbar, nach denen alle Dinge und Handlungen ,,im Diesseits" (im alltäglichen Leben) beurteilt werden sollten. Der Philosoph, der sich von den vertrauten und eingewurzelten Konventionen der Gesellschaft ebenso wie von der Herrschaft der sinnlichen Genüsse über den Geist abkehrt und stattdessen nach Erkenntnis der ewigen Grundsätze und Ideen strebt, wird in diesen Idealen die Formen für sein persönliches Verhalten und für die gesellschaftlichen Institutionen finden. Hier liegen auch die philosophischen Wurzeln der christlichen Moraltheologie und Lebensführung. Nach Platon sind Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit in der Gottesidee vereint, die sich längst von den Vorstellungen der griechischen Mythologie gelöst hatte. Die soziale Gerechtigkeit erfordere die Harmonie zwischen den Gesellschaftsklassen, die nur durch eine Aristokratie, eine Herrschaft der Besten, insbesondere der Philosophen (Philosophenkönige), gewährleistet werden könne. Platon versuchte daher auch auf die Politik griechischer Tyrannen einzuwirken, vor allem auf Dionysios II. von Syrakus, was aber misslang. 4.1.2.3 Aristoteles Aristoteles kam im Alter von 17 Jahren aus seinem Geburtsort Stagira in Nordgriechenland an die athenische Akademie Platons und war dessen bedeutendster Schüler. Nach seinem langjährigen Studium an der Akademie wurde Aristoteles für einige Jahre Erzieher von Alexander dem Großen und kehrte anschließend nach Athen zurück, wo er, unterstützt von Alexander, die Peripatetische Schule begründete - benannt nach dem peripatos (Wandelgang), in dem er lehrte. Die Schule der Peripatetiker war wie Platons Akademie über Jahrhunderte hinweg eines der großen und bedeutenden Unterrichtszentren in Griechenland und dem gesamten Mittelmeerraum. Aristoteles definierte die Grundbegriffe und Prinzipien vieler theoretischer Wissenschaftszweige, wie Logik, Biologie, Physik und Psychologie. Als Begründer der wissenschaftlichen Logik entwickelte er die Methode des deduktiven Schließens (Deduktion) durch Syllogismen. In seiner Metaphysik kritisierte Aristoteles Platons Trennung von Idee und Materie und behauptete, dass die Idee oder ,,das Wesentliche" in dem konkreten sichtbaren Objekt enthalten sei. Für Aristoteles war das Wirkliche eine Einheit von Möglichkeit (lateinisch potentia) und Aktualität (lateinisch actus): Jedes Ding sei eine Einheit aus dem, was es sein könnte, aber noch nicht ist, und dem, was es bereits ist, denn alle Dinge unterlägen dem Wandel und würden zu anderen Dingen, außer dem menschlichen und dem göttlichen aktiven Geist, die reine Idee seien. Die Natur war für Aristoteles ein organisches System der Dinge mit all ihren Zielen und Zwecken. Die Himmelskörper, die von Gott auf - wie Aristoteles glaubte - vollkommenen Kreisbahnen in Ewigkeit bewegt würden, sind in der Rangordnung der Natur noch höhergestellt als die Seele des Menschen. Diese hierarchische Auffassung der Natur und allen Seins hatte großen Einfluss auf viele christliche Theologen des Mittelalters, in dem Aristoteles ,,wiederentdeckt" wurde. Auch die politische Philosophie und Ethik des Aristoteles nahmen ihren Anfang in der kritischen Überprüfung der platonischen Lehren. Die persönlichen und gesellschaftlichen Verhaltensnormen müssen nach Aristoteles von dem ausgehen, was der Mensch ist, nicht von dem, was er sein könne, also Platons reinen Ideen. Somit bestand Aristoteles nicht wie Platon auf einer strengen Einhaltung absoluter Prinzipien, sondern betrachtete die ethischen Gesetze eher als praktische Richtlinien für ein glückliches und ausgeglichenes Leben. Diese Hervorhebung der Glückseligkeit (griechisch eudaimonia) als aktive Erfüllung der natürlichen Fähigkeiten, die einem Menschen gegeben sind, als Tüchtigkeit (griechisch arete), war Ausdruck der Lebenseinstellung der gebildeten Griechen seiner Zeit. In seiner politischen Theorie bezog Aristoteles eine realistischere Position als Platon: Zwar war er auch der Meinung, dass eine von einem weisen König regierte Monarchie das ideale politische Gefüge sei, erkannte jedoch, dass in der Praxis eine, allerdings gemäßigte, Demokratie bzw. Republik im Allgemeinen die beste Regierungsform ist. Auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie vertrat Aristoteles entgegen der platonischen Lehre die Auffassung, dass Erkenntnis nur durch eine Verallgemeinerung aus der Erfahrung gewonnen werden könne, nicht jedoch durch die Ideenschau. Kunst war für ihn ein Mittel zur Freude und geistigen Aufklärung und weniger ein Instrument moralischer Erziehung. Seine literarischen Analysen der griechischen Tragödien dienten der literarischen Kritik als Vorbild und waren stilbildend für die literarische Klassik der Goethezeit. Aristoteles starb 322 v. Chr. in Chalkis auf Euböa, wohin ihn die Athener nach dem Tod Alexanders des Großen verbannt hatten. Für die ausgehende Antike und besonders für das christliche Mittelalter mit seiner Philosophie der Scholastik hatte Aristoteles die größte Bedeutung; die Scholastiker nannten ihn einfach nur ,,den Philosophen" und zeigten so, dass er für sie die Philosophie am reinsten verkörperte. Aristoteles wirkte insbesondere auch in die islamische Philosophie des Mittelalters hinein, der wir die Überlieferung der aristotelischen Texte verdanken, die im Abendland nach der Antike als verschollen galten. Auch in der Neuzeit war Aristoteles eine beständige Bezugsquelle der Philosophie - bis ins 20. Jahrhundert. 4.1.3 Hellenistische und römische Philosophie Die Erweiterung der griechischen Welt durch die Feldzüge Alexanders des Großen führte zum Ende der klassischen Epoche Griechenlands und zu dem von vielen außergriechischen Einflüssen geprägten, kosmopolitisch orientierten Hellenismus, der etwa bis zur römischen Vorherrschaft über Griechenland und den Mittelmeerraum andauerte. Beginnend mit dem 4. Jahrhundert v. Chr. und bis zur Entwicklung der christlichen Philosophien im 4. Jahrhundert n. Chr. bildeten in dieser Zeit der Epikureismus, der Stoizismus, der Skeptizismus und der Neuplatonismus die bestimmenden philosophischen Schulen des Abendlandes. Während dieser Zeit ging das Interesse an den Naturwissenschaften stetig zurück, und die philosophischen Schulen nahmen sich hauptsächlich ethischer und religiöser Probleme an. 4.1.3.1 Epikureismus Im Jahr 306 v. Chr. gründete Epikur eine philosophische Schule in Athen. Da sich seine Anhänger in seinem Garten versammelten und dort teilweise wie eine ,,Kommune" lebten, wurde er unter dem Beinamen ,,Gartenphilosoph" bekannt. Epikur knüpfte an die atomistische Physik Demokrits an, vermutete jedoch im Gegensatz zu dessen These von der zufälligen Bewegung der Atome in alle Richtungen eine einheitlich abwärtsgerichtete Bewegung; zudem behauptete er, dass die Atome zuweilen in unvorhersehbarer Weise nach einem nicht näher zu bestimmenden Zufallsprinzip ,,ausbrächen". Epikur zufolge kam der Naturwissenschaft bloß dann eine Bedeutung zu, wenn sie zur Durchführung praktischer Entscheidungen oder zur Linderung der Furcht vor Gott oder dem Tod beitragen könne. Er sah nicht, wie dem Hedonismus vor allem von stoischen Philosophen und christlichen Theologen unterstellt wurde, in einem möglichst lustvollen oder gar orgiastischen Treiben das Lebensziel des Menschen, sondern suchte als Lebenshaltung die von ihm so genannte Ataraxie zu erreichen: eine ,,Meeresstille des Gemüts", bei dem körperliche Lust (griechisch hedoné) und geistige Tätigkeit in Ausgleich sind. Wer zu dieser Einstellung fände, brauche auch keine Angst vor dem Tod mehr zu haben. Obwohl Epikur über 300 Werke geschrieben haben soll, sind seine Lehren hauptsächlich in dem philosophischen Lehrgedicht De Rerum Natura (Über das Wesen der Dinge) des römischen Dichters Lukrez erhalten geblieben, der auch zum Großteil für die Verbreitung des Epikureismus in Rom verantwortlich war. 4.1.3.2 Stoizismus Die nach ihrem Versammlungsort, der stoa poikilé, der bunt bemalten Säulenhalle, in Athen benannte Schule der Stoa, wurde um 300 v. Chr. von Zenon von Kition auf Zypern gegründet. Sie hatte sich aus der früheren Bewegung der sich auf die Bedürfnislosigkeit des Sokrates berufenden Kyniker (z. B. Diogenes von Sinope) entwickelt und wurde zu der in ihrer Zeit einflussreichsten philosophischen Schule der griechisch-römischen Welt. Der Stoizismus brachte einige herausragende Schriftsteller und Persönlichkeiten hervor: neben Zenon in der älteren Stoa vor allem Kleanthes und Chrysippos, der der Stoa ihre systematische Fassung gab. In der mittleren Stoa vollzog sich der Wechsel von Athen nach Rom, denn ihr ,,Begründer" Panaitios von Rhodos hielt sich längere Zeit dort auf, und sein Schüler Poseidonios von Apameia unterrichtete berühmte Römer wie Pompeius und Cicero, der selber ein führender Stoiker wurde. In der römischen Kaiserzeit ragten neben Epiktet, einem ehemaligen Sklaven, der mit seinem Handbüchlein der Moral einen ersten Ratgeber verfasste, Seneca, der Erzieher des jungen Nero und spätere Berater des Imperators, und der römische Kaiser Mark Aurel heraus, der für seine Weisheit und seinen edlen Charakter bekannt war. Die Stoiker vertraten eine nahezu materialistische Auffassung der Natur und folgten Heraklits Lehre vom Feuer als Urstoff und der Verehrung des Logos, den sie mit der Energie, dem Gesetz, der Vernunft und der in der gesamten Natur vorhandenen göttlichen Vorsehung gleichsetzten. Die menschliche Vernunft betrachteten sie als Teil des göttlichen Logos und daher als unsterblich; das menschliche Wissen gründe zwar in der sinnlichen Wahrnehmung, müsse aber durch den Verstand geprüft werden, bevor es Geltung beanspruchen dürfe. Sie lehrten, dass man Freiheit und Ruhe nur erreichen könne, wenn man sich einem Leben der Vernunft und Tugend verschreibe: indem man über der materiellen Behaglichkeit und dem irdischen Wohlstand stehe, die man sich zwar nicht asketisch versagen, wohl aber in ihrem niederen Stellenwert erkennen müsse. Triebe und Leidenschaften sollten so wenig wie möglich Angriffspunkte im Charakter eines Menschen finden. Insbesondere bei Seneca war die Idee der apathia (Unempfindlichkeit) stark entwickelt, die eine ,,Abtötung" jeglicher Leidenschaften, Triebe oder Begierden verlangte, weil sie die Souveränität des Menschen gegenüber seinem Schicksal und damit auch seine Moral gefährden könnten. Diese asketisch-rigide Haltung ließ Seneca besonders bei christlichen Autoren bis weit in die Neuzeit hinein als das Ideal eines Weisen erscheinen. Die pantheistisch-kosmopolitische Lehre der Stoiker, die besagte, dass der Mensch ein Teil Gottes, der ,,Allnatur", sei und dass alle Menschen einer großen Familie angehörten, ermöglichte es, nationale, ethnische und soziale Schranken abzubauen - auch gegenüber den Sklaven (Seneca empfahl ausdrücklich, sie ,,wie Menschen" zu behandeln) - und den Weg für die Verbreitung einer universellen Religion zu ebnen, was sie zu einer ,,Religion für die Gebildeten" in der ausgehenden Antike werden ließ. Die stoische Doktrin vom Naturgesetz, aufgrund dessen das Wesen des Menschen zum Maßstab erklärt wird, an dem die Gesetze und gesellschaftlichen Institutionen gemessen werden, beeinflusste in bedeutendem Maß das römische Recht. 4.1.3.3 Skeptizismus Die Schule der Skeptiker, die an die sophistische Kritik der objektiven Erkenntnis anschloss, war im 3. Jahrhundert v. Chr. an der platonischen Akademie vorherrschend. Wie Zenon von Elea entdeckten die Skeptiker in der Logik ein starkes Instrument der Kritik, was den Skeptizismus (griechisch skeptesthai: prüfen) zu einer philosophischen Reaktion auf den metaphysischen Dogmatismus werden ließ. Im Wesentlichen behauptete er, dass der Mensch nicht zur Erkenntnis der letzten Wahrheiten gelangen könne und sich deshalb gegenüber allen nicht sinnlich erfahrbaren Tatsachen, also gegenüber allen Hypothesen und Theorien, Zurückhaltung auferlegen sollte. Bedeutende Skeptiker waren Pyrrhon, Arkesilaos und Karneades, und in der Neuzeit wurde der Skeptizismus als Methode des philosophischen Denkens von René Descartes wieder aufgenommen. 4.1.3.4 Neuplatonismus Der jüdisch-hellenistische Philosoph Philon von Alexandria vereinte im 1. Jahrhundert n. Chr. die griechische Philosophie, insbesondere platonische und pythagoreische Ideen, mit der judäischen Religion zu einem umfassenden System, das den Neuplatonismus sowie den jüdischen, christlichen und islamischen Mystizismus vorwegnahm. Philon vertrat die Idee vom transzendenten Wesen Gottes, welches das menschliche Verständnis übersteige und daher unbeschreibbar sei; für ihn stellte sich die natürliche Welt als eine Reihe absteigender Stadien oder Stufen von Gottes Vollkommenheit aus dar. Er war Befürworter eines religiösen Staates bzw. einer Theokratie und einer der Ersten, der eine Auslegung des Alten Testaments für die Nichtjuden vornahm. Der eigentliche Neuplatonismus war eine der einflussreichsten philosophischen und religiösen Schulen seiner Zeit und entwickelte sich zum wichtigen Rivalen des Christentums. Im 3. Jahrhundert n. Chr. von Ammonios Sakkas und seinem noch berühmteren Schüler Plotin begründet, stützte er seine Ansichten auf die mystischen Dichtungen Platons, der Pythagoreer und Philons. Plotin sah die Hauptaufgabe der Philosophie in der Vorbereitung des Menschen auf die Erfahrung der Ekstase (griechisch ekstasis: Aus-sich-Heraustreten), in der er mit Gott vereint werde: Gott oder ,,das Eine" befände sich jenseits des rationalen Verständnisses und sei Ursprung der gesamten Wirklichkeit. Das Universum entstehe durch Emanation aus dem ,,Einen", einem ,,Herausfließen" oder ,,Überfließen" göttlicher Energie in aufeinanderfolgende absteigende Ebenen: Geist (nous), ,,Weltseele" und Materie. Der Mensch habe diese Stufenfolge in umgekehrter Richtung nach oben hin zu beschreiten; das höchste Lebensziel sei die Befreiung des Selbst aus der Abhängigkeit von körperlichen Behaglichkeiten und der ,,Unreinheit" des Sinnlichen und Materiellen sowie die Vorbereitung auf die ekstatische Vereinigung mit dem ,,Einen" durch philosophische Meditation. Der Neuplatonismus hatte, obwohl Konkurrent des entstehenden Christentums, großen Einfluss auf dieses, wie z. B. die geistige Biographie des Kirchenvaters Augustinus zeigt. 4.1.3.5 Boethius Als ,,letzter Römer" gilt der 524 auf Befehl Theoderich des Großen hingerichtete Boethius, dessen Schriften viel christliches Gedankengut enthielten, obwohl er selber kein Christ war. Für das Mittelalter wurde er außerdem bedeutsam durch seine Kommentare zu den Schriften des Aristoteles und die philosophischen Erörterungen von Glaubensfragen, die sich in der Scholastik zur führenden Thematik ausweiten sollten. 4.2 Philosophie des Mittelalters Während des Verfalls der griechisch-römischen Zivilisation im Verlauf der Völkerwanderung und der mit ihr verbundenen Neuordnung Europas wandten sich die abendländischen Philosophen von den wissenschaftlichen Studien der Natur und der Suche nach irdischem Glück ab und lenkten ihre Aufmerksamkeit auf eine mögliche Erlösung der Seele im Jenseits. Bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. hatte sich das Christentum auch auf die gebildeten Schichten des Römischen Reiches ausgeweitet. Das Mittelalter stellte den von Gott an den Menschen erteilten ,,Schöpfungsauftrag" in den Mittelpunkt der philosophischen Betrachtung: In der Scholastik wurde die Philosophie zur ,,Magd der Theologie" (lateinisch anna theologica) und die Stellung des Menschen zu Gott für die Philosophie entscheidend, die ihr Verhältnis zum Glauben definieren musste. 4.2.1 Augustinus Die Bemühungen, die vernunftbetonten Lehren der Griechen mit der gefühlsbetonten Doktrin von Jesus Christus und den Aposteln auszusöhnen, fanden ihren höchsten Ausdruck in den Schriften des Heiligen Augustinus. Augustinus war im Laufe seines Lebens zuerst Manichäer, dann Skeptiker und schließlich Neuplatoniker gewesen, bevor er das Christentum für sich entdeckte, hatte also die ganze Bandbreite hellenistischer Weltanschauungen kennen gelernt. Er war daher davon überzeugt, dass der religiöse Glaube der philosophischen Erkenntnis nicht entgegengesetzt sein müsse, sondern diese ihn zu ergänzen vermöge, und er behauptete, dass man ,,um zu verstehen, glauben müsse und verstehen müsse, um zu glauben". Ohne die religiösen Tugenden, wie Glaube, Hoffnung und (Nächsten-)Liebe, die allein durch göttliche Gnade empfangen werden könnten, sei der Mensch auch der natürlichen Tugenden, wie Tapferkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Weisheit, nicht fähig. Augustinus verfasste eine Vielzahl von Werken zu theologischen wie philosophischen Themen, in denen viele Gedanken geäußert wurden, die insbesondere im Mittelalter, aber auch darüber hinaus bis in die Moderne, als Anregung der Philosophen aufgenommen wurden, z. B. über die Zeit, das Gedächtnis sowie zur Geschichtsphilosophie. 4.2.2 Scholastik Die etwa im 9. Jahrhundert einsetzende christlich-abendländische Scholastik (lateinisch schola: Schule) war durch die Lehrmeinung gekennzeichnet, dass die kirchlichen Dogmen auch die Grundlage für Wissenschaft und Philosophie bilden sollten; die Philosophie wurde dementsprechend als anna theologica, als ,,Magd der Theologie" angesehen. Zentrales Thema der Scholastik ist die Frage nach der Vereinbarkeit von biblischer Schrift und katholischer Lehre mit der Erfahrung der Alltagswelt und der Tätigkeit der Vernunft; hierbei handelte es sich nicht allein um eine philosophische, sondern auch um eine (macht-)politische Frage, da die katholische Kirche aus dem Vorrang der Theologie ihre Vormachtstellung über die weltliche Gewalt der Könige und Kaiser ableitete. Diese theologische Umarmung der Philosophie führte u. a. dazu, dass sie oft daran interessiert war, die ,,Wahrheit" existierender Glaubensdogmen - manchmal entgegen der offen zutage liegenden Wirklichkeit - nachzuweisen, was nicht selten zu den sprichwörtlichen scholastischen Auseinandersetzungen führte. Das für die heutige säkularisierte Welt fremd anmutende credo ut intelligam (lateinisch: ,,Ich glaube, damit ich verstehe") des Anselm von Canterbury fasst diese ,,glaubensinspirierte Wissenschaft" in Worte. Neue Impulse erhielten Philosophie und Wissenschaft des Abendlandes im Mittelalter durch den zunehmenden Kontakt mit dem Morgenland: der sich über Nordafrika und Spanien ausbreitenden arabischen Welt. Die arabische Philosophie hatte das Werk des Aristoteles durch ihre Übersetzungen ins Arabische bewahrt und die Scholastik erneut mit den verloren gegangenen Schriften bekannt gemacht. Avicenna, der bedeutende arabische Arzt und Philosoph des 12. Jahrhunderts, vereinte neuplatonische und aristotelische Ideen mit der islamischen religiösen Doktrin. Auch mehrere Denker der jüdischen Philosophie nahmen Einfluss auf die christliche Scholastik. Der jüdische Dichter Salomon Ben Jehuda Ibn Gabirol arbeitete z. B. eine ähnliche Synthese wie Avicenna zwischen griechischem Gedankengut und dem Judaismus aus. Durch seine klaren und gelehrten Kommentare zu den Werken des Aristoteles trug der spanisch-arabische Jurist und Arzt Averroes, der bemerkenswerteste islamische Philosoph des Mittelalters, entscheidend zu einem Wiedererwachen des Interesses an der aristotelischen Wissenschaft und Philosophie bei und wurde deshalb von den vielen Scholastikern, die Aristoteles bald als ,,den Philosophen" betrachteten, mit dem Beinamen ,,der Kommentator" bedacht. Averroes unternahm den Versuch, die Gegensätze zwischen der aristotelischen Philosophie und der Offenbarungsreligion durch seine Theorie der ,,zweifachen Wahrheit" zu überwinden, indem er zwischen zwei getrennten Wirklichkeitssystemen unterschied: einem wissenschaftlichen System von Wahrheiten, das sich auf die Vernunft gründet, und einem religiösen System von Wahrheiten, das sich auf Offenbarung gründet, wobei der Vernunft der Vorrang vor der Religion gebühre. Diese Lehre beeinflusste viele islamische, jüdische und christliche Philosophen, wurde allerdings von vielen auch abgelehnt und so zu einer der wichtigsten Streitfragen der mittelalterlichen Philosophie. Ein weiteres umstrittenes Thema der Scholastik bildete den Kern des Universalienstreits (lateinisch universalia: Allgemeinbegriffe), der die Frage stellte nach der Bedeutung der sprachlichen wie intellektuellen Universalien: den Formen und Ideen, nach denen die einzelnen Dinge klassifiziert werden. 4.2.2.1 Anselm von Canterbury Der heilige Anselm von Canterbury entwickelte den so genannten ontologischen Gottesbeweis, der jedoch in der philosophischen Tradition zu den fragwürdigsten überhaupt gezählt wird. Anselm übernahm Augustinus' Anschauung vom Verhältnis zwischen Glauben und Wissen, Offenbarung und Vernunft und verschmolz den Platonismus mit der christlichen Theologie. In Unterstützung der platonischen Ideenlehre vertrat er die These von der gesonderten Existenz der Universalien bzw. der allgemeinen Eigenschaften der Dinge und wurde somit zum Begründer des logischen Realismus. 4.2.2.2 Roscelin von Compiègne Der entgegengesetzte Standpunkt des Nominalismus wurde von dem scholastischen Philosophen Roscelin von Compiègne formuliert, der behauptete, dass allein individuelle, konkrete Dinge existierten und dass die Universalien bloße Namen oder Kennzeichen seien. Aufgrund seiner Behauptung, die Dreieinigkeit müsse sich aus drei gesonderten Wesen zusammensetzen, wurden seine Lehren als häretisch erklärt und er selbst 1092 gezwungen, sie zu widerrufen. 4.2.2.3 Pierre Abélard Der französische Scholastiker und Theologe Pierre Abélard, auch bekannt durch seine tragische Liebesgeschichte mit Héloise, schlug einen Kompromiss zwischen dem Realismus und dem Nominalismus vor, der als Konzeptualismus (lateinisch conceptus: Begriff) bekannt wurde: Danach sollen die Universalien oder Allgemeinbegriffe in den einzelnen Dingen als Eigenschaften und außerhalb der Dinge als Begriffe des Geistes vorhanden sein. Nach Abélard muss die Offenbarungsreligion von der Vernunft gerechtfertigt werden; er entwickelte eine Ethik, die sich auf das persönliche Bewusstsein stützte, und nahm somit Elemente des protestantischen Denkens der Neuzeit vorweg. 4.2.2.4 Roger Bacon Der englische Mönch Roger Bacon, einer der ersten Scholastiker, der Interesse an experimenteller Wissenschaft zeigte, kritisierte die deduktive Methode seiner Zeitgenossen und unterstrich die Notwendigkeit einer neuen Forschungsmethode, die sich auf kontrollierte Beobachtung stützen sollte, der Induktion: Erst durch die genaue Untersuchung vieler Einzelfälle könne auf ein allgemeines Gesetz geschlossen werden und nicht etwa dieses von irgendeinem Dogma deduziert, d. h. abgeleitet, werden. Bacon legte damit den Grundstein zur wissenschaftlichen Methodik und Denkweise, die wenige Jahrhunderte später die Aufklärung charakterisieren sollte. 4.2.2.5 Thomas von Aquin Die bedeutendste geistige Persönlichkeit des Mittelalters war der heilige Thomas von Aquin, ein Dominikanermönch und Schüler des Albertus Magnus. Thomas gelang es, aristotelisches Gedankengut mit der augustinischen Theologie in einem umfassenden philosophischen System zusammenzuführen, weshalb seine ,,philosophische Theologie" später zur leitenden kanonischen Doktrin der römisch-katholischen Kirche wurde, die im Prinzip noch heute gilt. Den Anhängern der Theorie von der ,,zweifachen Wahrheit" des Averroes hielt Thomas entgegen, dass die Wahrheit des Glaubens und die Wahrheit der Vernunft nicht im Widerspruch zueinander stünden, sondern lediglich zwei unterschiedlichen Bereichen angehörten. Nach Thomas wird die Wahrheit der Naturwissenschaft und die der Philosophie durch logisches Denken anhand von Tatsachen der Erfahrung gewonnen; die Offenbarungslehren der Religion hingegen, wie die Doktrin der Dreieinigkeit, die Schöpfungsgeschichte sowie andere christliche Dogmen, liegen jenseits der vernünftigen Erkenntnis und müssen über den Glauben akzeptiert werden. Entsprechendes gilt auch in der Ethik: Gott habe den Menschen mit Vernunft und Willensfreiheit ausgestattet; sie ermöglichten dem Menschen, durch Vernunft das Gute zu erkennen und es durch seine Willenskraft zu verwirklichen. Die wichtigsten Kritiker der thomistischen Philosophie waren Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham. 4.2.2.6 Duns Scotus Duns Scotus entwickelte ein scharfsinniges System der Logik und Metaphysik und wandte sich gegen den Versuch Thomas von Aquins, die rationale Philosophie mit der Offenbarungsreligion in Einklang zu bringen. In einer Variation der Lehre des Averroes von der ,,zweifachen Wahrheit" vertrat er die Auffassung, alle Glaubensbekenntnisse seien eine Sache des Glaubens, außer der Glaube an die Existenz Gottes, denn diese sei logisch nachweisbar. 4.2.2.7 Wilhelm von Ockham Wilhelm von Ockham brachte die in nominalistischem Sinn radikalste Kritik gegen diejenigen Scholastiker vor, die an die immateriellen, unsichtbaren Dinge wie Ideen, Wesenheiten und Allgemeinbegriffe glaubten. Er behauptete, dass solche abstrakten Wesenheiten bloß Verweise von Wörtern auf andere Wörter und nicht auf reelle Dinge seien. Seine berühmte Regel, die als ,,Ockhams Rasiermesser" bekannt wurde und die besagte, dass man nie mehr Dinge als existent voraussetzen sollte, als logisch unbedingt notwendig sind, wurde zu einem Grundsatz der modernen Wissenschaft und Philosophie. 4.2.2.8 Mystik Im 14. und 15. Jahrhundert - Vorläufer finden sich schon im 12. Jahrhundert - machte sich neben dem wieder erwachten wissenschaftlichen Interesse an der Natur eine Neigung zu pantheistischer Mystik bemerkbar. Hildegard von Bingen, Meister Eckhart, Johannes Tauler, Heinrich Seuse, Thomas a Kempis, Katharina von Siena, Theresa von Ávila und andere lehrten die Versenkung der Seele in Gott; sie liefen dabei oft Gefahr, als Häretiker verurteilt zu werden, da sie durch diese Vorwegnahme der modernen Subjektivität den unmittelbaren Zugang zu Gott predigten und damit die Rolle des Klerus in Frage stellten und die Reformation mit vorbereiteten. 4.2.2.9 Nikolaus von Kues Der römisch-katholische Prälat Nikolaus von Kues wurde mit seiner Behauptung, dass sich die Erde um die Sonne bewege, zum Vorläufer des Astronomen Nikolaus Kopernikus. Durch das heliozentrische Weltbild wurde der Glaube der Menschheit erschüttert, Mittelpunkt des Universums zu sein. Nikolaus von Kues betrachtete das Universum als unendlich und mit Gott identisch. 4.3 Philosophie der Neuzeit Seit dem 15. Jahrhundert wurde die Philosophie von einer fortwährenden Wechselbeziehung zwischen den philosophischen Systemen, die sich auf eine mechanistische und materialistische Auslegung des Universums stützten, und den idealistischen, die sich auf den menschlichen Geist als letzte Wirklichkeit gründeten, bestimmt. Diese Wechselbeziehung spiegelte eine zunehmende Wirkung der wissenschaftlichen und geographischen Entdeckungen und politischen Umwälzungen auf die philosophische Gedankenwelt wider. 4.3.1 Humanismus Das 15. und 16. Jahrhundert standen im Zeichen radikaler gesellschaftlicher, politischer und geistiger Neuerungen. Die Erforschung der amerikanischen durch Christoph Kolumbus und der asiatischen Welt durch Marco Polo, die Reformation mit ihrer Betonung des individuellen Glaubens, dazugehörend die Bibelübersetzung durch Martin Luther, die Renaissance mit ihrem humanistischen Rückgriff auf die Antike und der Hervorhebung des Individuums (Lorenzo Valla, Niccolò Machiavelli, Giovanni Pico della Mirandola, Marsilio Ficino, Tommaso Campanella, Thomas Morus, Erasmus von Rotterdam, Ulrich von Hutten, Philipp Melanchthon u. v. a.), die Herausbildung der wirtschaftlichen Macht der Handelsstädte und erster überregionaler Finanz- und Handelsgesellschaften (Fugger, Medici) sowie Aufsehen erregende neue Ideen und Entwicklungen (z. B: das neue Medium Buch) in allen Bereichen der Kultur beflügelten die Entstehung der neuen philosophischen Weltanschauung des Rationalismus. Die mittelalterliche Auffassung der Welt als hierarchischer Ordnung von gottgeschaffenen und gottregierten Wesen wurde ersetzt durch das mechanistische Bild der Welt als riesiger Maschine, deren Teile sich nach strengen physikalischen Gesetzen, ohne Zweck oder Willen, bewegen. Die Vorbereitung für die Erlösung in einer kommenden Welt verlor als Lebensziel der Menschen stetig an Bedeutung, stattdessen trat die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse des Menschen in der existierenden Welt in den Vordergrund; die politischen Institutionen und ethischen Prinzipien wurden nicht mehr als Widerspiegelung der göttlichen Ordnung angesehen, sondern als praktische, vom Menschen geschaffene Einrichtungen. Aus dieser neuen philosophischen Sicht wurden Erfahrung und Vernunft zu den alleinigen Quellen der Wahrheit; der Empirismus kritisierte das mittelalterliche Vertrauen in Tradition und Autorität und entwickelte neue wissenschaftliche Methoden. Der italienische Philosoph Giordano Bruno, der pantheistisch das Universum mit Gott gleichsetzte, entwickelte die philosophischen Hintergründe für die Lehre des Kopernikus. Brunos philosophischer Einfluss auf die ihm nachfolgenden Intellektuellen führte diese zur modernen Wissenschaft, er selbst endete als Ketzer auf dem Scheiterhaufen. Die im 17. Jahrhundert einsetzende Aufklärung schloss an diese Errungenschaften an und bereitete auf geistiger Ebene die französische Revolution gegen den Absolutismus vor. Insbesondere in Deutschland wurden diese politischen Veränderungen in der Philosophie des Idealismus allerdings nur geistig nachvollzogen. 4.3.2 Mechanismus und Materialismus 4.3.2.1 Francis Bacon Der erste große Vertreter der neuen Philosophie war der englische Philosoph und Staatsmann Francis Bacon, der das blinde Vertrauen in die Autorität und das Wort kritisierte und die aristotelische Logik für die Entdeckung neuer (Natur-)Gesetze als nutzlos empfand. Bacons Kritik an den ,,Idolen", wie er die falschen Lehren nannte, geschah unter dem Motto ,,Wissen ist Macht" er forderte eine neue wissenschaftliche Methode, die sich auf eine induktive Verallgemeinerung der Ergebnisse sorgfältig durchgeführter Beobachtungen und Experimente stützen sollte. 4.3.2.2 Galileo Galilei Das Schaffen des italienischen Physikers und Astronomen Galileo Galilei war für die Entwicklung des neuen Weltbildes von noch größerer Bedeutung, denn Galilei machte bei der Formulierung der wissenschaftlichen Gesetze auf die Bedeutung der Mathematik aufmerksam, und die von ihm entwickelte Mechanik wandte die Gesetze der Geometrie auf die Bewegungen der Körper an. Die Erfolge der Mechanik bei der Entdeckung von Naturgesetzen ließ Galilei und spätere Wissenschaftler annehmen, dass die Natur nach mechanischen Gesetzen aufgebaut sei. 4.3.3 Rationalismus 4.3.3.1 René Descartes Am Werk des französischen Mathematikers, Physikers und rationalistischen Philosophen René Descartes scheidet sich die philosophische Neuzeit endgültig vom Mittelalter; nicht nur der christliche Glaube: Nichts mehr gilt voraussetzungslos, alles muss sich vor der Kritik der menschlichen Vernunft behaupten und beweisen. Descartes trat, was die Kritik der bestehenden Methoden und Überzeugungen betraf, die Nachfolge Bacons und Galileis an, nahm die Mathematik als Vorbild für alle Wissenschaften und wandte ihre deduktiven und analytischen Methoden in allen anderen Bereichen an. 1637 veröffentlichte Descartes mit den Essais philosophiques sein erstes Hauptwerk. Er beschloss, das gesamte menschliche Wissen auf einer absolut sicheren Grundlage aufzubauen, indem er sich weigerte, irgendeinem Glauben Folge zu leisten, auch nicht dem Glauben an seine eigene Existenz, bevor er nicht dessen unbedingte Wahrheit erwiesen habe; dadurch rückte er die Erkenntnistheorie in das Zentrum des philosophischen Interesses; so beginnt seine Philosophie des ,,methodischen Skeptizismus" mit dem Zweifel als Methode, der alles in Frage stellt, was nicht clare et distincte (lateinisch: klar und eindeutig) erkannt werden kann. Da dies für die gesamte Wahrnehmung gelten soll, denn sie könnte ja einem Irrtum oder einer Täuschung unterliegen, entstand für die neuzeitliche Philosophie zwangsläufig das zentrale Thema, wie klare und eindeutige, d. h. täuschungsfreie Wahrnehmung gewährleistet werden kann. Descartes musste dabei ganz auf sich selbst zurückgehen, denn erst bei der Einsicht in die Existenz seines eigenen Selbst, seiner Subjektivität, muss der Zweifel verstimmen: Den logischen Beweis seiner eigenen Existenz erbrachte ihm die Tatsache, dass er, selbst wenn er alles bezweifelte, doch nicht daran zweifeln könne, dass er zweifelte. Sein berühmt gewordener Ausspruch ,,Cogito ergo sum" (,,Ich denke [zweifle], also bin ich" oder besser ,,Ich bin mir meiner selbst bewusst, also existiere ich") lieferte ihm das Fundament, die eine sichere Tatsache, von der aus er die Existenz Gottes und die Grundgesetze der Natur abzuleiten versuchte. Dies resultierte jedoch in weiteren Schwierigkeiten. Zwar beweist Descartes' berühmtes cogito die Existenz des Subjekts, man kann es der philosophischen Bedeutung gemäß auch übersetzen mit ,,Das Ich hat ein Bewusstsein seiner selbst, verfügt also über ein Selbst-Bewusstsein". Er muss aber bei der Frage nach Gott, Vollkommenheit und Unendlichkeit auf die Konstruktion ,,angeborener Ideen" zurückgreifen, die sich wiederum der Beweisbarkeit entziehen. Trotz seiner mechanistischen Betrachtungsweise akzeptierte Descartes die traditionelle religiöse Doktrin von der Unsterblichkeit der Seele und behauptete, dass Geist und Körper zwei unterschiedliche Substanzen seien. Er öffnete so zwar die Tür für den Eintritt des selbst-bewussten autonomen, von Dogmen freien Subjekts in die Philosophie, errichtete aber zugleich eine Mauer zwischen dem erkennenden Subjekt (res cogitans) und den räumlich, körperlich existierenden Objekten (res extensa), wozu übrigens auch der eigene Leib des Subjekts gehört. Somit unterwarf sein Rationalismus zwar den Geist nicht den mechanistischen Naturgesetzen und bekannte sich zur Willensfreiheit, führte aber, obwohl er die moderne Subjektivität ,,erfand", durch die ,,Herabminderung" des Körpers zugleich einen tiefen Zwiespalt in diese ein, der die ganze Anthropologie, Ethik, Erkenntnistheorie und Politische Philosophie der Neuzeit und Moderne bis in die Gegenwart durchzieht und beschäftigt. 4.3.3.2 Thomas Hobbes Der englische Philosoph Thomas Hobbes baute ein umfassendes materialistisch-metaphysisches System auf, das eine Lösung des von Descartes verursachten Geist-KörperProblems anbot, indem es den Geist auf die inneren Bewegungen des Körpers reduzierte. Durch die Anwendung der Grundsätze der Mechanik in allen Wissensbereichen definierte er Grundbegriffe jedes Bereichs, wie Leben, Empfindung, Vernunft, Wert und Gerechtigkeit, vom Standpunkt der Materie und der Bewegung aus und reduzierte damit alle Phänomene auf physikalische Vorgänge und die gesamte Wissenschaft auf die Mechanik. In seiner ethischen Lehre leitete Hobbes die Gesetze für menschliches Verhalten vom Gesetz der Selbsterhaltung ab; daher gründet sich auch seine politische Philosophie auf ein negatives, pessimistisches Menschenbild: Der Mensch ist nicht etwa von Natur aus gut, sondern im Gegenteil an der Übervorteilung seiner Mitmenschen interessiert (homo homini lupus: ,,der Mensch ist dem (Mit-)Menschen ein Wolf"). Hobbes fand daher Hoffnung und gesellschaftliche Ordnung nur in einem starken Staat, der das Gewaltmonopol besitzen und aufrechterhalten müsse; neben den politischen Schriften von Jean Bodin wird Hobbes' politisches Denken daher zur Rechtfertigung des modernen Absolutismus, der sich seit dem 16. Jahrhundert in Europa ausbreitete. Hobbes behauptete die Existenz eines Urvertrags, in dem sich die Menschen zum Schutz voreinander und vor äußeren Gefährdungen unter die Ägide einer Regierung begeben, deren weithin absolute Macht vor allem an die Herstellung der inneren wie äußeren Sicherheit gebunden ist. 4.3.3.3 Baruch Spinoza Der holländische Philosoph Baruch Spinoza erarbeitete ein genaues und strenges philosophisches System, in dem er neue Lösungen bezüglich des Geist-Körper-Problems und des Konflikts zwischen Religion und Wissenschaft vorschlug. Als Lösung bot Spinoza die These des ,,psychophysischen Parallelismus" an, nach der die scheinbare Wechselwirkung zwischen Geist und Körper darauf beruht, dass beide Erscheinungsformen derselben Substanz sind, die genau parallel zueinander verlaufen. Wie Descartes behauptete auch Spinoza, dass das gesamte Gefüge der Natur aus einigen wenigen wesentlichen Definitionen und Axiomen der euklidischen Geometrie abgeleitet werden könne. Er erkannte, dass Descartes' Lehre von den zwei Substanzen das unlösbare Problem der Wechselbeziehung zwischen Körper und Geist aufgeworfen hatte, und folgerte, dass als letzter Gegenstand der Erkenntnis nur die Substanz selbst in Frage kommen könne. Bei dem Versuch, den Beweis zu erbringen, dass Gott, die Substanz und die Natur identisch sind, gelangte er zu dem pantheistischen Schluss, dass alle Dinge bloß Aspekte bzw. Erscheinungsformen Gottes sind. Spinoza, als Jude geboren und erzogen, wurde 1656 aus der jüdischen Gemeinschaft ausgeschlossen und aufgrund seiner unorthodoxen Anschauungen von Rabbinern aus Amsterdam verbannt; bis zu 100 Jahre nach seinem Tod durfte seine Lehre wegen ihres Atheismus nicht diskutiert werden. 4.3.3.4 Gottfried Wilhelm Leibniz Der Philosoph, Mathematiker und Staatsmann Gottfried Wilhelm Leibniz verband in seinem philosophischen System die mathematischen und physikalischen Erkenntnisse seiner Zeit mit den organischen und religiösen Naturphilosophien der antiken und mittelalterlichen Gedankenwelt. Leibniz betrachtete die Welt als unendliche Anzahl von kleinsten Krafteinheiten, die er Monaden nannte: Jede Monade sei eine in sich geschlossene Welt, spiegele jedoch alle anderen Monaden aufgrund ihres eigenen Wahrnehmungssystems wider. Alle Monaden seien geistige Wesen, wobei sich aus jenen mit der verworrensten Wahrnehmung unbelebte Dinge bildeten, während aus jenen mit der klarsten Wahrnehmung, einschließlich des Bewusstseins vom Selbst und der Vernunft, die Seele und der Geist der Menschheit entstünden. Gott wird als Monade der Monaden angesehen, der alle anderen Monaden schafft und ihre Entwicklung so vorbestimmt, dass sie miteinander und überhaupt die ganze Welt in einem Verhältnis prästabilierter Harmonie existieren. Leibniz' Anschauung von der organischen und geistigen Natur aller Dinge steht am Anfang der philosophischen Schule des neuzeitlichen Idealismus. 4.3.4 Britischer Empirismus 4.3.4.1 John Locke John Locke verlieh dem insbesondere in Großbritannien beheimateten Empirismus durch die Veröffentlichung seines Essay Concerning Human Understanding (1690) einen systematischen Rahmen und kritisierte den vorherrschenden rationalistischen Glauben an eine von der Erfahrung unabhängige Erkenntnis durch Descartes' angeborene Ideen: dass die Prinzipien der Erkenntnis feststehend in uns liegen; für ihn war die Sinneserfahrung die einzige Quelle und letzter Prüfstein der Erkenntnis. Allerdings wurde nur wenig später seinem empiristischem Grundsatz, nichts sei im Verstande, was nicht zuvor von den Sinnen wahrgenommen worden sei (,,nihil est in intellectu, quod non sit prius in sensu"), von Leibniz mit der Einwendung geantwortet: außer dem, was nur im Verstand ist, wie z. B. Begriffe und Ideen, womit er das Recht des Subjekts und seiner Vernunft betonte, zumindest als Teil in den Erkenntnisprozess mit einzugehen und entsprechend berücksichtigt zu werden. Obwohl Locke die von Descartes vorgenommene Trennung zwischen Geist und Körper und die mechanistische Beschreibung der Natur anerkannte, führte er einen erneuten Richtungswechsel in der Philosophie herbei: von der Untersuchung der physischen äußeren Welt zum Studium der inneren Welt des Geistes. Er versuchte, alle Vorstellungen (englisch ideas) auf einfache Elemente der Erfahrung zu reduzieren, unterschied jedoch zwischen äußerer Erfahrung (sensation) und innerer Erfahrung (reflection), wobei die äußere Erfahrung den Gegenstand für eine Erkenntnis der Außenwelt lieferte und die innere Erfahrung das Material für die Erkenntnis des Geistes. Für Locke unterliegt die menschliche Erkenntnis der äußeren, objektiven Dinge immer der Ungenauigkeit der Sinneswahrnehmung, so dass man zu keiner absolut gültigen Erkenntnis der objektiven Welt gelangen könne. In seiner politischen Philosophie nimmt Locke eine Gegenposition zu Hobbes ein. Anders als dieser ist für ihn die Regierung nicht absolut, also losgelöst, unabhängig vom Volk, sondern diesem verantwortlich. Aufbauend auf der allen heutigen Republiken zugrunde liegenden Gewaltenteilung, wie sie Charles de Montesquieu entwickelt hatte, entwarf Locke in seiner Schrift Two treatises on government eine der ersten Theorien des modernen Rechtstaats und lieferte die Grundlage des modernen Liberalismus. 4.3.4.2 George Berkeley Der irische Philosoph und anglikanische Geistliche George Berkeley schloss sich Lockes Zweifel an der Erkenntnis einer Welt außerhalb des Bewusstseins an und behauptete, dass es keinen Beweis für die Existenz einer solchen Welt gäbe, da die einzigen Dinge, die man erkenne, die eigenen Wahrnehmungen seien, die allein im Bewusstsein existierten. Daher sei es dem Menschen unmöglich, sein Bewusstsein und dessen Kategorien selbst, also wiederum durch dieses Bewusstsein, zu erkennen. Unklar bleibe daher, ob das, was von diesem Bewusstsein als Welt wahrgenommen würde, so oder anders oder überhaupt existiere: Die Existenz der Dinge bestände nur in ihrem Wahrgenommenwerden (,,esse est percipi": ,,Sein ist Wahrgenommenwerden"). Berkeley krönte daher seinen Solipsismus mit der Schlussfolgerung, dass jede Erkenntnis lediglich auf der Vorstellung beruhe und insofern allein ein einsames Ich (lateinisch solus ipse) in einer Welt nur vorgestellter, imaginierter Dinge existiere. Dementsprechend müssten die Dinge, um dann zu existieren, wenn sie nicht be(ob)achtet würden, von Gott weiterhin wahrgenommen werden. Seine philosophischen Werke A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge (1710) und The Three Dialogues Between Hylas and Philonous (1713) wurden von seinen Zeitgenossen abgelehnt. Allerdings begründete Berkeley aufgrund seiner Behauptung, dass einzig und allein die Sinneserscheinungen den Gegenstand der Erkenntnis ausmachen dürften, die Erkenntnislehre des Phänomenalismus, der besagt, dass die Materie in Form von Sinneserscheinungen erkannt werden könne, und bereitete so gleichzeitig den Weg für die positivistische Bewegung in der modernen Philosophie vor. 4.3.4.3 David Hume Der schottische Philosoph und Historiker David Hume übernahm Berkeleys Kritik an der materiellen Substanz und richtete sie gegen Berkeleys Glauben an die geistige Substanz. Er behauptete, es gäbe keine offensichtlichen Beweise für die Existenz einer Bewusstseinssubstanz, eines Geistes oder eines Gottes. Sein wichtigstes philosophisches Werk A Treatise of Human Nature wurde 1739 und 1740 in drei Bänden veröffentlicht. Hume zufolge sind alle metaphysischen Behauptungen über die Dinge, die nicht unmittelbar wahrgenommen werden können, schlicht bedeutungslos und sollten den ,,Flammen preisgegeben werden"; der Hauptvertreter des Empirismus wurde damit zum Begründer des modernen Positivismus. In seinen Untersuchungen zu Kausalität und Induktion kam Hume zu dem Schluss, dass es keine logische Begründung für die Annahme gäbe, dass zwischen zwei Ereignissen ein kausaler Zusammenhang existiere oder dass irgendwelche sicheren Schlüsse von Vergangenem auf Zukünftiges gezogen werden könnten; Kausalität, die Grundlage des mechanistischen Weltbilds, sei nur eine Denkgewohnheit, mit deren Hilfe wir versuchten, uns die Wirklichkeit zu erklären. In der Ethik stellte Hume die Nützlichkeit moralischer Prinzipien für die Mehrheit ins Zentrum, woran im 19. Jahrhundert der britische Utilitarismus (John Stuart Mill, Jeremy Bentham) anknüpfte, um das ethisch Gebotene durch eine Rechenformel zu ermitteln. 4.4 Philosophie der Moderne 4.4.1 Französische Aufklärung Mittlerweile hatte in Europa die intellektuelle Bewegung der Aufklärung ihren Höhepunkt erreicht: Während des ganzen 17. Jahrhunderts hatte sie, anschließend an Locke und Montesquieu, die literarischen, philosophischen und politischen Ideen propagiert, die in Amerika und Frankreich schließlich zu den sozialen und politischen Veränderungen der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und Französischen Revolution führen sollten, mit der die Moderne eingeläutet wurde. 4.4.1.1 Voltaire Zu den führenden Denkern dieser Zeit gehörte Voltaire, der die von Locke und anderen liberalen Denkern eingeleitete Tradition des Deismus weiterentwickelte. Dieser vertritt - im Gegensatz zum Theismus - entsprechend den liberalistischen Prinzipien der Aufklärung die Ansicht, dass es zwar einen persönlichen Schöpfergott gebe, dass dieser sich aber nicht in die Geschicke der Menschen einmische: Nicht die Vorsehung bestimme die (Welt-)Geschichte, sondern die eigene, selbstverantwortete Tätigkeit der Individuen; die Offenbarung Gottes durch z. B. Wunder wurde zugunsten einer reinen Vernunftreligion, die auch ,,natürliche Religion" genannt wurde, zurückgewiesen. Voltaires Leben und Werk zeichnen sich durch die oft satirische Kritik an den Traditionen der Kirche und des Staates, am Absolutismus der Monarchien und am Glauben an das Irrationale aus; Spuren des Letzteren glaubte er noch bei Leibniz entdecken zu können: In seinem Roman Candide oder der Optimismus (1759) lässt er seinen Helden an der Leibniz'schen ,,prästabilierten Harmonie" der Welt scheitern. Mehrmals in der Bastille inhaftiert, musste Voltaire des Öfteren aus Frankreich fliehen und verbrachte längere Zeit u. a. in England und Deutschland, wo er als persönlicher Berater Friedrich des Großen wirkte. Voltaire ist ein klassischer Vertreter der sehr stark rational ausgerichteten Aufklärung, die das der Logik und der Vernunft Fremde oder Nichterklärbare ablehnte; im Verlauf der Geschichte glaubte er, eine Entwicklung hin zu Fortschritt und Bildung erkennen zu können. 4.4.1.2 Jean-Jacques Rousseau Ganz anders deutete dies sein Gegenpart Jean-Jacques Rousseau, der die Zivilisation für die Korruption des Wesens der Menschen seiner Zeit verantwortlich machte; Rousseau nimmt eine eigentümlich zweideutige - aber gerade deshalb für die Moderne typische - Stellung zur Aufklärung ein: Seine Kritik am Fortschrittsideal zeigte dessen Schwächen auf, und seine Romane Die neue Heloise (1761) und die Bekenntnisse (1761-1770) wiesen auf die Romantik voraus - seine politischen Schriften jedoch, insbesondere der Gesellschaftsvertrag (1762), legten die Grundlage zu den Verfassungen der modernen Rechtsstaaten, sein Bildungsroman Émile (1762) beflügelte die moderne Pädagogik. Rousseau musste ebenfalls aus Frankreich fliehen und gehörte wie Voltaire zum Kreise der Enzyklopädisten, der Mitarbeiter der im Geist der Aufklärung erstellten berühmten Encyclopédie, zu der viele Wissenschaftler und Philosophen ihren Beitrag erbrachten. Sie wurde herausgegeben von Denis Diderot, dessen Schriften ebenfalls den Deismus propagierten, wichtige Grundlagen für die moderne Ästhetik legten und den Konservatismus der Kirche und des Staates des Ancien Régime geißelten. Das Werk dieser und anderer französischer Aufklärer (Condillac, Condorcet, d'Alembert, Holbach) - Rousseau war Schweizer - blieb nicht auf Frankreich beschränkt, sondern wirkte in ganz Europa und Amerika fort. Die Aufklärung setzte neue Maßstäbe und revolutionierte das gesamte abendländische Denken in allen politischen wie sozialen, kulturellen wie philosophischen Bereichen. Wenn sie auch von der beginnenden Romantik bereits mit ihrer Kritik konfrontiert wurde, so konnte diese doch nicht hinter die Aufklärung selbst zurückgehen oder deren Theorien ignorieren. 4.4.2 Deutscher Idealismus 4.4.2.1 Immanuel Kant Seine Antwort auf Humes Skeptizismus formulierte Immanuel Kant in einem philosophischen Gedankengebäude, das zu den bedeutendsten intellektuellen Errungenschaften der abendländischen Kultur zählt. Kants Transzendentalphilosophie verband den empiristischen Grundsatz, dass die gesamte Erkenntnis ihren Ursprung in der Erfahrung habe, mit dem rationalistischen Glauben an die deduktive Methode: Er vermittelte die rationalistische Idee, dass exakte und verläßliche Erkenntnis möglich sei, mit der empiristischen, dass dies aber mehr Einsichten in die Struktur des Erkenntnisvermögens, also in uns selbst, gebe als über die Dinge. Der Inhalt der Erfahrung müsse zwar durch die Erfahrung selbst entdeckt werden, die Vernunft enthalte jedoch unsere Ideen und Ordnungen für die gesamten Erfahrungen bereits a priori, nämlich in Gestalt der Kategorien. Diese auf Ausgleich zielende Erkenntnis hatte für die Philosophie allerdings ihren Preis, denn sie hat eine negative Seite, die von manchem seiner Zeitgenossen als ,,Schock" erfahren wurde: Wegen der Kategorien, mit denen wir an die ,,Welt außer uns" herantreten und sie ,,durch deren Brille" sehen, bleibt uns das ,,Ding an sich" verschlossen, da wir nur das ,,Ding für uns" wahrnehmen können: ,,Die Welt" ist in viel stärkerem Maße eine Konstruktion des Menschen, als er dies selbst bemerken und eingestehen will - eine Erkenntnis, die von den modernen Naturwissenschaften bestätigt wird (vgl. Unschärferelation). Damit stellte sich von nun an das Problem, mit welchen Argumenten eine Beliebigkeit der Wahrnehmung und Einstellungen verhindert werden könne. In der Ethik formulierte Kant mit dem kategorischen Imperativ ein allgemein-vernünftiges Prinzip des Handelns, das zugleich die Freiheit des menschlichen Willens beweisen sollte. In der allgemeinsten seiner Formulierungen lautet er: ,,Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde". Dieser Befehl heißt ,,kategorisch", weil er ohne spezifischen Inhalt ist: eine ,,formalistische" Moral, die sich nicht auf bestimmte Gelegenheiten bezieht, sondern immer gilt - unbedingt und unabhängig von den jeweiligen Wünschen und Bedürfnissen des Handelnden. Insofern sich die Vernunft in der Aufstellung und Befolgung des kategorischen Imperativs der Pflicht ihrer eigenen Gesetzgebung unterwirft, ist sie selbst gesetzgebend und somit frei. Triebfeder des guten, d. h. freien Willens ist im Gegensatz zum ,,pathologischen", d. h. unfreien, sinnlich bestimmten Willen die Achtung des Gesetzes. Einzig und allein die Pflicht darf die Richtlinie des Handelns sein, nicht Neigungen, Bedürfnisse, Triebe oder Interessen; Handeln war für Kant umso moralischer, je stärker pflichtbezogen es war: Der Mensch sei dazu fähig, weil er über Willensfreiheit verfüge. 4.4.2.2 Johann Gottlieb Fichte In Deutschland waren durch den Einfluss Kants die philosophischen Richtungen des Idealismus und des Voluntarismus (lateinisch voluntas: Willen) vorherrschend. Johann Gottlieb Fichte begründete einen Idealismus, der das Ich zur letzten, kognitiv nicht hintergehbaren und hinterfragbaren Realität erhob; für Fichte zeigte sich die Welt als Spaltung in ,,Ich" und ,,Nicht-Ich", wobei das Erstere durch seine Bewusstseinstätigkeit die Wahrnehmung des Letzteren bestimme. In seiner vielfach überarbeiteten Wissenschaftslehre, die erstmals 1794 erschien, sprach er von der ,,Tathandlung", mit der das Ich sich und damit zugleich das Nicht-Ich ,,setzt"; stärker noch als Kant begriff Fichte die menschliche Vernunft also als an ihrem Gegenstand ,,tätige", die selbst gestaltend eingreife. Dies geschehe analog der schöpferischen Tätigkeit des Künstlers bzw. Genies, das sich seine Welt schaffe. Fichte bewegte hier die Subjekt-Objekt-Dialektik bereits in die Richtung der Hegel'schen Philosophie, die dieses Verhältnis vor allem mit dem am Modell der Arbeit orientierten Begriff des Geistes fasste. Mit Die Bestimmung des Menschen (1800) trat Fichte für eine in Gestalt der Bildung sich vollziehende individuelle Aneignung der Möglichkeiten der menschlichen Vernunft ein und entwarf in Der geschlossene Handelsstaat (1800) seine Vorstellung einer Sozialutopie. Fichtes religionskritische Äußerungen wurden des Atheismus bezichtigt und kosteten ihn seinen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität von Jena. 4.4.2.3 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der gemeinsam mit Hegel und Hölderlin zur Zeit der Französischen Revolution am Tübinger Stift studiert hatte, folgte zunächst noch Fichtes Absicht, die Kantische Philosophie weiterzuentwickeln; in diesem Zusammenhang stand auch noch seine erste Veröffentlichung über Das Ich als Prinzip der Philosophie (1795), in dem er sich mit Fichte einig darin zeigte, das subjektive Moment des Erkenntnisprozesses energischer zu betonen, also die Rolle des Ich zu stärken. Philosophie sollte sich vor allem um die Bestimmung des Ich bemühen, das Selbst-Bewusstsein, sich seiner selbst bewusst werden. In den folgenden Schriften jedoch wandte sich Schelling von Fichtes nur aus dem Ich konstruierten Nicht-Ich ab, betrachtete vielmehr die Natur als selbständigen Teil der Welt und bemühte sich, sie in Analogie zum Subjekt-Selbst-Verständnis durch seine Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797) zu analysieren. Im Sinne einer ,,Identitätsphilosophie" gelangte er im System des transzendentalen Idealismus (1800) und in der Darstellung meines Systems der Philosophie (1801) zu der Einsicht einer absoluten Identität von Subjekt und Objekt, woraus sich eine in mehreren Potenzen aufgebaute Wirklichkeit ergebe - insofern gilt Schelling zurecht als ,,romantischer" Philosoph, eine Bezeichnung, die er selbst jedoch ablehnte, obwohl er zur Gruppe der Jenaer Romantik gehörte. In seinen späteren Jahren beschäftigte sich Schelling intensiv mit Ästhetik, Mythologie und Mystik sowie der Philosophie der Offenbarung. Die ursprüngliche Arbeitsgemeinschaft mit Hegel zerfiel im Laufe der Jahre, als dieser durch die Entwicklung seines eigenen Idealismus Schelling scharf attackierte und zudem im Bewusstsein der philosophischen Öffentlichkeit Schelling überflügelt hatte. Erst 1840 wurde Schelling, fast zehn Jahre nach Hegels Tod, von der preußischen Regierung an die Berliner Universität berufen, um die ,,Drachensaat des Hegelianismus auszutreiben", die, vor allem in Person der Linkshegelianer, dem preußischen Staat zunehmend politische Beschwerden verursachte. 4.4.2.4 Georg Wilhelm Friedrich Hegel Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel war die gesamte Wirklichkeit von einem ,,universalen Geist", einer Art kosmischer Vernunft, durchwirkt, die sich aus dem abstrakten, undifferenzierten Sein durch Werden zu immer konkreteren Formen der Wirklichkeit hin zu einem ,,absoluten Geist" als ,,(Selbst-)Verwirklichung des Geistes" hin entfaltet. Diese Entwicklung vollzieht sich in einem dialektischen Prozess und kommt im menschlichen Geist ,,zu sich selbst", d. h. wird von der Philosophie als Gipfel der menschlichen Vernunft (dem reflektierenden Denker) in ihrer Entwicklung erkannt und rekonstruiert. Hegel führte dies durch in seinem Hauptwerk Phänomenologie des Geistes (1806), in dem er die stufenartig aufeinander aufbauenden Erscheinungsformen (Phänomenologie) des menschlichen Bewusstseins historisch wie philosophisch gleichermaßen aufdeckte. Für Hegel war die Dialektik diejenige Erkenntnismethode, die der sich in qualitativ unterschiedlichen Stufen entfaltenden und in historischen Phasen ablaufenden Wirklichkeit am besten entspreche, da sie das Bewegungsgesetz der Wirklichkeit selbst sei. Hegel zeigte in seiner thematisch sehr breit angelegten und hochkomplexen Philosophie, dass sowohl philosophische Denkvorgänge wie kulturgeschichtliche Phasen, naturwissenschaftliche Abläufe wie historische Prozesse nach Gesetzen der Dialektik ablaufen, die von der ,,Philosophie als Wissenschaft" aufgedeckt würden. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung der Wirklichkeit durch den Geist strukturell identisch ist mit dem Prozess der Erkenntnis des Objekts durch das Subjekt wie auch mit dem Prozess der Arbeit als der Auseinandersetzung des Subjekts Mensch mit einem Gegenstand. Philosophische Erkenntnis wurde so für Hegel zur ,,Arbeit des Begriffs" an seinem Gegenstand Welt(-Geschichte). Dies gelte ganz besonders für den Prozess der Weltgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, der durch logische, d. h. vom Geist bestimmte Gesetze regiert werde, sodass alles ,,Wirkliche vernünftig" und alles ,,Vernünftige wirklich" sei. Spätere Stufen der Geschichte werden als konkretere Verwirklichungen des absoluten Geistes angesehen, dessen höchste Stufe der Selbstverwirklichung im Nationalstaat und in der Philosophie ihren Ausdruck findet. Hegels Ziel bestand in der Errichtung eines geschlossenen Systems der Philosophie, und er beschäftigte sich daher mit nahezu allen Disziplinen der Philosophie, mit Logik, Ethik, Politischer Philosophie, Rechtsphilosophie, Geschichtsphilosophie, Ästhetik wie Religionsphilosophie und verfasste auch eine Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817). Der Philosoph erweckte das Interesse an Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Geschichte neu, an das nach ihm der Rechtshegelianismus des 19. Jahrhunderts ebenso anschloss wie die linkshegelianischen Kritiker David Friedrich Strauß und Bruno Bauer, die Materialisten Ludwig Feuerbach, Max Stirner und der junge Marx sowie die Marxisten des 19. und 20. Jahrhunderts. Vertreter des Rechtshegelianismus waren Eduard Gans, Johann Eduard Erdmann, Kuno Fischer, Karl Ludwig Michelet, Eduard Zeller und Karl Rosenkranz, dessen Ästhetik des Häßlichen (1859) eine wichtige theoretische Quelle für die moderne Kunst wurde. Kant hatte die Philosophie der Aufklärung auf ihren Gipfel geleitet, sein kritisches Erbe im Deutschen Idealismus, das mit den ,,romantischen" Philosophen Fichte und Schelling einsetzte, führte mit Hegel zu einem neuen Gipfel der Philosophie und einem gewissen Abschluss der Philosophiegeschichte seit der Antike. War Aristoteles der erste, der eine Metaphysik, eine Erklärung der Welt in ihrer Totalität, versucht hatte, so gilt Hegel als der letzte. Nach Hegel kam es in der Philosophiegeschichte zu einem Bruch, der in der abendländischen Philosophie eine Aufsplitterung in verschiedene, gleichzeitig nebeneinander herrschende Denkansätze zur Folge hatte, die für die Philosophie des 20. Jahrhunderts prägend waren. Es entstanden u. a. drei Strömungen, die mit den Namen Marx, Kierkegaard und Nietzsche verbunden sind. 4.4.3 Marxismus Ausgehend vom religions- und hegelkritischen Werk des Materialisten Ludwig Feuerbach entwickelten Karl Marx und Friedrich Engels auf der Grundlage von Hegels dialektischer Logik den dialektischen Materialismus, der ,,Hegel vom Kopf auf die Füße stellen" sollte, indem er nicht wie in dessen Idealismus den Geist, sondern die (historische) Materie als letzte Realität ansah. Motiviert von humanistischen Idealen gingen sie von der Kritik ihrer Gegenwart um die Mitte des 19. Jahrhunderts aus und stellten den Begriff der Arbeit in den Mittelpunkt ihrer Analyse der Gesellschaft. Von Hegel übernahmen sie dabei die Idee, dass sich die Geschichte aufgrund dialektischer Gesetze vollziehe und die gesellschaftlichen Institutionen - Hegels ,,objektiver Geist" - eine konkretere Wirklichkeit besäßen als die Natur oder der individuelle Geist. Die Anwendung dieser Grundsätze auf die Sozialgeschichte und die Wirtschaftsgeschichte fand ihren Ausdruck im historischen Materialismus, der besagt, dass die Formen der Kultur ,,in letzter Instanz", d. h. wenn sie auf ihre Voraussetzungen hin untersucht werden, von ökonomischen Verhältnissen bestimmt werden. Die Geschichte sei eine Abfolge von historischen Formationen mit jeweils anderen Produktionsverhältnissen und wird von Revolutionen vorangetrieben, deren letzte jetzt bevorstehe, wenn die Phase des Kapitalismus vom Sozialismus und dann vom Kommunismus abgelöst werde. In dieser endgeschichtlichen Hoffnung des Marxismus drückte sich die Zuversicht aus, die Marx durch die im 19. Jahrhundert einsetzende Arbeiterbewegung erhielt, die zunächst auf eine Überwindung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Europa gerichtet zu sein schien. Im ,,real existierenden Sozialismus" der Ostblockstaaten des 20. Jahrhunderts nahm der Marxismus die ideologisch verhärtete Form des Leninismus und Stalinismus an, die sich von den ursprünglichen humanistischen Ideen des jungen Marx weitgehend entfernt hatte. Auf diese ,,philosophische Phase" von Marx' Werk stützte sich in Konkurrenz zum Stalinismus der (west-)europäische Neomarxismus. 4.4.4 Existenzphilosophie Gegen Hegels affirmative Dialektik, die trotz aller Analyse der Entfremdung und Entzweiung, ja Zerrissenheit des (modernen) Bewusstseins letztlich harmonisch endet, setzte der Däne Søren Aabye Kierkegaard seinen Begriff der Existenz. Kierkegaard, der 1842 in Berlin selber noch Schellings Vorlesungen gehört hatte, konnte die Bewusstseinseinstellung der Hegelianer, die jegliche Situation sub specie aeternitatis (unter dem Blickwinkel der absolut gesetzten Hegelschen ,,Weltweisheit") auffassten, nicht beruhigen; für ihn befand sich der Mensch, auch er selbst, stets in einer Situation der Gefährdung und Verletzlichkeit - Heidegger wird später von der ,,Geworfenheit" sprechen -, die er auch durch das Wissen um die ,,Heimat im System" nicht eliminieren konnte. Gegen Hegels System setzte er seine ,,Philosophischen Brocken", eine bewusst nicht-systematische Kritik an Hegels Philosophie im Namen des einzelnen, vereinzelten Individuums. Hegel und die Systemphilosophie generell könnten niemals die wirklichen, radikal individuellen Existenzprobleme erfassen oder gar lösen. Im Gegenteil, durch ihren ,,objektiven" Systemcharakter, der als Entsprechung der Wirklichkeit angesehen werde und für alles eine Erklärung und eine Lösung parat habe, verleugne sie die ständige Notwendigkeit der rein subjektiven menschlichen Entscheidung, der ,,Wahl" und der Verantwortung. Kierkegaard verblieb aber trotz seiner Hegelkritik, ähnlich wie Marx, im dialektischen Denken Hegels, da dies der entzweiten Existenz des Menschen gerecht werde. Diese ,,Existenz" war für Kierkegaard bestimmt durch den anthropologischen Riss im Subjekt, der sich zwischen der Befähigung des Menschen zur Freiheit und der Tatsache seines Todes auftue, zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit, Ewigkeit und Zeitlichkeit, Seele und Körper. Aus diesem Wissen um den Tod entstanden die Schriften Der Begriff Angst (1844), Furcht und Zittern (1846) und Krankheit zum Tode (1849). Die unabweisbare Notwendigkeit, sich für einen Lebensweg und eine Welthaltung zu entscheiden, zwinge den Menschen zu einer ,,Wahl", die jedoch meistens unbewusst, ohne Reflexion und ohne Selbsterhellung getroffen werde, wodurch das Unglück vorhersehbar sei. In Entweder - Oder (1843), seinem zweibändigen Hauptwerk, entwarf Kierkegaard einen Lebensweg in vier Stadien, die jeweils durch eine geistige wie psychische Krise und eine ebensolche Neuorientierung in Gestalt einer bewussten ,,Selbstwahl" eingeleitet werden. Das ,,ästhetische Stadium" sieht den einzelnen Genussmenschen, der das Leben hedonistisch genießt und - z. B. als Verführer - ohne Reflexion von Augenblick zu Augenblick in den Tag hinein lebt -, solange es ihm gut geht, denn er tut dies nur, um der Langeweile, dem ennui, zu entfliehen. Erst eine tiefe Depression durch die Erkenntnis der inneren Leere und eine daraus resultierende neue ,,Wahl" lässt ihn zu jenem ,,ethischen Stadium" aufsteigen, das er zuvor als ,,Spießertum" abgelehnt hatte; er schafft sich einen festen Platz in der Welt, geht einem regelmäßigen Beruf nach, hat Frau und Familie, die seiner Existenz Halt geben, ihn aber dennoch ,,metaphysisch obdachlos" sein lassen. Daher folgt dem zweiten das ,,religiöse Stadium", in dem er sein Verhältnis zu Gott und Tod problematisiert. Er erkennt, dass ihn nur die Gnade Gottes und der ,,qualitative Sprung" in den Glauben retten können, auch - und gerade weil - ihm dies wie ein existentielles Paradoxon erscheint. Im vierten, dem ,,christlichen Stadium", kommt er dann, in der christlichen Religion beheimatet, zur Ruhe. Durch die Religionskritik, wie sie Marx und Nietzsche im 19. Jahrhundert vorbrachten, wurde das vierte Stadium Kierkegaards untragbar und das dritte zumindest problematisch. Stark gewirkt auf die Existenzphilosophie und den Existentialismus des 20. Jahrhunderts haben jedoch die Analyse der beiden ersten Stadien und ihrer ,,Symptome", in denen sich die Moderne in ihrer Zerrissenheit wiedererkennen konnte. Existenzphilosophische Positionen in der heutigen Philosophie vertritt z. B. Michael Theunissen. 4.4.5 Lebensphilosophie 4.4.5.1 Evolutionismus Die mechanistische Weltanschauung des 17. Jahrhunderts und das Vertrauen in die Vernunft im 18. Jahrhundert besaßen zwar immer noch großen Einfluss, vor allem auf die Naturwissenschaften, wurden jedoch im 19. Jahrhundert von einer Vielzahl komplexerer und dynamischerer ,,romantischer" Anschauungen modifiziert, die sich vornehmlich auf Biologie und Geschichte als auf die Mathematik und Physik stützten. Besondere Auswirkungen hatten die Evolutionstheorie und die Lehre von der ,,natürlichen Auslese", die 1858 von Charles Darwin vorgebracht wurde, u. a. deshalb, weil sie den Gedanken an eine Evolution ohne vorherbestimmtes Ziel postulierte, das bislang christlich oder philosophisch ein Haltepunkt im Sein für das individuelle Bewusstsein gewesen war. 4.4.5.2 Arthur Schopenhauer Arthur Schopenhauer war einer der wenigen Philosophen des Abendlands, die sich der Philosophie des Morgenlands öffneten und sie in ihr Werk einbrachten - vor allem die indische Philosophie, in der er Parallelen zu seiner ,,lebensverneinenden" Weltanschauung zu erkennen glaubte. Schopenhauer wies den optimistischen Glauben Hegels an Vernunft und Fortschritt ab und legte schon 1819 in seinem von Atheismus und Pessimismus geprägten Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung unter dem Einfluss buddhistischer Weisheitslehren dar, dass Natur und Mensch Erzeugnisse eines irrationalen ,,Willens" seien, dem der Mensch bloß durch die Kunst oder den Verzicht auf den Wunsch nach Glückseligkeit entfliehen könne. Kant habe nachgewiesen, dass alle Erkenntnis letzthin subjektiv bleiben müsse und das Wesen der Welt, das ,,Ding an sich", nicht zu erfassen vermöge, so dass der Mensch sich stets die Welt in einer Vorstellung ,,für sich" erbaue, dem das eigentliche Wesen der Welt ,,an sich", der bewusstlose Wille, der die Natur durchzieht, schroff gegenübersteht; einen Sinn der Welt oder der Geschichte wie Hegel konnte Schopenhauer nicht erkennen. Anstrebenswert sei daher eine Lebenshaltung, die dem Weisen, dem Heiligen oder dem Künstler entspreche, die den ,,Schleier der Maja", die Illusion der eigenen Entscheidungsfähigkeit, durchschauten, ein Leben in der ,,Verneinung des Willens" führten und in einer betrachtenden Distanz zur Welt ihr Glück fänden. Endgültig zur Ruhe komme der Mensch aber erst in einem Zustand, der im Buddhismus Nirwana genannt wird. Schopenhauer ist damit einer der Ersten, die die von Kant propagierte aufklärerische Autonomie des Subjekts in Frage stellten und damit sowohl Nietzsche als auch, durch seine Überhöhung des Künstlers, Richard Wagner den Weg wiesen. Schopenhauers zum Teil aphoristisches Werk ist voller Einsichten über das Wesen des Menschen und seine ,,Verstellungen", auch die Psychoanalyse hat Wurzeln in Schopenhauers Werk. 4.4.5.3 Friedrich Nietzsche Friedrich Nietzsches Werk stellt neben dem von Hegel und Marx das vielleicht folgenreichste des 19. Jahrhunderts dar. Die Zeit hat sein Denken nicht überholt, für die Postmoderne gelten viele seiner Hauptthesen. In seinen Anfängen war Nietzsche stark von Schopenhauer beeinflusst, wie seine Schrift Schopenhauer als Erzieher (1874), eine der vier Unzeitgemäßen Betrachtungen (1873-1876), belegt: Er schloss an dessen pessimistische Auffassung des Lebens als Manifestation des Willens (in heutigen Sprachgebrauch übersetzt: Treibkraft, Energie) an, der nur mit Mühe steuerbar sei. Allerdings war sein ganzes Denken bald von der Anstrengung geprägt, die sich für Schopenhauer, wie Nietzsche meinte, daraus ergebende Lebensverneinung zu vermeiden und zu einer ,,Überwindung des Nihilismus" zu gelangen. Nietzsche fasste in seinen späteren Schriften das Leben als Ausdruck eines kosmischen Willens auf und erkannte den ,,Willen zur Macht" als dessen Mittelpunkt und als Ursprung allen Seins. Stärker als bei den meisten Philosophen ging die eigene Biographie in das Werk Nietzsches ein, der sich stets nicht nur als Philosoph, sondern auch als ,,Psychologe" verstand. Frühreif und in jungen Jahren bereits Professor für Altphilologie, zwangen ihn seine stärker werdenden Beschwerden (Migräneanfälle, starke Sehschwäche, tagelanges Übelsein) zum Verzicht auf das Lehren und zur Existenz als ,,freier Philosoph". Aus dieser Situation entstand ihm eine große Freiheit im Denken und Schreiben, da er keine Rücksicht nehmen musste; sie trieb ihn aber auch in erhebliche Einsamkeit, da er sich oft aus medizinischen Gründen auf Reisen ans Mittelmeer oder ins Engadin befand. Beides ist in sein Werk eingegangen: Seine philosophische Radikalität hatte große geistige Einsamkeit zur Folge. Was er an der ,,Dekadenz" seiner Zeit auch in sich überwinden wollte, das klagte er an als Niedergang der europäischen Kultur. In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts war der musikalisch bewanderte Nietzsche stark beeinflusst durch seinen Kontakt zu Richard Wagner. Seine Unzeitgemäßen Betrachtungen formulierten Gedanken, die ihn gemeinsam mit Wagner und seinen Anhängern außerhalb der bildungsbürgerlichen Kultur Deutschlands stellten. Er kritisierte den unreflektierten Fortschrittsglauben sowie das von Doppelmoral geprägte Humanitätsideal des Bildungsbürgertums und dessen bigottes Verhalten. Statt dessen muss Zarathustra, der Protagonist in Nietzsches Werk Also sprach Zarathustra (1883-1885), erkennen: ,,Gott ist tot". Eine Orientierung, ein fester metaphysischer Halt ist nicht mehr zu finden. Der Mensch ist ,,zur Freiheit verdammt" und damit allein verantwortlich für seine Existenz - ein Gedanke, der später aufgenommen wurde von den Denkern des Existentialismus, die das Werk Nietzsches mit großer Zustimmung aufnahmen. Die meisten Menschen entscheiden sich jedoch für das kleine Glück, für die Erlösung von der mühevollen und ungeliebten Freiheit, begeben sich in eine moralisch geprägte Abhängigkeit, verweigern die Entfaltung ihres Wesens und setzen sich zu kleine Ziele. Gegen diese Lebensform setzt Nietzsche seinen Entwurf des ,,Übermenschen", der sich der Einsicht in die ,,ewige Wiederkehr des Gleichen", den Kreislauf der Geschichte und der Schöpfung nicht durch Illusionen entzieht, ihm nicht nur standhält, sondern sich an ihm durch ,,amor fati" (Liebe zum [blinden] Schicksal) berauscht und so sein Selbst selbständig gestaltet. Ein ästhetizistisches Gefühl der Lebenssteigerung und Erlebnisintensivierung ersetzt die traditionelle Metaphysik und ihren Glauben an den ,,Sinn des Lebens". Auch Nietzsches Werk kann noch interpretiert werden als Reaktion auf den von Kant ausgelösten Schrecken, dass völlige Erkenntnis und Weltweisheit nicht möglich sind und dass somit das stolze, selbstbewusste Ich Descartes', das immer auch ein Idealbild des aufkommenden Bürgertums war, eine Illusion darstellt. Nietzsches selbsterklärte ,,Philosophie der Zukunft" versucht durch seine ,,Umwertung aller Werte" ein ,,Leben ohne Ich" zu denken, ohne seinen Stolz, aber auch ohne seine Verkennungen, wozu auch die Philosophie gehören kann. Diese Thematik bei Nietzsche wurde oft missverstanden, vor allem von rechtskonservativen und faschistischen Bewegungen, die Nietzsche zu Unrecht zu ihrem Idol wählten, z. B. von Oswald Spengler mit seinem Werk Der Untergang des Abendlands (1918-1922) oder Alfred Rosenberg, einem Theoretiker des Nationalsozialismus. Zeit seines Lebens wandte sich Nietzsche entschieden gegen den Antisemitismus. Selbst wenn er die ,,Sklavenmoral" und ihren ,,Aufstand der Moral" gegen die ,,Herren" in seiner Genealogie der Moral (1887) anhand der jüdischen Religion schilderte, verbarg sich dahinter kein Antisemitismus, denn Nietzsche fasste ,,Moral als Widernatur" auf und sah in ihr stets ein Herrschaftsmittel zur Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen sowie einzelner Individuen, die dadurch zu ,,Herdentieren" geformt werden sollen. Nietzsche hat auf fast alle philosophischen Richtungen und Schulen des 20. Jahrhunderts gewirkt und tut es noch. Ebenso stark war seine Anziehungskraft auf Schriftsteller und Künstler, besonders des Expressionismus, nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit. An Nietzsches Kritik der aufklärerischen Vernunft und ihrer Selbstverkennungen haben insbesondere die Psychoanalyse, die Kritische Theorie ( siehe Frankfurter Schule) und der Poststrukturalismus angeschlossen. 4.4.6 Positivismus Nietzsches Ideologiekritik stützte sich u. a. auch auf positivistisches Denken, dessen Philosophie der französische Mathematiker und Philosoph Auguste Comte formuliert hatte. Der Positivismus enthält sich der metaphysischen Spekulation, sieht die Möglichkeit wahrer Erkenntnis einzig durch die Beschränkung auf die positiven, d. h. die sinnlich erfahrbaren Tatsachen, und gesteht sie allein den auf Fakten gegründeten Wissenschaften zu. Comte entwarf in seiner Abhandlung über die Philosophie des Positivismus (1830-1842) eine Geschichtsphilosophie, der zufolge sich die Menschheit in drei Phasen durch das theologische, das metaphysische und zuletzt das positive Stadium hoch entwickelt. Nicht die Philosophie, sondern die Wissenschaft der Soziologie, die Comte selbst begründete, setzte er an die oberste Stelle in der Hierarchie der Wissenschaften. 4.4.7 Utilitarismus Als ethische Schule trat der Utilitarismus gegen die Gesinnungsethik wie gegen die deontologische Ethik an. Wie der Begriff verrät, gilt dem Utilitarismus die Nützlichkeit des Handelns als entscheidendes ethisches Kriterium. Ziel ist, wie sein Begründer Francis Hutcheson es in seiner berühmten Formulierung ausdrückte, ,,das größte Glück der größten Zahl". Jeremy Bentham wiederholte diese Formel und schlug Rechenoperationen vor, mit deren Hilfe die ethisch richtige Handlung zu ermitteln sei. Der britische Wirtschaftswissenschaftler John Stuart Mill entwickelte und vertiefte diese Philosophie in seinem Werk Utilitarianism (1836). Der Utilitarismus war die vorherrschende Weltanschauung des (englischen) Liberalismus; einige seiner Theoreme wurden vom amerikanischen Pragmatismus fortgeführt. 4.4.8 Pragmatismus Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewann der Pragmatismus vor allem in den Vereinigten Staaten schnell an Bedeutung. Charles Sanders Peirce, der dieser philosophischen Richtung ihren Namen gab, formulierte eine pragmatische Erkenntnistheorie, nach der die (kulturelle) Bedeutung eines Begriffs in der Wirkung liegt, die er in der gesellschaftlichen Praxis ausübt: in dem praktischen Zusammenhang der von diesem Begriff bezeichneten Gegenstände. William James entwickelte eine dementsprechende pragmatische Wahrheitstheorie, die die traditionelle Vorstellung von Wahrheit, die adaequatio intellectus et rei, die Übereinstimmung von Begriff und Sache, aufgab und Wahrheit als den ,,Barwert", den ,,cash value" derjenigen Meinung bestimmte, die am praktischsten sei, die dem Menschen am besten helfe, in seinem Alltag zurechtzukommen. Hierdurch wird die Orientierung des Menschen an ethischen Werten und moralischen Prinzipien weitgehend pflichtfrei und zur Anpassung an diejenigen Normen, die ihm am meisten nützen: Wahr ist, was Vorteile verschafft. Auch John Deweys Instrumentalismus betrachtete das menschliche Denken als Werkzeug, das dem Menschen die Anpassung an die jeweilige Umgebung ermögliche. 4.5 Philosophie des 20. Jahrhunderts Das 20. Jahrhundert ist wie kein anderes geprägt von einer rapiden Zunahme des Wissens. In der Physik revolutionierten die Relativitätstheorie und die Quantenphysik das wissenschaftliche Weltbild. Die Psychologie, insbesondere die Psychoanalyse Sigmund Freuds, machte, wie schon Nietzsche, die Grenzen der Macht des menschlichen Geistes bewusst, die ebenso von der Soziologie und ihren Analysen des Massenbewusstseins und seiner Medien belegt wurde. Zwei Weltkriege, viele Stellvertreterkriege, der Faschismus in Europa, besonders der Nationalsozialismus in Deutschland, der Holocaust, genauer die Shoah, der Kalte Krieg, die in der Zukunft drohende ökologische Katastrophe, technische Großunfälle u. a. belegen, dass die autonome Vernunft des Menschen keine verlässliche Instanz darstellt. Viele Elemente dieses Gedankenguts gingen in die Philosophie des 20. Jahrhunderts ein, die vor allem an den ,,Bruch" nach Hegel anschloss und sich auf das Werk von Marx, Kierkegaard und Nietzsche stützte. 4.5.1 Neomarxismus Bedingt durch die ,,Niederlage" der internationalen Arbeiterbewegung, die weder die von Marx prophezeite Revolution vollziehen noch den 1. Weltkrieg hatte verhindern können, bildete sich in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Westeuropa der Neomarxismus heraus. Seine einzelnen Ausprägungen sind sehr vielgestaltig und reichen von der revisionistischen Theorie (Karl Kautsky, Eduard Bernstein) über den Linksradikalismus mit seiner Kritik an der Sozialdemokratie (Rosa Luxemburg, Karl Korsch), den Austromarxismus (Rudolf Hilferding, Otto Bauer, Max Adler), moderne kritische Ansätze des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, die auf das Werk von Georg Lukács aufbauende Budapester Schule (Agnes Heller) und einzelnen, keiner Richtung zuzuordnenden Denkern wie Ernst Bloch, Roger Garaudy oder Rudolf Bahro bis hin zu den französischen Neomarxisten, die vom Existentialismus (Jean-Paul Sartre) wie vom Strukturalismus geprägt waren (Louis Althusser, Étienne Balibar). In Deutschland philosophisch bedeutsam wurde jedoch vor allem die Kritische Theorie, die sich insbesondere in der Frankfurter Schule manifestierte. In ihr flossen die marxistische Analyse der Gesellschaft und die Freudsche Analyse der Seele zusammen: Die kritische Theorie leistete die Anpassung der Marx'schen Theorie an die Verhältnisse des 20. Jahrhunderts (Friedrich Pollock, Franz Neumann, Otto Kirchheimer, auch der Chinaexperte Karl August Wittfogel), die Verbindung von Marxismus und Psychoanalyse (Erich Fromm, Herbert Marcuse), die Interpretation von Kunstwerken als Symptome ihrer Gesellschaft (Leo Löwenthal, Walter Benjamin, Theodor W. Adorno) sowie die philosophische Entwicklung der Kritischen Theorie (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, später Alfred Schmidt, Oskar Negt, Jürgen Habermas). Vor allem nach dem 2. Weltkrieg und der Erfahrung des Faschismus konzentrierte sich die Frankfurter Schule auf die von Adorno in einem Buchtitel so bezeichnete ,,Negative Dialektik", deren Kennzeichen die Verweigerung ist, die Philosophie in einem positiven und beruhigenden Ganzen abzuschließen. Aufgabe der Philosophie und Wissenschaft sei vielmehr die Ideologiekritik und die Kritik am Bestehenden, die von dem Wissen um das beseelt sei, was in der historischen Entfaltung der Aufklärung an Humanität zu realisieren möglich gewesen wäre. Ausgehend von der Einsicht in die Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno 1944) werden dem Fortschrittsprozess der Neuzeit und Moderne dessen Kosten in Gestalt der schon von Marx gezeigten Entfremdung und der modernen Verdinglichung (Georg Lukács) als ihrer Potenzierung gegenübergestellt und gezeigt, wie diese sich notwendig im Kapitalismus entwickeln musste. Besonders Adorno arbeitete an der Kritik der Kulturindustrie, der Manipulation der Bevölkerung durch die Massenmedien, insbesondere des Rundfunks, Fernsehens und Kinos. Herbert Marcuses Gedanke der ,,großen Weigerung" gewann starken Einfluss auf die studentische Jugend der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts und lieferte die theoretische Grundlage für die Studentenbewegung und die Alternativbewegung. Aus der Frankfurter Schule ging u. a. auch Jürgen Habermas hervor, der ihre totale Gesellschaftsanalyse kritisch revidierte. Mit Erkenntnis und Interesse legte er 1968 ein Werk vor, das sich in Abgrenzung von Positivismus und Kritischem Rationalismus ausdrücklich um die Verbindung von Marx und Freud bemüht. Mit seinen Schriften zur Kritik der Systemtheorie und der Rekonstruktion des Historischen Materialismus (1974) hatte er sich schon auf den Weg begeben, der 1981 in der zweibändigen Theorie des kommunikativen Handelns gipfelte. Habermas unternahm hier den Versuch, unterschiedlichste Theoriestränge der Philosophie und Soziologie des 20. Jahrhunderts im Interesse einer allgemeinen Gesellschaftstheorie zu bündeln: (Neo-)Marxismus, Kritische Theorie, Sprachphilosophie, Verstehende Soziologie und Systemtheorie gehen eine Verbindung ein, mit deren Hilfe die Moderne wie die Postmoderne umfassend und grundlegend begriffen werden sollen. 4.5.2 Phänomenologie Ähnlich wie der Neukantianismus (Friedrich Albert Lange, Hans Vaihinger, Hermann Cohen, Paul Natorp, Ernst Cassirer, Heinrich Rickert, Wilhelm Windelband) mit seiner Parole ,,Zurück zu Kant!" strebte auch die von Edmund Husserl begründete Phänomenologie danach, hinter die zunehmend als spekulativ im schlechten Sinne aufgefasste ,,Systemphilosophie", insbesondere die Hegels, zurückzugehen auf die Vernunft- und Bewusstseinskritik von Immanuel Kant. Husserl wollte zurück ,,zu den Sachen" selbst, was für ihn ähnlich wie für Kant die transzendentale Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit von Wahrnehmung überhaupt bedeutete. Dementsprechend beschäftigte sich die Phänomenologie mit Bewusstseinsanalyse: mit dem Denken und nicht etwa mit der Sprache oder dem Handeln, der Praxis. Husserl erkannte, dass den Bewusstseinsakten des Wahrnehmens, Urteilens und Denkens stets das Moment der ,,Intentionalität" innewohnt: Bewusstsein ist bei ihm immer ,,Bewusstsein von etwas". Dieses Etwas, diesen Gegenstand des Bewusstseins gilt es ebenfalls zu analysieren, und in diesem Sinn ist die Phänomenologie eine Bewegung ,,zu den Sachen selbst". Husserl versuchte, diese Reflexion durch die von ihm so genannte ,,eidetische Reduktion" zu vollziehen: Alle für die Erkenntnis des Dings unwesentlichen Momente werden durch die intensive Beziehung auf das eidos (griechisch: (Ur-)Bild, Wesen, Idee) ,,eingeklammert" und damit weggelassen, um zur Wesensschau zu gelangen. Diese ,,Einklammerung" belegt Husserl mit dem griechischen Begriff der epoché aus der Stoa und dem Skeptizismus, der die Zügelung des Urteils bei noch ,,unklarer Sachlage" bezeichnet und von Husserl als die Aufgabe des naiven Weltverhältnisses, der natürlichen Alltagseinstellung zugunsten der philosophischen Reflexion aufgefasst wird. Husserl beschäftigte sich mit Fragen der Ontologie und der sozialen Lebenswelt. Sein Schüler Martin Heidegger entwickelte aus der Phänomenologie eine, wie er es nannte, Fundamentalontologie. 4.5.3 Existentialanalyse Mit dem Begriff der Fundamentalontologie (lateinisch fundamentum: Grundlage, und griechisch on: Sein, wie logos: Lehre, Wissen) bezeichnete Martin Heidegger seinen Versuch, die seiner Ansicht nach in der gesamten abendländischen Philosophie weitgehend verdrängte ,,Frage nach dem Sinn von Sein" zu beantworten. In seinem viel beachteten Werk Sein und Zeit (1927) beschrieb Heidegger das ,,Dasein" (lateinisch existentia) als die konkrete Gegebenheit des Menschen in einer bestimmten Situation, ein ,,In-der-Welt-sein" und ,,Sein-zum-Tode". Mit seiner Konzeption schuf er Berührungspunkte mit Themen der Existenzphilosophie Kierkegaards. Das Dasein ist verhaftet in der Existenzweise des Alltäglichen, seine Existenz ist sowohl (historisch) zufällig wie (biologisch) hinfällig, es schwankt zwischen ,,Eigentlichkeit" und ,,Uneigentlichkeit", seine normale Haltung zur Welt ist die der ,,Sorge". Erst in bestimmten ,,Grenzsituationen" - der Begriff stammt von Karl Jaspers - wie unter dem Eindruck der Angst vermag das Dasein seine Alltagsexistenz als ,,man" und damit seine Grenzen zu überwinden, wenn es sich seiner Freiheit bewusst wird und diese in seiner ,,Entschlossenheit" ,,ergreift". Diese der Existenzphilosophie nahe stehenden Gedanken Heideggers gewannen großen Einfluss im Nachkriegsdeutschland wie auch auf den Existentialismus Sartres. Aus der Verbindung der Werke des frühen Heidegger mit denen des jungen Marx ging die Budapester Schule des Neomarxismus hervor. Mit dem Brief über den Humanismus vollzog Heidegger 1947 eine selbsterklärte ,,Kehre", mit der er sich von der metaphysisch angelegten Fundamentalontologie verabschiedete. In den Mittelpunkt der Analyse des Seins rückte nun die Welt der Sprache, in der sich das Dasein geschichtlich konkretisiere; zudem setzte sich Heidegger nun stärker mit der Technikphilosophie auseinander und kritisierte das Verfallensein der modernen Industriegesellschaft an die Technik, die den Menschen vom Sein entfremde. Heideggers Begriff der ,,Dekonstruktion", mit dem er seine Methode kennzeichnet, die verborgenen Grundlagen der philosophischen Tradition zu ,,entbergen", wurde später vom postmodernistischen Dekonstruktivismus Jacques Derridas aufgenommen. 4.5.4 Existentialismus 4.5.4.1 Jean-Paul Sartre Ausgehend u. a. von Kierkegaard, Husserl und Heidegger schuf Jean-Paul Sartre, der für seine zahlreichen literarischen Werke, insbesondere für seine Autobiographie Les mots (1964; Die Wörter), den Nobelpreis erhielt, in seinem Werk L'être et le néant. Essai d'ontologie phénoménologique (1943; Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie) eine ,,Philosophie der Freiheit". Der Mensch ist ,,zur Freiheit verdammt", d. h., er allein hat sein Leben zu verantworten, da er allein den ,,Entwurf seines Lebens" gestaltet. Es gebe keinen ,,Sinn des Lebens", der irgendwo festgeschrieben und zu entdecken wäre. Die Einsicht in diese Tatsache einer sinnleeren Welt, in die Absurdität des Daseins, erzeuge das existentialistische Grundgefühl des ,,Ekels" (dies ist auch der Titel seines ersten Romans von 1938), dem man nur durch die bewusste Entscheidung zu einem selbstverantworteten und sozial verantwortlichen Sein, zum ,,Engagement", entkommen könne. Sartre beharrte dabei ausdrücklich auf der Freiheit als Chance zur Selbstbestimmung und erkannte das ,,Unbewusste" der Psychoanalyse nicht an, sondern versuchte in seinen philosophischen Biographien über Baudelaire und Flaubert, deren Leben als Resultat der von ihm so genannten mauvaise foi (,,schlechte Wahl", übersetzt mit ,,Unwahrhaftigkeit") zu erklären: Wer sich um die eigene Freiheit betrüge, die damit verbundene Verantwortung leugne und die darin liegende Forderung nach (politischem) Engagement verweigere, lebe in der ,,Unwahrhaftigkeit" oder in der Terminologie Heideggers in der ,,Uneigentlichkeit". Nachdem Sartre in den fünfziger Jahren mit dem Marxismus näher bekannt geworden war, versuchte er in der Kritik der dialektischen Vernunft (1960) die Marx'sche Theorie um die in ihr fehlenden existential(istisch)en Momente zu ergänzen - ein Werk, mit dem er stark auf die Anti-Psychiatrie von Ronald Laing und David Cooper wirkte. Sein Werk L'existentialisme est un humanisme (1946; Ist der Existentialismus ein Humanismus?) stellte seinen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem ,,linientreueren" und von dem Psychoanalytiker Jacques Lacan beeinflussten strukturalistischen Marxismus von Louis Althusser dar. 4.5.4.2 Albert Camus Der zweite wichtige Vertreter des Existentialismus in Frankreich war Albert Camus, dessen Philosophie wie die Sartres gleichfalls von einer reichen Literaturproduktion begleitet wurde und mit der Beschreibung des Ekelgefühls, des Absurden, des Sinnlosen einsetzt. Dieses Gefühl des Absurden kann einen Menschen ganz plötzlich erfassen, und wie bei Sartre lässt sich auch bei Camus diese existentielle Empfindung nur durch Engagement überwinden. Aber Camus - der anders als Sartre nie Hoffnung in die Arbeiterbewegung und den Marxismus setzte - war dabei skeptisch und pessimistisch: Die Hoffnung auf eine wirkliche Verbesserung der Welt sei eine Illusion und müsse unterbleiben. Der Mensch, der sich des Absurden bewusst sei, könne nur bis zur Auflehnung, zur Revolte gelangen und allein in ihr seine Würde finden. Camus, der ebenfalls den Literatur-Nobelpreis erhielt, entwickelte diese Gedanken in den philosophisch-literarischen Essays Le mythe de Sisyphe (1942; Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde) und L'homme révolté (1951; Der Mensch in der Revolte) und illustrierte sie in seinen Dramen und Romanen wie z. B. La peste (1947; Die Pest). Sartres wie Camus' Philosophie des französischen Existentialismus, zu dem auch das Werk von Maurice Merleau-Ponty und Gabriel Marcel gezählt wird, hatten im Nachkriegsfrankreich und zeitweise in fast ganz Europa großen Einfluss auf die akademische Jugend, die den Existentialismus als radikale Absage an alles Überkommene ansah - teilweise verfehlte Interpretation. 4.5.4.3 Karl Jaspers In Deutschland verbindet sich mit dem Existentialismus vor allem der Name von Karl Jaspers, dessen Werk das existentielle Grundgefühl durch den von Nietzsche entdeckten ,,Tod Gottes" und die daraus folgende innere Zerrissenheit des Menschen darstellt, die in der modernen Industriegesellschaft keine Heilung finden kann, weil hier keine ,,Weltorientierung" mehr möglich sei. Statt nach ,,Existenzerhellung" suche der moderne Mensch vielmehr verzweifelt nach Existenzsicherung und verirre sich so in die Anpassung an vorgegebene Menschenbilder und Identitätsmuster. Erst in Grenzerfahrungen, wie sie Not, Krieg, Schuld, Angst, Leiden, Krankheit, Tod und Ähnliches darstellen, könne er diesem bewusstlosen Dasein entsagen und durch das Ergreifen seiner Freiheit den Weg zum ,,Umgreifenden der Transzendenz" finden. Dabei unterstütze ihn die ,,Chiffrenschrift" des Daseins, deren Zeichen ihm erlaubten, die ,,absolute Wirklichkeit" der Transzendenz im Alltag zu ahnen. Ein weiterer Weg zu diesem hohen Ziel sei die ,,Kommunikation" mit dem anderen Selbstsein mit dem anderen Menschen, als Basis des ethisch verantwortbaren sozialen Seins. Da dies für ihn die politische Freiheit voraussetzte, trat Jaspers, für den die Zeit des Faschismus eine traumatische Erfahrung darstellte, stets für das politische Engagement im Interesse von Demokratie und Freiheit ein. 4.5.5 Hermeneutik Als Kunst der Auslegung wurde die Hermeneutik (griechisch hermeneuein: deuten, auslegen) schon seit der Antike und im Rahmen der theologischen Exegese der verschiedensten Religionen praktiziert. In der Moderne widmeten sich besonders Friedrich Schleiermachers Arbeiten ihrer Weiterentwicklung sowie Wilhelm Diltheys Entwurf des ,,Verstehens" als der wesentlichen Erkenntnisleistung der Geisteswissenschaften. Im 20. Jahrhundert fand die Hermeneutik Anklang in der Phänomenologie Edmund Husserls und Martin Heideggers, wo das ,,Verstehen" jedoch nicht mehr nur als geisteswissenschaftliche Methode, sondern als das dem Menschen charakteristische Verhältnis zur Welt erscheint. Wahrheit wird damit zu einer stark vom erkennenden Subjekt und seinen hermeneutischen Fähigkeiten abhängenden Interpretation der Wirklichkeit, die nur durch Verstehen entschlüsselt werden könne. Durch den so genannten ,,hermeneutischen Zirkel" - dem logischen Dilemma, dass das Allgemeine nur durch das Einzelne erkennbar, das Einzelne aber wiederum nur durch das Allgemeine verstehbar sei - wird die Traditionsverhaftung des Verstehens deutlich. Der Heidegger-Schüler Hans Georg Gadamer fasste dieses Problem in seinem Werk Wahrheit und Methode (1960) mit dem Begriff des ,,Deutungshorizonts" zusammen, von dem der Interpretierende sich nicht lösen und ihn auch nicht abstrahierend vermeiden könne, sondern vielmehr konstruktiv mit einbringen solle. Das fremde Zuverstehende sei nur verstehbar, wenn es auf dem Hintergrund des geistigen und kulturellen Horizonts des Interpretierenden ausgelegt werde. Das ,,Sinnangebot" des zu deutenden Gegenstandes - sei es ein alter Text, eine persönliche Äußerung oder eine soziale Handlung - kann nur angenommen werden, wenn es dem Interpretierenden gelingt, es in seinen geistigen und kulturellen Horizont einzugliedern. 4.5.6 Analytische Philosophie und Sprachphilosophie Die Erkenntnis, dass die Sprache mehr ist als nur ein Werkzeug, das der Mensch zum ,,Ausdrücken" der Wahrheit benutzt, sondern vielmehr das Medium, in dem sich diese Erkenntnis darstellt und vollzieht, liegt der Sprachphilosophie zugrunde. So betrachtet wird aus der Sprache das, was unser Denken konstituiert: ein bestimmter, kulturell verordneter Denkraum: ,,Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt" (Ludwig Wittgenstein). So interessiert sich die Sprachphilosophie einerseits für das Funktionieren der Sprache selbst, für die - in der Terminologie Kants formuliert - transzendentale Bedingung der Möglichkeit, Sprache verwenden zu können, und andererseits für die Überprüfung von Aussagen durch die logische Analyse der Sprache. 4.5.6.1 Linguistic Turn Die sprachanalytische Philosophie strebt nach gründlicher Klärung des Erkennens selbst: Bevor Metaphysik, Ontologie und Erkenntnistheorie in Angriff genommen werden könnten, müsse zunächst einmal auf die Bedingungen der Möglichkeit von Denken zurückgegangen werden. In der Sprache sei eine grundlegende Reinigung von Nöten, die sie von ihren irrationalen Bestandteilen befreie und zum Common Sense zurückführe (George Edward Moore). Wittgenstein war überzeugt, dass, da die Grammatik der Sprache(n) oft der rationalen Logik widersprächen (Bertrand Russell), eine ,,Verhexung des Verstandes durch die Sprache" die Folge sei. Sei diese alltägliche Sprachmagie aufgelöst, erschienen viele große philosophische Probleme als Scheinprobleme, die sich durch Sprachanalyse ebenso ,,therapieren" ließen wie neurotische Strukturen durch die Psychoanalyse. Der dadurch besonders in den angelsächsischen Ländern einsetzende Linguistic Turn der Philosophie arbeitet daher nicht ohne Grund mit den Mitteln der Mathematik und Logik, wie sie u. a. Gottlob Frege anwandte, der eine ,,Begriffsschrift" entwickelt hatte, die die Widerspruchsfreiheit formaler Systeme, in seinem Fall der Arithmetik, gewährleisten sollte. Die Sprache wurde als Zeichensystem aufgefasst, dem eine ähnliche Logik zugrunde liege wie der Mathematik. Alfred Tarski plädierte dafür, Philosophie durch den Einsatz formaler Sprachen zu präzisieren. Ludwig Wittgenstein versuchte in seinem Tractatus Logico-Philosophicus (1921) zu zeigen, dass alle bisherige Philosophie nicht etwa Sinn, sondern überwiegend ,,Unsinn" produziert habe, da ihr jegliches ,,sprachlogische" Verständnis fehle. 4.5.6.2 Logischer Empirismus In diesem Sinne setzte der Wiener Kreis um Moritz Schlick, bestehend aus Rudolf Carnap, Kurt Gödel, Victor Kraft, Otto Neurath, Hans Reichenbach, Friedrich Waismann, die Arbeit von Wittgenstein fort und entwickelte den Neopositivismus oder Logischen Positivismus oder auch Logischen Empirismus, der jede Äußerung verwarf, die keinen empirisch überprüfbaren oder logisch sauberen Stellenwert für die Wissenschaften besitze und nicht verifizierbar sei. Sinnvolle Sätze seien entweder empirische oder logische, bei denen durch das Sinnkriterium ein Gehalt ausgemacht werden könne: Nur wenn definitiv feststehe, was genau eintreffen soll, wenn die Aussage wahr sei, und wenn dies empirisch überprüfbar sei, ließe sich ihre Wahrheit feststellen. Genau dies treffe vor allem in der Metaphysik nicht zu, die eine Reihe von Aussagen mache, die nicht unmittelbar als wahr oder falsch bezeichnet werden könnten. Ähnlich wie im Mittelalter als ,,Magd der Theologie" wird die Philosophie hier als ,,Dienstmädchen der Naturwissenschaften" aufgefasst: Sie habe sich den Wissenschaften unterzuordnen, die als ihr Betätigungsfeld die Erforschung der natürlichen Welt besäßen. Da es außer dieser Welt keine andere gebe, bliebe für die Philosophie allein noch die Rolle als ,,Wissenschaftslogik" (Carnap) bzw. Wissenschaftstheorie. 4.5.6.3 Ordinary language philosophy Stand für die sprachanalytische Philosophie zunächst noch die Entwicklung einer Metasprache im Mittelpunkt, die alle Wissenschaften vereinen sollte, so verschob sich der Betrachtungsgegenstand nach Wittgensteins Logischen Untersuchungen (1959) auf die Alltagssprache und ihre Sprachspiele. John L. Austin und John R. Searle analysierten das ,,Handeln durch Sprache" in Gestalt einer besonderen Form des Sprachspiels, dem Sprechakt. Sprechakte liegen immer dann vor, wenn das Sprechen unmittelbar ein Handeln ist (z. B. wird ein Schiff nicht durch die zerplatzende Sektflasche getauft, sondern durch den gesprochenen Satz ,,Ich taufe dieses Schiff auf den Namen ...", ebenso in dem Satz ,,Ich entschuldige mich"). Die Ordinary language philosophy wurde besonders durch Gilbert Ryle und John Austin vorangetrieben und sieht die Alltagssprache als letzte Metasprache an, die den künstlichen Symbolsprachen an Klarheit überlegen sei (Peter F. Strawson). Die einmal angestrebte Wissenschaftlichkeit der (sprach-)analytischen Philosophie hatte die Ordinary language philosophy damit nach Ansicht von Willard Van Orman Quine und Michael Dummett jedoch preisgegeben. 4.5.7 Wissenschaftstheorie 4.5.7.1 Nachfolge des Wiener Kreises Ausgerichtet am Erkenntnisideal der Naturwissenschaften ergab sich für die Analytische Philosophie auch das Arbeitsgebiet der Wissenschaftstheorie: der möglichst präzisen Fassung der theoretischen, vor allem logischen Grundlagen der Wissenschaften. Obwohl schon bei Aristoteles, Kant, Fichte und anderen zu finden, etablierte sich die Wissenschaftstheorie als eigene Disziplin erst aufgrund der Arbeiten des Wiener Kreises, auf die sie sich stützte. Carl Gustav Hempel, Karl Popper, Imre Lakatos, Wolfgang Stegmüller bemühten sich um die rationale Rekonstruktion (natur-)wissenschaftlicher Theorie und, wie der Titel von Poppers Werk aus dem Jahr 1935 lautete, der Logik der Forschung. 4.5.7.2 Kritischer Rationalismus Durch die Kritik am Prinzip der wissenschaftlichen Verifikation, dem er das der Falsifikation entgegensetzte, entwickelte der Wiener Karl Popper in den dreißiger Jahren seinen Kritischen Rationalismus: Da nur solche Aussagen zulässig seien, die die Möglichkeit böten, auch als unwahr erwiesen werden zu können, seien auch ,,spekulative" philosophische Theorien über den Verlauf der Geschichte oder die gesellschaftliche Totalität ebenso abzulehnen wie Sozialutopien, da sie mehr Unheil anrichteten als echten Fortschritt erzeugten. Fortschritt sei im Sozialen wie im Wissenschaftlichen vor allem durch eine Sozialtechnologie zu erreichen, die sich Schritt für Schritt vorantaste. In den sechziger Jahren führte diese Position Poppers zum berühmten Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, bei dem die Vertreter der Kritischen Theorie, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas, Popper die Affirmation des Bestehenden vorwarfen. 4.5.7.3 Thomas S. Kuhn Thomas S. Kuhns bahnbrechendes Werk Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962) zerstörte den Mythos vom stetigen Fortschritt in den Naturwissenschaften, der durch die langsame, aber stetige Durchsetzung des besser erklärenden neuen Modells gewährleistet sei. Statt dessen sei vielmehr ein Wechsel zwischen ,,ruhigen" wissenschaftlichen Zeiten und heftigen wissenschaftlichen Revolutionen zu beobachten, in denen ein altes Paradigma durch ein neues ersetzt werde. Damit sei aber - wie Kuhn in Auseinandersetzung vor allem mit Popper betonte - nicht auf jeden Fall ein Fortschritt verbunden, vielmehr werde durch eine solche Revolution eine neue Perspektive gewonnen, ohne dass man stets sagen könne, dass die Wissenschaft der Wahrheit näher komme. Beispiel für einen solchen, in diesem Fall aufklärerischen Paradigmenwechsel ist die kopernikanische Wende, in der ein neues Weltbild den Platz des alten geozentrischen Systems einnahm und damit nicht nur wissenschaftlich neue Fakten schuf, sondern auch sozial und kulturell bedeutende Folgen hatte. 4.5.7.4 Paul Feyerabend Noch über diese Skepsis gegenüber der Objektivität der Wissenschaft hinausgehend, konnte Paul Feyerabend die Methodendiskussion der Wissenschaftstheorie sogar dahin gehend ,,sprengen", dass er mit seinem Plädoyer Wider den Methodenzwang (1974) die Parole ,,Anything goes" ausgab, die das Resultat seiner Erkenntnis war, dass sich der wissenschaftliche Fortschritt - dem Kuhn'schen Paradigmenwechsel nicht unähnlich - weniger durch methodische Strenge als durch die Überwindung alter, unhaltbar gewordener Irrtümer vollziehe. Feyerabend strebte - in einer Zeit, die bereits vom Wissen um die mögliche ökologische Katastrophe erschüttert wurde - nach einer Erkenntnis für freie Menschen (1978), in der die Wissenschaft nicht losgelöst und unkontrolliert von den mündigen Bürgern einer Demokratie existiere, sondern sich dem von ihnen gesetzten Wertekanon zu unterwerfen habe. 4.5.8 Strukturalismus und Poststrukturalismus Zwangsläufig ergeben sich bei der Sprachanalytischen Philosophie auch Berührungspunkte mit dem von der Sprachwissenschaft stark beeinflussten Strukturalismus. Den kulturell gestalteten sprachlichen Denkraum fasst Michel Foucault in einer berühmt gewordenen Formulierung als die ,,Ordnung des Diskurses" auf, d. h. als die gesellschaftlich festgelegte und geregelte Art zu sprechen und zu denken. 4.5.8.1 Ferdinand de Saussure Der Strukturalismus gründet sich auf die von dem Schweizer Ferdinand de Saussure in den Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (1931, posthum) entwickelten Linguistik. Saussure verlangte, dass die Sprache als ein System von Zeichen anzusehen sei, und plädierte dafür, dass sie nicht in ihrer historischen Entwicklung, sondern allein in ihrer rationalen systematischen Gestalt, ihrer Struktur, zu erforschen sei. 4.5.8.2 Claude Lévi-Strauss Philosophisch interessant wurde dieser Ansatz von Saussures Sprachwissenschaft durch seine Übertragung in die Ethnologie, die die strukturalistische Kulturanthropologie von Claude Lévi-Strauss in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts leistete. Lévi-Strauss reduzierte die Mythologie, die Verwandtschaftssysteme und Sitten so genannter ,,Naturvölker" auf grundlegende Strukturen, die es erlaubten, sie mit den ,,entwickelten" Kulturen Europas zu vergleichen. 4.5.8.3 Louis Althusser, Roland Barthes Louis Althusser, ein Vertreter des Neomarxismus, wandte Saussures Linguistik auf die Marx-Lektüre an und vertrat dabei die umstrittene These, dass Marx seinen Humanismus der Frühschriften in den späteren Werken gänzlich aufgegeben habe. Der Literaturwissenschaftler Roland Barthes berief sich bei seinen kulturkritischen und literaturwissenschaftlichen Arbeiten auf das strukturalistische Modell. 4.5.8.4 Jacques Lacan Der Psychoanalytiker Jacques Lacan übertrug Saussures Denken auf sein Gebiet und entwickelte eine strukturalistisch geprägte psychoanalytische Theorie, die in starkem Maße auch von seiner Beschäftigung mit Hegel und Heidegger beinflusst wurde: Lacans hochkomplexe Theorie fasst das Freud'sche Unbewusste als ein sprachlich gebildetes, wie eine Sprache funktionierendes System von Zeichen und ihrer Verschiebung auf. Nach Lacan beruht die psychische Realität des Menschen auf einem Wechselspiel dreier Bereiche des Seins: dem Symbolischen, dem Realen und dem Imaginären. 4.5.8.5 Michel Foucault, Jacques Derrida Besonders bedeutsam war Lacan als der Vorläufer der so genannten Poststrukturalisten, die vor allem die These gemeinsam haben, dass das autonome Subjekt, so wie es die Geschichte der abendländischen Philosophie bis ins 20. Jahrhundert hinein geprägt habe, nicht existiere und nie existiert habe. Was der von ihnen so genannte Humanismus unter ,,Subjektivität" gefasst habe, seien vielmehr nur die ,,Wirkungen", die die anonymen ,,Strukturen der Gesellschaft", die so genannten ,,Diskurse", in den einzelnen Individuen erzeugten. Foucault versuchte, dies in diskursanalytischen Werken über die Geschichte der Gefängnisse, der Psychiatrie, der Sexualität und der geistigen Ordnungsprinzipien der bürgerlichen Gesellschaften zu demonstrieren. Jacques Derridas Dekonstruktivismus versucht, den für Europa typischen Logozentrismus in den Werken der Literatur und Philosophie aufzuzeigen, dem aber ein ganz anderer ,,Text" zugrunde liege, der durch die ,,Dekonstruktion" gezeigt werden könne und oft ganz anderes als der ,,offizielle Text" aussage. 4.5.8.6 Gilles Deleuze, Félix Guattari, Jean Baudrillard, Umberto Eco Jüngere Vertreter des Poststrukturalismus betonten, hierin dem Dekonstruktivismus verwandt, die Illusionen der Subjektivität auf psychoanalytischem Gebiet (Gilles Deleuze, Félix Guattari), auf der massenmedialen und kulturellen Ebene (Jean Baudrillard) und in der Literatur (Umberto Eco). In ihrer Ablehnung der ideologischen Harmonisierung philosophischer Systeme und ihrer Betonung der ,,Differenz" näherten sie sich der von Adorno vertretenen ,,negativen Dialektik" an. Verfasst von: Friedhelm Lövenich Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.
philosophie

« 4.1.1. 1 Ionische Philosophie Thales aus der Stadt Milet, an der ionischen Küste Kleinasiens, der um 580 v.

Chr.

wirkte, war der vermutlich erste griechische Philosoph – zumindest der erste, von demheute noch etwas bekannt ist.

Er begründete die Schule der ionischen Naturphilosophie, die vor allem in das Wesen der Natur, der Welt überhaupt, einzudringen versuchte.Thales, der von späteren Generationen als einer der Sieben Weisen Griechenlands verehrt wurde, war an astronomischen, physikalischen und meteorologischenErscheinungen interessiert und nahm an, dass alle natürlichen Phänomene unterschiedliche Formen einer einzigen Grundsubstanz, wie er glaubte, des Wassers, seien, da erVerdampfung und Kondensation als universale Vorgänge ansah – eine frühe Form des Monismus. Anaximander, sein Schüler, hingegen behauptete, der Ursprung allen Seins sei das Unbegrenzte, Unabgeschlossene (griechisch apeiron ). Schon in dieser frühen Epoche zeigte sich eine allgemeine Tendenz der abendländischen Philosophie: Auf der einen Seite bildete sie für beobachtbare (Natur-)ErscheinungenErklärungsmuster, die sich im Verlauf der Jahrhunderte aus ihr abspalteten und zu eigenen Wissenschaften wurden (bei Thales die Physik, später alle Naturwissenschaften,Mathematik, Soziologie, Psychologie, Sprachwissenschaft usw.); auf der anderen Seite errichtete sie mit den Fragen u.

a.

nach dem Ursprung des Seins das Gebäude einerMetaphysik, die „über” der Physik steht. Der dritte große ionische Philosoph, Anaximenes, kehrte zu Thales’ Behauptung zurück, dass der Urstoff etwas Bekanntes und Materielles sein müsse – nach seiner Meinungdie Luft.

Er glaubte, dass sich die Veränderungen, denen die Dinge unterliegen, aufgrund von Verdünnung und Verdichtung der Luft erklären ließen. 4.1.1. 2 Pythagoras Um 530 v.

Chr.

gründete der Philosoph Pythagoras von Samos eine philosophische Schule in Kroton, einer griechischen Kolonie in Süditalien, die die antiken mythischenAnschauungen über die Welt mit dem sich entwickelnden Interesse für wissenschaftliche Erklärungen vereinte.

Die Pythagoreer bildeten eine Art Geheimbund, lebten wieeine Sekte und praktizierten und lehrten eine Lebensweise, die sich auf den Glauben von der Gefangenheit der Seele im Körper stützte.

Höchstes Lebensziel des Menschensei die Reinigung seiner Seele, die erst durch den Tod befreit und in einer höheren oder niedrigeren Daseinsform, entsprechend dem Grad der erreichten Tugend,wiedergeboren werde; diese Läuterung der Seele erfolge durch die Pflege intellektueller Tugenden, durch die Enthaltung von Sinnesfreuden und die Ausübung verschiedenerreligiöser Riten.

Die Pythagoreer lehrten, die Bewegung der Planeten erzeuge eine „Sphärenmusik” und entwickelten auch eine „Musiktherapie”, um die Menschheit in dieSphärenharmonie des Himmels einzustimmen.

Sie identifizierten die Wissenschaft mit der Mathematik: Die Zahlen seien nicht nur das Prinzip des Mathematischen, sonderndes Seienden überhaupt. 4.1.1. 3 Heraklit Heraklit von Ephesos setzte die Suche der Ionier nach dem Urstoff fort und fand diesen im Feuer verkörpert.

Der Philosoph trug den Beinamen „der Dunkle”, da die von ihmüberlieferten etwa 120 Aphorismen oft schwer zu enträtseln sind.

Er behauptete, dass sich alle Dinge fortwährend im Fluss befänden, dass Beständigkeit eine Täuschung seiund dass bloß die Veränderung und die Gesetze der Veränderung oder der logos (griechisch: Wesen, Sprache, Wissen, Lehre) wirklich seien.

Berühmt – aber vermutlich nicht so von ihm selbst geäußert, sondern von Kratylos formuliert, ist sein gleichnishafter Lehrsatz „Alles fließt” oder in einer anderen Formulierung „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen”: Zum einen ist der Fluss mittlerweile nicht mehr derselbe, denn man steigt nicht in dasselbe Wasser wie zuvor, das längstweitergeflossen ist; und zum anderen ist mittlerweile auch der Mensch ein anderer geworden.

Heraklit dachte in Gegensätzen, wie z.

B.

sein Satz „Alles entsteht durch den(Wider-)Streit” belegt, und gilt daher als Ahnvater der dialektischen Philosophie.

Aus seiner Lehre vom logos, welche die Gesetze der Natur mit einem göttlichen Geist gleichsetzte, entwickelte sich die pantheistische Theologie des Stoizismus; Heraklits Schüler Kratylos soll der Lehrer Platons gewesen sein. 4.1.1. 4 Eleaten Um die Wende zum 5.

Jahrhundert v.

Chr.

gründete Parmenides in Elea, einer griechischen Kolonie auf der italienischen Halbinsel, eine philosophische Schule.

Parmenidesstand im Gegensatz zu Heraklit und sah das Universum als unteilbar und damit auch unveränderlich an und nicht als vergänglich oder fließend.

Ihm zufolge kann nichtswirklich behauptet werden – außer, dass das „Seiende existiert”.

Er schuf einen weiteren Topos der abendländischen Philosophie, indem er die Philosophie scharf vomAlltagsdenken und -meinen absetzte: In seinem Lehrgedicht unterscheidet er zwischen der Scheinwahrheit, der irrigen Meinung der Menge (griechisch doxa, daher Dogma), und der echten Erkenntnis der Wahrheit durch den Philosophen.

Parmenides hatte großen Einfluss auf Platon. Zenon von Elea, ein Schüler von Parmenides, versuchte, die These von der Einheit des Seins zu stärken, und behauptete, dass der Glaube an eine Veränderung, Vielfalt undBewegung der Wirklichkeit zu logischen Paradoxa führe.

Zenons Paradoxa wurden zu berühmten intellektuellen Geduldsspielen, die Philosophen und Logiker allernachfolgenden Zeiten zu lösen versuchten.

Die Beschäftigung der Eleaten mit dem Problem der logischen Folgerichtigkeit bildete die Grundlage für die Entwicklung derwissenschaftlichen Logik. 4.1.1. 5 Pluralisten Im 5.

Jahrhundert v.

Chr.

entwickelten Empedokles und Anaxagoras eine Philosophie, die der ionischen Annahme eines einzigen Urstoffes eine Vielfalt solcher Substanzenentgegensetzte.

Empedokles vermutete, dass sich alle Dinge aus vier Grundelementen zusammensetzen, und zwar aus Luft, Wasser, Erde und Feuer, die sich aufgrund vonzwei entgegengesetzten Kräften, Liebe und Hass – bzw.

anziehende und abstoßende Kraft –, untereinander verbinden bzw.

wieder trennen.

Durch diesen Vorgang entwickeltsich nach ihm die Welt in einem ewigen Kreislauf aus dem Chaos zur Form und wieder zurück zum Chaos.

Empedokles betrachtete diesen ewigen Kreislauf als wahrenGegenstand religiöser Verehrung und kritisierte den volkstümlichen Glauben an persönliche Gottheiten.

Allerdings konnte er keine Erklärung finden, auf welche Weise sichdie bekannten Dinge der Erfahrungswelt (sinnliche Wahrnehmung) aus den so grundverschiedenen Urelementen entwickeln konnten. Daher schloss Anaxagoras, dass sich alle Dinge aus kleinsten Teilchen (Homöomerien) zusammensetzen, die es in unendlicher Vielfalt gibt.

Zur Erklärung, auf welche Weisesich diese Teilchen mischen, um die einzelnen Naturdinge zu bilden, stellte er eine Theorie der kosmischen Entwicklung auf.

Er behauptete, dass das aktive Prinzip diesesEntwicklungsprozesses ein Weltgeist (auch Weltseele, griechisch nous ) sei, der die Mischung und Trennung der Teilchen verursache.

Seine Auffassung von den Stoffteilchen führte zur Herausbildung einer atomistischen Theorie der Materie. 4.1.1. 6 Atomisten Nach der Theorie der Atomisten setzt sich die Materie aus kleinsten, unteilbaren Partikeln zusammen, die sich lediglich durch einfache physikalische Eigenschaften, wieGröße, Form und Gewicht, voneinander unterscheiden und unteilbar (griechisch atomos ) sind.

Der Atomismus geht auf den Philosophen Leukipp aus dem 4.

Jahrhundert v.

Chr.

zurück und wurde von seinem berühmten Mitstreiter Demokrit weitergeführt, dem allgemein das Verdienst der ersten systematischen Formulierung einer materiellenAtomlehre zugesprochen wird.

Er vertrat eine materialistische Auffassung der Natur und erklärte alle natürlichen Erscheinungen aufgrund von Anzahl, Form und Größe derAtome.

Auf diese Weise führte er die durch die Sinne wahrgenommenen Eigenschaften der Dinge, wie Wärme, Kälte, Geschmack und Geruch, auf quantitative Unterschiedezwischen den Atomen zurück, deren Bewegung jedoch nie mit den menschlichen Sinnen beobachtet werden, sondern immer nur mit dem Geist erschlossen werden könnte. Die höheren Daseinsformen, wie z.

B.

die Pflanzen- und Tierwelt, ja sogar das menschliche Denken, erklärte Demokrit rein physikalisch, sodass seine Lehre als das ersteumfassende System eines deterministischen Materialismus gilt, da in ihm alle Aspekte des Daseins als strengen physikalischen Gesetzen unterworfen dargestellt werden.

Erweitete seine Lehre auch auf die Psychologie, Physiologie, Erkenntnistheorie (Epistemologie), Ethik und Politische Philosophie aus und wurde so in manchen seiner Aussagen. »

↓↓↓ APERÇU DU DOCUMENT ↓↓↓

Liens utiles