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Adalbert Stifter: Der Nachsommer (Sprache & Litteratur).

Publié le 13/06/2013

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Adalbert Stifter: Der Nachsommer (Sprache & Litteratur). Der österreichische Schriftsteller Adalbert Stifter wurde in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts mit seinen kunstvollen Novellen bekannt, die in literarischen Journalen erstmals veröffentlicht wurden. Mit seinem 1857 erschienenen Bildungsroman Der Nachsommer widmete sich der Autor erstmals der größeren Prosagattung. Das außergewöhnlich handlungs- und konfliktarme Werk schildert den Werdegang eines wissbegierigen jungen Mannes, des Protagonisten und Ich-Erzählers Heinrich Drendorf, der sich, unterstützt von seinem Vater autodidaktisch zum Zeichner und Naturkundler bildet. Besonders eindrucksvoll sind die ausführlichen Naturschilderungen. Die überwältigende Präsenz der Natur und der Dingwelt ist Ausdruck eines durchdringenden Materialismus und Agnostizismus, der im Widerspruch steht zum an der Textoberfläche geäußerten Postulat einer gottgewollten, sittlichen Ordnung der Welt, die idyllisierend dargestellt wird. Adalbert Stifter: Der Nachsommer Allein der kommende Sommer lockte mich abermals in das Gebirge. Hatte ich das erste Mal nur im allgemeinen geschaut, und waren die Eindrücke wirkend auf mich heran gekommen, so ging ich jetzt schon mehr in das Einzelne, ich war meiner schon mehr Herr, und richtete die Betrachtung auf besondere Dinge. Viele von ihnen drängten sich an meine Seele. Ich saß auf einem Steine, und sah die breiten Schattenflächen und die scharfen oft gleichsam mit einem Messer in sie geschnittenen Lichter. Ich dachte nach, weshalb die Schatten hier so blau seien und die Lichter so kräftig und das Grün so feurig und die Wässer so blitzend. Mir fielen die Bilder meines Vaters ein, auf denen Berge gemalt waren, und mir wurde es, als hätte ich sie mitnehmen sollen, um vergleichen zu können. Ich blieb in kleinen Ortschaften zuweilen länger, und betrachtete die Menschen, ihr tägliches Gewerbe ihr Fühlen ihr Reden Denken und Singen. Ich lernte die Zither kennen, betrachtete sie, untersuchte sie, und hörte auf ihr spielen, und zu ihr singen. Sie erschien mir als ein Gegenstand, der nur allein in die Berge gehört, und mit den Bergen eins ist. Die Wolken, ihre Bildung ihr Anhängen an die Bergwände ihr Suchen der Bergspitzen so wie die Verhältnisse des Nebels und seine Neigung zu den Bergen waren mir wunderbare Erscheinungen. Ich bestieg in diesem Sommer auch einige hohe Stellen, ich ließ mich von den Führern nicht bloß auf das Eis der Gletscher geleiten, welches mich sehr anregte, und zur Betrachtung aufforderte, sondern bestieg auch mit ihrer Hilfe die höchsten Zinnen der Berge. Ich sah die Überreste einer alten untergegangenen Welt in den Marmoren, die in dem Gebirge vorkommen, und die man in manchen Tälern zu schleifen versteht. Ich suchte besondere Arten aufzufinden, und sendete sie nach Hause. Den schönen Enzian hatte ich im früheren Sommer schon der Schwester in meinen Pflanzenbüchern gebracht, jetzt brachte ich ihr auch Alpenrosen und Edelweiß. Von der Zirbelkiefer und dem Knieholze nahm ich die zierlichen Früchte. So verging die Zeit, und so kam ich bereichert nach Hause. Ich ging von nun an jeden Sommer in das Gebirge. ... Da ich nun einmal zeichnete, und die Dinge deshalb doch viel genauer betrachten mußte, und da das Zeichnen und meine jetzigen Bestrebungen mich doch nicht ganz ausfüllten, kam ich auch noch auf eine andere viel weiter gehende Richtung. Ich habe schon gesagt, daß ich gerne auf hohe Berge stieg, und von ihnen aus die Gegenden betrachtete. Da stellten sich nun dem geübteren Auge die bildsamen Gestalten der Erde in viel eindringlicheren Merkmalen dar, und faßten sich übersichtlicher in großen Teilen zusammen. Da öffnete sich dem Gemüte und der Seele der Reiz des Entstehens dieser Gebilde, ihrer Falten und ihrer Erhebungen, ihres Dahinstreichens und Abweichens von einer Richtung, ihres Zusammenstrebens gegen einen Hauptpunkt und ihrer Zerstreuungen in die Fläche. Es kam ein altes Bild, das ich einmal in einem Buche gelesen und wieder vergessen hatte, in meine Erinnerung. Wenn das Wasser in unendlich kleinen Tröpfchen, die kaum durch ein Vergrößerungsglas ersichtlich sind, aus dem Dunste der Luft sich auf die Tafeln unserer Fenster absetzt, und die Kälte dazu kömmt, die nötig ist, so entsteht die Decke von Fäden Sternen Wedeln Palmen und Blumen, die wir gefrorene Fenster heißen. Alle diese Dinge stellen sich zu einem Ganzen zusammen, und die Strahlen die Täler die Rücken die Knoten des Eises sind durch ein Vergrößerungsglas angesehen bewunderungswürdig. Eben so stellt sich von sehr hohen Bergen aus gesehen die niedriger liegende Gestaltung der Erde dar. Sie muß aus einem erstarrenden Stoffe entstanden sein, und streckt ihre Fächer und Palmen in großartigem Maßstabe aus. Der Berg selber, auf dem ich stehe, ist der weiße helle und sehr glänzende Punkt, den wir in der Mitte der zarten Gewebe unserer gefrorenen Fenster sehen. Die Palmenränder der gefrorenen Fenstertafeln werden durch Abbröcklung wegen des Luftzuges oder durch Schmelzung wegen der Wärme lückenhaft und unterbrochen. An den Gebirgszügen geschehen Zerstörungen durch Verwitterung in Folge des Einflusses des Wassers der Luft der Wärme und der Kälte. Nur braucht die Zerstörung der Eisnadeln an den Fenstern kürzere Zeit als der Nadeln der Gebirge. Die Betrachtung der unter mir liegenden Erde, der ich oft mehrere Stunden widmete, erhob mein Herz zu höherer Bewegung, und es erschien mir als ein würdiges Bestreben, ja als ein Bestreben, zu dem alle meine bisherigen Bemühungen nur Vorarbeiten gewesen waren, dem Entstehen dieser Erdoberfläche nachzuspüren, und durch Sammlung vieler kleiner Tatsachen an den verschiedensten Stellen sich in das große und erhabene Ganze auszubreiten, das sich unsern Blicken darstellt, wenn wir von Hochpunkt zu Hochpunkt auf unserer Erde reisen, und sie endlich alle erfüllt haben, und keine Bildung dem Auge mehr zu untersuchen bleibt als die Weite und die Wölbung des Meeres. Ich begann, durch diese Gefühle und Betrachtungen angeregt, gleichsam als Schlußstein oder Zusammenfassung aller meiner bisherigen Arbeiten die Wissenschaft der Bildung der Erdoberfläche und dadurch vielleicht der Bildung der Erde selber zu betreiben. Nebstdem, daß ich gelegentlich von hohen Stellen aus die Gestaltung der Erdoberfläche genau zeichnete, gleichsam als wäre sie durch einen Spiegel gesehen worden, schaffte ich mir die vorzüglichsten Werke an, welche über diese Wissenschaft handeln, machte mich mit den Vorrichtungen, die man braucht, bekannt so wie mit der Art ihrer Benützung. Ich betrieb nun diesen Gegenstand mit fortgesetztem Eifer und mit einer strengen Ordnung. Dabei lernte ich auch nach und nach den Himmel kennen, die Gestaltung seiner Erscheinungen und die Verhältnisse seines Wetters. Meine Besuche der Berge hatten nun fast ausschließlich diesen Zweck zu ihrem Inhalte. Adalbert Stifter: Der Nachsommer. München 1978. S. 33ff. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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