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Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen - Texte.

Publié le 22/06/2013

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Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen - Texte. Carl Philipp Emanuel Bachs Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen (1753) gilt als die gründlichste und wichtigste Klavierschule des 18. Jahrhunderts. In Bachs Ausführungen über den adäquaten musikalischen Vortrag kommt eine ästhetische Auffassung zum Ausdruck, die auf die Musik der Klassik vorausweist. Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen Drittes Hauptstück. Vom Vortrage. §. 1. Es ist unstreitig ein Vorurtheil, als wenn die Stärcke eines Clavieristen in der blossen Geschwindigkeit bestände. Man kan die fertigsten Finger, einfache und doppelte Triller haben, die Applicatur verstehen, vom Blatte treffen, es mögen so viele Schlüssel im Lauffe des Stückes vorkommen als sie wollen, alles ohne viele Mühe aus dem Stegereif transponiren, Decimen, ja Duodecimen greiffen, Läuffer und Kreutzsprünge von allerley Arten machen können, und was dergleichen mehr ist; und man kan bey dem allen noch nicht ein deutlicher, ein gefälliger, ein rührender Clavieriste seyn. Die Erfahrung lehret es mehr als zu oft, wie die Treffer und geschwinden Spieler von Profeßion nichts weniger als diese Eigenschaften besitzen, wie sie zwar durch die Finger das Gesicht in Verwunderung setzen, der empfindlichen Seele eines Zuhörers aber gar nichts zu thun geben. Sie überraschen das Ohr, ohne es zu vergnügen, und betäuben den Verstand, ohne ihm genung zu thun. Ich spreche hiemit dem Spielen aus dem Stegereif nicht sein gebührendes Lob ab. Es ist rühmlich, eine Fertigkeit darinnen zu haben, und ich rathe es selbst einem jeden aufs beste an. Es darf aber ein blosser Treffer wohl nicht auf die wahrhaften Verdienste desjenigen Ansprüche machen, der mehr das Ohr als das Gesicht, und mehr das Hertz als das Ohr in eine sanfte Empfindung zu versetzen und dahin, wo er will, zu reissen vermögend ist. Es ist wohl selten möglich, ein Stück bey dem ersten Anblicke sogleich nach seinem wahren Inhalt und Affeckt weg zu spielen. In den geübtesten Orchestern wird ja oft über einige den Noten nach sehr leichte Sachen mehr als eine Probe angestellet. Die meisten Treffen werden vielmahls nichts mehr thun, als daß sie die Noten treffen, und wie vieles wird vielleicht nicht der Zusammenhang und die Verbindung der Melodie leiden, wenn auch im geringsten nicht in der Harmonie gestolpert würde? Es ist ein Vorzug fürs Clavier, daß man es in der Geschwindigkeit darauf höher als einem andern Instrumente bringen kan. Man muß aber diese Geschwindigkeit nicht mißbrauchen. Man verspare sie bis auf die Gänge, wo man ihrer nöthig hat, ohne gleich das Tempo vom Anfange zu überschreiten. Daß ich der Geschwindigkeit nicht ihr Verdienst, und folglich weder ihren Nutzen noch Nothwendigkeit nehme, wird man daraus abnehmen, daß ich verlange, daß die Probestücke aus dem G und F moll, und die aus den kleinsten Noten bestehenden Läufer in dem aus dem C moll aufs hurtigste wiewohl deutlich gespielet werden müssen. In einigen auswärtigen Gegenden herrschet größtentheils besonders dieser Fehler sehr starck, daß man die Adagios zu hurtig und die Allegros zu langsam spielet. Was für ein Widerspruch in einer solchen Art von Ausführung stecke, braucht man nicht methodisch darzuthun. Doch halte man nicht dafür, als ob ich hiemit diejenigen trägen und steiffen Hände rechtfertigen will, die einen aus Gefälligkeit einschläfern, die unter dem Vorwande des sangbaren das Instrument nicht zu beleben wissen, und durch den verdrießlichen Vortrag ihrer gähnenden Einfälle noch weit mehrere Vorwürfe, als die geschwinden Spieler verdienen. Diese letztern sind zum wenigsten noch der Verbesserung fähig; ihr Feuer kan gedämpfet werden, wenn man sie ausdrücklich zur Langsamkeit anhält, da das hypochondrische Wesen, das aus den matten Fingern bis zum Eckel hervorblicket, wohl wenig oder gar nicht durch das Gegentheil zu heben ist. Beyde übrigens üben ihr Instrument bloß maschinenmäßig aus, da zu dem rührenden Spielen gute Köpfe erfodert werden, die sich gewissen vernünftigen Regeln zu unterwerfen und darnach ihre Stücke vorzutragen fähig sind. §. 2. Worinn aber bestehet der gute Vortrag? in nichts anderm als der Fertigkeit, musikalische Gedancken nach ihrem wahren Inhalte und Affeckt singend oder spielend dem Gehöre empfindlich zu machen. Man kan durch die Verschiedenheit desselben einerley Gedancken dem Ohre so veränderlich machen, daß man kaum mehr empfindet, daß es einerley Gedancken gewesen sind. §. 3. Die Gegenstände des Vortrages sind die Stärcke und Schwäche der Töne, ihr Druck, Schnellen, Ziehen, Stossen, Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen. Wer diese Dinge entweder gar nicht oder zur unrechten Zeit gebrauchet, der hat einen schlechten Vortrag. §. 4. Der gute Vortrag ist also sofort daran zu erkennen, wenn man alle Noten nebst den ihnen zugemessenen guten Manieren zu rechter Zeit in ihrer gehörigen Stärcke durch einen nach dem wahren Inhalte des Stücks abgewognen Druck mit einer Leichtigkeit hören läßt. Hieraus entstehet das Runde, Reine und Fliessende in der Spielart, und wird man dadurch deutlich und ausdrückend. Man muß aber zu dem Ende die Beschaffenheit desjenigen Instruments, worauf man spielet, wohl untersuchen, damit man es weder zu wenig, noch zu viel angreiffe. Manches Clavier giebt nicht eher seinen vollkommnen und reinen Ton von sich, als wenn man es starck angreifft; ein anders wiederum muß sehr geschonet werden, oder man übertreibt das Ansprechen des Tons. Diese Anmerckung, die schon im Eingange gemacht worden, wiederhohle ich allhier deßwegen noch einmahl, damit man auf eine vernünftigere Art, als insgemein geschicht, nemlich nicht durch eine übertriebne Gewalt des Anschlages, sondern vielmehr durch harmonische und melodische Figuren, z. E. die Raserey, den Zorn oder andere gewaltigen Affeckte vorzustellen suche. Auch in den geschwindesten Gedancken muß man hiebey jeder Note ihren gehörigen Druck geben; sonsten ist der Anschlag ungleich und undeutlich. Diese Gedancken werden gemeiniglich nach der bey den Trillern angeführten Art geschnellet. §. 5. Die Lebhaftigkeit des Allegro wird gemeiniglich in gestossenen Noten und das Zärtliche des Adagio in getragenen und geschleiften Noten vorgestellet. Man hat also beym Vortrage darauf zu sehen, daß diese Art und Eigenschaft des Allegro und Adagio in Obacht genommen werde, wenn auch dieses bey den Stücken nicht angedeutet ist, und der Spieler noch nicht hinlängliche Einsichten in den Affeckt eines Stückes hat. Ich setze oben mit Fleiß gemeiniglich, weil ich wohl weiß, daß allerhand Arten von Noten bey allerhand Arten der Zeitmaaße vorkommen können. §. 6. Einige Personen spielen klebericht, als wenn sie Leim zwischen den Fingern hätten. Ihr Anschlag ist zu lang, indem sie die Noten über die Zeit liegen lassen. Andere haben es verbessern wollen, und spielen zu kurtz; als wenn die Tasten glühend wären. Es thut aber auch schlecht. Die Mittelstrasse ist die beste; ich rede hievon überhaupt; alle Arten des Anschlages sind zur rechten Zeit gut. Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen. Berlin 1753, Neudruck Leipzig 1957, S. 115ff. Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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