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Franz Rosenzweig: Der Stern der Erlösung - Anthologie.

Publié le 17/06/2013

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Franz Rosenzweig: Der Stern der Erlösung - Anthologie. Mit seinem am dialektischen Vorgehen des deutschen Idealismus geschulten Denken schuf der deutsch-jüdische Theologe und Religionsphilosoph Franz Rosenzweig ein Grundlagenwerk der existenzphilosophischen Strömung im 20. Jahrhundert. Der Stern der Erlösung (1921), sechs Jahre vor dem Erscheinen von Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit (1927) veröffentlicht, fand in Deutschland zunächst kaum Beachtung, während es im Ausland auf fruchtbaren Boden fiel. Rosenzweig beginnt sein ontologisches Werk mit Tod und Todesfurcht als grundlegender menschlicher Erfahrung. Die zitierte Textpassage präsentiert die ersten beiden Abschnitte der Einleitung. Franz Rosenzweig: Der Stern der Erlösung Über die Möglichkeit das All zu erkennen in philosophos! VOM TODE, von der Furcht des Todes, hebt alles Erkennen des All an. Die Angst des Irdischen abzuwerfen, dem Tod seinen Giftstachel, dem Hades seinen Pesthauch zu nehmen, des vermißt sich die Philosophie. Alles Sterbliche lebt in dieser Angst des Todes, jede neue Geburt mehrt die Angst um einen neuen Grund, denn sie mehrt das Sterbliche. Ohne Aufhören gebiert Neues der Schoß der unermüdlichen Erde, und ein jedes ist dem Tode verfallen, jedes wartet mit Furcht und Zittern auf den Tag seiner Fahrt ins Dunkel. Aber die Philosophie leugnet diese Ängste der Erde. Sie reißt über das Grab, das sich dem Fuß vor jedem Schritt auftut. Sie läßt den Leib dem Abgrund verfallen sein, aber die freie Seele flattert darüber hinweg. Daß die Angst des Todes von solcher Scheidung in Leib und Seele nichts weiß, daß sie Ich Ich Ich brüllt und von Ableitung der Angst auf einen bloßen ,,Leib" nichts hören will - was schert das die Philosophie. Mag der Mensch sich wie ein Wurm in die Falten der nackten Erde verkriechen vor den herzischenden Geschossen des blind unerbittlichen Tods, mag er es da gewaltsam unausweichlich verspüren, was er sonst nie verspürt: daß sein Ich nur ein Es wäre, wenn es stürbe, und mag er deshalb mit jedem Schrei, der noch in seiner Kehle ist, sein Ich ausschreien gegen den Unerbittlichen, von dem ihm solch unausdenkbare Vernichtung droht - die Philosophie lächelt zu all dieser Not ihr leeres Lächeln und weist mit ausgestrecktem Zeigefinger das Geschöpf, dem die Glieder in Angst um sein Diesseits schlottern, auf ein Jenseits hin, von dem es gar nichts wissen will. Denn der Mensch will ja gar nicht irgend welchen Fesseln entfliehen; er will bleiben, er will - leben. Die Philosophie, die ihm den Tod als ihren besonderen Schützling und als die großartige Gelegenheit anpreist, der Enge des Lebens zu entrinnen, scheint ihm nur zu höhnen. Der Mensch fühlt eben gar zu gut, daß er zwar zum Tode, aber nicht zum Selbstmord verurteilt ist. Und nur den Selbstmord vermöchte jene philosophische Empfehlung wahrhaft zu empfehlen, nicht den verhängten Tod Aller. Der Selbstmord ist nicht der natürliche Tod, sondern der widernatürliche schlechtweg. Die grauenhafte Fähigkeit zum Selbstmord unterscheidet den Menschen von allen Wesen, die wir kennen und die wir nicht kennen. Sie bezeichnet geradezu diesen Heraustritt aus allem Natürlichen. Es ist wohl nötig, daß der Mensch einmal in seinem Leben heraustrete; er muß einmal die kostbare Phiole voll Andacht herunterholen; er muß sich einmal in seiner furchtbaren Armut, Einsamkeit und Losgerissenheit von aller Welt gefühlt haben und eine Nacht lang Aug in Auge mit dem Nichts gestanden sein. Aber die Erde verlangt ihn wieder. Er darf den braunen Saft in jener Nacht nicht austrinken. Ihm ist ein anderer Ausweg aus dem Engpaß des Nichts bestimmt, als dieser Sturz in das Gähnen des Abgrunds. Der Mensch soll die Angst des Irdischen nicht von sich werfen; er soll in der Furcht des Todes - bleiben. Er soll bleiben. Er soll also nichts andres, als was er schon will: bleiben. Die Angst des Irdischen soll von ihm genommen werden nur mit dem Irdischen selbst. Aber solang er auf der Erde lebt, soll er auch in der Angst des Irdischen bleiben. Und die Philosophie betrügt ihn um dieses Soll, indem sie den blauen Dunst ihres Allgedankens um das Irdische webt. Denn freilich: ein All würde nicht sterben und im All stürbe nichts. Sterben kann nur das Einzelne, und alles Sterbliche ist einsam. Dies, daß die Philosophie das Einzelne aus der Welt schaffen muß, diese Abschaffung des Etwas ist auch der Grund, weshalb sie idealistisch sein muß. Denn der ,,Idealismus" mit seiner Verleugnung alles dessen, was das Einzelne vom All scheidet, ist das Handwerkszeug, mit dem sich die Philosophie den widerspenstigen Stoff so lange bearbeitet, bis er der Umnebelung mit dem Ein- und Allbegriff keinen Widerstand mehr entgegensetzt. Einmal in diesen Nebel alles eingesponnen, wäre freilich der Tod verschlungen, wenn auch nicht in den ewigen Sieg, so doch in die eine und allgemeine Nacht des Nichts. Und es ist der letzte Schluß dieser Weisheit: der Tod sei - Nichts. Aber in Wahrheit ist das kein letzter Schluß, sondern ein erster Anfang, und der Tod ist wahrhaftig nicht, was er scheint, nicht Nichts, sondern ein unerbittliches, nicht wegzuschaffendes Etwas. Auch aus dem Nebel, mit dem ihn die Philosophie umhüllt, tönt ungebrochen sein harter Ruf; in die Nacht des Nichts mochte sie ihn wohl verschlingen, aber seinen Giftstachel konnte sie ihm nicht ausbrechen, und die Angst des vor dem Stich dieses Stachels zitternden Menschen straft allezeit die mitleidige Lüge der Philosophie grausam Lügen. Franz Rosenzweig: Der Stern der Erlösung. Heidelberg 1954, S. 7ff. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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