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Friedrich von Schlegel: Lucinde (Sprache & Litteratur).

Publié le 13/06/2013

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Friedrich von Schlegel: Lucinde (Sprache & Litteratur). Mit seinem 1799 erschienenen Roman Lucinde legte Friedrich von Schlegel, einer der führenden Köpfe der Jenaer Frühromantik, ein thematisch und formal innovatives Werk vor, das von den Zeitgenossen zwiespältig aufgenommen wurde und aufgrund seiner libertären Überzeugungen sogar für einen Skandal sorgte. Der Roman verstößt gegen Konventionen der Gattung und propagiert in Abweichung von den patriarchalisch geprägten Normen der Zeit eine liberale Sexualmoral sowie eine paritätische Geschlechterrollenkonzeption, wie die ausgewählte Textpassage belegt. Friedrich von Schlegel: Lucinde Wenn dieses tolle kleine Buch einmal gefunden, vielleicht gedruckt und gar gelesen wird, so muß es auf alle glücklichen Jünglinge ungefähr den gleichen Eindruck machen. Nur verschieden nach den verschiedenen Stufen ihrer Ausbildung. Denen vom ersten Grad wird es die Empfindung des Fleisches erregen; die vom zweiten kann es ganz befriedigen; und denen vom dritten soll bloß warm dabei werden. - Ganz anders würde es mit den Frauen sein. Unter ihnen gibt es keine Ungeweihten; denn jede hat die Liebe schon ganz in sich, von deren unerschöpflichem Wesen wir Jünglinge nur immer ein wenig mehr lernen und begreifen. Schon entfaltet oder noch im Keime, das ist gleich viel. Auch das Mädchen weiß in ihrer naiven Unwissenheit doch schon alles, noch ehe der Blitz der Liebe in ihrem zarten Schoß gezündet und die verschloßne Knospe zum vollen Blumenkelch der Lust entfaltet hat. Und wenn eine Knospe Gefühl hätte, würde nicht das Vorgefühl der Blume deutlicher in ihr sein, als das Bewußtsein ihrer selbst? - Darum gibt es in der weiblichen Liebe keine Grade und Stufen der Bildung, überhaupt nichts Allgemeines; sondern so viel Individuen, so viel eigentümliche Arten. Kein Linné kann uns alle diese schönen Gewächse und Pflanzen im großen Garten des Lebens klassifizieren und verderben; und nur der eingeweihte Liebling der Götter versteht ihre wunderbare Botanik: die göttliche Kunst, ihre verhüllten Kräfte und Schönheiten zu erraten, und zu erkennen, wann die Zeit ihrer Blüte sei und welches Erdreich sie bedürfen. Da, wo der Anfang der Welt oder doch der Anfang der Menschen ist, da ist auch der eigentliche Mittelpunkt der Originalität, und kein Weiser hat die Weiblichkeit ergründet. Eines zwar scheint die Frauen in zwei große Klassen zu teilen. Das nämlich, ob sie die Sinne achten und ehren, die Natur, sich selbst und die Männlichkeit; oder ob sie diese wahre innere Unschuld verloren haben und jeden Genuß mit Reue erkaufen, bis zur bittern Gefühllosigkeit gegen innere Mißbilligung. Das ist ja die Geschichte so vieler. Erst scheuen sie die Männer, dann werden sie Unwürdigen hingegeben, welche sie bald hassen oder betrügen, bis sie sich selbst und die weibliche Bestimmung verachten. Ihre kleine Erfahrung halten sie für allgemein und alles andre für lächerlich; der enge Kreis von Roheit und Gemeinheit, in dem sie sich beständig drehen, ist für sie die ganze Welt, und es fällt ihnen gar nicht ein, daß es auch noch andre Welten geben könne. Für diese sind die Männer nicht Menschen, sondern bloß Männer, eine eigne Gattung, die fatal, aber doch gegen die Langeweile unentbehrlich ist. Sie selbst sind denn auch eine bloße Sorte, eine wie die andre, ohne Originalität und ohne Liebe. Aber sind sie unheilbar, weil sie ungeheilt sind? Mir ist es so einleuchtend und klar, daß nichts unnatürlicher für eine Frau sei als Prüderie - ein Laster, an das ich nie ohne eine gewisse innerliche Wut denken kann - und nichts beschwerlicher als Unnatürlichkeit, daß ich keine Grenze bestimmen und keine für unheilbar halten möchte. Ich glaube, ihre Unnatur kann nie zuverlässig werden, wenn sie auch noch so viel Leichtigkeit und Unbefangenheit darin erlangt haben, bis zu einem Schein von Konsequenz und Charakter. Es bleibt doch nur Schein; das Feuer der Liebe ist durchaus unverlöschlich, und noch unter der tiefsten Asche glühen Funken. Diese heiligen Funken zu wecken, von der Asche der Vorurteile zu reinigen, und wo die Flamme schon lauter brennt, sie mit bescheidenem Opfer zu nähren, das wäre das höchste Ziel meines männlichen Ehrgeizes. Laß mich's bekennen, ich liebe nicht dich allein, ich liebe die Weiblichkeit selbst. Ich liebe sie nicht bloß, ich bete sie an, weil ich die Menschheit anbete, und weil die Blume der Gipfel der Pflanze und ihrer natürlichen Schönheit und Bildung ist. Friedrich Schlegel: Lucinde. München 1967, S. 31ff. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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