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Der Umsturz der Hegelschen Philosophie durch die Junghegelianer

Publié le 22/02/2012

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»Es ist nichts inkonsequenter als die höchste Konsequenz, weil sie unnatürliche Phänomene hervorbringt, die zuletzt umschlagen.«185 Goethe Durch Rosenkranz und Haym, Erdmann und Fischer wurde Hegels gesammeltes Reich historisch bewahrt; die Junghegelianer haben es in Provinzen zerteilt, das System zersetzt und es eben dadurch zu einer geschichtlichen Wirkung gebracht. Der Ausdruck »Junghegelianer« ist zunächst nur im Sinne der jüngeren Generation von Hegels Schülern gemeint; in der Bedeutung von »Linkshegelianern« bezeichnet er die im Verhältnis zu Hegel revolutionäre Umsturzpartei. Man hat sie zu ihrer Zeit auch — im Gegensatz zu den »Hegelitern« — »Hegelinge« genannt, um die revolutionären Allüren dieser Jünglinge zu kennzeichnen. Zugleich hat die Unterscheidung von Alt- und Junghegelianern aber auch einen mittelbaren Bezug auf Hegels Unterscheidung der »Alten« und »Jungen«, die Stirner trivialisiert hat. Die Alten, das sind in Hegels System der Sittlichkeit die wahrhaft zur Regierung Berufenen, weil ihr Geist nicht mehr das Einzelne, sondern nur noch »das Allgemeine denkt.« 186 Sie dienen als leibhaftige »Indifferenz« gegenüber den verschiedenen Ständen der Erhaltung des Ganzen. Die Alten leben nicht wie die Jünglinge in einer unbefriedigten Spannung zu einer ihnen unangemessenen Welt und im »Widerwillen gegen die Wirklichkeit«; sie existieren auch nicht in der männlichen »Anschließung « an die wirkliche Welt, sondern wie Greise sind sie, ohne jedes besondere Interesse für dies oder jenes, dem Allgemeinen und der Vergangenheit zugewandt, der sie die Erkenntnis des Allgemeinen verdanken. Dagegen ist der Jüngling eine am Einzelnen haftende und zukunftssüchtige, die Welt verändernwollende Existenz, die, 79 uneins mit dem Bestehenden, Programme entwirrt und Forderungen erhebt, in dem Wahn, eine aus den Fugen geratene Welt allererst einrichten zu sollen. Die Verwirklichung des Allgemeinen erscheint ihm ein Abfall vom Sollen zu sein. Wegen dieser Richtung auf das Ideale hat der Jüngling den Schein eines edleren Sinnes und größerer Uneigennützigkeit als der Mann, der für die Welt tätig ist und sich in die Vernunft der Wirklichkeit einläßt. Den Schritt zur Anerkennung dessen, was ist, vollzieht die Jugend nur notgedrungen, als schmerzlichen Übergang ins Philisterleben. Aber sie täuscht sich, wenn sie dieses Verhältnis nur als ein solches der äußern Not versteht und nicht als vernünftige Notwendigkeit, worin die von allen besonderen Interessen der Gegenwart freie Weisheit des Alters lebt. Im Gegensatz zu Hegels Einschätzung der Jungen und Alten haben die Junghegelianer die Partei der Jugend vertreten, aber nicht weil sie wirkliche Jünglinge waren, sondern um das Bewußtsein des Epigonen zu überwinden. In der Erkenntnis der Unhaltbarkeit des Bestehenden haben sie sich vom »Allgemeinen« und der Vergangenheit abgewandt, um die Zukunft zu antizipieren, das »Bestimmte« und »Einzelne« zu urgieren und das Bestehende zu negieren. Ihre persönlichen Schicksale zeigen die gleichen charakteristischen Züge.187 F. A. Lange bemerkt einmal von Feuerbach, er habe sich aus den Abgründen der Hegelschen Philosophie zu einer Art Oberflächlichkeit emporgearbeitet und mehr Charakter als Geist gehabt, ohne jedoch die Spuren Hegelschen Tiefsinns ganz zu verlieren. Sein System schwebe trotz der zahlreichen »folglich« in einem mystischen Dunkel, welches durch die Betonung der »Sinnlichkeit« und »Anschaulichkeit« keineswegs klarer werde. Diese Charakteristik trifft nicht nur auf Feuerbach zu, sondern auf alle Junghegelianer. Ihre Schriften sind Manifeste, Programme und Thesen, aber kein in sich selber gehaltvolles Ganzes und ihre wissenschaftlichen Demonstrationen wurden ihnen unter der Hand zu effektvollen Proklamationen, mit denen sie sich an die Masse oder auch an den Einzelnen wenden. Wer ihre Schriften studiert, wird die Erfahrung machen, daß sie trotz ihres aufreizenden Tons einen faden Geschmack hinterlassen, weil sie mit dürftigen Mitteln maßlose Ansprüche stellen und Hegels begriffliche Dialektik zu einem rhetorischen Stilmittel breittreten. Die kontrastierende Reflexionsmanier, in der sie zu schreiben pflegen, ist einförmig ohne einfach zu sein und brillant ohne Glanz. Burckhardts Feststellung, daß die Welt nach 1830 »gemeiner« zu werden begann, bestätigt sich nicht zuletzt in der nun üblich werdenden Sprache, die sich 80 in massiver Polemik, pathetischem Schwulst und drastischen Bildern gefällt. Auch F. List ist ein Beispiel dafür. Ihr kritischer Aktivismus kennt keine Grenzen, denn was sie herbeiführen wollen, ist in jedem Fall und um jeden Preis die »Veränderung«.188 Und doch waren sie meist verzweifelt ehrliche Leute, die ihre faktische Existenz für das einsetzten, was sie verwirklichen wollten. Als Ideologen des Werdens und der Bewegung fixieren sie sich auf Hegels Prinzip der dialektischen Negativität und auf den Widerspruch, welcher die Welt bewegt. Für ihr Verhältnis untereinander ist es bezeichnend, daß einer den andern zu überbieten sucht in einem wechselseitigen Verschlingungsprozeß. Sie treiben das Problem, das die Zeit ihnen stellt, auf die Spitze und sind von einer tödlichen Konsequenz. Nur aus gemeinsamer Opposition miteinander verbunden, können sie ihre persönlichen und literarischen Bündnisse ebenso leicht wieder lösen, auseinander gehen und sich dann, nach Maßgabe ihres Radikalismus, gegenseitig als »Spießbürger« und »Reaktionäre« schmähen. Feuerbach und Ruge, Ruge und Marx, Marx und Bauer, Bauer und Stirner, sie bilden Paare von feindlichen Brüdern, bei denen der Zufall entscheidet, in welchem Augenblick sie sich nur noch als Feinde erkennen. Sie sind »entgleiste Bildungsmenschen« und gescheiterte Existenzen, die unter dem Zwang der sozialen Verhältnisse ihre gelehrten Kenntnisse ins Journalistische übersetzen. Ihr eigentlicher Beruf ist die »freie« Schriftstellerei unter beständiger Abhängigkeit von Geldgebern und Verlegern, Publikum und Zensoren. Das Literatentum als Beruf und Gegenstand des Erwerbs ist in Deutschland erst um 1830 zur Geltung gekommen.189 Als »Schriftsteller und Mensch« im ausgezeichneten Sinn fühlte sich Feuerbach.190 Ruge war ein ausgesprochen journalistisches Talent, Bauer lebte von der Schriftstellerei und Kierkegaards Existenz ist identisch mit seiner »Autorschaft«. Was ihn trotz seines leidenschaftlichen Gegensatzes zum Journalismus mit den andern verbindet, ist die Absicht, allein durch seine Schriften wirken zu wollen. Die besondere Bestimmung, die er seiner »Wirksamkeit als Schriftsteller« zuschrieb, nämlich ein Autor »auf der Grenze zwischen dem Dichterischen und dem Religiösen« zu sein, unterscheidet ihn nicht nur, sondern verbindet ihn auch mit der literarischen Wirksamkeit der Linkshegelianer, die sich auf der Grenze zwischen Philosophie und Politik oder Politik und Theologie bewegten. Durch diese Männer wurde Hegel das paradoxe Schicksal zuteil, daß sein System, welches wie keines zuvor die »Anstrengung des Begriffs« verlangt, durch eine 81 energische Popularisierung in Umlauf und zur breitesten Wirkung kam. — Wenn es wahr ist, was Hegel sagt, daß der einzelne Mensch nur im »Allgemeinen« eines bestimmten Standes positiv frei und überhaupt »etwas« ist,191 dann waren Feuerbach und Ruge, Bauer und Stirner, Marx und Kierkegaard nur negativ frei und »nichts«. Als sich ein Freund von Feuerbach um eine akademische Anstellung für ihn bemühte, schrieb Feuerbach ihm zurück: »Je mehr man aus mir macht, desto weniger bin ich und umgekehrt. Ich bin überhaupt ... nur so lange etwas, so lange ich nichts bin.« Hegel wußte sich noch frei inmitten der bürgerlichen Beschränkung und es war für ihn kein Ding der Unmöglichkeit, als bürgerlicher Beamter ein »Priester des Absoluten«, er selbst und etwas zu sein. Er sagt mit Bezug auf das Leben der Philosophen in der dritten Epoche des Geistes,192 also seit dem Beginn der »modernen« Welt, daß nun auch die Lebensumstände der Philosophen andere geworden seien als in der ersten und zweiten Epoche. Die antiken Philosophen seien noch »plastische« Individuen gewesen, die ihr Leben eigentümlich nach ihrer Lehre prägten, so daß hier die Philosophie als solche auch den Stand des Menschen bestimmte. Im Mittelalter waren es vornehmlich Doktoren der Theologie, die Philosophie dozierten und als Geistliche von der übrigen Welt unterschieden waren. Im Übergang zur modernen Zeit haben sie sich, wie Descartes, unstet im inneren Kampf mit sich selbst und im äußeren mit den Verhältnissen der Welt im Leben herumgetrieben. Von da ab bilden die Philosophen nicht mehr einen besonderen Stand, sondern sie sind, was sie sind, im bürgerlichen Zusammenhang mit dem Staat: beamtete Lehrer der Philosophie. Diese Veränderung interpretiert Hegel als die »Versöhnung des weltlichen Prinzips mit sich selbst«, wobei es einem jeden freistehe, sich unabhängig von dieser wesentlich gewordenen Macht der Verhältnisse seine »innere Welt« zu erbauen. Der Philosoph könne jetzt die »äußere « Seite seiner Existenz dieser »Ordnung« so überlassen wie der moderne Mensch die Art sich zu kleiden durch die Mode bestimmt sein läßt. Die moderne Welt sei geradezu diese Macht der allseitig gewordenen Abhängigkeit des einen vom andern im bürgerlichen Zusammenhang. Das Wesentliche, schließt Hegel, sei, »seinem Zwecke getreu zu bleiben« in diesem staatsbürgerlichen Zusammenhang. Frei zu sein für die Wahrheit und zugleich abhängig vom Staat, das schien ihm noch durchaus vereinbar zu sein. Ebenso bezeichnend wie es für Hegel ist, daß er innerhalb des »Systems der Bedürfnisse« seinem Zweck, der darüber hinausging, getreu 82 blieb, ist es für alle Späteren geworden, daß sie sich um ihres Zweckes willen der bürgerlichen Ordnung entzogen. Feuerbach mußte wegen des Anstoßes, den seine »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit« in den akademischen Kreisen erregten, seine Erlanger Privatdozentur wieder aufgeben und höchst »privat auf einem Dorf« dozieren, »dem selbst die Kirche fehlte«, öffentlich trat er nur einmal noch auf, als ihn die Studenten 1848 nach Heidelberg riefen. Ruge hat das Schicksal der revolutionären Intelligenz noch härter getroffen: in beständigem Streit mit Regierung und Polizei verlor er alsbald seine Hallesche Dozentur; sein Versuch, in Dresden eine freie Akademie zu gründen, mißlang, und die Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst, deren Mitherausgeber er war, mußten nach wenigen Jahren erfolgreichen Wirkens ihr Erscheinen einstellen. Um nicht ein zweites Mal ins Gefängnis zu kommen, flüchtete er nach Paris, dann nach der Schweiz und schließlich nach England. B. Bauer wurde wegen seiner radikalen theologischen Ansichten seiner Dozentur enthoben und ist auf diese Weise zum freien Schriftsteller und zum Mittelpunkt der Berliner »Freien« geworden. Doch hat der beständige Kampf mit der Not des Lebens seinen festen Charakter in keiner Weise gebrochen. Stirner, der zuerst Lehrer an einer Schule war, verkam im kleinbürgerlichen Elend und fristete schließlich seine Existenz mit Übersetzungen und den Erträgnissen eines Milchladens. Marx mißlang der Plan, sich in Bonn für Philosophie zu habilitieren. Er übernahm zunächst die Redaktion der Deutsch-Französischen Jahrbücher, deren Mitarbeiter u. a. Ruge und Heine waren, um fortan als Emigrant in Paris, Brüssel und London von dürftigen Schriftstellerhonoraren, Zeitungsarbeit, Unterstützungen und Schulden zu leben. Kierkegaard konnte sich nie entschließen, sein theologisches Examen zur Erlangung einer Pfarrstelle zu gebrauchen, und sich »in der Endlichkeit anzubringen«, um »das Allgemeine zu realisieren«. Er lebte »auf eigenen Kredit«, als ein »König ohne Land«, wie er seine schriftstellerische Existenz bezeichnet, und materiell von der Erbschaft seines Vaters, welche gerade zu Ende ging, als er im Kampf gegen die Kirche erschöpft zusammenbrach. Aber auch Schopenhauer, Dühring und Nietzsche sind nur vorübergehend im Dienste des Staates gestanden: Schopenhauer hat sich nach dem mißglückten Versuch, an der Berliner Universität mit Hegel konkurrieren zu wollen, wieder ins Privatleben zurückgezogen, voller Verachtung für die »Universitätsphilosophen«. Dühring wurde aus politischen Gründen die Dozentur entzogen, und Nietzsche ließ sich schon nach wenigen Jahren von der Basler Universität für immer 83 beurlauben. An Schopenhauer bewunderte er nicht zuletzt seine Unabhängigkeit von Staat und Gesellschaft. Sie alle haben sich entweder aus dem Zusammenhang mit der bestehenden Welt herausgezogen oder durch revolutionäre Kritik das Bestehende umstürzen wollen. Die Spaltung der Hegelschen Schule in Rechts- und Linkshegelianer war sachlich ermöglicht durch die grundsätzliche Zweideutigkeit von Hegels dialektischen »Aufhebungen«, die ebensogut konservativ wie revolutionär ausgelegt werden konnten. Es bedurfte nur einer »abstrakten « Vereinseitigung von Hegels Methode, um zu dem für alle Linkshegelianer bezeichnenden Satz von F. Engels zu kommen: »Der Konservatismus dieser Anschauungsweise ist relativ, ihr revolutionärer Charakter ist absolut«, nämlich deshalb, weil der Prozeß der Weltgeschichte eine Bewegung des Fortschritts ist und somit eine beständige Negation des Bestehenden.193 Engels demonstriert den revolutionären Charakter an Hegels Satz, daß das Wirkliche auch das Vernünftige sei. Er ist dem Anschein nach reaktionär, in Wahrheit aber revolutionär, weil Hegel mit der Wirklichkeit ja nicht das zufällig gerade Bestehende meint, sondern ein »wahres« und »notwendiges« Sein. Darum kann sich die scheinbar staatserhaltende These der Rechtsphilosophie »nach allen Regeln« der Hegelschen Denkweise in ihr Gegenteil umkehren: »Alles, was besteht, ist wert, daß es zu Grunde geht.«194 Hegel selbst habe freilich diese Konsequenz seiner Dialektik nicht in solcher Schärfe gezogen, ihr vielmehr durch den Abschluß seines Systems widersprochen und die kritisch-revolutionäre Seite mit der dogmatisch-konservativen verdeckt. Man müsse ihn daher von sich selbst befreien und die Wirklichkeit in der Tat zur Vernunft bringen, durch die methodische Negation des Bestehenden. Die Spaltung der Hegelschen Schule beruht also beiderseits darauf, daß die bei Hegel in einem methaphysischen Punkt vereinigten Sätze von der Vernunft des Wirklichen und der Wirklichkeit des Vernünftigen 195 nach rechts und nach links vereinzelt wurden - zunächst in der Frage der Religion und dann in der der Politik. Die Rechte betonte, daß nur das Wirkliche auch das Vernünftige, und die Linke, daß nur das Vernünftige auch das Wirkliche sei, während bei Hegel der konservative und revolutionäre Aspekt, formell mindestens, gleichgültig sind. Dem Inhalt nach bezog sich der methodische Umsturz der Hegelschen Philosophie zunächst auf ihren Charakter als einer philosophischen Theologie. Der Streit betraf die atheistische oder theistische Auslegung der Religionsphilosophie: ob das Absolute seine wirkliche Exi- 84 stenz in dem zum Menschen gewordenen Gott oder nur in der Menschheit habe.196 In diesem Kampf von Strauß und Feuerbach gegen die dogmatischen Reste in Hegels philosophischem Christentum ist Hegels Philosophie, wie Rosenkranz sagt, »innerhalb ihrer selbst durch die Epoche der Sophistik hindurchgegangen« — aber nicht um sich zu »verjüngen«, sondern um - bei Bauer und Kierkegaard - die Krisis der christlichen Religion radikal zu enthüllen. Die politische Krisis hat sich als nicht weniger wichtig erwiesen und an der Kritik der Rechtsphilosophie offenbart. Ruge hat sie herbeigeführt und Marx auf die Spitze getrieben. In beiden Angriffsrichtungen haben die Junghegelianer, ohne es selber wissen zu können, auf Hegels theologische und politische Jugendschriften zurückgegriffen, welche die Problematik des bürgerlichen Staats und der christlichen Religion am Maßstab der griechischen Polis und ihrer Volksreligion schon mit aller Schärfe entwickelt hatten. Innerhalb des Umsturzes der Hegelschen Philosophie sind drei Phasen zu unterscheiden: Feuerbach und Ruge haben es unternommen, Hegels Philosophie im Geiste der anders gewordenen Zeit zu verändern; B. Bauer und Stirner ließen die Philosophie überhaupt in einem radikalen Kritizismus und Nihilismus verenden; Marx und Kierkegaard haben aus dem veränderten Zustand extreme Konsequenzen gezogen: Marx destruierte die bürgerlich-kapitalistische und Kierkegaard die bürgerlich-christliche Welt.

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