Nietzsches Versuch einer Überwindung des Nihilismus
Publié le 22/02/2012
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»Das ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Lärm um
mich breitet einen Mantel um meinen Gedanken.«
Wenn man behauptet, daß Nietzsche der Philosoph »unserer Zeit« ist,
so muß man vor allem fragen, was für ihn selber die Zeit ist. Dreierlei
ist mit Rücksicht auf sein Verhältnis zur Zeit zu sagen: 1. daß Nietzsche
als ein europäisches Schicksal der erste Philosoph unseres »Zeitalters
« ist; 2. daß er als der Philosoph unseres Zeitalters ebenso zeitgemäß
wie unzeitgemäß ist; 3. daß er als ein letzter Liebhaber der
»Weisheit« auch ein solcher der Ewigkeit ist.
1. Im letzten Kapitel seiner letzten Schrift hat Nietzsche der Welt
erklärt, warum er ein »Schicksal« ist und ein »Mensch des Verhängnisses
«. »Ich kenne mein Los. Es wird sich einmal an meinen Namen die
Erinnerung ... anknüpfen - an eine Krisis, wie es keine auf Erden
gab, an die tiefste Gewissens-Kollision, an eine Entscheidung, heraufbeschworen
gegen alles, was bis dahin geglaubt, gefordert, geheiligt
worden war. Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit ... Ich widerspreche,
wie nie widersprochen worden ist, und bin trotzdem der Gegensatz
eines neinsagenden Geistes ... Mit alledem bin ich notwendig
auch ein Mensch des Verhängnisses. Denn wenn die Wahrheit mit der
Lüge von Jahrtausenden in Kampf tritt, werden wir Erschütterungen
haben, einen Krampf von Erdbeben ..., wie dergleichen nie geträumt
worden ist. Der Begriff Politik ist dann gänzlich in einen Geisterkrieg
aufgegangen, alle Machtgebilde der alten Gesellschaft sind in die Luft
gesprengt — sie ruhen allesamt auf der Lüge; es wird Kriege geben,
wie es noch keine auf Erden gegeben hat. Erst von mir an gibt es auf
Erden große Politik.«
Dieses zum europäischen Schicksal gestempelte »Ecce homo« kann als
der Größenwahn eines Geisteskranken erscheinen, aber auch als prophetisches
Wissen, als Wahnsinn und Tiefsinn. In seinem wahnsinnigen
Tiefsinn ist sich Nietzsche als pensionierter Professor der Philolo-
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gie zum gekreuzigten Gott Dionysos geworden, der das Opfer bringen
muß, Europas Schicksal geistig zu bestimmen. Zugleich hatte er aber
auch das Gefühl, am Ende nur ein »Possenreißer« - »der Ewigkeiten«
zu sein.
In dem Bewußtsein, der erste Philosoph des Zeitalters und »irgendetwas
Entscheidendes und Verhängnisvolles« »zwischen zwei Jahrtausenden
« zu sein, konnte Nietzsche auch sagen: sein Werk habe Zeit.
Er schreibt 1884 aus Venedig: »Mein Werk hat Zeit - und mit dem.
was diese Gegenwart als ihre Aufgabe zu lösen hat, will ich durchaus
nicht verwechselt sein. Fünfzig Jahre später werden vielleicht Einigen
... die Augen dafür aufgehen, was durch mich getan ist. Augenblicklich
aber ist es nicht nur schwer, sondern durchaus unmöglich ...,
von mir öffentlich zu reden, ohne grenzenlos hinter der Wahrheit
zurückzubleiben.« Die wahre Zeit für Nietzsches philosophische Absicht
ist also nicht seine eigene, durch Wagner und Bismarck beherrschte,
sondern was Nietzsche als der erprobte Entdecker der »Modernität«
und Verkünder einer ältesten Lehre sah, das ist gesehen auf längste
Sicht.
Indem Nietzsche zurücksah, sah er voraus die Heraufkunft des »europäischen
Nihilismus«, welcher besagt, daß nach dem Verfall des
christlichen Glaubens an Gott, und damit auch der Moral, »nichts
mehr wahr«, sondern »alles erlaubt« ist. »Was ich erzähle« — heißt es
im Vorwort des Willens zur Macht — »ist die Geschichte der nächsten
zwei Jahrhunderte. Ich beschreibe, was kommt, was nicht mehr anders
kommen kann: Die Heraufkunfl des Nihilismus. Diese Geschichte
kann jetzt schon erzählt werden: denn die Notwendigkeit selbst ist
hier am Werke. Diese Zukunft redet schon in hundert Zeichen, dieses
Schicksal kündigt überall sich an; für diese Musik der Zukunft sind
alle Ohren bereits gespitzt. Unsere ganze europäische Kultur bewegt
sich seit langem schon mit einer Tortur der Spannung, die von Jahrzehnt
zu Jahrzehnt wächst, wie auf eine Katastrophe los; unruhig,
gewaltsam, überstürzt: einem Strom ähnlich, der ans Ende will, der
sich nicht mehr besinnt, der Furcht davor hat, sich zu besinnen. — Der
hier das Wort nimmt, hat umgekehrt nichts bisher getan, als sich zu
besinnen: als ein Philosoph und Einsiedler aus Instinkt, der seinen
Vorteil im Abseits, im Außerhalb, in der Geduld, in der Verzögerung
... fand; als ein Wage- und Versuchergeist, der sich schon in
jedes Labyrinth der Zukunft einmal verirrt hat; ... der zurückblickt,
wenn er erzählt, was kommen wird; als der erste vollkommene Nihilist
Europas, der aber den Nihilismus selbst schon in sich zu Ende
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gelebt hat - der ihn hinter sich, unter sich, außer sich hat.« Diesen
europäischen Nihilismus hat Nietzsche in seinem geschichtlichen Ursprung
und seinen Erscheinungsweisen mit psychologischer Meisterschaft
sichtbar gemacht, in der Wissenschaft und Kunst, in der Philosophie
und Politik. Das Resultat seiner 15jährigen Besinnung war der
»Wille zur Macht«, ineins mit der Lehre von der ewigen Wiederkunft.
Der Nihilismus als solcher kann zweierlei bedeuten; er kann sowohl
ein Symptom des endgültigen Niedergangs und des Widerwillens
gegen das Dasein sein, er kann aber auch ein erstes Symptom der
Erstarkung und eines neuen Willens zum Dasein sein, ein Nihilismus
der Schwäche oder der Stärke. Diese Zweideutigkeit des Nihilismus
als des Ursprungs der Modernität ist auch Nietzsche selber zu eigen:
»Das Glück meines Daseins, seine Einzigkeit vielleicht, liegt in seinem
Verhängnis: ich bin, um es in Rätselform auszudrücken, als mein
Vater bereits gestorben, als meine Mutter lebe ich noch und werde alt.
Diese doppelte Herkunft, gleichsam aus der obersten und der untersten
Sprosse an der Leiter des Lebens, decadent zugleich und Anfang —
dies, wenn irgendetwas, erklärt jene Neutralität, jene Freiheit von
Partei im Verhältnis zum Gesamtproblem des Lebens, die mich vielleicht
auszeichnet. Ich habe für die Zeichen von Anfang und Niedergang
eine feinere Witterung als je ein Mensch gehabt hat, ich bin der
Lehrer par excellence hierfür, - ich kenne Beides, ich bin Beides.« Er
ließ deshalb im Zarathustra die Frage offen, was er nun eigentlich sei:
ein Versprechender oder ein Erfüller, ein Erobernder oder ein Erbender,
ein Herbst oder eine Pflugschar, ein Kranker oder ein Genesender,
ein Dichter oder ein Wahrhaftiger, ein Befreier oder ein Bändiger
- weil er wußte, daß er weder das eine noch das andre, sondern
beides zugleich war. Diese Doppeldeutigkeit von Nietzsches philosophischer
Existenz charakterisiert auch sein Verhältnis zur Zeit: er ist
von »Heute und Ehedem«, aber auch von »Morgen und Übermorgen
und Einstmals«. In diesem Wissen um Ehedem und Einstmals, vermochte
er seine Gegenwart philosophisch zu deuten. Als ein »Fragment
aus der Geschichte der (christlichen) Nachtwelt« ist seine Philosophie
zugleich ein Rudiment aus der griechischen Vorwelt. Dadurch
ist Nietzsche der Philosoph, nicht nur der jüngsten Zeit, sondern
auchder ältesten Zeit und insofern eines Zeit-»Alters«.
2. Weil Nietzsche in seinem Verhältnis zur Zeit und zur zeitgenössischen
Philosophie ein »Unzeitgemäßer« war und unzeitgemäß auch
geblieben ist, war er und ist er auch »zeitgemäß«, ein philosophischer
Maßstab der Zeit. So hat er wenigstens selbst die Zeitgemäßheit seiner
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Unzeitgemäßheit verstanden. Das Vorwort zur zweiten Unzeitgemäßen
Betrachtung schließt mit dem Satz, daß er nur als der »Zögling
älterer Zeiten«, zumal der griechischen, in der die abendländische
Philosophie ihren Ursprung nahm, als ein »Kind seiner jetzigen Zeit«
zu so »unzeitgemäßen Erfahrungen« komme. Als klassischer Philologe
wüßte er nicht, was die Kenntnis des griechischen Altertums für einen
Sinn haben sollte, wenn nicht den: gegen die Zeit und dadurch auf die
Zeit und so vielleicht zugunsten einer künftigen Zeit zu wirken.
In seiner letzten Unzeitgemäßen Betrachtung von 1888, im »Fall
Wagner«, hat Nietzsche sein Verhältnis zur Zeit noch bestimmter als
»Selbstüberwindung« der Zeit erläutert: »Was verlangt ein Philosoph
am ersten und letzten von sich? Seine Zeit in sich zu überwinden,
zeitlos zu werden. Womit also hat er seinen härtesten Strauß zu bestehen?
Mit dem, worin gerade er das Kind seiner Zeit ist. Wohlan!
Ich bin so gut wie Wagner das Kind dieser Zeit, will sagen, ein
decadent: nur daß ich das begriff, nur daß ich mich dagegen wehrte.
Der Philosoph in mir wehrte sich dagegen.« Er überwand in ihm
den bloßen Zeitgenossen der Zeit, und erst dadurch wird Nietzsche
zum Philosophen der Zeit, der seine »Probe« bestand, als er sich
»weder durch die große politische Bewegung Deutschlands, noch durch
die künstlerische Wagners, noch durch die philosophische Schopenhauers
« von seiner »Hauptsache« hat abbringen lassen.592 Indem er
den Aufgang und Niedergang in der Bildung des europäischen Menschen,
von Äschylos bis zu Wagner und von Empedokles bis zu sich,
im Ganzen der geschichtlichen Zeit übersah, vermochte er auch die
eigene Zeit zu durchschauen.
Ein andres als diese unzeitgemäße Gemäßheit zur Zeit, die Nietzsche
als der Philosoph seines Zeitalters hat, ist die jeweilige Aktualität, die
er in der wechselnden Ansicht der literarischen Nachfolger hat. Überblickt
man die verschiedenen Weisen der Aktualität, die Nietzsche in
der Perspektive von P. Gast, G. d'Annunzio und A. Gide, von
R. Pannwitz und O. Spengler, von Th. Mann und R. Musil, von
G. Benn und R. Thiel593 im Laufe von 40 Jahren erfahren hat, so
ergibt sich ein sehr bezeichnendes Bild der geistigen Problematik der
auf ihn folgenden Zeit. Derselbe Wandel spiegelt sich in der philosophischen
Nietzsche-Literatur von Riehl bis Simmel und von Bertram
bis Jaspers. Aber das alles ist schon nicht mehr ganz »zeitgemäß«,
falls man darunter versteht, daß die Tendenzen der eigenen Zeit der
gültige Maßstab für das Verständnis von philosophischen Absichten
sind. Zeitgemäß wäre dann erst, gemäß dem unaufhaltsamen »Fort-
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schritt« der jeweils entschwindenden Zeit, der Nietzsche der allerletzten
und jüngsten Zeit, dessen Ausleger vorzüglich Klages und Baeumler
sind. Wenn Klages, in seinem geistreichen Widerwillen gegen Wille
und Geist, Nietzsche halbiert und den Nietzsche der dionysischen
Philosophie auf Kosten des Willens zur Macht und zum Nichts als
einen »orgiastischen« Philosophen des »Leibes« und der »Seele« erklärt,
und wenn Baeumler, in seinem Willen zum Kampf, den
Nietzsche des Willens zur Macht und zum Nichts auf Kosten der
dionysischen Philosophie der ewigen Wiederkunft als einen »heroischen
Realisten« und politischen Philosophen auslegt, so sind das nur
zwei entgegengesetzte Spielarten ein und derselben Befangenheit im
Geiste einer dem Geiste feindlichen Zeit, die beide gleichweit entfernt
sind von Nietzsches ganzer Philosophie des Willens zum Nichts und
zur Ewigkeit. -
Noch entfernter von Nietzsches Kampf gegen seine und jede »Zeit«
ist jene Auslegung Nietzsches, bei der er weder ein Philosoph des
Willens zur Macht noch ein solcher der ewigen Wiederkunft ist, sondern
eine beliebige Auswahl aus zeitansprechenden Sätzen. Weil aber
Nietzsche seinen Gedanken in tausend Aphorismen entwickelt und
nicht als System, kann man bei ihm im einzelnen finden, was immer
man finden will: verblüffend Zeitgemäßes und erstaunlich Unzeitgemäßes.
Einige Proben können das kurz verdeutlichen: Nietzsche
spricht am Ende des Ecce homo davon, daß erst mit ihm der Krieg
des Geistes eins werde mit der »großen Politik«; er sagt aber auch,
gleich zu Beginn des Ecce homo, daß er der »letzte antipolitische
Deutsche« sei und mehr deutsch als jeder jetzige »Reichs«-Deutsche.
Beides scheint sich zu widersprechen, ist aber in Wahrheit ein und
derselbe Gedanke; denn eben weil Nietzsche den Gedanken einer
großen, europäischen Politik vertritt, kann er sich auch im Verhältnis
zur zeitgenössischen Reichspolitik als den letzten antipolitischen Deutschen
bezeichnen und sagen, man müsse das »erbärmliche Zeitgeschwätz
von Politik und Völker-Selbstsucht« unter sich haben, um
ihn überhaupt zu verstehen. - Nietzsche sagt, der Krieg und der Mut
hätten mehr große Dinge in der Welt getan als die Nächstenliebe; er
sagt aber auch: die »größten Ereignisse« seien nicht unsre lautesten,
sondern unsre »stillsten Stunden«. - Er bekämpft den »pressefreien«
Geist des Liberalismus, aber nicht weniger jedes »Parteigewissen«;
schon die bloße Vorstellung, zu irgendeiner Partei zu gehören, »selbst
wenn es die eigene wäre«, errege ihm Ekel. — Er kritisiert den demokratischen
Geist der bürgerlichen Gesellschaft; er sagt aber auch unter
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dem Titel »Vom neuen Götzen«, der Staat sei das kälteste Ungeheuer
und aus seinem Munde komme die Lüge: »Ich, der Staat, bin das
Volk.« - Er glaubte an die Notwendigkeit einer Rückkehr zur Barbarei
und an die »Vermännlichung« Europas und prägte dafür das
Wort von der »blonden Bestie«; er charakterisiert aber auch Wagners
Helden als Untiere mit einer verzückten Sinnlichkeit und seine »Germanen
« mit: »Gehorsam und lange Beine«. — Er spricht zugunsten der
rassischen Zucht und Züchtung, aber nicht minder gegen die verlogene
Selbstbewunderung im antisemitischen Rassenwahn.594 — Er persifliert
das »Land der Bildung« und die »unbefleckte Erkenntnis« und gibt
den »Gebildeten« preis; er konstatiert aber auch, als ein selber Gebildeter,
die allgemeine »Verpöbelung des Geschmacks« und das Heraufkommen
der Barbarei. — Er verlangt eine Rangordnung zwischen
solchen, die »befehlen« und solchen, die »gehorchen«; er verneint es
aber zugleich, »der Hirt und Hund einer Herde zu sein«, und er behauptet,
es idealisiere sich in der soldatischen Tugend des unbedingten
Gehorsams die »deutsche Bedientenseele«. — Er spricht von der Notwendigkeit
einer »herrschenden Kaste«; er weiß aber auch, daß die
»Dressierbarkeit« der Menschen ins Ungeheure gestiegen ist, weil sie
sich selbst nichts zu sagen haben. — Er entwickelt schließlich den
»Willen zur Wahrheit« als »Willen zur Macht«; er sagt aber auch,
man müsse nie fragen, ob einem die Wahrheit nützt oder zum Verhängnis
wird, und der »Wille zur Macht« sei ausschließlich ein Buch
für die, denen noch Denken Vergnügen macht; die Deutschen von
heute seien aber keine Denker mehr, etwas anderes mache ihnen
jetzt Eindruck und Vergnügen.595 Wer sich zum Zweck einer Philosophie
»unserer Zeit« auf Nietzsche stützen will, muß sich von Zarathustra
sagen lassen: »Ich bin ein Geländer am Strom — fasse mich,
wer mich fassen kann — eure Krücke aber bin ich nicht.« Um aber
einen Philosophen zu fassen, muß man vor allem seinen Gedanken
erfassen, und dafür hat sich Nietzsche Leser gewünscht, die noch Zeit
zum Denken haben.596
3. Nietzsches eigentlicher Gedanke ist ein Gedanken-System, an dessen
Anfang der Tod Gottes, in dessen Mitte der aus ihm hervorgegangene
Nihilismus und an dessen Ende die Selbstüberwindung des Nihilismus
zur ewigen Wiederkehr steht. Dem entspricht die dreifache Verwandlung
des Geistes in der ersten Rede Zarathustras. Das »Du sollst« des
christlichen Glaubens verwandelt sich zum freigewordenen Geist des
»Ich will«; in der »Wüste seiner Freiheit« zum Nichts geschieht die
letzte und schwerste Verwandlung vom »Ich will« zum ewig wieder-
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kehrenden Dasein des kindlichen Spiels im Vernichten und Schaffen -
vom »Ich will« zum »Ich bin«, nämlich im Ganzen des Seins. Mit dieser
letzten Verwandlung der Freiheit zum Nichts in die freigewollte
Notwendigkeit einer ewigen Wiederkehr des Gleichen erfüllt sich für
Nietzsche sein zeitliches als ein »ewiges Schicksal«; sein Ego wird ihm
zum Fatum. Und »Ecce homo«, dieser Zufall des Daseins, soll zeigen,
daß man nur »wird«, was man schon »ist«, weil das höchste Gestirn
des Seins die Notwendigkeit ist, in welcher Zufall und Selbstsein
zusammenfallen.
Schild der Notwendigkeit!
Höchstes Gestirn des Seins!
- das kein Wunsch erreicht,
das kein Nein befleckt,
ewiges Ja des Seins,
ewig bin ich dein Ja:
denn ich liebe dich, o Ewigkeit!
Unter dem »Schild der Notwendigkeit«, d.i. des antiken Fatums, ist
der Zufall des Daseins wieder im Ganzen des Seins.
Welche Bedeutung in Nietzsches Philosophie der Ewigkeit zukommt
und damit auch dem entscheidenden »Augenblick«, in dem sie sich
einmal für immer zeigt, geht schon daraus hervor, daß der 3. und
4. Teil des Zarathustra mit einem Lied an die Ewigkeit schließt und
auch Ecce homo mit dem Gedicht »Ruhm und Ewigkeit« abschließen
sollte. Das Problem der Ewigkeit, wie sie die ewige Wiederkunft
meint, ist aber auf dem Wege zu finden, auf dem Nietzsche zugleich
mit dem »Menschen« die »Zeit« überstieg. Er ist ein Ausweg aus der
Geschichte des Christentums und wird von Nietzsche als »Selbstüberwindung
des Nihilismus« bezeichnet, der seinerseits aus dem Tode
Gottes entspringt. Zarathustra ist der »Besieger Gottes und des
Nichts«. Auf Grund dieses wesentlichen Zusammenhangs der »Wahrsagung
« der ewigen Wiederkunft mit der »Wahrsagung« des Nihilismus597
hat Nietzsches ganze Lehre ein Doppelgesicht: sie ist eine
Selbstüberwindung des Nihilismus, in der »Überwinder und Überwundenes
« eins sind.598 Sie sind so eins wie der »doppelte Wille« des
Zarathustra, der dionysische »Doppelblick« in die Welt und die
dionysische »Doppelwelt« selber ein Wille, ein Blick und eine Welt
sind.599 Diese Einheit von Nihilismus und Wiederkehr ergibt sich
daraus, daß Nietzsches Wille zur Ewigkeit die Umkehrung seines
Willens zum Nichts ist.
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Wie kann man aber mit der dem christlichen Dasein entsprungenen
Freiheit des Wollens noch die antike Notwendigkeit des So-und-nichtanders-
Seins wollen — es sei denn durch ein Wollen des Müssens, das
beides vereint? Doppelt ist dieser übermenschliche Wille in zeitlicher
Hinsicht, weil er immer noch will, was er immer schon muß, weil er
den Willen zur Zukunft mit dem zur Vergangenheit in paradoxer
Weise zusammenzwingt. In diesem gedoppelten Willen, der gegen sich
selbst will, ist das ganze Problem von Nietzsches »letztem« Willen
systematisch und auch geschichtlich beschlossen. Von der Lösung dieses
Problems handelt im Zarathustra das Kapitel »Von der Erlösung«,
nämlich von der Vergangenheit.
Zarathustra sieht alles Vergangene preisgegeben, und zwar in zweifacher
Art: die einen zwingen es herab zum wegbereitenden Vorzeichen
für ihr verfallenes Heute, und für die andern hört die Zeit der Vergangenheit
mit dem »Großvater« auf.600 Beide erlösen nicht vom
Vergangenen. »Die Vergangenen zu erlösen und alles >Es war< umzuschaffen
in ein >So wollte ich es!< — das hieße mir erst Erlösung! -
Wille, so heißt der Befreier und Freudebringer; also lehrte ich euch,
meine Freunde! Aber nun lernt dies hinzu: der Wille selber ist noch
ein Gefangener. - Wollen befreit; aber wie heißt das, was auch den
Befreier noch in Ketten schlägt? >Es war<: also heißt des Willens
Zähneknirschen und einsamste Trübsal. Ohnmächtig gegen das, was
getan ist, ist er allem Vergangenen ein böser Zuschauer. Nicht zurück
kann der Wille wollen; daß er die Zeit nicht brechen kann und der
Zeit Begierde, - das ist des Willens einsamste Trübsal ... Daß die
Zeit nicht zurückläuft, das ist sein Ingrimm; >Das was war< — so heißt
der Stein, den er nicht wälzen kann.« Weil aber der zukunftswillige
Wille unfähig ist, sich an dem, was schon ist, gewollt und getan ist, zu
rächen, wird sich das wollende Dasein - und der Mensch ist Wille,
seitdem ihm kein Gott mehr sagt, was er »soll« - selber zur »Schuld«
und zur »Strafe«. Das Dasein wird sich »ewig wieder Tat und
Schuld«, gerade weil es nicht selber schuld ist am Zufall des Da-seins,
das immer schon zufiel und da ist, bevor es sich wollte, aber als seiender
Wille schuld daran sein will und es doch nicht sein kann. Und
darum wälzt der Wille als Widerwille gegen die Last des ihm zugefallenen
Daseins »Stein auf Stein«, bis endlich der Wahnsinn predigt:
Alles vergeht, darum ist alles wert zu vergehen. Der Unwille über die
schon vergangene Zeit der schon geschehenen Tat entwertet sie zur
Vergänglichkeit - es sei denn, »daß der Wille sich endlich selber erlöste
«, wie in Schopenhauers Metaphysik, und »Wollen zu Nicht-
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wollen würde«. Dem entgegen sagt Zarathustras schaffender Wille zu
dem Stein, der die Last des sich umsonst entwerfenden Daseins ist:
»Aber so wollte ich es« und will es in alle Ewigkeit wieder! Aber
wann sprach er schon so? und wann geschieht es, daß sich der schaffende
Wille zur Zukunft für das Vergangene einsetzt? Und wer lehrte
ihn das Zurückwollen an Stelle des Nichtwollens und das Freudebringen
an Stelle des Wehetuns? Diese Frage beantwortet Zarathustra
als der Lehrer des ewigen Seins. Denn im Wollen des ewig wiederkehrenden
Kreislaufs der Zeit und des Seins wird der Wille auch
selber aus einer geraden Bewegung ins Endlos-Unendliche zum voraus
wie zurückwollenden Kreis. Diesen doppelten Willen, der immer nochwill,
was er immer schon muß, meint Nietzsches »amor fati«. In ihm
schließt sich das Ganze der Zeit und des Seins zusammen zu der schon
einmal gewesenen Zukunft eines noch immer werdenden Seins.801
Zarathustras Seele ist so die »notwendigste«, welche »aus Lust in den
Zufall sich stürzt«, was sie aber nur kann, weil in ihr als der »höchsten
Art alles Seienden« 602 »alle Dinge ihr Strömen und Widerströmen
und Ebbe und Flut haben« - aber »das ist der Begriff des Dionysischen
selbst«, und dessen Formel ist nicht schon der Wille zum
Schicksal, sondern zum Schicksal selber als Fatum, »auf einem Schicksal
ein Schicksal stehend«.603
Demgemäß hat Nietzsche seine Lehre von der Erlösung von dem
Glauben der Alten an das über Götter und Menschen mächtige Schicksal
und von dem Glauben der Neuen an die Freiheit des Wollens
geschieden: »Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter. Und
darum glaubte man >Alles ist Schicksal! du sollst, denn du mußt!<
Dann wieder mißtraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern:
und darum glaubte man >Alles ist Freiheit: du kannst, denn du
willst !<«604 Im Gegensatz zu dieser Alternative wollte Nietzsche
das eigene Wollen mit dem kosmischen Müssen vereinen.
Wie sollte es aber möglich sein, mit der modernen Freiheit zum
Wollen-Können noch einmal jene alte Vertrautheit mit dem, was seinmuß
und nicht anders sein kann, wiederzuholen, damit sich das einst
in den Sternen geschriebene Fatum durch ein Wollen des Müssens in
ein eigenes Fatum verwandelt, um schließlich sagen zu können: »ich
selber bin das Fatum und bedinge seit Ewigkeiten das Dasein«, »ich
selber gehöre zu den Ursachen der ewigen Wiederkunft«? Müßte dazu
die neue Wahrsagung nicht selber die Einheit sein, erstens von der aus
den Sternen des Himmels und zweitens von der aus dem Nichts,
welches die letzte Wahrheit in der Wüste der Freiheit des eigenen
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Könnens ist? Ist also das Ganze, welches sie aussagt, ein »himmlisches
Nichts«? Und entspricht dieser Verschränkung nicht auch der zweifache
Weg, auf dem der doppelte Wille zu seiner doppelten Wahrheit
kommt, nämlich durch einen Entschluß und eine Inspiration, von
denen diese so wahr wie jener ist? Ein Willensentschluß, der am
äußersten Ende der Freiheit noch lieber »das Nichts will als nicht
will« und eine Eingebung, in der das Sein sich selber dem also Entschlossenen
gibt - sie bilden zusammen den problematischen Zugang
zu Nietzsches doppelter Wahrheit, die als eine Lehre von der Selbstüberwindung
des Nihilismus sein »credo quia absurdum« ist.605 —
Dies allein ist Nietzsches wahrhaft »unzeitgemäße«, weil die Zeit
überhaupt übersteigende Lehre von der Zeit und vom Sein. Nach
Nietzsche hat niemand mehr diesen äußersten Punkt des Umschlags
erreicht. Die Wenigen, die noch nach der Ewigkeit frugen, haben sich
zu den »ewigen« Wahrheiten der katholischen Kirche bekehrt, »vom
Ewigen im Menschen« gesprochen, sich an verschollenen »Bildern«
des kosmischen Lebens berauscht und »Chiffren« des Seins »beschworen
«,606 während die Vielen den Forderungen der Zeit gehorchten, die
ihnen die rassischen Dauerwaren einer politischen Zoologie zum Ersatz
für die Ewigkeit bot.
Als Nietzsche »jenseits von Mensch und Zeit« die ganze »Tatsache
Mensch« zugleich mit der Zeit übersteigen wollte, um sich zu entwerfen
aus der modernen Geworfenheit, geschah genau das, was er
selber erzählt von dem Leidenden, der »seine Asche zu Berge trug«
und »mit einem Sprunge zum Letzten wollte«: »Der Leib wars, der am
Leibe verzweifelte — der tastete mit den Fingern des betörten Geistes
an die letzten Wände. ...« 607
Ein Anderer, der nicht mit einem »Sprunge« zum Letzten wollte,
sondern die »Folge« pries, hat die Ewigkeit nicht als eine »Möglichkeit
« des Lebens entworfen,608 sondern sie in jedem Augenblick seines
leiblichen Daseins als gegenwärtig erblickt. Goethe hat darum auch die
Frage des Wollens und Müssens anders als Nietzsche gestellt. Indem
er wirklich im Ganzen des Seienden lebte und nicht sich selbst überstieg,
konnte er zu der Einsicht gelangen, daß der ganze Kreis des-
Erkennens in der Vereinigung des Wollens und Müssens beschlossen
ist. »Lessing, der mancherlei Beschränkung unwillig fühlte, läßt eine
seiner Personen sagen: Niemand muß müssen. Ein geistreicher frohgesinnter
Mann sagte: >Wer will, der muß<. Ein Dritter, freilich ein
Gebildeter, fügte hinzu: >Wer einsieht, der will auch<« 609 - nämlich
das, was er muß. Der Einsicht des Denkers entsprach die Erfahrung
217
des Lebens: als Goethe die Nachricht vom Tode seines einzigen Sohnes
empfing und an der Last seines Alters doppelt zu tragen hatte, schrieb
er an Zelter: »Ich habe keine Sorge, als mich physisch im Gleichgewicht
zu bewegen; alles andere gibt sich von selbst. Der Körper muß,
der Geist will, und wer seinem Wollen die notwendigste Bahn vorgeschrieben
sieht, der braucht sich nicht viel zu besinnen.« 610
Grundsätzlich ausgeführt hat Goethe den Gedanken mit Bezug auf
das Christentum und die Antike. Er schreibt gelegentlich der Reformationsfeier
an Zelter, der Grund und Boden des Luthertums sei der
entschiedene Gegensatz von Gesetz und Evangelium und die Vermittlung
dieser Extreme. Setze man statt dessen die Worte Notwendigkeit
und Freiheit ein, mit ihrer Entfernung und Annäherung, so sehe man
deutlich, daß in diesem Kreise »alles enthalten ist, was den Menschen
interessieren kann«. Luther habe im Alten und Neuen Testament das
Symbol des großen, sich immer wiederholenden Weltwesens erblickt:
»Dort das Gesetz, das nach Liebe strebt, hier die Liebe, die gegen das
Gesetz zurückstrebt und es erfüllt, nicht aber aus eigener Macht und
Gewalt, sondern durch den Glauben, und nun hier durch den ausschließlichen
Glauben an den allverkündigten und alles bewirkenden
Messias.«611 Aus diesem wenigen könne man sich überzeugen, daß das
Luthertum der Vernunft nicht widerstrebt, wenn sich diese entschließt,
die Bibel als Weltspiegel zu betrachten. Das von Goethe geplante Reformationsgedicht
sollte daher mit dem »Du sollst!« des Donners auf
Sinai anfangen und mit Christi Auferstehung und dem »Du wirst!«
enden.
Frei von der Rücksicht auf den »ausschließlichen« Glauben an die
dogmatische Wahrheit der Bibel hat Goethe in dem Aufsatz »Shakespeare
und kein Ende« dasselbe Problem des Müssens und Wollens
mit Bezug auf die Antike erläutert.612 Er verzeichnet darin folgende
Gegensätze zwischen den Alten und Neuen: antik und modern; heidnisch
und christlich; Notwendigkeit und Freiheit; Sollen und Müssen.
Aus dem Mißverhältnis zwischen den beiden letzteren Gliedern erklären
sich die größten und meisten Qualen, denen der Mensch ausgesetzt
sein kann. Wenn die »Verlegenheit«, welche daraus entspringt, gering
und auflösbar ist, so gibt sie die Anlage zu lächerlichen Situationen,
ist sie die höchste und unauflösbar, so erzeugt sie die tragischen. Vorherrschend
in den alten Dichtungen ist das Unverhältnis von Sollen
und Vollbringen, in den neueren zwischen Wollen und Vollbringen.
Das Sollen wird dem Menschen auferlegt, das Wollen legt er sich
selbst auf; im einen Fall scheint alles Schicksal, im andern Freiheit zu
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sein. Das unausweichliche Sollen, das durch entgegenwirkendes Wollen
nur geschärft und beschleunigt wird, verkörpert sich im antiken Stadtund
Sittengesetz, sowie in den Gesetzen des Kosmos; es zielt auf das
Wohl des Ganzen. Das Wollen hingegen ist frei und begünstigt den
Einzelnen. »Es ist der Gott der neuen Zeit« und hier liegt der Grund,
warum unsere Kunst und Sinnesart von der antiken ewig getrennt
bleibt. Shakespeares Einzigkeit beruht aber darauf, daß er das Alte
und Neue auf eine »überschwängliche« Weise verbindet, indem er das
Sollen und Wollen im individuellen Charakter ins Gleichgewicht
setzt. Die Persona seiner Dramen »soll« — als Mensch aber »will« sie.
Diese Vereinigung gelingt ihm dadurch, daß er das maßlose Wollen
nicht von innen entspringen, sondern durch äußere Veranlassung aufregen
läßt. »Dadurch wird es zu einer Art von Sollen und nähert sich
dem Antiken.« Shakespeare verknüpft in seinen Helden die alte und
neue Welt zu unserm freudigen Erstaunen. Und dies sei auch der
Punkt, den wir in seiner Schule studieren müßten: anstatt unsere
»Romantik«, d. h. die Modernität, über Gebühr zu erheben, sollten
wir suchen, jenen unvereinbar scheinenden Gegensatz um so mehif in
uns zu vereinigen, als ein großer und einziger Meister dies Wunder
schon wirklich geleistet hat.
Wie sehr Goethes Betrachtung über Shakespeare auch auf ihn selber
anwendbar ist, kann man daraus entnehmen, daß selbst ein Romantiker
Goethes Größe darin erblickte, daß er das »Wesentlich-Moderne«
mit dem »Wesentlich-Antiken« verbinde.613 Geirrt hat sich Schlegel nur
darin, daß er Goethe als den ersten »einer ganz neuen Kunstperiode«
beurteilte, der einen Anfang mache, sich diesem Ziele zu nähern. In
der Geschichte des 19. Jahrhunderts ist er vielmehr der Letzte gewesen,
der den Unterschied zwischen Antik und Modern, sowie zwischen
Heidnisch und Christlich noch nicht als ein Problem der »Entscheidung
« empfand. Indem Nietzsche dies tat, war er genötigt, auf der
Spitze der Modernität, »die nicht aus und nicht ein weiß«, die geschlossene
Ansicht der griechischen Welt wiederholen zu wollen und
sein Ich mit dem Fatum zusammen zu zwingen, während Goethes
Natur die Antike im Umkreis des Neuen vergegenwärtigt. Goethe
veranschaulichte sich den Gegensatz von Antik und Modern nicht nur
an der großen Tragödie, sondern auch am alltäglichen Leben: »Betrachte
man als eine Art Dichtung die Kartenspiele; auch diese bestehen
aus jenen beiden Elementen. Die Form des Spiels, verbunden
mit dem Zufalle, vertritt hier die Stelle des Sollens, gerade wie es die
Alten unter der Form des Schicksals kannten; das Wollen, verbunden
219
mit der Fähigkeit des Spielers, wirkt ihm entgegen. In diesem Sinn
möchte ich das Whistspiel antik nennen. Die Form dieses Spiels
beschränkt den Zufall, ja das Wollen selbst. Ich muß bei gegebenen
Mit- und Gegenspielern, mit den Karten, die mir in die Hand kommen,
eine lange Reihe von Zufällen lenken, ohne ihnen ausweichen zu
können; beim l'Hombre und ähnlichen Spielen findet das Gegenteil
statt. Hier sind meinem Wollen und Wagen gar viele Türen gelassen;
ich kann die Karten, die mir zufallen, verleugnen, in verschiedenem
Sinne gelten lassen, halb oder ganz verwerfen, vom Glück Hilfe
rufen, ja durch ein umgekehrtes Verfahren aus den schlechtesten
Blättern den größten Vorteil ziehen, und so gleichen diese Art Spiele
vollkommen der modernen Denk- und Dichtart.« Es ist nicht vorstellbar,
eine ähnlich »bequeme« Überlegung bei Nietzsche zu finden. Der
Zauber, der für ihn kämpfte, war, wie er wußte, »die Magie des
Extrems, die Verführung, die alles Äußerste übt«,614 aber nicht der
mildere Zauber des Gleichgewichts, welcher unscheinbar ist. Für den
Radikalen ist Goethe ein Kompromiß, weil der Radikale — dem
Wortsinn entgegen — wurzellos ist.
Der »deutsche Geist«, dessen Geschichte wir von Hegel bis Nietzsche
verfolgten, wurde von einer an Nietzsche geschulten Generation an
dem bemessen, was dieser verneint und gewollt hat. Zahllos sind die
Broschüren, Bücher und Reden, in denen das Dritte Reich als die
»Erfüllung« von Nietzsche galt. Wer aber Nietzsches Werk nicht
nur »deutet«, sondern es ernst nimmt, kann nicht verkennen, daß
Nietzsche dem »Nationalen« und »Sozialen« ebenso fremd ist, wie
andrerseits der Geist von »Bayreuth« den Instinkten nicht nur des
Bismarckschen Reiches verwandt ist. Es genügt, Nietzsches Schriften
gegen Wagner zu lesen und seine Bemerkungen zur Judenfrage, und
zu der Gegenfrage was »deutsch« ist, ohne Abzug und Auswahl zu
kennen, um den Abgrund zu sehen, der Nietzsche von seinen letzten
Verkündern trennt. Dem widerspricht aber nicht die offensichtliche
Tatsache, daß Nietzsche ein Ferment der »Bewegung« wurde und sie
ideologisch in entscheidender Weise bestimmt hat. Der Versuch,
Nietzsche von dieser geistigen »Schuld« zu entlasten oder ihn gar
gegen das, was er wirkte, in Anspruch zu nehmen, ist ebenso grundlos
wie das umgekehrte Bemühen, ihn zum Anwalt einer Sache zu machen,
deren Richter er ist. Beides vergeht vor der geschichtlichen Einsicht,
daß die »Wegbereiter« von jeher andern Wege bereiteten, die
sie selber nicht gingen. - Wichtiger als die Frage, ob Nietzsches zeitliche
Wirkung für oder gegen ihn spricht, ist die Unterscheidung der
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Geister nach ihrem Verhältnis zur Zeit überhaupt. So sehr Nietzsche
die Zeit verewigen wollte, war er doch - von der Schrift gegen Strauß
bis zu der gegen Wagner - seiner eigenen Zeit, mehr als er wollte,
gemäß, gerade weil er sich zu ihr polemisch, als Unzeitgemäßer, verhielt.
Als Gegenspieler von Bismarck und Wagner bewegte er sich im
Umkreis ihres »Willens zur Macht«, und auch seine Zeitgemäßheit im
Dritten Reich beruhte auf dem Umstand, daß dieses der Erbe des
zweiten war.
Eine Ewigkeit, die der Zeit immanent ist, vermochte Nietzsche nicht
zu erfassen, denn als er sie für einen Augenblick schaute, war er -
»6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit«615 - sich selber entrückt.
Goethes Werther war gewiß zeitgemäß, aber schon die Iphigenie und
der Tasso waren es nicht, und je dichter und weiter Goethes Lebenskreis
wurde, desto mehr verwandelten sich ihm alle Bezüge zur Zeit
in die konkreten Allgemeinheiten seines geistigen Blicks. Goethe kann
niemals der Zeit gemäß oder ungemäß werden, weil er für immer eine
reine Quelle der Wahrheit im Verhältnis des Menschen zu sich und
zur Welt ist.
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