Devoir de Philosophie

L. Feuerbach

Publié le 22/02/2012

Extrait du document

feuerbach
L. Feuerbach (1804-1872) Wie alle Philosophen des deutschen Idealismus ging auch Feuerbach von der protestantischen Theologie aus, die er in Heidelberg bei dem Hegelianer Daub und bei Paulus studierte. Über des letzteren Vorlesung berichtet er nach Hause, sie sei ein Spinngewebe von Sophismen und eine Pritsche, auf der die Worte so lange mißhandelt würden, bis sie etwas gestehen, was ihnen nie im Sinne lag. Abgestoßen von diesem »Schleimauswurf eines mißratenen Scharfsinns« wünschte er nach Berlin zu gehen, wo außer Schleiermacher und Marheineke auch Strauß und Neander lehrten. Die Philosophie wird nur beiläufig erwähnt, aber schon im ersten Brief aus Berlin schreibt er: »Ich bin gesonnen ... dieses Semester hauptsächlich der Philosophie zu widmen, um mit desto mehr Nutzen und Gründlichkeit den vorgeschriebenen philosophischen Kursus größtenteils in diesem Kurse zu vollenden. Ich höre daher Logik und Metaphysik und Religionsphilosophie bei He- 85 gel... Ich freue mich unendlich auf Hegels Vorlesungen, wiewohl ich deswegen noch keineswegs gesonnen bin, ein Hegelianer zu werden ...« Nachdem er den Widerstand seines Vaters besiegt hatte, ging er ganz zur Philosophie über, studierte zwei Jahre bei Hegel und beschloß sein Studium mit einer Dissertation: »De ratione una, universali, infmita«,193 die er 1828 mit einem Begleitbrief an Hegel schickte. Er bezeichnet sich darin ausdrücklich als dessen unmittelbaren Schüler, welcher hoffe, sich von seines Lehrers spekulativem Geist etwas zu eigen gemacht zu haben. Die umstürzenden Veränderungen, die Feuerbach später an Hegels Philosophie vornehmen sollte, kommen bereits in diesem Brief des 24- jährigen durch die Hegelschen Begriffe hindurch zum Vorschein. Er rechtfertigt die Mängel seiner Dissertation von vornherein damit, daß sie eine »lebendige« und »freie« Aneignung des bei Hegel Gelernten sein wolle; er betont auch schon das Prinzip der »Sinnlichkeit«, denn die Ideen sollten sich nicht im Reich des Allgemeinen über dem Sinnlichen halten, sondern sich aus dem »Himmel ihrer farblosen Reinheit« und »Einheit mit sich selbst« hinuntersenken zu einer das Besondere durchdringenden Anschauung,199 um sich das Bestimmte der Erscheinungen einzuverleiben. Der reine Logos bedürfe einer »Inkarnation«, die Idee einer »Verwirklichung« und »Verweltlichung«. Am Rande bemerkt er dazu - als wenn er sein eigenes Schicksal voraus geahnt hätte —, er meine mit dieser Versinnlichung und Verwirklichung keine Popularisierung des Denkens oder gar dessen Verwandlung in ein stieres Anschauen und der Begriffe in bloße Bilder und Zeichen. Er rechtfertigt die Tendenz zur Verweltlichung damit, daß sie »an der Zeit« oder, »was eins ist«, im Geiste der Hegelschen Philosophie selber begründet sei, denn diese sei ja keine Sache der Schule, sondern der Menschheit.200 Die antichristliche Wendung kommt ebenfalls schon sehr deutlich zur Sprache. Der Geist stehe jetzt am Beginn einer neuen »Weltperiode«; es komme zur vollen Verwirklichung der Idee darauf an, das seit der christlichen Ära die Welt beherrschende »Selbst« - diesen »einzigen Geist, der ist« — zu entthronen und damit den Dualismus von sinnlicher Welt und übersinnlicher Religion, sowie von Kirche und Staat, zu beseitigen.201 »Es kommt daher jetzt nicht auf eine Entwicklung der Begriffe in der Form ihrer Allgemeinheit, in ihrer abgezogenen Reinheit und abgeschlossenem Insichsein an, sondern darauf an, die bisherigen weltgeschichtlichen Anschauungsweisen von Zeit, Tod, Diesseits, Jenseits, Ich, Individuum, Person und der außer der Endlichkeit im Absoluten und als absolut angeschauten Person, näm- 86 lieh Gott usw., in welchen der Grund der bisherigen Geschichte und auch die Quelle des Systems der christlichen sowohl orthodoxen als rationalistischen Vorstellungen enthalten ist, wahrhaft zu vernichten, in den Grund der Wahrheit zu bohren.« An ihre Stelle haben die Erkenntnisse einzurücken, die in der neueren Philosophie, wenngleich »eingewickelt«, enthalten sind. Das Christentum könne nicht mehr als die absolute Religion gefaßt werden. Es sei nur der Gegensatz zur alten Welt und habe der Natur eine geistlose Stellung gegeben. Auf eine ganz geistlose Weise gelte dem Christentum auch der Tod - dieser natürliche Akt - für den »unentbehrlichsten Taglöhner im Weinberg des Herrn«.202 Wie sehr Feuerbach trotz dieser mehr als bloß »freien« Aneignung in Hegels Denken zu Hause war, zeigt seine 1835 erschienene Kritik des »Antihegel« von Bachmann,203 die beinahe von Hegel selber sein könnte. Bachmanns »begriffslose« Empirie wird hier auf 64 Seiten mit einer Eindringlichkeit und Überlegenheit abgetan, die ganz der philosophischen Kritik entspricht, wie sie Hegel in ihrem Wesen entwikkelt204 und auf den gemeinen Menschenverstand angewandt hat.203 Feuerbach unterscheidet zwei Arten der Kritik: die der Erkenntnis und die des Mißverstands. Die eine geht in das positive Wesen der Sache ein und nimmt die Grundidee des Verfassers zum Maßstab der Beurteilung; der Mißverstand greift von außerhalb her gerade das positiv Philosophische an, er hat stets andere Dinge im Kopf als sein Gegner, und wo dessen Begriffe die eigenen Vorstellungen übersteigen, versteht er nichts mehr. Feuerbach weist Bachmann nach, daß er Hegels Lehre von der Identität der Philosophie mit der Religion, der Logik und Metaphysik, des Subjekts und Objekts, des Denkens und Seins, des Begriffs und der Realität nicht im geringsten verstanden habe. Seine Kritik an Hegels Gottesidee sei eine plumpe Persiflage, die Oberflächlichkeit und Grundlosigkeit von Bachmanns Einwänden gegen Hegels »tiefste und erhabenste« Idee sei unter aller Kritik. Angesichts dieser schulgerechten Anwendung der Hegelschen Kategorien ist es verständlich, daß Rosenkranz sieben Jahre später schreiben konnte: »Wer hätte gedacht, daß die Hegelsche Philosophie, die Feuerbach einst mit mir gegen Bachmann in seiner Polemik gegen dessen Antihegel verteidigte, bei ihm so herunterkommen würde!«206 Feuerbach selbst hat jedoch seine Kritik des »Antihegel«, unter Berufung auf Lessings Kritik der Gegner der Orthodoxie, nachträglich damit erklärt, daß er darin nur ein »interimistischer« Verteidiger Hegels gegen einen unphilosophischen Angriff gewesen sei und daß es sehr 87 voreilig sei zu meinen, wer gegen die Gegner einer Sache schreibe, sei damit auch schon unbedingt für diese. Vielmehr habe der Antihegel schon damals auch in ihm selber gesteckt, »aber gerade weil er erst ein halber Mann war, gebot ich ihm Stillschweigen.«207 Offen hervor trat Feuerbachs eigene Gegnerschaft erst 1839 mit einer in Ruges Jahrbüchern erschienenen Abhandlung: »Zur Kritik der Hegelschen Philosophie«. Diese Kritik stimmt in allen entscheidenden Punkten mit den zuvor erledigten Einwänden der Bachmannschen überein. Auch Feuerbach negiert jetzt mit aller Entschiedenheit die dialektische Identität von Philosophie und Theologie, von Begriff und Realität, Denken und Sein. Was zuvor als Hegels erhabenste Idee gegen Bachmann verteidigt wurde, gilt ihm nun als der »Unsinn des Absoluten «. Der absolute Geist sei »nichts anderes als« der abgeschiedene Geist der Theologie, der in Hegels Philosophie als Gespenst umgehe. Als sich Feuerbach 1840 noch einmal über sein Verhältnis zu Hegel Rechenschaft gab, nennt er ihn den einzigen Mann, der ihn erfahren ließ, was ein Lehrer sei. Was wir aber als Schüler gewesen sind, schwinde nie wieder aus unserm Wesen, wenn auch vielleicht aus unserm Bewußtsein. Er habe Hegel nicht nur studiert, sondern auch anderen gelehrt, in der Überzeugung, daß es die Pflicht eines jungen Dozenten sei, die Studierenden nicht mit seinen eigenen Meinungen, sondern mit den Lehren anerkannter Philosophen bekannt zu machen. »Ich lehrte die Hegelsche Philosophie... zuerst als solcher, der sich mit seinem Gegenstand identifiziert. . ., weil er nichts Anderes und Besseres weiß; dann als solcher, der sich von seinem Gegenstand unterscheidet und abtrennt, ihm historische Gerechtigkeit widerfahren läßt, aber um so mehr ihn richtig zu erfassen bestrebt ist.« So sei er zwar niemals ein förmlicher, wohl aber ein wesentlicher Hegelianer gewesen, der auch das absolute System in das »Gesetz aller Endlichkeit « einbezog. »Ich stand als werdender Schriftsteller auf dem Standpunkt der spekulativen Philosophie überhaupt, der Hegelschen Philosophie insbesondere nur insofern, als sie der letzte, umfassendste Ausdruck der spekulativen Philosophie ist.« 208 Zwanzig Jahre später - 1860 - faßte Feuerbach seine Stellung zu Hegel ein letztes Mal kurz zusammen. Er bezeichnet sich im Unterschied zu den »Geistesheroen« als einen letzten, an die äußerste Grenze des Philosophentums hinausgeschobenen Philosophen, jenseits der intellektuellen Erhabenheit des Systems. Hegel wird in einer an Kierkegaards Polemik erinnernden Weise als das Muster eines sich selbst genügenden, professionellen Denkers bezeichnet, dessen wirkliche Exi- 88 stenz vom Staate versorgt und darum für seine Philosophie bedeutungslos war. Er habe dem Kathederstandpunkt einen welthistorischen Nimbus verliehen: »der absolute Geist ist nichts anderes als der absolute Professor.« 209 Worin besteht aber die von Feuerbach proklamierte Veränderung der durch Hegel vollendeten Philosophie? Eine Notiz aus dem Jahre 1842/43 über »Die Notwendigkeit einer Veränderung« bezeichnet die wichtigsten Punkte. Die Philosophie befinde sich jetzt nicht mehr in einer gemeinschaftlichen Epoche mit der Entwicklung von Kant bis zu Hegel, sie gehöre überhaupt nicht mehr in erster Linie der Geschichte der Philosophie, sondern dem unmittelbaren Geschehen der Welt an. Man müsse sich darum »entscheiden«, ob man im alten Geleise fortfahren oder eine neue Epoche eröffnen wolle. Notwendig sei die prinzipielle Veränderung aber deshalb, weil sie dem »Bedürfnis der Zeit« entspringe, genauer der Zeit, welche aus der Zukunft auf die Gegenwart zukommt. »In Zeiten des Untergangs einer welthistorischen Anschauung sind freilich die Bedürfnisse entgegengesetzte — den einen ist oder scheint es Bedürfnis, das Alte zu erhalten, das Neue zu verbannen, den andern ist es Bedürfnis, das Neue zu verwirklichen. Auf welcher Seite liegt das wahre Bedürfnis? Auf der, welche das Bedürfnis der Zukunft ist - die antizipierte Zukunft — auf welcher die vorwärts gehende Bewegung ist. Das Bedürfnis der Erhaltung ist nur ein gemachtes, hervorgerufenes — Reaktion. Die Hegelsche Philosophie war die willkürliche Verknüpfung verschiedener vorhandener Systeme, Halbheiten — ohne positive Kraft, weil ohne absolute Negativität. Nur wer den Mut hat, absolut negativ zu sein, hat die Kraft, Neues zu schaffen.«210 In eine vorweggenommene Zukunft vorzulaufen, war auch die Absicht von Ruge, Stirner, Bauer und Marx, weil sie alle die Gegenwart nur noch als zeitliche, aber nicht mehr — wie Hegel — als ewige kannten. Sie sind insgesamt bis zu Nietzsche und Heidegger »vorläufige« Philosophen.211 Den ersten Anstoß zu dieser Umwendung von Hegels erinnerndem Philosophieren haben Feuerbachs »Thesen zur Reform der Philosophie« und seine »Grundsätze der Philosophie der Zukunft« gegeben. Die bisherige Wohnstätte des Geistes, heißt es in einem Brief aus dieser Zeit, sei zerfallen, man müsse entschlossen »auswandern« — ein Bild, das uns auch wieder bei Marx begegnet - und nur seine eigenste Habe mit sich nehmen. »Der Wagen der Weltgeschichte ist ein enger Wagen; wie man in ihn nicht mehr hineinkommt, wenn man die bestimmte Zeit versäumt..., so kann man auch, wenn man mitfahren will, nur das 89 wesentlich Notwendige, das Seinige, nicht aber den Hausrat mitnehmen «212 - ein Gleichnis, das, in weltgeschichtlicher Aufmachung, an Kierkegaards Rede vom »Engpaß« erinnert, durch den jetzt jeder hindurch müsse, und von dem »Einen was not tut«. »Der Mensch kann sich nicht genug konzentrieren, Eines - oder Nichts«, sagt auch Feuerbach. 213 Mit Rücksicht auf die geplante Veränderung kritisiert Feuerbach Hegel. 214 Die Philosophie befinde sich jetzt in einem Stadium notwendiger »Selbstenttäuschung«. Die Täuschung, in der sie sich bisher befand, sei die des sich selbst genügenden Denkens gewesen: daß sich der Geist aus sich selber begründen könne, wogegen die Natur — der Welt wie des Menschen - erst durch den Geist als solche gesetzt werde. Die anthropologische Voraussetzung dieses »Idealismus« oder »Spiritualismus « sei die isolierte Existenzweise des Denkers als eines Denkers. Auch Hegel sei trotz aller Aufhebung der Gegensätze extremer Idealist, seine »absolute Identität« in Wahrheit eine »absolute Einseitigkeit «, nämlich auf der Seite des seiner selbst gewissen Denkens. Der Idealist nimmt im Ausgang vom »Ich bin« als »Ich denke« Mitwelt und Umwelt, wie überhaupt die Welt, als das bloß »Andere« seiner selbst, als ein »alter ego«, mit dem Schwergewicht auf dem Ego. Indem Hegel das andere, das ich nicht selbst bin, als dessen »eigenes« Anderssein interpretiert, verkennt er die spezifische Selbständigkeit der Natur und des Mitmenschen. Er philosophiert unter der Voraussetzung eines selbst-bewußten, reinphilosophischen Standpunktes, er verkennt die unphilosophischen Anfänge der Prinzipien der Philosophie. Die Hegelsche Philosophie trifft daher derselbe Vorwurf, der die ganze neuere Philosophie von Descartes an trifft: der Vorwurf eines unvermittelten Bruchs mit der sinnlichen Anschauung, einer unmittelbaren Voraussetzung der Philosophie. Es gebe freilich einen unvermeidlichen Bruch, der in der Natur der Wissenschaft liege, aber gerade die Philosophie vermittle ihn, indem sie sich aus der Nichtphilosophie erzeuge. »Der Philosoph muß das im Menschen, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Philosophie ist, dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel zur Anmerkung herabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen.« 215 Der kritische Ansatz für Feuerbachs Frage nach dem »sinnlich gegebenen Du« war also der traditionelle Ausgang der Philosophie des Geistes vom cogito ergo sum. Das historische Motiv für die idealistische Herabsetzung der naturhaften Sinnlichkeit zur »bloßen« Natürlichkeit liegt in der Herkunft 90 der neuzeitlichen Philosophie aus der christlichen Theologie, als deren Prinzip schon der Brief an Hegel das reine »Selbst« bezeichnet. Gegen Hegel als philosophischen Theologen richtet sich demgemäß Feuerbachs Angriff in den »Grundsätzen«. »Die neuere Philosophie ist von der Theologie ausgegangen — sie ist selbst nichts anderes als die in Philosophie aufgelöste und verwandelte Theologie.« »Der Widerspruch der neueren Philosophie ..., daß sie die Negation der Theologie auf dem Standpunkte der Theologie ist, oder die Negation der Theologie, welche selbst wieder Theologie ist: dieser Widerspruch charakterisiert insbesondere die Hegeische Philosophie.« »Wer die Hegeische Philosophie nicht aufgibt, der gibt nicht die Theologie auf. Die Hegeische Lehre, daß die . . . Realität von der Idee gesetzt — ist nur der rationelle Ausdruck von der theologischen Lehre, daß die Natur von Gott... geschaffen ist.« Und andrerseits ist »die Hegeische Philosophie der letzte Zufluchtsort, die letzte rationelle Stütze der Theologie«. »Wie einst die katholischen Theologen de facto Aristoteliker wurden, um den Protestantismus, so müssen jetzt die protestantischen Theologen de iure Hegelianer werden, um den Atheismus bekämpfen zu können.« »So haben wir schon im obersten Prinzip der Hegeischen Philosophie das Prinzip und Resultat seiner Religionsphilosophie, daß die Philosophie die Dogmen der Theologie nicht aufhebe, sondern nur aus der Negation des Rationalismus wieder herstelle . .. Die Hegelsche Philosophie ist der letzte großartige Versuch, das verlorene, untergegangene Christentum durch die Philosophie wieder herzustellen, und zwar dadurch, daß, wie überhaupt in der neuen Zeit, die Negation des Christentums mit dem Christentum selbst identifiziert wird. Die vielgepriesene spekulative Identität des Geistes und der Materie, des Unendlichen und Endlichen, des Göttlichen und Menschlichen ist nichts weiter als der unselige Widerspruch der neueren Zeit — die Identität von Glaube und Unglaube, Theologie und Philosophie, Religion und Atheismus, Christentum und Heidentum auf seinem höchsten Gipfel, auf dem Gipfel der Metaphysik. Nur dadurch wird dieser Widerspruch bei Hegel verdunkelt. . . daß die Negation, der Atheismus, zu einer objektiven Bestimmung Gottes gemacht — Gott als ein Prozeß und als ein Moment dieses Prozesses der Atheismus bestimmt wird.« 216 Das Unendliche der Religion und Philosophie ist und war aber nie etwas anderes als irgendein Endliches und darum Bestimmtes, jedoch mystifiziert, d. h. ein Endliches mit dem Postulat: nicht endlich, d. i. un-endlich zu sein. Die spekulative Philosophie hat sich desselben Fehlers schuldig gemacht wie die Theologie, nämlich die Bestimmungen 91 der endlichen Wirklichkeit nur durch die Negation der Bestimmtheit, in welcher sie sind, was sie sind, zu Bestimmungen des Unendlichen gemacht zu haben. Die Philosophie, welche wie die Hegeische das Endliche aus dem Unendlichen, das Bestimmte aus dem Unbestimmten ableitet, bringt es nie zu einer wahren Position des Endlichen und Bestimmten. »Das Endliche wird aus dem Unendlichen abgeleitet - d. h. das Unendliche, das Unbestimmte wird bestimmt, negiert; es wird eingestanden, daß das Unendliche ohne Bestimmung, d. h. ohne Endlichkeit Nichts ist, — als die Realität des Unendlichen also das Endliche gesetzt. Aber das negative Unwesen des Absoluten bleibt zugrunde liegen; die gesetzte Endlichkeit wird daher immer wieder aufgehoben. Das Endliche ist die Negation des Unendlichen, und wieder das Unendliche die Negation des Endlichen. Die Philosophie des Absoluten ist ein Widerspruch.« Der Anfang der wahrhaft positiven Philosophie kann nicht Gott oder das Absolute, und ebensowenig das »Sein« ohne Seiendes sein, sondern nur das Endliche, Bestimmte und Wirkliche. Eine endliche Wirklichkeit ist aber vor allem der sterbliche Mensch, für den der Tod affirmativ ist. »Die neue . . . Philosophie ist die Negation aller Schulphilosophie, ob sie gleich das Wahre derselben in sich enthält. . ., sie hat. . . keine besondere Sprache..., kein besonderes Prinzip; sie ist der denkende Mensch selbst — der Mensch, der ist und sich weiß ...« Wenn man jedoch diesen Namen der neuen Philosophie in den des »Selbstbewußtseins « zurückübersetzt, so legt man die neue Philosophie im Sinne der alten aus, versetzt sie wieder auf den alten Standpunkt zurück. Das Selbstbewußtsein der alten Philosophie ist aber eine Abstraktion ohne Realität, denn nur der Mensch »ist« das Selbstbewußtsein.217 »Anthropologisch « oder dem Menschen gemäß philosophieren bedeutet für Feuerbach erstens: Rücksichtnehmen auf die das eigene Denken bewährende Sinnlichkeit, deren erkenntnismäßiger Modus die sinnlichbestimmte und das Denken mit Sinn erfüllende Anschauung ist, und zweitens: Rücksichtnehmen auf den das eigene Denken bewährenden Mitmenschen, der erkenntnismäßig der Partner des dialogischen Denkens ist. In der Berücksichtigung beider Momente wird das sich eigenständig fortbewegende, bloß folgerichtige und abschließende Denken objektiv aufgeschlossen und richtig gestellt. Was das erste Moment, die Sinnlichkeit betrifft, so ist sie nicht nur das Wesen der menschlichen Sinne, sondern das der Natur und der leiblichen Existenz überhaupt. Die Sinne sind für Feuerbach, nach einer Bemerkung Fischers,218 der bisher verachtete dritte Stand, den er zu 92 einer totalen Bedeutung erhebt, wogegen Hegel vom Denken rühmt, daß ihm Sehen und Hören vergeht. Nur aus der Sinnlichkeit stammt auch der wahre Begriff von der »Existenz«, denn die wirkliche Existenz von etwas beweist sich dadurch, daß sie sich sinnfällig aufdrängt, daß sie nicht ausgedacht, eingebildet und bloß vorgestellt werden kann.219 Dieser »Sensualismus« von Feuerbach wird am deutlichsten faßbar in seiner Kritik der Hegeischen Dialektik von Seele und Leib.220 Hegels Psychologie will die Identität von Leib und Seele beweisen. Dagegen behauptet Feuerbach, daß auch diese wie alle Hegel sche »Identität« in Wahrheit nur eine »absolute Einseitigkeit« ist. Hegel erklärt zwar für vollkommen hohl die Vorstellung derer, welche meinen, eigentlich sollte der Mensch keinen Leib haben, weil er durch denselben zur Sorge für die Befriedigung seiner physischen Bedürfnisse genötigt, somit von seinem geistigen Leben abgezogen und zur wahren Freiheit unfähig werde. »Die Philosophie hat zu erkennen, wie der Geist nur dadurch für sich selber ist, daß er sich das Materielle teils als seine eigene Leiblichkeit, teils als eine Außenwelt überhaupt entgegensetzt und dies so Unterschiedene zu der durch den Gegensatz und durch Aufhebung desselben vermittelten Einheit mit sich zurückführt. Zwischen dem Geiste und dessen eigenem Leibe findet natürlicherweise eine noch innigere Verbindung statt als zwischen der sonstigen Außenwelt und dem Geiste. Eben wegen dieses notwendigen Zusammenhangs meines Leibes mit meiner Seele ist die von der letzteren gegen den ersteren unmittelbar ausgeübte Tätigkeit keine... bloß negative. Zunächst habe ich mich daher in dieser unmittelbaren Harmonie meiner Seele und meines Leibes zu behaupten ... darf ihn nicht verächtlich und feindlich behandeln ... Verhalte ich mich den Gesetzen meines leiblichen Organismus gemäß, so ist meine Seele in ihrem Körper frei.« Hierzu bemerkt Feuerbach: »ein vollkommen wahrer Satz«, aber gleich darauf sage Hegel: »Dennoch kann die Seele bei dieser unmittelbaren Einheit mit ihrem Leibe nicht stehen bleiben. Die Form der Unmittelbarkeit jener Harmonie widerspricht dem Begriffe der Seele - ihrer Bestimmung, sich auf sich selber beziehende Idealität zu sein. Um ihrem Begriff entsprechend zu werden, muß die Seele ihre Identität mit ihrem Leibe zu einer durch den Geist gesetzten oder vermittelten machen, ihren Leib in Besitz nehmen, ihn zum gefügigen und geschickten Werkzeug ihrer Tätigkeit bilden, ihn so umgestalten, daß sie in ihm sich auf sich selber bezieht.« Das Wort »unmittelbar«, fährt Feuerbach fort, werde zwar unzählige Male von Hegel gebraucht, und doch fehle das, was dieses Wort bezeichnet, das 93 Unmittelbare, gänzlich seiner Philosophie, weil er nie aus dem logischen Begriff herauskomme, indem er von vornherein das Unmittelbare zu einem Moment des Allervermitteltsten, des Begriffes, mache. Wie könne überhaupt bei Hegel die Rede sein von einer unmittelbaren Einheit mit dem Leibe, da ja der Leib keine Wahrheit, keine Realität für die Seele habe, da die Seele nur ein durch die Aufhebung, die Nichtigkeit der Leiblichkeit vermittelter Begriff, oder vielmehr nach Hegel der Begriff selbst sei? »Wo ist auch nur eine Spur von Unmittelbarkeit? « fragt Feuerbach und er antwortet: »Nirgends; warum? Weil, wie im Idealismus und Spiritualismus überhaupt, der Leib der Seele, auch des Denkers, nur Gegenstand ist wie er Gegenstand, aber nicht wie er zugleich Grund des Willens und Bewußtseins ist, und daher gänzlich übersehen wird, daß wir nur mit einem uns nicht gegenständlichen Leiblichen hinter unserm Bewußtsein das Leibliche vor unserm Bewußtsein wahrnehmen...« Allerdings bilde und bestimme der Geist den Leib, und zwar so sehr, daß der Mensch, der einen geistigen Beruf habe und diesem gemäß seine Lebensweise, sein Schlafen, Essen, Trinken regle, mittelbar selbst auch seinen Magen und Blutlauf nach seinem Willen und Beruf bestimme. »Aber vergessen wir nicht über der einen Seite die andere, vergessen wir nicht, daß, wozu der Geist den Leib mit Bewußtsein bestimmt, dazu er selbst schon unbewußt von seinem Leibe bestimmt wird; daß ich also z. B. als Denker meinen Leib meinem Zweck gemäß bestimme, weil die konstruierende Natur im Bunde mit der destruktiven Zeit mich zum Denker organisiert hat, ich also ein höchst fataler Denker bin, daß überhaupt wie und als was der Leib gesetzt oder bestimmt, so und als das der Geist gesetzt und bestimmt wird . . .« Was Wirkung ist, wird zur Ursache und umgekehrt. — Hegels Anerkennung der sinnlich-natürlichen Leiblichkeit sei also nur eine solche innerhalb der Voraussetzung einer sich aus sich selbst begründenden Philosophie des Geistes. Und ebensowenig wie die Realität der sinnlich-natürlichen Leiblichkeit anerkennt der idealistische Begriff vom Selbstbewußtsein die selbständige Realität des Mitmenschen? 221 Der fundamentale Exponent der sinnlich-natürlichen Leiblichkeit ist für Feuerbach dasjenige Organ, welches dem Namen nach von der guten Gesellschaft totgeschwiegen wird, obgleich es dem Wesen nach weltgeschichtliche Bedeutung hat und eine weltbeherrschende Macht ausübt: das natürliche Geschlecht des Menschen. Das wirkliche Ich ist »kein geschlechtsloses Das«, sondern »a priori« entweder weibliches oder männliches Dasein und damit eo ipso als unselbständiger Mit- 94 mensch bestimmt. Abstrahieren dürfte die Philosophie vom Geschlechtsunterschied nur, wenn er auf die Geschlechtsteile beschränkt wäre. Er durchdringt aber den ganzen Menschen, bis in sein spezifisch weibliches oder männliches Empfinden und Denken hinein. Mich als Mann wissend, anerkenne ich schon die Existenz eines von mir unterschiedenen Wesens, als eines zu mir gehörenden und mein eigenes Dasein mitbestimmenden Wesens. Ich bin also schon, bevor ich mich selbst verstehe, von Natur aus im Dasein Anderer begründet. Und denkend mache ich mir nur bewußt, was ich schon bin: ein auf anderes Dasein gegründetes, aber kein grundloses Wesen. Nicht Ich, sondern Ich und Du ist das wahre Prinzip des Lebens und Denkens. Das realste Verhältnis von Ich und Du ist die Liebe. »Die Liebe des Andern sagt Dir, was Du bist.« »Aus dem andern, nicht aus unserm eigenen, in sich befangenen Selbst spricht die Wahrheit zu uns. Nur durch Mitteilung, nur durch Konversation des Menschen mit dem Menschen entspringen auch die Ideen. Zwei Menschen gehören zur Erzeugung des Menschen, des geistigen sowohl wie des physischen. Die Einheit des Menschen mit dem Menschen ist das erste und letzte Prinzip der Philosophie, der Wahrheit und Allgemeinheit. Denn das Wesen des Menschen ist nur in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten, eine Einheit, die sich aber auf die Realität des Unterschieds von Ich und Du stützt. Auch im Denken und als Philosoph bin ich Mensch mit Menschen.« Mit diesem Rekurs auf die Menschen verbindende Liebe nähert sich der Hegelkritiker Feuerbach merkwürdigerweise dem jungen Hegel, dessen Begriff vom Geist seinen Ausgang nahm von der Aufhebung der Unterschiede in der »lebendigen Beziehung« der Liebe. Während aber Hegel später seinen Begriff vom Geiste mit der ganzen Kraft seines Denkens philosophisch-konkret in seine differenten Bestimmungen (als »sinnliches«, »wahrnehmendes« und »verständiges« Bewußtsein, als »begehrendes« und »reflektiertes«, als »knechtisches« und »herrisches«, als »geistiges« und »vernünftiges« Selbstbewußtsein) auseinanderzulegen verstand, bleibt Feuerbachs »Liebe« eine sentimentale Phrase ohne jede Bestimmtheit, obgleich sie das einheitliche Doppelprinzip seiner Philosophie, der »Sinnlichkeit« und des »Du« ist. Eine Konsequenz von Feuerbachs prinzipieller Veränderung ist auch die veränderte Stellung der Philosophie zur Politik und zur Religion. Die Philosophie soll nun selber Religion werden und zugleich Politik, eine Art politischer Weltanschauung, welche die bisherige Religion ersetzt. »Denn religiös müssen wir wieder werden — die Politik muß 95 unsre Religion werden — aber das kann sie nur, wenn wir ein Höchstes in unserer Anschauung haben, welcheswelches uns die Politik zuur Religion macht.«222 Das Höchste ist für den Menschen aber der Mensch. Die These, daß die Philosophie an die Stelle der Religion tritt, führt notwendig zu der weiteren, daß die Politik Religion wird, denn wenn der irdisch-bedürftige Mensch an die Stelle des Christen tritt, muß auch die Gemeinschaft der Arbeiten die des Gebetes treten. Mit derselben Konsequenz, mit der Kierkegaard das Politischwerden der Zeit aus dem Verschwinden des christlichen Glaubens erklärt,223 folgert Feuerbach die Notwendigkeit des Politischwerdens aus dem Glauben an den Menschen als solchen. »Die Religion im gewöhnlichen Sinn ist so wenig das Band des Staates, daß sie vielmehr die Auflösung desselben ist.« Wenn Gott der Herr ist, so verläßt sich der Mensch auf ihn, aber nicht auf die Menschen, und wenn umgekehrt die Menschen einen Staat bilden, so negierende damit in praxi den Glauben an Gott. »Nicht der Glaube an Gott, die Verzweiflung an Gott hat die Staaten gegründet« und subjektiv erklärt den Ursprung des Staates »der Glaube an den Menschen als den Gott des Menschen «.224 Abgesehen von der christlichen Religion wird der profane Staat notwendig zum »Inbegriff aller Realitäten«, zum »allgemeinen Wesen« und zur »Vorsehung des Menschen«. Der Staat ist »der Mensch im Großen«, der sich zu sich selbst verhaltende Staat ist der »absolute Mensch«; er wird zugleich zur Realität und zur praktischen Widerlegung des Glaubens. »Der praktische Atheismus ist also das Band der Staaten« und »die Menschen werfen sich gegenwärtig auf die Politik, weil sie das Christentum als eine den Menschen um die politische Energie bringende Religion erkennen«.225 Diese Überzeugung hat Feuerbach auch nicht preisgegeben, als er nach dem Fehlschlag von 1848 zu der Ansicht kam, daß in Deutschland Ort und Zeit für die Verwirklichung der politischen Weltanschauung noch fehlten. Denn die Reformation habe zwar den religiösen Katholizismus zerstört, aber ein politischer sei an dessen Stelle getreten, und was die Reformation nur im Bereich der Religion bezweckte, das müsse man jetzt politisch anstreben: die Aufhebung der »politischen Hierarchie« zur demokratischen Republik. Daß aber viel mehr als die republikanische Form die Konzentration und Erweiterung der staatlichen Macht als solcher das eigentliche Interesse Feuerbachs war, — und erst recht das von Rüge, Marx, Bauer, Lassalle - zeigt der Umstand, daß sie spater Bismarck durchaus nicht als Feind empfanden, sondern als einen Schrittmacher auf dem Weg ihrer ehemals revolutionären Tendenzen.226 96 In einem Brief von 1859 schreibt Feuerbach: »Was die deutsche Politik betrifft, so heißt es hier bekanntlich: quot capita tot sensus. Und doch wird Deutschland nie unter einen Hut kommen, kommt es nicht unter einen Kopf - aber wohl nie unter einen Kopf kommen, als bis einer das Herz hat, mit dem Schwert in der Hand zu behaupten: Ich bin das Haupt Deutschlands! Aber wo ist dieser Bund von Herz und Kopf? Preußen hat wohl den Kopf, aber nicht das Herz; Österreich wohl das Herz, aber nicht den Kopf.« 227 Gemessen mit dem Maß von Hegels Geschichte des »Geistes« muß Feuerbachs massiver Sensualismus gegenüber Hegels begrifflich organisierter Idee als ein Rückschritt erscheinen, als eine Barbarisierung des Denkens, die den Gehalt durch Schwulst und Gesinnung ersetzt. Hegels letztes Bedenken, ob der Lärm der Zeitgenossen und die »betäubende Geschwätzigkeit« der sich darauf beschränkenden Eitelkeit überhaupt noch Raum lasse für eine leidenschaftslose Erkenntnis, wird übertönt von der wortreichen Beredsamkeit seiner Schüler, welche die Philosophie mit den Interessen der Zeit versetzten. Auf Hegels Freundschaft mit Goethe folgt das »Idyll« zwischen »Ludwig« (Feuerbach) und »Konrad« (Deubler),228 dessen biedere Verehrung des »großen Mannes« dem im Grunde so harmlosen Gemüte Feuerbachs durchaus gemäß war. Und doch wäre es ein großer Irrtum zu meinen, man könnte auf dem hohen Roß einer verstorbenen Philosophie des Geistes über den »Materialismus« des 19. Jahrhunderts hinwegsetzen. Feuerbachs Versinnlichung und Verendlichung von Hegels philosophischer Theologie ist schlechthin zum Standpunkt der Zeit geworden, auf dem wir nun alle — bewußt oder unbewußt — stehen.

Liens utiles