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Die Bewahrung der Hegelschen Philosophie durch die Althegelianer...

Publié le 22/02/2012

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Es ist für die Einteilung der Hegeischen Schule in eine Rechte von Althegelianern und eine Linke von Junghegelianern bezeichnend, daß sie keinen rein philosophischen Differenzen entsprang, sondern politischen und religiösen. Der Form nach stammt sie von der politischen Einteilung des französischen Parlaments und dem Gehalt nach von verschiedenen Ansichten in der Frage der Christologie. Die Unterscheidung wurde zuerst von Strauß gemacht140 und dann von Michelet ausgeführt,141 um sich seither zu erhalten. Die Rechte (Goeschel, Gabler, B. Bauer)142 nahm im Anschluß an Hegels Unterscheidung der christlichen Religion nach »Inhalt« und »Form« den ersteren positiv im Begriff auf, während die Linke zugleich mit der religiösen Vorstellungsform auch den Inhalt der Kritik unterzog. Die Rechte wollte mit der Idee der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur die ganze evangelische Geschichte bewahren, das Zentrum (Rosenkranz, in bedingter Weise auch Schaller und Erdmann) nur einen Teil, und die Linke behauptete, daß sich von der Idee aus die historischen Berichte der Evangelien weder ganz noch teilweise festhalten lassen. Strauß selbst rechnete sich zur Linken und Michelet schlug (in Übereinstimmung mit Gans, Vatke, Marheineke und Benary) in seinen »Vorlesungen über die Persönlichkeit Gottes und die Unsterblichkeit der Seele« 143 eine Koalition des Zentrums mit der Linken vor. Zu den »Pseudohegelianern« rechnet er den jungen Fichte, K. Fischer, Weiße und Braniß. Von der Lebhaftigkeit der Kontroversen in der Frage des Gottmenschentums, der Persönlichkeit Gottes und der Unsterblichkeit der Seele 144 kann man sich heute nur noch schwer eine Vorstellung machen, so selbstverständlich ist uns bereits das destruktive Ergebnis der von Hegels Schülern geleisteten Religionskritik. Für Hegels Wirkung war die Diskussion dieser theologischen Fragen nicht weniger wichtig als die, welche sich, bei Rüge, Marx und Lassalle, an seine Staatslehre anschloß. Althegelianer im ursprünglichen Sinn der von Hegel selber begründeten Schule waren die meisten der Herausgeber seiner Werke: von Henning, Hotho, Förster, Marheineke, sowie Hinrichs, C. Daub, 65 66 Conradi und Schaller. Sie haben Hegels Philosophie buchstäblich konserviert und in historischen Einzelforschungen weitergeführt, aber sie nicht über die Zeit von Hegels persönlicher Wirkung hinaus auf eine eigene Weise reproduziert. Für die geschichtliche Bewegung des 19. Jahrhunderts sind sie ohne Bedeutung. Im Gegensatz zu ihnen entstand die Bezeichnung »Junghegelianer« oder auch »Neuhegelianer«.145 Zur Vermeidung einer Verwirrung werden im folgenden als Neuhegelianer ausschließlich die bezeichnet, welche in unserer Zeit den Hegelianismus erneuerten, als Junghegelianer die linksradikalen Schüler und Nachfolger Hegels und als Althegelianer diejenigen, welche seine geschichtliche Denkweise über die Periode des Umsturzes hinaus, durch das ganze Jahrhundert hindurch, auf eine je eigentümliche, aber nicht buchstäbliche Weise historisch bewahrten. Althegelianer kann man sie deshalb nennen, weil sie nicht die Tendenz zu einer radikalen Neuerung hatten. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet sind vorzüglich Rosenkranz, aber auch Haym, Erdmann und K. Fischer die eigentlichen Bewahrer der Hegelschen Philosophie zwischen Hegel und Nietzsche gewesen. K. Rosenkranz (1805-1879), von Ruge mit Recht der »allerfreieste Althegeliter« genannt, hat in seinen beiden unüberholten Hegelmonographien die geschichtliche Lage der Philosophie nach Hegel in treffender Weise beurteilt.148 Wir Heutigen, sagt er in seiner ersten Darstellung von 1844, scheinen nur noch »die Totengräber und Denkmalsetzer « für die Philosophen zu sein, welche die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gebar, um in der ersten des 19. zu sterben: »Sind wir fähig, in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts ebenfalls eine heilige Denkerschar hinüberzusenden? Leben unter unsern Jünglingen die, welchen platonischer Enthusiasmus und aristotelische Arbeitsseligkeit das Gemüt zu unsterblicher Anstrengung für die Spekulation begeistert? Träumen unsere Jünglinge vielleicht von anderen Kränzen ..., glänzt ihnen etwa das höhere Ziel der Tat als Leitstern, ist ihr Ideal, die Ideale jener Philosophen zu verwirklichen?147 Oder sollten sie sich in die Gleichgültigkeit gegen Wissenschaft und Leben fallen lassen und, nachdem sie nicht selten mit renommistischer Voreiligkeit zu den Siegern des Tages sich proklamierten, für die Zukunft ohne ausreichende Kraft sein? Seltsam genug scheinen in unsern Tagen gerade die Talente nicht recht aushalten zu können. Schnell nutzen sie sich ab, werden nach einigen versprechenden Blüten unfruchtbar und beginnen sich selbst zu kopieren und zu wiederholen, wo nach Überwindung der unfreieren und unvollkommeneren, einseitigen und stürmischen Ju- 67 gendversuche die Periode kräftigen und gesammelten Wirkens ersi folgen sollte.« Und mit einem Seitenhieb auf jene Junghegelianer, die wie Feuerbach, Marx und Rüge, den Anspruch erhoben, Hegels Philosophie zu »verwirklichen«, spricht er von denen, die in einem »selbstfabrizierten Vorruhm durch eine ephemere Journalschilderhebung« Reformen und Revolutionen der Philosophie improvisieren, von welchen diese in ihrem weltgeschichtlichen Gang nie etwas erfahren werde. »Diese im Irrgarten ihrer Hypothesen umhertaumelnden Kavaliere der Stegreifspekulation verwechseln das Gezänk ihrer Wirtshausabenteuer mit der ernsten Rede gesetzgebender Versammlungen und den Lärm einer kritischen Prügelei mit dem tragischen Donner der Schlacht.« Trotzdem zweifelte Rosenkranz nicht am dialektischen Fortschritt der Philosophie. Unleugbar sei nur, daß sie ihre »Beziehung zur Wirklichkeit« erweitert und verändert habe durch das Heraustreten aus ihrer ehemaligen »Weltentfremdung«. Aber auch in dieser Hinsicht sei es Hegel gewesen, der die Einheit von Theorie und Praxis nicht nur beteuert, sondern bewährt habe, nämlich in der Identität des Begriffs mit der Realität und durch die Explikation des Wesens im erscheinenden Dasein. Dagegen zerfalle die nachhegelsche Philosophie »noch einmal« in die »Einseitigkeit« einer abstrakten Ontologie (Braniß) und einer abstrakten Empirie (Trendelenburg). Vereint seien beide Richtungen des Auseinanderfalls in des alten Schelling Existenzialphilosophie. Die Kehrseite dieser abstrakten Theorie sei die abstrakte Praxis von Feuerbach, welche die Handgreiflichkeit zum Kriterium der Realität macht: »Feuerbach ist der schärfste, glänzendste Gegner Schellings, stimmt aber mit ihm darin überein, daß er die Entwicklung der Wissenschaft zum System ... umgeht.148 Er verharrt in der Behauptung von Embryoallgemeinheiten und kann daher auf die Fortbildung der Philosophie nicht den Einfluß ausüben, den man nach der Energie der Kritik, mit welcher er auftrat, erwarten durfte. Wie der jetzige Schelling läßt er sich weder auf die Natur noch den Staat näher ein. Weil er sogleich vom Menschen, wie er geht und steht, anfängt und die Untersuchung über das Sein, Seinkönnen und Seinsollen, über das unvordenkliche und gedachte Sein usf. als antediluvianische Phantasmen perhorresziert, so erscheint er zugänglicher, praktischer, humaner, häuslicher als Schelling, der sich gerade in der Erfindung von Vorgängen im Status absconditus der Gottheit gefällt und mit der geheimnisvollen Miene eines in die vorweltlichen Prozesse Eingeweihten so viele zu fesseln versteht.« 149 Alle vier Parteien bewegen sich zwar im täuschenden Selbstgefühl ihres Sieges, 68 aber ohne Hegels konkret-organisierte Idee zu erreichen, worin die Entgegensetzungen (von Vernunft und Wirklichkeit, Theorie und Praxis, Idealität und Realität, Denken und Sein, Subjekt und Objekt, Idee und Geschichte) prinzipiell und auch wirklich schon überwunden sind. Sie alle bleiben »abstrakte Theologen«, welche das Konkrete nur als Beispiel heranziehen 150 und seine begriffliche Erkenntnis verschmähen. Diese von Hegels Philosophie provozierten Extreme müssen darum in ihr wieder untergehen: sie selbst aber tritt jetzt in ihre zweite, nachhaltigere und vom Schulegoismus freie Epoche ein. Die nun zu leistende Aufgabe ist die Durchführung ihrer Methode durch alle besonderen Gebiete des "Wissens,151 wobei ohne Vorliebe für dies oder jenes das Universum mit gleichmäßiger Gerechtigkeit zu durchwandern ist. Gerade gegen diese Toleranz eines alles umfassenden Wissens richteten sich aber schon zur selben Zeit die leidenschaftlichen Angriffe von Marx und Kierkegaard, die beide Hegels Allseitigkeit im einseitigen Element des Denkens mit der entschiedensten Einseitigkeit und Intoleranz des »Interesses« an der »wirklichen« (ökonomischen und ethischen) Existenz bekämpften.152 Die »unermeßliche Sympathie «, welche diese Fraktion des Hegelianismus bei der Jugend fand, konnte sich Rosenkranz nur damit erklären, daß sie »unendlich bequem « sei: »Alles was bisher geschehen, ist nichts; wir kassieren es. Was wir dann tun werden, wissen wir noch nicht. Aber das wird sich ja finden, wenn die Zertrümmerung alles Bestehenden uns für unsere Schöpfungen Raum gemacht. Den Althegelianismus verdächtigt der Junghegelianismus mit dem einfachen Pfiff, daß derselbe Furcht vor den wahren Konsequenzen des Systems besessen habe, er aber mit seiner seltenen Aufrichtigkeit diese zöge. Das gefällt dann der Jugend ungemein. Mut zu zeigen steht schön.« 153 Die »heilige Familie« von Marx und Engels wird von Rosenkranz nur als ein »witziges Buch« gewertet. Und doch war es eine Vorarbeit zur »Deutschen Ideologie«, mit der nicht nur Marx, sondern die ganze deutsche Philosophie von ihrem Glauben an die universelle Vernunft und den Geist ihren Abschied nahm. Die Krisis der deutschen Philosophie, wie sie Rosenkranz sah, betraf nicht ihre ganze Substanz, sondern nur den zeitweiligen Rückfall der Hegelschen Ontologie in Logik und Metaphysik und der letzteren in eine Philosophie der Natur und des Geistes.154 Aus dieser Trennung habe sich die Verendlichung der Logik und der Rückschritt der Metaphysik auf den Begriff der »Existenz« oder auch der »zweckmäßigen Realität« ergeben. Unfähig den Begriff selbst als den 69 wahren Gehalt des wirklichen Geschehens zu manifestieren, verlegen sie nun das dennoch vorhandene Bedürfnis nach einem metaphysischen Prinzip in die Ethik. Ein modisch gewordenes Ethisieren verderbe sowohl die Metaphysik wie das Wissen vom Guten durch eine anmaßliche, moralische Salbaderei. - Mit dieser Kennzeichnung der Philosophien nach Hegel hat Rosenkranz in der Tat, unabhängig von seiner negativen Bewertung, die entscheidenden Züge erfaßt, soweit sie sich aus Hegel ableiten ließen. Als Rosenkranz fünfundzwanzig Jahre später, in seiner zweiten Monographie über Hegel, die geistige Situation der Zeit noch einmal charakterisierte, glaubte er die Hinfälligkeit aller Aktionen feststellen zu können, die bis 1870 gegen Hegels System erfolgt waren: »Man hätte glauben sollen, daß es nach so vielen und so vielseitigen Niederlagen, die es erlitten haben sollte, wenn man die Sprache seiner Gegner hörte, in ein Nichts hätte zerstäuben müssen ... dennoch blieb es der unausgesetzte Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit; dennoch fuhren seine Gegner fort, sich von seiner Polemik zu ernähren; dennoch gingen die romanischen Nationen in dem Streben nach seiner Abneigung immer weiter, d. h. also, das System Hegels ist noch immer der Mittelpunkt der philosophischen Agitation. Kein anderes System übt auch jetzt noch eine so allgemeine Anziehung; kein anderes hat auch jetzt noch in gleichem Maße alle andern gegen sich gekehrt; kein anderes hat . . . eine solche Bereitwilligkeit und Möglichkeit zur Aufnahme aller wahren Fortschritte der Wissenschaft.« 155 Seine alten und jungen Gegner hören zwar nicht auf, ihre herkömmliche Polemik zu wiederholen, aber das Publikum sei gleichgültiger gegen solche Angriffe geworden - gerade dadurch habe aber Hegels Philosophie gewonnen: »Das Bewußtsein der Zeit hatte an den großen politischen Kämpfen, an den Bürger- und Völkerkriegen, an den immer weiter sich dehnenden wirtschaftlichen Arbeiten der Nationen einen Inhalt empfangen, gegen dessen Bedeutendheit die Konflikte philosophischer Schulen oder gar der Streit einiger Philosophen zu einer ephemeren Gleichgültigkeit herabsank. Von diesem Umschwung unseres gesamten öffentlichen Lebens muß man sich eine deutliche Vorstellung machen, um zu begreifen, wie sehr auch die Philosophie durch ihn gewonnen hat und die Hegeische am meisten, weil sie tiefer und gefährlicher als jede andere in die Entwicklung der Krisis hineingerissen war.« 156 Etwas weniger selbstgewiß schreibt er zwei Jahre später bei der Durchmusterung der »philosophischen Stichwörter der Gegenwart«: »Unsere Philosophie scheint augenblick- 70 lich verschwunden, aber sie ist nur insofern latent geworden, als sie die Wahrheit ihrer Prinzipien mit dem ungeheuren Reichtum der riesenschnell wachsenden Erfahrung auszugleichen hat.« Es sei ein Zersetzungsprozeß eingetreten, in dem sich die Epigonen noch gegenseitig bekämpfen. Sie täuschen sich aber, wenn sie so reden, als handle es sich noch darum, ob Hegel oder Schelling, Herbart oder Schopenhauer zur Herrschaft kommen sollte. Denn weder werde eines der alten Systeme wieder erstehen noch ein ganz neues auftreten, solange sich der Prozeß der Zersetzung noch nicht vollendet hat. »Alles hat seine Zeit und erst, wenn dies geschehen, dürfte wieder ein entscheidender Ruck der Erkenntnis erfolgen, der wahrscheinlich zugleich mit einer weiteren Veränderung der gesamten dermaligen religiösen Weltanschauung verknüpft sein wird.«157 Daß der entscheidende Ruck gegen die Erkenntnis und gegen das Christentum schon um 1840 erfolgt war, ist Rosenkranz nicht bewußt geworden. Er selber bewährte in unermüdlicher Arbeit jene Bereitschaft zur Aufnahme aller wahren Fortschritte der Wissenschaft, die er Hegels Denkweise zusprach. Auch die Technik und die ersten Weltausstellungen, vor denen Burckhardt einen horror empfand, wurden von Rosenkranz einbezogen in den Fortschritt der »Menschheit« - wie er sich nun den Geist übersetzt — im Bewußtsein der Freiheit. Weit entfernt von pessimistischen Perspektiven bedeutete ihm die Allverbreitung des internationalen Verkehrs, des Buchhandels und der Presse eine Erhebung auf den universellen Standpunkt der Menschheit und einen »Fortschritt in der Einförmigkeit unserer Zivilisation«.158 Die Abgeschlossenheit eines beschränkten Bewußtseins müsse sich nun dem »Rationalismus des denkenden Geistes und seinem Nivellement« unterwerfen. Die Nivellierung, welche für Tocqueville, Taine und Burckhardt, für Donoso Cortes und Kierkegaard schlechthin das Böse der Zeit war, bedeutete diesem gebildeten Nachfolger Hegels eine positiv zu bewertende Einebnung der noch bestehenden »Partikularitäten« auf die allgemeine Ebene eines freilich schon humanitär verstandenen Geistes. Dampfmaschinen, Eisenbahnen und Telegraphen seien zwar als solche noch keine Garantie der fortschreitenden Bildung und Freiheit, zuletzt müßten sie aber doch der »Vermenschlichung der Menschheit« dienen, weil allgemeine Gesetze, die einmal von der Wissenschaft anerkannt und von der Presse als Gemeingut verbreitet sind, mit Unwiderstehlichkeit dahin wirkten.159 Ebenso wie Presse und Weltverkehr das Selbstbewußtsein der Menschheit von Tag zu Tag mehr befestige und die Proklamation der Menschenrechte verwirkliche, haben auch die 71 neuen geographischen Entdeckungen und der sich daran anschließende Handel ein wirkliches Weltbewußtsein hervorgebracht. Im ozeanischen Welthandel bewahrheitet sich zugleich der »Ozean des Geistes «!180 Auf diese Weise hat sich Rosenkranz auf der Hegelschen Basis die Geschehnisse des 19. Jahrhunderts mit einer nicht zu bestreitenden Konsequenz philosophisch zurechtgelegt. Eine weitere Bewahrung der Hegelschen Philosophie über die Zeit des Umsturzes hinaus hat auch die kritisch-historische Hegeldarstellung von R.Haym geleistet.161 Radikaler als Rosenkranz hat er mit einer entschiedenen Wendung gegen Hegels »System« weitergehende Folgerungen aus der veränderten Zeit gezogen und Hegels Philosophie nicht mehr wie jener zu reformieren gedacht,162 sondern nur noch historisch erklären wollen. Hayms historische Kritik schien Rosenkranz ein »unglücklicher Irrtum« und ein Produkt der »Verstimmtheit « zu sein. An Stelle einer politischen Tat habe er sein Buch geschrieben, »zufällig über Hegel und so mußte es ein krankhaftes werden«. Mit der Krankheit meinte er die liberalen Tendenzen der Zeit, der Hegel als Reaktionär erschien. Die ungewöhnliche Schärfe von Rosenkranz' Auseinandersetzung mit Haym beruht aber trotzdem nicht auf einer völlig verschiedenen Position, sondern auf der Abwehr einer allzu nahen Berührung. Der Unterschied ihrer Stellung zu Hegels Metaphysik, welche Rosenkranz modifizierte, während Haym von ihr abstrahierte, reduziert sich auf die verschiedene Weise, wie beide Hegels Lehre vom Geist mit der veränderten Zeit in Übereinstimmung brachten: Rosenkranz durch eine vorsichtige Humanisierung, Haym durch eine rücksichtslose Historisierung. Die Sprache von Rosenkranz reicht, über Hegel und Goethe, noch in die Bildung des 18. Jahrhunderts zurück, das politische Pathos und die gewollt kommerzielle Ausdrucksweise von Haym ist schon ganz im neuen Jahrhundert zu Hause. Im Einvernehmen mit ihm erzählt er nicht ohne Behagen den Verfall der Herrschaft von Hegels System. Er erinnert sich der Zeiten, da man entweder Hegelianer war oder als Barbar und verächtlicher Empiriker galt: »Diese Zeit muß man sich zurückrufen, um zu wissen, was es mit der wirklichen Herrschaft und Geltung eines philosophischen Systems auf sich hat. Jenes Pathos und jene Überzeugtheit der Hegelianer vom Jahre 1830 muß man sich vergegenwärtigen, welche im vollen, bittern Ernst die Frage ventilierten, was wohl den ferneren Inhalt der Weltgeschichte bilden werde, nachdem doch in der Hegelschen Philosophie der Weltgeist an sein Ziel, an das Wissen seiner selbst hindurchgedrungen sei. Dessen muß man sich 72 erinnern und muß alsdann die Schüchternheit damit vergleichen, mit welcher unsere heutigen Hegelianer, und zwar die eingeschultesten und systemgerechtesten, sich die Behauptung erlauben, daß Hegel für die Entwicklung der Philosophie »doch nicht unfruchtbar gewesen sei.« Im Unterschied zu den Epigonen der Hegelschen Philosophie konstatiert Haym nicht nur den Verfall dieses einen Systems, sondern die Ermattung der Philosophie überhaupt: »Dieses eine große Haus hat nur falliert, weil dieser ganze Geschäftszweig darniederliegt .. . Wir befinden uns augenblicklich in einem großen und fast allgemeinen Schiffbruch des Geistes und des Glaubens an den Geist überhaupt.« Eine beispiellose Umwälzung habe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stattgefunden. »Das ist keine Zeit mehr der Systeme, keine Zeit mehr der Dichtung oder der Philosophie. Eine Zeit statt dessen, in welcher, dank den großen technischen Erfindungen des Jahrhunderts, die Materie lebendig geworden zu sein scheint. Die untersten Grundlagen unseres physischen wie unseres geistigen Lebens werden durch diese Triumphe der Technik umgerissen und neugestaltet. Die Existenz des Einzelnen wie der Völker wird auf neue Basen und in neue Verhältnisse gebracht.« 163 Die idealistische Philosophie habe die Probe der Zeit nicht bestanden, die »Interessen« und »Bedürfnisse« — zwei Begriffe, die schon bei Feuerbach, Marx und Kierkegaard die Polemik gegen Hegel bestimmen - seien über sie mächtig geworden. Sie sei mehr als widerlegt, nämlich gerichtet, durch den tatsächlichen Fortgang der Welt und das Recht der »lebendigen Geschichte«, die schon Hegel selber als das Weltgericht anerkannt habe, wenngleich im Widerspruch zu dem absoluten Anspruch seines Systems.164 Die Aufgabe der Gegenwart könne darum nur sein, die Geschichtlichkeit der Hegeischen Philosophie zu begreifen, aber nicht die Fixierung eines neuen Systems in »unfertiger Zeit«, die offenbar unfähig sei zu einer »metaphysischen Gesetzgebung«. Die positive Seite dieser Reduktion der Hegelschen Philosophie auf ihre historischen Elemente sei aber die Zurückführung der philosophischen Wahrheit auf ihren menschlichen Ursprung, den »Wahrheitssinn«, auf das »Gewissen und Gemüt des Menschen«. Der berufene Erbe der Hegeischen Philosophie sei darum allein die Geschichtswissenschaft als »ideenreiche Behandlung der Menschengeschichte «. Soweit aber Haym Hegels Philosophie einer sachlichen Kritik unterzieht, modifiziert er nur in akademischer Form diejenigen Motive der Hegelkritik, welche schon Feuerbach, Ruge und Marx in radikaler Weise vorgebracht hatten. — Was Haym als erster unge- 73 niert aussprach und zum Prinzip seiner Darstellung machte, ist auch das Anliegen von Erdmann, Fischer und Dilthey gewesen, dessen Kritik der »historischen Vernunft« am Ende jener Entwicklung steht, welche aus Hegels Metaphysik entsprang.165 J. E. Erdmann begann sein großes Werk über die Geschichte der Philosophie von Descartes bis Hegel, das wie kein anderes die durchdringende Kraft von Hegels historischem Sinn bewährt, im Jahre 1834 und vollendete es 1853. Die Ungunst der Zeit für eine Neuauflage und die Konkurrenz der populäreren Philosophiegeschichte von Fischer veranlaßten ihn, 1866 den zweibändigen »Grundriß der Geschichte der Philosophie« herauszugeben, dessen zweite Auflage 1870 erschien. In dem ausgezeichneten Anhang, von dem er sagt, daß er ihm bei dem völligen Mangel an Vorarbeiten mehr Mühe gemacht habe als der Hauptteil, behandelt er unter dem Gesichtspunkt der »Auflösung der Hegelschen Schule« und der »Versuche zum Wiederaufbau der Philosophie« die Geschichte von Hegels Tod bis 1870. Am Schluß seiner Arbeit, worin er sich selbst als einen »letzten Mohikaner « aus Hegels Schule bezeichnet, stellt er die Frage, ob dieses Überwiegen des historischen Gesichtspunktes über den systematischen nicht ein Symptom der Abgelebtheit der Philosophie überhaupt sei. Denn unleugbar sei die Tatsache, daß, wo sich überhaupt noch Interesse für das philosophische Studium zeige, es nicht mehr darin bestehe, selbst zu philosophieren, sondern zu sehen, wie von andern- philosophiert wurde, — ähnlich dem Übergewicht der Literaturhistorie über die Dichtung und der Biographien über die großen Männer. Während bei Hegel das historische Bewußtsein an ihm selbst systematisch war, sei es für die Philosophen nach ihm bezeichnend geworden, daß ihre systematischen Untersuchungen fast ganz außer acht bleiben konnten, wogegen ihre kritisch-historischen Arbeiten einen sie überlebenden Wert behielten, wie bei Sigwart, Ritter, Prantl, K. Fischer, Trendelenburg. Und auch innerhalb des systematischen Philosophierens zeigt sich seitdem das Vorherrschen des historischen Elements. Man werde als Regel aussprechen können, daß die historisch-kritischen Teile mehr als die Hälfte der Werke ausmachen. Doch lasse sich daran die tröstliche Bemerkung knüpfen, daß die Geschichte der Philosophie vom Philosophieren nicht abhalte und daß eine philosophische Darstellung der Geschichte der Philosophie schon selbst etwas Philosophisches sei. Worüber philosophiert wird, das sei im Grund gleichgültig, es mag das die Natur, der Staat und das Dogma sein — »warum also nicht jetzt die Geschichte der Philosophie?« »Der Klage 74 gegenüber also, daß ... aus Philosophen Historiker geworden seien, ließe sich geltend machen, daß die Philosophiehistoriker selbst zu philosophieren pflegen, und so vielleicht auch hier dieselbe Lanze, welche verletzte, auch Heilung bringen kann« - ein Argument, dessen geschichtliche Tragweite sich daran ermessen läßt, daß es noch heute, nach 70 Jahren, offenbar nicht zu entbehren ist.166 Während Rosenkranz noch ein systematisches Fundament besaß, das ihm erlaubte, die Ansprüche der Jüngeren »aufzuheben«, mußte sich Erdmann auf seinem historischen Standpunkt damit begnügen, den Zersetzungsprozeß der Hegelschen Schule als geschichtliches Faktum darzustellen. Alles nach 1830 bewies ihm, daß »auseinandergehen konnte, was so vortrefflich zusammengefügt schien«. Unter dem historischen Gesichtspunkt hat er Hegel als den Philosophen der »Restauration « bestimmt,167 im Zusammenhang mit der politischen Restauration nach dem Sturze Napoleons und im Gegensatz zu Kant und Fichte, deren Systeme den verschiedenen Phasen der Französischen Revolution entsprächen. Hegel restauriere, was durch Kant und seit ihm zerstört worden war: die alte Metaphysik, die kirchlichen Dogmen und den substanziellen Gehalt der sittlichen Mächte. Daß aber die von Hegel vollbrachte Versöhnung der Vernunft mit der Wirklichkeit die geschichtliche Bewegung still stellen könnte, sei so wenig zu befürchten wie das Umgekehrte, daß ihre Zersetzung ein Letztes sei. Vielmehr werde das Bewußtsein einer erfüllten Aufgabe dem Geiste der Menschheit Kraft geben zu neuen Taten: »wird es aber erst welthistorische Taten geben, so wird auch der Philosoph nicht fehlen, der sie und den sie erzeugenden Geist begreift«.168 Mit diesem »historischen« Ausblick über die Zersetzung hinaus verweist Erdmann die »Ungeduld der Gegenwart« auf künftige Zeiten, denn unsere lustra seien kein Äquivalent für die Jahrhunderte zwischen den wenigen, aber wirklich entscheidenden Geschehnissen in der Geschichte des Geistes und Hegel erwarte noch seinen ... Fichte!169 Der eigentliche Vermittler für die Erneuerung des Hegelianismus im 20. Jahrhundert ist K. Fischer, dessen »Geschichte der neueren Philosophie « 1852 zu erscheinen begann, zu einer Zeit, als in Deutschland Hegel so gut wie vergessen war. Als Freund von D. F. Strauß, sowie durch seine Beziehungen zu F. Th. Vischer, Ruge und Feuerbach 17° und seine Kritik an Stirner171 war er mit dem Kreise der Junghegelianer vertraut und zugleich von ihrer leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit Hegel genügend entfernt, um dessen Leistung mit der Neutralität des historisch Berichtenden übersehen zu können. Im 75 Gegensatz zu Erdmanns These von der Restauration hat er Hegel als Philosophen der »Evolution« gedeutet und ihn zum führenden Denker des 19. Jahrhunderts erklärt, als dessen Kennzeichen er die biologischen Entwicklungslehren (Lamarck, Darwin) und die auf der entwicklungsgeschichtlichen Ansicht beruhende historische Kritik (F. A. Wolf, K. Lachmann, Niebuhr, Mommsen, F. Bopp, K. Ritter, E. Zeller) ansah. Hegel habe von 1818 bis 1831 seine Zeit durch seine persönliche Wirkung beherrscht, sodann bis 1848 durch die Schüler, welche seine Philosophie kritisch angewandt haben, und schließlich durch die Anverwandlung seiner geschichtlichen Denkweise von Seiten der historischen Bildung. Der von ihm inspirierte Entwicklungsgedanke bestimme nicht nur die historische Bibelkritik der Tübinger Schule (F. Ch. Bauer, Strauß),172 sondern auch die historische Kritik der Ökonomie in Marxens »Kapital« (1868) und Lassalles »System der erworbenen Rechte« (1861). Hegel beherrsche das 19. Jahrhundert aber auch in den Antithesen von A. Comte und E. Dühring, Schopenhauer und E. v. Hartmann. Im einzelnen möge zwar an Hegels System vieles unhaltbar und mangelhaft sein, wesentlich bleibe, daß er als erster und einziger Weltphilosoph die Geschichte im Lichte eines »unendlichen« Fortschritts erfaßte. Darunter verstand Fischer aber nicht mehr Hegels Begriff, sondern die schlechte Unendlichkeit eines endlosen Fortgangs. Der Geist soll sich durch eine beständige Vervielfältigung der Aufgaben der Menschheit »ins Endlose« steigern. Hegels Beschluß der Geschichte der Philosophie, wonach die letzte Philosophie das Resultat aller früheren ist, bedeutet für Fischer nicht mehr, als daß Hegels Philosophie kraft ihres geschichtlichen Reichtums zwar die vorläufig letzte ist, zugleich aber auch die erste, mit der die Entwicklung des »Weltproblems« nun von der Geschichte der Philosophie übernommen wird. Die Bewahrung der Hegeischen Philosophie geschieht also auf dem Weg einer Historisierung der Philosophie überhaupt zur Philosophie- Geschichte. Diesem Rückzug auf die gewußte Geschichte entspricht eine Abkehr vom Geschehen der Zeit, zu der man nach 1850 in einem mehr oder minder resignierten Verhältnis stand: Rosenkranz hat im Vertrauen auf die Vernunft der Geschichte einen »neuen Ruck« des Weltgeistes erwartet, Haym hat sich im Gefühl einer großen Enttäuschung »vor der triumphierenden Misere der Reaktion« dem »Gericht der Zeit« unterworfen und Erdmann hat sich, der Zeit zum Trotz, mit lässiger Ironie zur Durchführung seiner historischen Arbeit entschlossen, während Fischer die Lösung der Fragen der »Evolution« 76 überließ. Der Historismus, der aus Hegels Metaphysik der Geschichte des Geistes entsprang,173 wurde zur »letzten Religion« der Gebildeten, die noch an Bildung und Wissen glaubten. Die großen Leistungen der »historischen Schule« und der historischen Wissenschaften vom Geiste können über die philosophische Schwäche der auf ihre Geschichte reduzierten Philosophie nicht hinwegtäuschen. Was man von Haym bis zu Dilthey und darüber hinaus unter der »geistig-geschichtlichen« Welt verstand, ist von Hegels philosophischer Theologie so entfernt, wie es schon die Denkweise der Mitarbeiter der Halleschen Jahrbücher war. Mit Hegels Begriff vom Geist und von der Geschichte hat der seit 1850 in Umlauf gekommene Begriff einer »Geistesgeschichte« nicht viel mehr als die wörtliche Zusammensetzung gemein. Für Hegel war der Geist als Subjekt und Substanz der Geschichte das Absolute und der Grundbegriff seiner Lehre vom Sein. Eine Wissenschaft vom Geiste ist darum ebensosehr die Naturphilosophie wie die Staats-, Kunst-, Religions- und Geschichtsphilosophie. Dieser absolute, weil mit der absoluten Religion des Christentums identische Geist ist, indem er sich weiß, und er ist ein geschichtlicher Geist insofern, als er zu seinem Wege die Erinnerung der schon dagewesenen Gestalten des Geistes hat. »Ihre Aufbewahrung nach der Seite ihres freien, in der Form der Zufälligkeit erscheinenden Daseins, ist die Geschichte, nach der Seite ihrer begriffenen Organisation aber die Wissenschaft des erscheinenden Wissens; beide zusammen, die begriffene Geschichte, bilden die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewißheit seines Thrones, ohne den er das leblose Einsame wäre.« Von dieser geisterfüllten Unendlichkeit ist die Vorstellung einer endlos fortschreitenden »Geistesgeschichte« durch eine Kluft getrennt. Während Hegel dem Geist im Menschen die Kraft zutraute, das verschlossene Wesen des Universums aufzutun und seinen Reichtum und seine Tiefe vor Augen zu legen,174 war es von Haym bis zu Dilthey die mehr oder minder eingestandene Überzeugung, daß der menschliche Geist gegenüber der politischen und natürlichen Welt wesentlich ohnmächtig ist, weil er selbst nur ein endlicher »Ausdruck« der »gesellschaftlich-geschichtlichen « Wirklichkeit ist. Der Geist ist für sie nicht mehr die an ihr selber zeitlose, weil ewig-gegenwärtige »Macht der Zeit«, sondern nur noch ein Exponent und ein Spiegel der Zeit. Die Philosophie wird damit zu einer »Weltanschauung« und »Lebensauffassung«, deren letzte Konsequenz die Selbstbehauptung der »je eigenen« Geschichtlichkeit in Heideggers »Sein und Zeit« ist.175 77 Unter einem konstruktiven Gesichtspunkt hat F. A. Lange die Tragweite des Umschwunges nach Hegel unparteiisch gewürdigt und ihn in der Begrenzung auf den »Materialismus« des 19. Jahrhunderts zur Darstellung gebracht.176 Er erkennt in der Julirevolution das Ende der idealistischen Epoche und den Beginn einer Wendung zum »Realismus «, worunter er die Einwirkung der materiellen Interessen auf das geistige Leben versteht. Die Konflikte mit Kirche und Staat, die plötzliche Entfaltung der auf die naturwissenschaftlichen Entdeckungen gegründeten Industrie (»Kohle und Eisen« wurde zum Schlagwort der Zeit), die Schaffung polytechnischer Anstalten, die rapide Ausbreitung des Verkehrswesens (die erste Eisenbahn wurde in Deutschland 1835 in Betrieb gesetzt), die sozialpolitische Schöpfung des Zollvereins und der Gewerbevereine, aber nicht weniger die oppositionellen Schriften des »Jungen Deutschland« (Heine, Börne, Gutzkow), die Bibelkritik der Tübinger Schule und der ungeheure Erfolg von Strauß' »Leben Jesu« — das alles wirkte zusammen, um auch solchen philosophischen Schriften eine Resonanz und Bedeutung zu geben, deren Gehalt hinter ihrem revolutionären Impuls weit zurückstand. Im Zusammenhang mit diesen Geschehnissen erfolgte »eine theologische und politische Krisis der Hegelschen Philosophie, die an Stärke, Umfang und Bedeutung nichts Ähnliches in der Geschichte neben sich hat.« 177 Auf der Grenze zwischen den Alt- und Junghegelianern stand der vielseitig tätige Michelet, der Herausgeber von Hegels Geschichte der Philosophie und der Jenenser Abhandlungen. Durch sein langes Leben (1801—1893) verbindet er den ursprünglichen Hegelianismus mit den Anfängen des modernen Neuhegelianismus, zu dem er in A. Lassons Person (1832-1917) noch selbst in Beziehung stand.178 Auch für ihn war der »Gipfel« und zugleich die »Probe« von Hegels System die Geschichtsphilosophie.179 Doch historisiert er Hegels System nicht radikal, sondern läßt es im Absoluten des Geistes begründet. - »Die Präge des Jahrhunderts«,180 die das Problem der bürgerlichen Gesellschaft betraf, schien ihm noch im Rahmen der Philosophie des Geistes lösbar. Er wollte die »Wissenschaft« ins »Leben« einführen, um Hegels These von der Wirklichkeit des Vernünftigen zu verwirklichen.181 Denn was nach Hegel noch »übrig bleibe«, sei: die in Gedanken vollbrachte Versöhnung des Menschlichen und Göttlichen in die Wirklichkeit zu erheben und alle Lebensverhältnisse von Hegels Prinzip durchdringen zu lassen. »So hört der Gedanke auf, bloß das letzte Produkt einer bestimmten Stufe in der Entwicklung des Weltgeistes 78 zu sein; er wird, wie es der Besonnenheit des Greisenalters ziemt, auch zum ersten Prinzip, welches mit Bewußtsein für die Ersteigung einer höheren Stufe behilflich ist.« 182 Die Philosophie, heißt es fünf Jahre später, im Stile der Junghegelianer, ist nicht nur die »Eule der Minerva«, die in der Dämmerung ihren Flug beginnt, sondern auch der »Hahnenschrei«, der die Morgenröte eines neu anbrechenden Tages verkündet.183 Mit diesem doppelten Gleichnis befindet sich Michelet zwischen Hegel und Marx, der Hegels Sinnbild ebenfalls aufnahm, aber es nicht ergänzte, sondern ins Gegenteil kehrte.

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