Devoir de Philosophie

E. T. A. Hoffmann: Der Sandmann (Sprache & Litteratur). Der Sandmann,

Publié le 13/06/2013

Extrait du document

E. T. A. Hoffmann: Der Sandmann (Sprache & Litteratur). Der Sandmann, die erste Erzählung des 1816 veröffentlichten Zyklus Nachtstücke ist eines der düstersten Werke des großen romantischen Erzählers E. T. A. Hoffmann. Es schildert das Leben des jungen, künstlerisch ambitionierten Studenten Nathanael, der sich unter dem Einfluss eines rätselhaften Wetterglashändlers und unter dem Eindruck eines Kindheitstraumas seiner Verlobten entfremdet. Er verliebt sich in die Puppe Olimpia und nimmt sich in einem Anfall von Raserei das Leben, nachdem er Olimpias wahre Identität erkannt hat. Der Sandmann, ein Text von ungewöhnlicher motivisch-semantischer Dichte, beschäftigt sich mit pathologischen Themen wie Künstlertum und Narzissmus, Voyeurismus und Solipsismus. Die ausgewählte Textpassage zitiert das Auftreten des unheilvollen Wetterglashändlers Coppola und die aufkeimende Liebe des Protagonisten zu der leblosen Puppe. E. T. A. Hoffmann: Der Sandmann Eben schrieb er an Clara, als es leise an die Tür klopfte; sie öffnete sich auf seinen Zuruf und Coppolas widerwärtiges Gesicht sah hinein. Nathanael fühlte sich im Innersten erbeben; eingedenk dessen, was ihm Spalanzani über den Landsmann Coppola gesagt und was er auch rücksichts des Sandmanns Coppelius der Geliebten so heilig versprochen, schämte er sich aber selbst seiner kindischen Gespensterfurcht, nahm sich mit aller Gewalt zusammen und sprach so sanft und gelassen, als möglich. ,,Ich kaufe kein Wetterglas, mein lieber Freund! gehen Sie nur!" Da trat aber Coppola vollends in die Stube und sprach mit heiserem Ton, indem sich das weite Maul zum häßlichen Lachen verzog und die kleinen Augen unter den grauen langen Wimpern stechend hervorfunkelten: ,,Ei, nix Wetterglas, nix Wetterglas! - hab auch sköne Oke - sköne Oke!" - Entsetzt rief Nathanael: ,,Toller Mensch, wie kannst du Augen haben? - Augen - Augen? -" Aber in dem Augenblick hatte Coppola seine Wettergläser beiseite gesetzt, griff in die weiten Rocktaschen und holte Lorgnetten und Brillen heraus, die er auf den Tisch legte. - ,,Nu - Nu - Brill - Brill auf der Nas su setze, das sein meine Oke - sköne Oke!" - Und damit holte er immer mehr und mehr Brillen heraus, so, daß es auf dem ganzen Tisch seltsam zu flimmern und zu funkeln begann. Tausend Augen blickten und zuckten krampfhaft und starrten auf zum Nathanael; aber er konnte nicht wegschauen von dem Tisch, und immer mehr Brillen legte Coppola hin, und immer wilder und wilder sprangen flammende Blicke durcheinander und schossen ihre blutrote Strahlen in Nathanaels Brust. Übermannt von tollem Entsetzen schrie er auf: ,,Halt ein! halt ein, fürchterlicher Mensch!" - Er hatte Coppola, der eben in die Tasche griff, um noch mehr Brillen herauszubringen, unerachtet schon der ganze Tisch überdeckt war, beim Arm festgepackt. Coppola machte sich mit heiserem widrigen Lachen sanft los und mit den Worten: ,,Ah! - nix für Sie - aber hier sköne Glas" - hatte er alle Brillen zusammengerafft, eingesteckt und aus der Seitentasche des Rocks eine Menge großer und kleiner Perspektive hervorgeholt. Sowie die Brillen fort waren, wurde Nathanael ganz ruhig und an Clara denkend sah er wohl ein, daß der entsetzliche Spuk nur aus seinem Innern hervorgegangen, sowie daß Coppola ein höchst ehrlicher Mechanikus und Optikus, keinesweges aber Coppelii verfluchter Doppeltgänger und Revenant sein könne. Zudem hatten alle Gläser, die Coppola nun auf den Tisch gelegt, gar nichts Besonderes, am wenigsten so etwas Gespenstisches wie die Brillen und, um alles wieder gutzumachen, beschloß Nathanael dem Coppola jetzt wirklich etwas abzukaufen. Er ergriff ein kleines sehr sauber gearbeitetes Taschenperspektiv und sah, um es zu prüfen, durch das Fenster. Noch im Leben war ihm kein Glas vorgekommen, das die Gegenstände so rein, scharf und deutlich dicht vor die Augen rückte. Unwillkürlich sah er hinein in Spalanzanis Zimmer; Olimpia saß, wie gewöhnlich, vor dem kleinen Tisch, die Ärme darauf gelegt, die Hände gefaltet. - Nun erschaute Nathanael erst Olimpias wunderschön geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar seltsam starr und tot. Doch wie er immer schärfer und schärfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpias Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entzündet würde; immer lebendiger und lebendiger flammten die Blicke. Nathanael lag wie festgezaubert im Fenster, immer fort und fort die himmlischschöne Olimpia betrachtend. Ein Räuspern und Scharren weckte ihn, wie aus tiefem Traum. Coppola stand hinter ihm: ,,Tre Zechini - drei Dukat" - Nathanael hatte den Optikus rein vergessen, rasch zahlte er das Verlangte. ,,Nick so? - sköne Glas - sköne Glas!" frug Coppola mit seiner widerwärtigen heisern Stimme und dem hämischen Lächeln. ,,Ja ja, ja!" erwiderte Nathanael verdrießlich. ,,Adieu, lieber Freund!" - Coppola verließ nicht ohne viele seltsame Seitenblicke auf Nathanael, das Zimmer. Er hörte ihn auf der Treppe laut lachen. ,,Nun ja", meinte Nathanael, ,,er lacht mich aus, weil ich ihm das kleine Perspektiv gewiß viel zu teuer bezahlt habe - zu teuer bezahlt!" - Indem er diese Worte leise sprach, war es, als halle ein tiefer Todesseufzer grauenvoll durch das Zimmer, Nathanaels Atem stockte vor innerer Angst. - Er hatte ja aber selbst so aufgeseufzt, das merkte er wohl. ,,Clara", sprach er zu sich selber, ,,hat wohl recht, daß sie mich für einen abgeschmackten Geisterseher hält; aber närrisch ist es doch - ach wohl mehr, als närrisch, daß mich der dumme Gedanke, ich hätte das Glas dem Coppola zu teuer bezahlt, noch jetzt so sonderbar ängstigt; den Grund davon sehe ich gar nicht ein." - Jetzt setzte er sich hin, um den Brief an Clara zu enden, aber ein Blick durchs Fenster überzeugte ihn, daß Olimpia noch dasäße und im Augenblick, wie von unwiderstehlicher Gewalt getrieben, sprang er auf, ergriff Coppolas Perspektiv und konnte nicht los von Olimpias verführerischem Anblick, bis ihn Freund und Bruder Siegmund abrief ins Kollegium bei dem Professor Spalanzani. Die Gardine vor dem verhängnisvollen Zimmer war dicht zugezogen, er konnte Olimpia ebensowenig hier, als die beiden folgenden Tage hindurch in ihrem Zimmer, entdecken, unerachtet er kaum das Fenster verließ und fortwährend durch Coppolas Perspektiv hinüberschaute. Am dritten Tage wurden sogar die Fenster verhängt. Ganz verzweifelt und getrieben von Sehnsucht und glühendem Verlangen lief er hinaus vors Tor. Olimpias Gestalt schwebte vor ihm her in den Lüften und trat aus dem Gebüsch, und guckte ihn an mit großen strahlenden Augen, aus dem hellen Bach. Claras Bild war ganz aus seinem Innern gewichen, er dachte nichts, als Olimpia und klagte ganz laut und weinerlich: ,,Ach du mein hoher herrlicher Liebesstern, bist du mir denn nur aufgegangen, um gleich wieder zu verschwinden, und mich zu lassen in finstrer hoffnungsloser Nacht?" E. T. A. Hoffmann: Der Sandmann. In: Fantasie- und Nachtstücke. München 1976. S. 350ff. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

Liens utiles